Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.09.2007. Die taz fragt sich nach John J. Mearsheimers und Stephen Walts "Israel-Lobby", was eigentlich die nationalen Interessen sind, von denen die USA durch jene Lobby abgebracht werden. In der Welt warnt Walter Laqueur vor der Zerstörung des Erdballs durch religiöse Fanatiker. Die SZ fühlt sich bei Manu Chao wie im feuerroten Spielmobil.

TAZ, 04.09.2007

Israel bringt die USA von ihren nationalen Interessen ab, behaupten John J. Mearsheimer und Stephen Walt in ihrem heute zeitgleich in den USA und Europa erscheinenden Buch "Die Israel Lobby". Kann sein, meint Robert Misik. "Dennoch hängen die Autoren einem altmodischen Begriff des nationalen Interesses an. Mag sein, dass Israel geostrategisch wertlos und eine Bürde ist und dass die Unterstützung, die Washington Israel gewährt, in der arabischen Welt den Antiamerikanismus schürt. Aber dennoch kann es auch im nationalen Interesse liegen, einen Partner zu unterstützen, der unpopulär ist, wenn man mit ihm durch gemeinsame Werte verbunden ist. Was denn eigentlich der Begriff nationales Interesse in einer globalen Ordnung noch bedeuten kann, wird nirgendwo in dem Buch tiefergehend diskutiert." (Über die Thesen wurde schon vor ein paar Monaten debattiert.)

Weiteres: In Venedig sieht Cristina Nord mit Abdellatif Kechiche und Wes Anderson Familien beim Essen zu. Robert Misik schwärmt in der Technikkolumne vom Anmachfaktor des Toyota Prius Hybrid. In der zweiten taz berichtet Barbara Dribbusch von den Thesen des Sozialpsychiaters Klaus Dörner, dass Demenz nicht schlimm, sondern eine "neue menschliche Seinsweise" ist.

Besprochen wird die Aufführung von Moritz Eggerts durch ihren "banalen Musical-Plot" nicht unbedingt berauschende Oper "Freax" in Bonn und eine Neuinterpretation von Lou Reeds "Metal Machine Music" durch das Ensemble Zeitkratzer aus Berlin.

Und Tom.

Welt, 04.09.2007

Auf den Forum-Seiten sieht der Terrorismusforscher Walter Laqueur durch den modernen Terrorismus unsere Zivilisation bedroht: "Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird es einigen wenigen Menschen, vielleicht einem Einzelnen, technisch möglich sein, Millionen Menschen umzubringen und weite Teile des Erdballs unbewohnbar zu machen. Dabei mag es sich noch nicht einmal um Terroristen im geläufigen Sinne handeln, sondern um religiöse Fanatiker, Wahnsinnige, die überzeugt sind, dass diese sündige Welt zerstört werden sollte... Es mögen nicht unsere letzten Tage sein, aber man wird sich damit abfinden müssen, dass man die Augen vor diesen Gefahren nicht länger verschließen kann." Außerdem macht sich der umstrittene Philosoph Peter Singer Gedanken darüber, ob es sinnvoll ist, das Doping freizugeben.

Im Feuilleton: Eckhard Fuhr findet es ganz in Ordnung, dass man bei unzähligen Anne-Will-Porträts in Funk, Print und Fernsehen eigentlich gar nichts über die private Anne Will erfuhr. Wieland Freund annonciert das 7. Internationale Literaturfestival in Berlin. Der Soziologe Wolf Lepenies erinnert anlässlich seines 150. Todestags an den Mathematiker, Philosophen, Religionskritiker und Stammvater der Soziologie Auguste Comte, Kai Luehrs-Kaiser zu dessen 100. Todestag an den Komponisten Edvard Grieg. Peter Zander hat sich mit dem Regisseur Hartmut Bitomsky unterhalten, dessen Dokumentarfilm "Staub" heute in Venedig in einer Nebenreihe zu sehen ist. Hans-Jörg Schmidt informiert, dass der geplante Bau von Hochhäusern den Welterbestatus von Prag gefährdet.

