Heute in den Feuilletons

Ich bin größer und schöner als du

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.01.2008. Ist Tom Cruise der Goebbels Scientologys? Dieser Vergleich des ZDF-Historikers Guido Knopp schlägt Wellen in den Feuilletons. Frank Schirrmacher findet in Spiegel Online keinen Beleg dafür, dass Cruises Stauffenberg-Film eine Scientology-Veranstaltung ist. Wir verlinken nach Cruises Promo-Video nun auch auf das Propaganda-Video. In der taz macht Necla Kelek auf Missstände in der alevitischen Gemeinschaft aufmerksam. Die NZZ beklagt eine Rückkehr zur Scharia in Tunesien. In der FAZ plädiert die flämische Autorin Saskia de Coster für eine Kolonisierung Walloniens nach dem Vorbild Belgisch-Kongos. Die Welt ist erleichtert: Endlich wieder Julia Roberts.

NZZ, 21.01.2008

Eine starke Islamisierung Tunesien, ein "retour a la charia", beobachtet die Religionswissenschafterin Amel Grami (mehr) im Gespräch mit Beat Stauffer: "Es gibt Ärztinnen und Ingenieurinnen, die für die islamische Sache missionieren; etwas, das noch vor kurzem niemand in Tunesien für möglich gehalten hätte... Früher waren wir stolz auf unsere tunesische Kultur, auf unsere Offenheit. Doch seit wir unter dem Einfluss der arabischen Medien stehen, hat sich enorm viel verändert."

Weiteres: Alena Wagnerova erinnert an die große Auseinandersetzung zwischen Milan Kundera und Vaclav Havel vom Herbst 1968 um die Bedeutung des Prager Frühlings, den die Literaturzeitschrift Literarni noviny derzeit nachdruckt. Peter Hagmann erzählt die Erfolgsgeschichte der Oper Amsterdam. Christoph Egger berichtet von der Eröffnung der 43. Solothurner Filmtage. Besprochen wird Justine del Cortes Stück "Die Ratte" im Zürcher Schiffbau.

Spiegel Online, 21.01.2008

Spiegel Online zitiert aus einem Interview in der Printausgabe, in dem der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zu seiner umstrittenen Bambi-Laudatio auf Tom Cruise und den Vorwürfen des Cruise-Biografen Andrew Morton Stellung nimmt, der Stauffenberg-Film sei eine von Scientology inszenierte Image-Kampagne, für die auch deutsche Intellektuelle geködert werden sollten: "Die eigentliche Leistung des Buches hätte darin bestanden, solche Vorwürfe zu belegen. Es ist schade, dass dies nicht geschehen ist. Wir warten doch alle auf Beweise in dieser Sache."

Hier nochmal der Link auf Schirrmachers Courage-Bambi-Rede: "Das Ansehen des Landes zu retten, gerade auch im Ausland, war einer der wichtigsten Beweggründe Stauffenbergs bei seiner Tat. Durch Tom Cruises mutige Entscheidung, diese Rolle zu spielen, wird Stauffenbergs Anliegen auf mittelbare Weise doch noch verwirklicht."

Hier der Link zum Video von Cruises Propagandarede, gefunden beim Stern.

Hier nochmal der Link zum bekannteren Promo-Video.

TAZ, 21.01.2008

Der Protest der Aleviten gegen einen "Tatort", in dem ein alevitischer Vater seine Tochter missbraucht, führt in die falsche Richtung, meint Necla Kelek in der zweiten taz. Besser wäre es, die Aleviten würde sich den tatsächlichen Problemen stellen: "Bei meinen Recherchen im Herbst 2007 in den hauptsächlich von alevitischen Kurden und Türken bewohnten Gebieten in Südostanatolien berichteten Frauenorganisationen, dass der 'Zwang zur Heirat' für alle gilt, dass aber besonders Kindesheirat und Verwandtenehe immer noch Praxis in den Dörfern und dass sexueller Missbrauch an der Tagesordnung ist, dass fast die Hälfte der Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren verheiratet werden. Auch die Anzahl der Suizidfälle unter jungen Frauen ist erschreckend hoch. Die Empörung der sich in Deutschland aufgeklärt und säkular gebenden Aleviten müsste diesen Missständen und den missbrauchten Frauen und Mädchen ihrer Glaubensgemeinschaft gelten."

Alessandro Topa unterhält sich im Kulturteil mit dem exilierten iranischen Popmusiker Arash Sobhani über Farsi, Rock und die Versorgung mit Songs im Iran des Ajatollah Chomeini. "Die Beschaffung von Neuveröffentlichungen war eine heikle Aktivität. Oft fungierten Mitglieder von Flug-Crews als Schleuser für die Musikdealer. Diese gaben monatlich Listen mit den Neuzugängen raus, von denen man sich dann Tapes schicken lassen konnte. Ich erinnere mich noch, als die Polizei eines Tages einen von diesen Musikdealern hochgehen ließ und sein Archiv beschlagnahmte. Alle in der Schule waren wir furchtbar traurig. Es war wie der Brand der Bibliothek von Alexandria für uns."

