Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.10.2004. Die NZZ widmet ihre Beilage Literatur und Kunst der arabischen Kultur. In der taz kündigt Juli Zeh die Schließung sämtlicher deutschsprachigen Zeitungsverlage an. Die FR vermisst die Party auf der Popkomm. In der SZ droht Seymour Hersh dem irakischen Regierungschef Ijad Allawi eine Reportage an. In der FAZ vergibt Louis Begely eine Eins plus in Stil an John Kerry. Und alle schreiben über die Uraufführung von Handkes "Untertagblues" am BE: gefallen hat's nur taz und FR.

NZZ, 02.10.2004

Recht ungnädig verfährt die große Barbara Villiger Heilig mit Handkes Fahrgastbeschimpfung "Untertagblues", inszeniert von Claus Peymann am Berliner Ensemble: "Am Schluss applaudiert das Publikum, zieht davon Richtung Bahnhof Friedrichstraße und fühlt sich nun in der U- oder S-Bahn selbst wie ein Teil des Schauspiels. Um dieser netten Wirkung willen entfaltet das Berliner Ensemble einen unsinnigen Aufwand."

Ein redaktioneller Text bereitet uns auf die Literaturbeilage der NZZ am Mittwoch hin, die mit dem der Besprechung des Briefwechsels zwischen Flaubert und den Brüdern Goncourt eröffnet wird. Uwe Pralle schreibt zum hundertsten Geburtstag Graham Greenes. Sonja Asal erinnert an den Politiker Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald, der vor 250 Jahren geboren wurde. Abgedruckt wird ein öffentlicher Brief des Autors Christoph Geiser an den Schweizer Bundespräsidenten Joseph Deiss, der in seiner Rede zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August seine Klage über den allgemein grassierenden Egoismus mit einem total missverstandenen Gombrowicz-Zitat ("Montag Ich. Dienstag Ich. Mittwoch Ich") illustriert hatte.

Die Beilage Literatur und Kunst ist ausschließlich der arabischen Kultur gewidmet. Im Aufmacher fragt François Zabbal, Chefredakteur der vom Institut du Monde Arabe herausgegebenen Kulturzeitschrift Qantara, "ob das islamistische Paradigma im Blick auf die arabische Welt gegenwärtig nicht die Wahrnehmung anderer und tiefgreifender Veränderungen behindert, die sich im geistigen und kulturellen Bereich zu manifestieren beginnen". Zabbal nennt die Globalisierung in Form des Internets, aber auch von Medien wie Al Jazira und Phänomenen wie der Rai-Musik als säkularen Bruch. Und immer mehr wird eine Demokratisierung aus eigener Kraft gefordert: "Auch wenn zwischen diesen Debatten und der Implementierung ihrer Ziele noch ein sehr langer Weg liegen mag, ist es doch eine sprechende Tatsache, dass mittlerweile sogar Themen wie Pluralismus oder religiöse Toleranz auf der Agenda stehen, die in den Dekaden einer unitarisch-arabischen Ideologie tabu gewesen waren."

Weitere Artikel in dieser lesenswerten Beilage: Der irakische Lyriker Khalid al-Maaly zeichnet ein sehr deprimiertes Bild vom Stand der arabischen Lyrik. Die Schriftstellerin Sahar Khalifa (mehr hier) beschreibt, was es für ein begabtes Mädchen heißt, sich künstlerisch zu emanzipieren ("Als ich fünfzehnjährig war, äußerte ich den Wunsch, meine Ausbildung in Rom fortzusetzen und die Kunst zu meinem Beruf zu machen. Mein Onkel, die höchste Instanz in unserer Familie, drohte mich zu töten, falls dieser Wunsch je wieder über meine Lippen käme.") Auch der Beiruter Autor Hassan Dawud (mehr hier) beschreibt, wie er zur Literatur kam. Das gleiche gilt für Habib Tengour ("Wenn ich es mir so überlege: Schuld dran ist Victor Hugo!", hier eine Leseprobe aus dem letzten Roman des Autors) Suleman Taufiq schreibt über die Entwicklung der arabischen Musik. Die Islamwissenschafterin Mona Naggar schreibt über die Wahrnehmung westlicher Literatur in Arabien. Und der Orientalist Stefan Weidner schildert die " Schwierigkeit, über orientalische Literatur zu schreiben".