Besprochen werden zwei Fernseh-Dokumentationen über den "Deutschen Herbst", der Fernsehkrimi "Windland" mit Joachim Krol und die Oper "Freax" des Komponisten Moritz Eggert, die nicht zuletzt dadurch viel Medienaufmerksamkeit erhielt, dass Christoph Schlingensief eine Inszenierung verweigerte (Manuel Brug schmäht sie als "totalen Rohrkrepierer" mit "drittklassiger Musik").

SZ, 04.09.2007

Das neue Album von Manu Chao klingt für Alex Rühle nach "feurrotem Spielmobil", was als Kompliment zu verstehen ist. "Die Texte sind ebenfalls polyglotte Collagen. Zuweilen vermengt Manu Chao in ein und demselben Song Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Englisch zu einer Art Globalisierungsneusprech. Dazu kommt der Sound der Straße, Gelächter, Gequatsche, Radioschnipsel, und immer wieder Polizeisirenen, schnell geschnitten, krisselig, als habe sie jemand mit einer Handkamera auf einer Demo aufgenommen. Manchmal fließen im Hintergrund einige Melodielinien aus einem der vorherigen Songs vorbei, wie aus einem Radio, mit dem man sich durch Weltfrequenzen schaltet.

Weiteres: Susan Vahabzadeh sieht in Venedig Filme von Claude Chabrol, Wes Anderson sowie Brad Pitt als Jesse James. Gottfried Knapp plädiert für den zügigen Beginn des zweiten Bauabschnitts der Pinakothek der Moderne, damit in München nicht immer das ganze Museum leergeräumt werden muss, wenn wie jetzt mit Beckmann mal eine größere Schau gezeigt wird. Andrian Kreye bewertet die Tatsache, dass die Gerichtsverhandlung um Maxim Billers Roman "Esra" noch einmal verschoben wurde, als gutes Zeichen für die Meinungsfreiheit. Wolfgang Kemp erzählt, wie Ford vor 50 Jahren mit der Einführung einer eigenen Nobelmarke scheiterte, die auf den wenig noblen Namen "Edsel" firmierte. Claus Heinrich Meyer schaudert in einer Zwischenzeit vor unbekleideten Männerbeinen. Henning Klüver meldet, dass der Premio Balzan, der in Italien verliehene Preis für "Humanität, Frieden und Brüderlichkeit", diesmal unter anderem an den Publizisten und ehemaligen Diplomaten Karl-Heinz Böhm geht. In Streetz bei Dessau besucht Eckhart Nickel das Fest, mit der die "Freunde der großen Pyramide" bei den skeptischen Dorfbewohnern für ihr großes Projekt warben.

Auf der Medienseite stellt Alexander Menden das neue vom Economist herausgegebene Lifestyle-Magazin Intelligent Life vor. Christopher Keil erkundigt sich bei Moderatorin Sandra Maischberger, ob sie gerne täglich auf Sendung wäre und ob sie mit ihrer Quote zufrieden ist. Beides wird bejaht.

Besprochen werden Moritz Eggerts Oper "Freax" in Bonn, die Christoph Schlingensief nicht inszenieren wollte, Aufführungen von Goethes "Wahlverwandtschaften" und der "Iphigenie auf Tauris" im Schauspiel Frankfurt, und Bücher, darunter Paula Fox' Roman "Der Gott der Alpträume" sowie Luc Boltanskis Vorschlag einer "Soziologie der Abtreibung".

NZZ, 04.09.2007

Gabriele Detterer resümiert knapp den Frankfurter Sommer mit Kunst-Provokateur und Provokationskünstler Maurizio Cattelan, der das Museum für Moderne Kunst mit verschiedenen Aktionen bespielte: "Der Grat zwischen blödsinniger Narretei und Sehgewohnheiten wie Erwartungshaltungen in Frage stellenden Performances ist gefährlich schmal." Ueli Bernays berichtet vom Jazzfestival in Willisau. Uwe Justus Wenzel informiert über die Ergebnisse einer Marbacher Tagung zur philosophischen Begriffsgeschichte.

