Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.06.2006. Die SZ fragt sich, wie ein Internet mit 100 Gigabits aussehen könnte. Und die NZZ fragt, was Zeitungen damit verdienen können. Laut Jürgen Habermas, der im Tagesspiegel zitiert wird, taugt das Netz aber nur, wenn es sich mit etablierten Medien auseinandersetzt. Die Welt wundert sich über Rekordumsätze auf dem Kunstmarkt.

Welt, 23.06.2006

G. Charles Rump schreibt über den Kunstmarkt, auf dem in dieser Woche unwahrscheinlich viel Geld umgesetzt wurde: "Am Montag Abend in London gab es mit Impressionisten und Modernen bei Sotheby's die erfolgreichste Londoner Auktion in der Geschichte des Hauses, man klopfte ein Brutto-Gesamtergebnis von 88,7 Millionen Pfund zusammen, etwa 133 Millionen Euro. In Wien ging vor wenigen Tagen als 'private treaty', als Verkauf außerhalb der Auktionen, Klimts 'goldene Adele' bei Christie's über den Tresen, für 135 Millionen Dollar." Für Rump hängt dieser Boom auf dem Kunstmarkt "auch mit dem Dahindümpeln der Börse zusammen. Der Crash vom 'Schwarzen Montag' am 20. Oktober 1987 läutete die bis dahin fettesten zwei Jahre des Kunstmarktes ein, und zur Zeit sieht es so aus, als ginge es dem Kunstmarkt um so besser, je stärker die Börse keucht."

Weitere Artikel: DW meldet, dass Gerhard Richters Bild "Tante Marianne" für mehr als 3,1 Millionen Euro an einen anonymen Bieter versteigert wurde. Daniel Goldhagen anwortet Konrad Adam, der Goldhagens Kritik der Papstrede in Auschwitz kritisiert hatte. Peter Dittmar erzählt die Geschichte der Sportarenen. DW meldet, dass Peter Handke den vom BE initiierten alternativen "Berliner Heinrich Heine Preis" nicht annehmen will, aber dafür plädiere, ein eventuelles Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro "serbischen Enklaven" im Kosovo zur Verfügung zu stellen. Thomas Brussig nimmt seinen japanischen Gast mit in eine brandenburgische No-go-area und stellt fest, dass nichts passiert. Mh. berichtet über Kritik an der Ernennung von Thorsten Maß zum Programmchef des Festivals "Theater der Welt" 2008 in Halle: "Ich hätte mir aber einen jungen unkonventionellen, experimentierfreudigen Theatermacher gewünscht", wird Sachsen-Anhalts Kulturminister Jan-Hendrik Olbertz (CDU) zitiert. Uta Baier gratuliert dem belgischen Museumsdirektor Jan Hoet zum Siebzigsten.

Im Magazin porträtiert Martin U. K. Lengemann den Dirigenten Stefan Sanderling, der gerade von Florida aus zu einer zweiten Karriere ansetzt.

Besprochen werden Richard Thompsons CD "1000 Years of Popular Music" und die Ausstellung "Speaking with Hands" im Essener Folkwang Museum.

NZZ, 23.06.2006

Die israelische Schwulen- und Lesbenorganisation Open House bereitet eine internationale Gay-Parade vor, berichtet Angelika Timm: "'Open House' forderte seit Jahren, den Zweiten WorldPride - der erste fand trotz vehementen Protesten des Vatikans 2000 in Rom statt - in Jerusalem, 'einem der wichtigsten Zentren westlicher und nahöstlicher Zivilisation', durchzuführen. Es fand dafür im Oktober 2003 die Zustimmung der 150 Delegierten des entsprechenden Weltforums und ließ sich auch durch den Protest muslimischer, christlicher und jüdischer Würdenträger nicht von seinem Vorhaben abbringen."

Weitere Artikel: Marc Zitzmann besucht das neue Völkerkunde-Museum in Paris. Albert Ostermaier veröffentlicht eine "Fußballgeschichte" unter dem Titel "Roter Platz". Dirk Pilz begutachtet die Arbeit des Hans-Otto-Theaters in Potsdam unter Uwe Eric Laufenberg. Auf der Filmseite unterhält sich Giuliana Giorgi mit dem Regisseur Vittorio De Seta, dem das Moma in New York demnächst eine Retrospektive widmet, über seine frühen Dokumentarfilme. Besprochen wird eine Ausstellung Schweizer Plakatkunst im Max-Museo in Chiasso.