TAZ, 02.10.2004

In der neuen taz-Kampagne "Erlesenes erhalten" (mehr hieräußert sich die Schriftstellerin Juli Zeh in einem großen Artikel ein klein wenig kontraproduktiv: "Meine Damen und Herren, mit Jahresende werden sämtliche deutschsprachigen Zeitungsverlage geschlossen. Wir steigen aus, mindestens so gründlich, wie wir aus der Atomenergie ausgestiegen sind."

Die Kultur macht erst mal weiter. Wenn auch schlecht gelaunt mit Mark Terkessidis, dem die theatralen Verwurstungen der Neoliberalismuskritik inzwischen auf die Nerven gehen: "Da es keine breite soziale Bewegung gibt, in der diese Politisierung geerdet wäre, ergibt sich der Bewertungsmaßstab der Veranstaltungen nicht daraus, ob mit ihnen bestimmten politischen Zielen zum Durchbruch verholfen wird. Die relevante Frage ist vielmehr, ob die Veranstaltungen als spannend erlebt werden oder nicht. Die Teilnehmer möchten mitgenommen werden auf eine interessante Reise und mit möglichst vielen anderen zusammen in einen körperlichen Zustand der Aufregung versetzt werden - kurz: in die Veranstaltungen ist man als Konsument, nicht als Bürger eingeladen."

Weitere Artikel: Positiver gestimmt ist da Andreas Merkel, der nicht als Konsument, sondern als Kritiker Peter Handkes "Unteragblues" in der Uraufführung am Berliner Ensemble erlebt hat: "ein Theaterabend der gelungeneren Sorte". Morten Kansteiner porträtiert die Autorin Sibylle Berg (homepage), die gerade ein Theaterstück geschrieben und ein sehr publikumsfreundliches Arbeitsethos hat: "Die zahlen relativ viel Geld für das Zeug. Und dann ist es abends, das sind oft berufstätige Menschen, und du kannst die nicht drei Stunden langweilen in unbequemen Sesseln. Das ist unfreundlich." Für Dirk Knipphals geht mit Karstadt und ein paar Luhmann-Zitaten die Bundesrepublik unter. So richtig schlecht findet Harald Peters den Film "Mann unter Feuer" mit Denzel Washington.

Für das taz-mag-Dossier berichtet Vera Kümmel aus Westsibirien, das schwer unter dem Erdöl zu leiden hat. Philip Gessler resümiert ein Kapitel seines Buches zum "neuen Antisemitismus". Peter Schanz ist wieder per Schiff unterwegs, diesmal "mit Importkohle durchs Revier". Aus dem Stadtteil Silberhöhe in der Schrumpfstadt Halle an der Saale berichten Axel Dossmann, Anne König und Jan Wenzel.

Besprochen werden unter anderem Elisabeth Badinters Studie "Die Wiederentdeckung der Gleichheit", ein Buch über "Juden im Untergrund und ihre Helfer" und ein Nachschlagewerk zur Typografie. Verrissen wird Bodo Kirchhoffs neuer Roman "Wo das Meer beginnt" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.

Tagesspiegel, 02.10.2004

Rüdiger Schaper mochte weder Handkes "Untertagblues" noch Peymanns Inszenierung: "Karl-Ernst Herrmanns cinemascopisch-breite Metro-Bühne, clean, luftig und weiß, ist wie ein Sommerhaus, ein Wolkenheim. Wo sind wir hier? In einem Theater , dessen Chef sich selbst gern als wilder Mann Berlins aufspielt. In einem berühmten Theater mit berühmten Theatermachern und Weltverbesserern, die ihren Bedeutungsverlust aggressiv-selbstmitleidig ausstellen. Autor und Regisseur haben sich festgefahren in splendider Pose. Im Wehklagen, dass früher alles besser war. War es wohl auch. Jedenfalls im Staatstheater."

Berliner Zeitung, 02.10.2004

Detlef Friedrich schreibt über Handkes "Untertagblues" am BE: "Michael Maertens spielt den Monolog konstitutionell großartig. Maertens hält gut durch, hat Kraft und Witz und Zwischentöne, nur leider entwickelt sich seine Figur zu wenig, bloß ein bisschen vom Dutzendmensch zum halben Clown. Der Autor hat nichts, der Regisseur nicht genug beigesteuert ... Michael Maertens erhielt starken Beifall, fast ein Jubel. Carmen-Maja Antoni als stumme Oma mit Rentnertrabi fiel durch Schlagfertigkeit auf. Sie durchbrach die Schweigeregel, indem sie beim Abgang zu Maertens sagte: Bis später, in der Kantine. Die Aufführung ist nach Dauer und Anspruch restaurantgeeignet. Man kann noch essen gehen."