Besprochen werden Konzerte des Israel Philharmonic Orchestra und der St. Petersburger Philharmoniker beim Lucerne Festival, und Bücher, darunter Jean-Luc Benoziglios Roman "Louis Capet, Fortsetzung und Schluss" und Dorota Maslovskas Rap-Roman "Die Reiherkönigin" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 04.09.2007

Abgedruckt und kommentiert wird Craig Venters von ihm selbst veröffentlichtes ganz persönliches Genom. Michael Althen hat in Venedig Andrew Dominiks Spätestwestern "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford", Paul Haggis' irakkriegskritischen Film "In the Valley of Elah" und Wes Andersons "The Darjeeling Limited" gesehen. In der Leitglosse meditiert Edo Reents mit Rilkes Hilfe über den Tod im Allgemeinen und den oft allzu frühen der Popstars im Besonderen. Heinrich Wefing mahnt im Rückgabe-Streit um deutsche Bücher in Polen zu Augenmaß. Falko Hennig war in Sacrow, wo das Jubiläum des ersten deutschen Funkspruchs begangen wurde. Matthias Grünzig nimmt den neuen Campus der Universität zum Anlass, das "kleine Wunder" von Greifswald zu feiern. Kerstin Holm berichtet von einem russischen Land-Art-Festival im Landkreis Kaluga. Joseph Hanimann war in Marokko, wo die Lage einerseits entspannt schien, andererseits aber viel von der Angst die Rede ist, zum Ausweichplatz von al-Qaida zu werden. Verena Lueken porträtiert John Travolta, dessen neuer Film "Hairspray" am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Katharina Narbutovic berichtet aus der litauischen Hauptstadt Vilnius, die auf dem Weg zurück nach Europa ist.

Die DVD-Seite ist diesmal ganz Alexander Kluge gewidmet, dessen gesamtes filmisches Werk nun in einer DVD-Box vorliegt - und von der Redaktion Film für Film vorgestellt wird.

Besprochen werden Willy Deckers Inszenierung von Frank Martins "Le vin herbe" bei der Ruhrtriennale, Richard Hawleys neues Album "Lady's Bridge", Moritz Eggerts von Christoph Schlingensief nicht inszenierte Oper "Freax" und ein Buch, Alexa Henning von Langes Roman "Risiko".

FR, 04.09.2007

Die bunte Berliner Band Culcha Candela stößt mit ihrem dritten Album in die Höhenregionen der Charts vor. Aus den sieben Bandmitgliedern mit Wurzeln in Kolumbien, Korea, Polen, Uganda und Deutschland etwas Kohärentes herauszubringen, kann aber knifflig sein, wie Thomas Winkler erfährt. "Während Bands gewöhnlich ein einziges Sprachrohr vorschicken, besteht die Band aus einem DJ und sechs Sängern und Rappern, die allesamt das Talent zur Rampensau haben und gern ihre Ansichten mitteilen. Und selbst wer es geschafft hat, die eine Hälfte zu überzeugen, dass es aus Gründen der Klarheit genügt, mit der anderen zu reden, muss damit rechnen, dass am fernen Ende des Tisches noch eine ältere Dame sitzt, deren Funktion nie geklärt wird, die aber trotzdem der Meinung ist, ihre leicht harsch vorgetragenen Ansichten zur Sache seien unentbehrlich."

Weitere Artikel: Daniel Kothenschulte sieht in Venedig Brad Pitt als langweiligen Jesse James und bemerkt überhaupt eine akute Ideenlosigkeit des Kinos. Gemeldet wird, dass der Schriftsteller Wilhelm Genazino den Kleist-Preis 2007 erhält. In einer Times mager fragt sich Christian Schlüter, warum beim Thema Zigaretten nicht für maßvollen Konsum, sondern gleich fürs Aufhören plädiert wird.

Besprochen werden die Aufführung von Moritz Eggerts Oper "Freax" ohne Schlingensief in der Oper Bonn, eine Ausstellung über Lemberg im Berliner Centrum Judaicum, Meg Stuarts und Philipp Gehmachers Choreografie "Maybe forever" an der Berliner Volksbühne und Heinz Schlaffers Studie über "Das entfesselte Wort" bei Friedrich Nietzsche.