Auf der Medien- und Informatikseite resümiert Martin Hitz eine Luzerner Diskussion über Bürgerjournalismus und andere Zumutungen an die Branche aus dem Internet. "ras" zitiert jüngste Studien über den Schweizer und internationalen Zeitungsmarkt, unter anderem eine Untersuchung wonach "die durchschnittliche amerikanische Zeitungs-Website pro Nutzer jährlich zwischen 5 und 14 Dollar verdient, während die Zahlen pro Zeitungsabonnent 250 bis 900 Dollar betragen". Berichtet wird außerdem über Klickbetrug bei Google-Anzeigen.

Tagesspiegel, 23.06.2006

Jürgen Habermas hat in Dresden vor der International Communication Association (ICA) eine Rede gehalten und seine bisher nur bruchstückhaft bekannte Reflexion über das Internet fortgesetzt, berichtet Dietmar Jazbinsek. "Laut Habermas kann die Online-Kommunikation nur dann einen relevanten Beitrag zum politischen Diskurs leisten, wenn sie sich mit der Berichterstattung der etablierten Medien auseinander setzt. Ein positives Beispiel hierfür sei die Webseite von bildblog.de. Die Bildblog-Redakteure haben der Online-Ausgabe des Massenblatts neulich eine Honorarforderung in Höhe von 2088 Euro für ihre ungebetenen Korrekturarbeiten zukommen lassen. Über diesen Gag kann sich der Theoretiker des kommunikativen Handelns köstlich amüsieren." Aber lesen mag er wahrscheinlich nur den Perlentaucher!

TAZ, 23.06.2006

Thomas Winkler beschreibt die fortschreitende Emanzipierung des Country-Trios Dixie Chicks, die kurz vor dem Irakkrieg ihr konservatives Publikum mit Kritik an Präsident Bush verärgert hatten: "Mit 'Taking The Long Way' setzen die Dixie Chicks die Liberalisierung konsequent fort. Erstmals zeichnen Maines, Robison und Maguire bei allen Songs als Koautorinnen verantwortlich - immer noch undenkbar für die meisten Frauen in Nashville." Topias Rapp meldet das Ende von Top of the Pops.

Auf den Tagesthemenseiten widmen sich vier Artikel der von der EU geplanten Reform des Weinmarktes. Künftig soll "gemischt, gezuckert und getrickst" werden dürfen, um mit den Weinen aus den USA mithalten zu können.

Besprochen werden die Ausstellung "Voyage(s) en utopie. Jean-Luc Godard 1946-2006" im Pariser Centre Pompidou und die neue CD der Goldenen Zitronen.

Schließlich Tom.

SZ, 23.06.2006

Andrian Kreye hat sich an der New York University die nächste Geschwindigkeitsstufe des Internets angesehen. Zumindest Akademiker sollen bald mit 100 Gigabits pro Sekunde arbeiten. "Mit der Technik wird sich die Kulturlandschaft verändern. Viele Medienfirmen haben erkannt, dass sich Zeitung, Radio und Internet als isolierte Zweige nicht mehr tragen, und haben begonnen, ihr Kernmedium zur Marke aufzubauen. Beschwichtigende Beobachter betrachten den Weg zum Internet 2 als ähnlichen Schritt wie die Umstellung des Radios von Kurzwelle auf UKW. Die Qualität wurde besser, die Popmusik hat sich verändert, doch letztlich hielten sich die Auswirkungen in Grenzen. Die Autoren des Netzfilmes 'Google epic' (deutsche Fassung) hingegen prophezeien eine Monopolisierung des Netzes durch Konzerne wie Amazon und damit ein Ende der traditionellen Kulturformen, von Privatsphäre und geistigem Eigentum."

Weitere Artikel: Die Dolmetscherin Judith Bernstein plädiert dafür, Israels Politik gegenüber den Palästinensern zu kritisieren, um Israel und seinen Ruf zu retten. Der Glaube an die zwölf Götter des Olymp ist auf dem Vormarsch in Griechenland, wie Susanne Bausinger informiert. Klaus Kalchschmid schickt Impressionen vom Mozart-Festival in A Coruna im Nordwesten Spaniens, das den Mozart-Modulierer Raman Carnicer wieder entdeckte. Eva Elisabeth Fischer weilt auf "Österreich tanzt" in St. Pölten, wo die Choreografin Hanna Berger zu Ehren kommt. Zudem ist dort Esther Koller zu sehen, "die derzeit sicherlich schönste Wasserleiche auf Österreichs Bühnen". Oliver Fuchs singt eine Hymne auf das Open-Air und gibt Empfehlungen ab.