Weiteres: Nina Apin erfährt von der Else-Ury-Biografin Marianne Brentzel mehr über die Autorin der "Nesthäkchen"-Reihe, ihren Tod in Auschwitz und ihren deutschen Patriotismus. Besprechungen widmen sich Schorsch Kameruns Inszenierung von Wilhelm Hauffs "Das kalte Herz" und Stanisaw Muchas erstem Spielfilm "Hope".

Hingewiesen sei auch noch auf einen Artikel von Sabine am Orde und Daniel Schulz auf den politischen Seiten, der die Gründe für die "Gewaltneigung vieler Migrantenjungs" untersucht.

Und Tom.

Welt, 21.01.2008

Holger Kreitling ist sehr erleichtert. Endlich ist Julia Roberts wieder da: "In 'Der Krieg des Charlie Wilson' hält sie mit blondiertem Haar, in dem ein paar graue auffallen, das Martiniglas kokett in die Höhe. Julia Roberts wiegt den Kopf, als wäre sie nie weg gewesen, sie stützt ihre Hand auf die Hüfte wie schon in 'Pretty Woman', nämlich um den Ich-bin-größer-und-schöner-als-du-Blick zu unterstreichen. Außerdem steigt sie - Jungbrunnen! - in Bikini und Sonnenbrille aus dem Pool. Einmal sagt die Frau zum deutlich kleineren Tom Hanks: 'Darf ich Ihnen mein Schlafzimmer zeigen', was ihn mächtig glücklich zu machen scheint." Welt.de präsentiert zum Thema eine große Bildstrecke aus 29 Agenturfotos, mit der der User Klicks generieren darf.

Weitere Artikel: Wieland Freund lehnt in der Leitglosse die Mode der Danksagungen am Ende von Romanen ab. Manuel Brug liest mit nicht allzu großem Gewinn die Memoiren Eliane von Karajans. Peter Gillies meditiert über den steigenden Goldpreis als Misstrauenserklärung an die Regierungen dieser Welt. Mark Stöhr resümiert das Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken. Florian Stark meldet, dass der ZDF-Historiker Guido Knopp Tom Cruise mit Goebbels verglich.

In einem Essay auf der Forumsseite beklagt der Geschlechterforscher Gerhard Amendt (nicht zu verwechseln mit seinem Zwillingsbruder Günter Amendt) eine angebliche, von Feministinnen eingeleitete Männerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft.

FAZ, 21.01.2008

Die flämische Autorin Saskia de Coster hat einen, nun ja, etwas unkonventionellen Vorschlag zur Befriedung Belgiens: Wenn die Flamen die Wallonie nach dem Vorbild von Belgisch-Kongo als Kolonie behandelten, würde endlich wieder alles wie geschmiert laufen: "Was muss Flandern nun für die staatliche Harmonie unternehmen? Einen Schritt seitwärts machen, unerschrocken die Wallonie erschließen und ausbeuten! ... Wir haben unsere Wallonen der Welt nur noch nicht gründlich genug vorgeführt. Aber das soll sich ändern. Wenn Sie aus Deutschland in Zukunft in unser schönes Land fahren, dann bieten wir Ihnen eine abenteuerliche Safari ins tiefe Wallonien an - und nicht immer nur ein Fußbad in der schmierigen Nordsee. Da können Sie dann sehen, wie die Wallonen sich ihre Trainingsanzüge schmutzig machen, wenn sie in den Minen und Fabriken unter Aufsicht ihrer flämischen Aufseher schuften."

Weitere Artikel: In der Glosse besichtigt Dirk Schümer aus den USA "glücklich repatriierte Raubkunst" Italiens im römischen Quirinalspalast. Außerdem porträtiert er den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der den Koran gerne mit "Mein Kampf" vergleicht und jetzt partout einen provokativ-islamkritischen Film drehen will. Den Salon der Berlin-Brandenburgischen Akademie, der "fast immer frei von Selbstkarikatur" Preußen huldigte, hat Arno Orzessek besucht. Karen Krüger erinnert an die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink vor einem Jahr. Alexander Cammann war dabei, als im Berliner HAU Hans-Ulrich Gumbrecht und Friedrich Kittler über ihre persönliche "Re-Education" plauderten. Tilman Spreckelsen berichtet vom Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken. Recht ausführlich referiert wird auf der Medienseite eine Interview des TV-Historikers Guido Knopp mit der Bild am Sonntag, in dem er einen (für kurze Zeit, jetzt leider nicht mehr im Netz zugänglichen) Tom-Cruise-Auftritt mit Joseph Goebbels' Sportpalast-Rede vergleicht.