Im Magazin erklärt Wim Wenders, warum er Bruno Ganz' Hitler nicht mag: "... ich habe doch zu viel Bruno Ganz darin gesehen, letzten Endes wurde sein Hitler zu einer Figur, mit der ich Mitleid gehabt habe. Ob Mitleid etwas ist, womit man der historischen Hitler-Figur begegnen kann, weiß ich nicht. Ich bin aus dem Film herausgegangen und habe mir gedacht, dass die Hitler-Trauerarbeit in Deutschland jetzt erst Recht zu machen ist. So ein harmloser alter Trottel kann er nicht gewesen sein. In dem Film kommen auch plötzlich so viele gute Deutsche vor, dass mir noch ganz schwindlig ist."

FR, 02.10.2004

Auch Peter Iden war in Berlin und hat Claus Peymanns Inszenierung von Peter Handkes neuem Theaterstück "Untertagblues" gesehen. Den Beinahe-Monolog hat der Hauptdarsteller fast allein zu schultern: "Maertens ist also allein, macht alles mit sich selber aus. Manchmal kann man denken, die Wut könnte von tiefer her kommen, es gibt Partien, die eher flach profiliert scheinen, gelegentlich tut der Schauspieler sich auch schwer, Spannungsbögen anzulegen und zu halten. Dennoch imponiert die Leistung sehr. Zu danken ist ihr, wie der Löwenpranke Peymanns, der Phantasie Herrmanns und der Geduld der von Angelika Rieck hingebungsvoll kostümierten, wortlosen Metro-Fahrer, dass Peter Handkes neues Stück sichtbar werden konnte als ein Entwurf, der durch die Erscheinung der Menschenwelt schließlich doch vordringt zu deren Wahrheiten."

Elke Buhr resümiert die erste Berliner Popkomm - die auch die letzte sein könnte: "Die Popkomm als Partytreff der Branche ist Vergangenheit. Ja, es ist vielleicht gar nicht mehr die eigentliche Musikbranche, die sich dort trifft. Die Großkonzerne BMG und EMI haben sich den Messestand gespart, und so bleibt es Jeannette Biedermann bei Universal vorbehalten, Wolfgang Clement beim Messerundgang die Hand zu reichen."

Weitere Artikel: Thomas Stillbauer informiert über den Start von Anastacias Deutschlandtournee. In Times mager meditiert Michael Rudolf über das Fahrrad. Besprochen wird die Uraufführung von Enda Walshs "The New Electric Ballroom" in München.

SZ, 02.10.2004

Andrian Kreye interviewt den "besten investigativen Reporter der Welt", Seymour Hersh, der mit seinen Abu-Ghraib-Enthüllungen auch bei uns berühmt wurde. Er macht deutlich, dass dies nicht der letzte Skandal ist, um den er sich kümmern will: "... da gibt es all diese Geschichten, die liegen ganz offen herum. Manchmal bin ich den anderen fast dankbar, dass sie mir alles überlassen. Nehmen Sie den irakischen Regierungschef Ijad Allawi. An den hat sich noch niemand herangetraut. Er war eine der Schlüsselfiguren, als Saddam die Baathpartei übernommen hat. Dabei sind viele Leute umgebracht worden. (...) Das ist ein nichtreligiöser Schiit, ein Strohmann, der im Ausland gelebt hat, während die Schiiten im Irak gekämpft haben und umgebracht wurden. Und dann kommt er einfach zurück und übernimmt die Macht. Jetzt hat er sich auch noch in Washington feiern lassen. Der gesamte Kongress hat ihm applaudiert. Ich sage Ihnen, es gibt noch so einige andere Geschichten, die ich in Vorbereitung habe."

Nicht viel mehr als ein "schlechter Metro-Trip" mit "feuerfesten Klischees und einer undurchlässigen poetischen Metaphorik" ist für Christopher Schmidt Peter Handkes "Untertagblues", den Claus Peymann am Berliner Ensemble uraufgeführt hat.

Weitere Artikel: Franziska Augstein lässt die deutsche Nachkriegszeit Revue passieren und erklärt, "wie wir nach dem Krieg Demokraten wurden". Siegfried Stadler hat nachgeforscht, wie es bei den Montagsdemonstrationen zur Losung "Wir sind ein Volk" kam. Besser erging es Der Schauspielerin Gisela Stein gratuliert Thomas Thieringer zum 70. Sabine Näher stellt das Programm der diesjährigen Schubertiade (Website) vor. Von der Wiederkehr der "alten Säcke" schreibt Karl Bruckmaier in seiner Popkolumne. Nur gemeldet wird, dass "Schüler, Eltern, Gewerkschaften" sich vehement für die Rechtschreibreform aussprechen.