Hundert Jahre, nachdem der Autor Wolfgang Koeppen geboren wurde, widmet ihm die SZ eine Literaturseite. Christoph Haas porträtiert den "Minotaurus in seinem Labyrinth", es gibt eine Kurzbiografie und zwei Briefe an Helmut Heißenbüttel. Torsten Maß als Leiter des Treffens "Theater der Welt" 2008 in Halle wird wegen seines Mangels an praktischer Theaterarbeit kritisiert, meldet Christine Dössel.

Auf der Medienseite berichtet Hans-Jürgen Jakob von Schwierigkeiten in der Fußball-Partnerschaft von Premiere und Telekom.

Besprochen werden die "freche" Ausstellung "Was ist Deutsch" im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und Josef Bierbichlers Solostück "Holzschlachten" an der Berliner Schaubühne (das Christopher Schmidt großteils für "barocken Bauernaktionstheaterkitsch" hält).

FR, 23.06.2006

Wenn Sepp Bierbichler in seinem neuen Solostück "Holzschlachten" an der Berliner Schaubühne im Pyjama metaphorisch aufgeladen Holz spaltet, ist Nikolaus Merck abgestoßen und angezogen zugleich. "Was er zeigt, ist unerträglich, ist plumper Theatereffekt, ist Kitsch. Und ebenso unabweisbar. Wir funktionieren genau so, wie er es zeigt. Mord und Sentimentalität, Angst und Geschäftssinn verwickelt zu einem unentwirrbaren Knäuel."

Weitere Artikel: Selbst wenn das Theater Basel Etatkürzungen zum Opfer fallen sollte, wird der Virus von Basel sich unaufhaltsam ausbreiten, tröstet sich Peter Michalzik. "Irgendwann steckt das Theater Basel in allen Theatern. Und dieser Tag ist nicht mehr fern." Hans-Jürgen Linke schreitet in Times mager diverse Meilen ab.

Besprochen werden Calixto Bieitos Version des "Wozzeck" in Hannover, mit dem die Zeit des nach Stuttgart wechselnden Intendanten Albrecht Puhlmann zu Ende geht, und das Theaterfestival "Neue Stücke aus Europa" am Staatstheater Wiesbaden.

FAZ, 23.06.2006

Christian Geyer erregt sich im Aufmacher über Angela Merkels Vokabel vom "Sanierungsfall Deutschland". Jochen Hieber war dabei, als Pele im Kölner "Sport & Olympia Museum" einen Bronzeabguss seines rechten Fußes enthüllte. Gastrokritiker Jürgen Dollase macht spitze Finger bei den Erfolgs- und Kochrezepten des Fernsehkochs Tim Mälzer ("Diese einfachen Lösungen korrespondieren trefflich mit den Erwartungen einer vom komplexen Leben ermatteten Mittelschicht"). Andreas Kilb berichtet von der Pressekonferenz eines alternativen Heinrich-Heine-Preises für Peter Handke, den dieser erklärtermaßen gar nicht haben will - das Preisgeld geht jetzt an die serbische Minderheit im Kosovo. Patrick Bahners gratuliert dem Philosophen Wilhelm Schmidt-Biggemann zum Sechzigsten. Jordan Mejias berichtet über die Versteigerung von Memorabilien aus dem Leben Martin Luther Kings. Martin Halter gratuliert dem Schriftsteller Rafik Schami zum Sechzigsten. Gemeldet wird, dass die USA wegen mangelnden Interesses als Gastland der Buchmesse 2008 abgemeldet sind und dass statt dessen die Türken kommen.

Auf der Medienseite berichtet Dirk Schümer über Sexaffären bei der staatlichen italienischen Anstalt RAI, die zu einer Überpopulation von "Rasseferkelchen" (so das Wort eines Hierarchen) unter den Moderatorinnen führten. Jürg Altwegg beobachtet verstärkte Kontrollgelüste der französischen Medienpolitik in bezug auf Arte. Und Michael Hanfeld zitiert aus einem Appell der Redakteursversammlung beim WDR für einen "starken Intendanten", der sich zufällig liest wie ein Fahndungsaufruf nach Fritz Pleitgen.

Auf der letzten Seite unterhält sich Tilman Spreckelsen mit Erni Rickmers, der Schwester des Helgoländer Kinderbuchautors James Krüss, der in diesen Tagen achtzig Jahre alt geworden wäre. Jürg Altwegg beobachtet eine Voltaire-Renaissance in Frankreich. Und Michael Gassmann porträtiert den jungen Dirigenten Gustavo Dudamel, ein Kind der venezolanischen Musikerproduktion.

Besprochen werden Josef Bierbichlers "Holzschlachten" in der Berliner Schaubühne und Ereignisse des Sonar-Festivals in Barcelona.