Besprochen werden die von Gerhard Richter kuratierte Gerhard-Richter-Ausstellung in Baden-Baden, Elmar Goerdens Bochumer Inszenierung von Schillers "Maria Stuart", eine Hannoveraner Aufführung von Karl Amadeus Hartmanns Kammeroper "Simplicius Simplicissimus", Sebastian Nüblings Münchner Theater-Version des Banlieue-Films "Hass" und Bücher, darunter Paula Fox' Roman "Der Gott der Alpträume" und Odo Marquards neuer Reclam-Band "Skepsis in der Moderne" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FR, 21.01.2008

Alle Texte in Jan Neumanns Stück "Kredit" am Frankfurter Schauspielhaus sind aus dem Stegreif entstanden. Das verleiht ihnen laut Peter Michalzik den "Charme naiver Magie". Und nicht nur das. "Neumann hat als Regisseur die bewundernswerte Fähigkeit, seine Stoffe, hier eine Geschichte der Bundesrepublik, klar und schnörkellos zu erzählen. So gelingt ihm auch das Epos aus der Zaubertüte, das große Format als Kammerspiel, eine höchst liebenswerte Mischung. Da macht es auch nichts aus, dass der Titel 'Kredit' nur noch durch Geldstreitereien gerechtfertigt ist, die eher marginal sind."

Weiteres: Ina Hartwig konstatiert in der Times mager: Für die männlichen Kollegen in den besten Jahren ist der Videoblog zur Falle geworden. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir war einen Tag lang Chefredakteur der türkischen Zeitung Sabah, berichtet Canan Topcu. Christian Schlüter ernüchtert ein Besuch der Frankfurter Hochzeitsmesse. Daniel Bartetzko hält das Tamtam zur Vorstellung des neuen Jahrbuchs für neue Architektur im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt für völlig gerechtfertigt.

Besprochen wird Sebastian Nüblings "viel zu amüsante" Inszenierung von Mathieu Kassowitz' Film "Hass" in den Münchner Kammerspielen und György Dalos' Roman "Jugendstil".

SZ, 21.01.2008

"Tom Cruise tritt auf wie Goebbels", hatte Guido Knopp in der Bild am Sonntag nach Inaugenscheinnahme eines neuen Scientology-Videos verkündet. Tobias Kniebe hält das für Unsinn und die Debatte für viel zu vorhersehbar. "Scientology und seine Unterstützer in Hollywood, die Deutschland noch immer von Nazi-Ideologie durchdrungen wähnen, werden aufheulen - und dann können Sektenexperten, Politiker und Boulevard-Medien umso lauter zurückheulen. Sie alle haben in diesem durchschaubaren Spiel zu gewinnen: Mehr Profil, mehr Planstellen, höhere Auflagen."

Weitere Artikel: Franziska Brüning stützt sich in ihrem Beitrag zur steigenden Jugendkriminalität in Frankreich auf die Untersuchung der Soziologin und Tariq-Ramadan-Kritikerin Caroline Fourest. Ebenso uninspiriert wie offenbar die Verleihung des Bayerischen Filmpreises ablief, rasselt Fritz Göttler die Preisträger herunter. Henning Klüver gratuliert Italiens einst wichtigstem Musikverlag, der Casa Ricordi, zum zweihundertsten Geburtstag. Für die Krise der Art Cologne ist nicht nur der jetzt scheidende Direktor Gerard Goodrow verantwortlich, betont Stefan Koldehoff. Die Führung der Deutschen Wehrmacht hat die Kriegsverbrechen an der Ostfront des Zweiten Weltkriegs zum größten Teil gebilligt, erfährt Christian Jostmann aus einer Studie von Felix Römer in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte. Michael Stolleis schreibt zum Tod der Rechtshistorikerin und Max-Planck-Direktorin Marie Theres Fögen, Fritz Göttler verfasst den Nachruf auf die Schauspielerin Suzanne Pleshette.

Im Literaturteil kann Tobias Lehmkuhl das neue Schreibheft, das sich Ezra Pounds Aufenthalt im St. Elisabeth"s Hospital 1945 bis 1958 widmet, nur eingeschränkt empfehlen.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Bildern von Feuerwehren, Dorffesten und Parteiversammlungen des tschechische Fotograf und ehemalige Lehrer Jindrich Streit im Prager Haus Zur Steinernen Glocke, Sebastian Nüblings teilweise "vergagte" Inszenierung von Mathieu Kassovitz' Film "Hass" an den Münchner Kammerspielen, Roland Schimmelpfennigs Version von Justine del Cortes "Die Ratte" in Zürich, Barara Alberts Film "Fallen", neue DVD-Veröffentlichungen wie Douglas McGraths "Infamous", eine Ausstellung zum offenen Brief im Frankfurter Museum für Kommunikation und Bücher, darunter Chantal Mouffes Essay "Über das Politische" (mehr in unserer Bücherschau des Tages).