Auf der Literaturseite berichtet Sonja Zekri aus Ägypten: "Das literarische Leben aber bewegt sich 'am Rand der Finsternis' (Al Ahram). Wo ein Lehrer 400 Pfund im Monat verdient, etwa 50 Euro, sind 20 Pfund für ein Buch ein Vermögen. Die Analphabetenrate ist hoch, der Vertrieb erbärmlich." Thomas Steinfeld wünscht der arabischen Literatur Aufmerksamkeit, befürchtet jedoch, dass die Buchmesse mit ihren Politdiskussionen dafür nicht der richtige Ort ist. Der irakische Schriftsteller Nassire Ghadire informiert über die Lage der Literatur in seinem Land: "'Schriftsteller' bedeutet in den Augen der irakischen Öffentlichkeit, dass man arbeitslos ist." Und abseits des Arabischen schreibt Ijoma Mangold ein Porträt Graham Greenes zu dessen 100. Geburtstag.

Besprochen werden Stephan Kimmigs "ungemein feinhöriger" Uraufführung von Enda Walshs "The New Electric Ballroom" in den Münchner Kammerspielen, eine Ausstellung von "Klassikern der Moderne" aus süddeutschem Privatbesitz in der Stuttgarter Staatsgalerie und ein Gedichtband von Adonis (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Aufmacher der SZ am Wochenende widmet sich Willi Winkler hingebungsvoll Bob Dylan, der seine Autobiografie geschrieben hat. Noch ist sie nicht veröffentlicht, aber Winkler kennt Ausschnitte, hat Interviews gelesen und ist sowieso ein Dylanologe. An den Künstler und Konstrukteur Ernst Neumann-Neander erinnern anlässlich seines 50. Todestags Roland Opschondek und Justina Schreiber. In der Reihe "Europas kleinste Hauptstädte" stellt Sven Siedenburg heute Vaduz vor. Eva-Elisabeth Fischer berichtet von einem Restaurant in Tokio, das ganz dem Regisseur Akira Kurosawa gewidmet ist. Alexa Hennig von Lange erinnert sich an die Beatles und Pink Floyd und das Helle und das Dunkle.

Mit dem Modemacher Renzo Rosso unterhält sich Alexander Gorkow über den Willen: "Ich liebe es, Dinge immer wieder anders zu machen. Und wenn Diesel mit einer Strategie Erfolg hat, wenn alle denken, hey Renzo, so machen wir jetzt weiter, so läuft's ja komfortabel, dann geht es mir darum, die Dinge schon wieder anders zu machen. Ich meine: Jeder redet heute von Rebellion. Eigentlich aber geht es mir nur darum, nicht gemütlich zu werden, es geht um: den Willen."

FAZ, 02.10.2004

Der Autor Louis Begley (mehr hier) hat sich für die FAZ die erste Fernsehdebatte zwischen George W. Bush und John Kerry angesehen und macht aus seinen Wahlintentionen kein Geheimis, zumal ihm bei Bush wieder "jene Züge" auffielen, "die mich schon bei den Debatten zwischen ihm und Al Gore abgeschreckt hatten und die mir seither bei jeder seiner Pressekonferenzen und überhaupt bei jedem Auftritt, solange er nicht gerade von einem Teleprompter ablas, unangenehm aufgefallen sind: der verschlagene, ruhelose Blick, die Momente innerer Leere, wenn er plötzlich aussieht, als hätte er vergessen, wo er ist und was er als nächstes tun soll, das schlecht verhohlene Grinsen, die falsche Jovialität. Senator Kerry wirkte standfest, konzentriert und zuversichtlich, mehr noch: Er wirkte ausgeruht und entspannt. Ich gab ihm eine Eins plus in Stil."

Michael Maertens gibt in Peter Handkes "Untertagblues", der von Claus Peymann am Berliner Ensemble zur Uraufführung gebracht wurde, den Weltbevölkerungsbeschimpfer in der U-Bahn. Kritiker Gerhard Stadelmaier ist zwar nicht unbeeindruckt, aber unzufrieden mit dem Furor, den er dabei an den Tag legt: "Handkes 'Wilder Mensch' wäre der Übermensch, der den Untermenschen den Übermenschen predigt: sich selbst. Ich bin schön. Ihr seid hässlich. Ich bin gescheit. Ihr seid dumm. Ich bin Seele. Ihr seid Leib. Da dürfte er nicht laut werden, müsste mehr träumen als schreien, mehr zu sich als zu den anderen, mehr in die Luft als die Visagen hineinreden. Bei Maertens dagegen ist er ein antithetischer Schreihals und schnöder Krawallmacher, Friedenstörer, schimpfender Rohrspatz, Volksverhetzer. Ein Fall für die Bahnpolizei."

Weitere Artikel: Lorenz Jäger will in der Leitglosse keinen Skandal in dem Umstand entdecken, dass ein ausgewiesener Rechtsextremist als Komparse (Keitels Adjutant) im Historiengrusical "Der Untergang" mitspielte -er bekannte sich dazu in einer einschlägigen Postille. Gemeldet wird, dass viele historische Räuberpistolen wie Ken Folletts Roman "Die Säulen der Erde" (Platz 2!) zu den vom ZDF ermittelten Lieblingsbüchern der Deutschen gehören. In seiner Gastro-Koumne denkt Jürgen Dollase wehmütig Walter Scheel zurück, der sich als einer der wenigen Politiker nicht mit populistischer Currywurst begnügte. Mark Siemons feiert die beeindruckende Vielfalt, welche sich beim heute zu Ende gehenden Berliner Literaturfestival manifestierte. Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz, die sich mit Hitlers Kunstsammelei befasst, antwortet auf einen Artikel des Bremer Museumsmanns Rainer Stamm vom 1. September, der Details ihrer Forschungen anders deutete als sie. Hans-Dieter Seidel schreibt zum Tod der Schauspielerin Antje Weisgerber. Jürg Altwegg liest Schweizer Zeitschriften, die sich mit der Figur des Populisten Christophe Blocher auseinandersetzen. Ellen Kohlhaas gratuliert dem Cembalisten, Organisten und Dirigenten Ton Koopman zum Sechzigsten. Andreas Rossmann meldet die Eröffnung eines "Center for Interdisciplinary Memory Research" (CMR), das auf eine Initiative des Sozialpsychologen Harald Welzer zurückgeht, in Essen. Günther Gillessen bestaunt die "hervorragend restaurierte" Turmhalle des Freiburger Münsters.

Auf der Medenseite schreibt Michael Hanfeld eine Hommage auf die pakistanische Zeitung Frontier Post (ihre Homepage ist bemerkenswert), deren Redakteure ihren Mut zur Meinungsäußerung oft mit lebenslänglichen Gefängnisstrafen büßen müssen. Hanfeld beklagt auch den Abstieg von HR 1 zum Dudelfunk.

Auf der Schallplatten-und-Phono-Seite geht's um eine CD der "Kolossalen Jugend", um ein neues Album von Nick Cave, um Partiten von Heinrich Ignaz Franz von Biber, um den Songwriter Kristofer Aström, um Bernsteins "Mass" unter Kent Nagano. Auf der Literaturseite werden ein Band mit Anton Tschechows Gedanken "Über Theater", Anne Webers "Besuch bei Zerberus", zwei Erzählungen von Alexander Solschenizyn und Jan Koneffkes Roman "Eine Liebe am Tiber" empfohlen.

Besprochen werden außerdem Luigi Nonos "Intolleranza" mit Bildern von Daniel Libeskind in Saarbrücken und Chris Kentis' Film "Open Water".

In der ehemaligen Tiefdruckbeilage feiert der Orientalist Stefan Weidner recht informativ und unterhaltsam den arabischen Buchmessenschwerpunkt als gelungenen Coup und freut sich dabei schon über kleine Selbstverständlichkeiten: "Die Bereitschaft der Araber, trotz ihrer Zerstrittenheit zu kommen und gemeinsam aufzutreten, bezeugt zum ersten Mal den Willen aller, einmal ohne Leichen in die Nachrichten zu kommen." Außerdem hat das Arabische einen unschätzbaren Vorteil: "Die letzte Rechtschreibreform liegt über tausend Jahre zurück." Ferner schreibt Jürgen Kaube zum hundertsten Geburtstag von Graham Greene.

In der Frankfurter Anthologie stellt Rüdiger Görner ein Gedicht von Evelyn Schlag vor -

"Dressurakt:

Ich hab meine Sehnsucht gezähmt
du kannst sie besuchen bürsten
gegen den Strich schöner sich
..."