Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.12.2001. Beherrschendes Thema ist die Verleihung der Europäischen Filmpreise. Die Resonanz bei den Zeitungen ist allerdings eher mau. Man habe nirgends anecken wollen, schimpft die FAZ, und die taz bemerkt, dass die Zeremonie einzig im jordanischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde. Nur die SZ fand's "so schön und so poetisch".

FAZ, 03.12.2001

Michael Allmaier resümiert die Verleihung der Europäischen Filmpreise und zeigt sich von der Veranstaltung im Berliner Tempodrom nicht allzu angetan: "Der Wunsch, nirgends anzuecken, ist den Urteilen der Filmakademie deutlich abzulesen. Zu viele stehen bereit, der angeschlagenen Institution einen weiteren Tritt zu versetzen. Dabei brauchte es Mut, damit der Filmpreis vom Aufschwung der Filmwirtschaft profitieren und ihr neue Impulse geben könnte. Mit diesem Auftrag war er einst angetreten. Nun ist es die Wirtschaft, die ihm den Takt vorgibt, und das funktioniert ebenso schlecht. Der Festakt in Berlin zeugt noch von dem Gemisch aus Selbstüberschätzung und Resignation, das jahrelang den Fortschritt im europäischen Filmgeschäft hemmte. Es wäre zu schön gewesen, wenn sich eine Branche am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hätte." Die European Film Academy hat übrigens noch nicht mal ihre Homepage aktualisiert. Wer sich für die Liste der Preise interessiert, findet sie im Anhang von Allmaiers Artikel.

Weitere Artikel: Angesichts des ersten menschlichen Klons, das von der Firma ACT annonciert wurde, macht sich laut Jordan Mejias in den USA nun ein gewisser Aktivismus aber auch eine Geheimnistuerei bei der Gründung eines Ethikrates breit, berichtet Jordan Mejias, der in diesem Zusamenhang eine ausführliche Reportage in The Nation empfiehlt. Zhou Derong kommentiert den noch nicht ganz klaren Ausgang der Wahlen in Taiwan. Lorenz Jäger deutet einen Kompromiss zwischen den beiden konkurrierenden Kafka-Ausgaben der Fischer- und des Stroemfeld-Verlags an. Henning Ritter liefert Impressionen von der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin - abgedruckt wird auch die Eröffnungsrede von Werner Hofmann. Michael Althen schreibt zum Tod des Western-Regisseurs Budd Boetticher.

Ferner stellt Dieter Bartetzko die zwei konkurrierenden Entwürfe für Münchens neues Fußballstadion vor - sie stammen von den Häusern Herzog & de Meuron und Gerkan, Marg und Partner. Johan Schloemann hat einem Vortrag Edward Saids in Berlin zugehört, der die Deutschen für die Situation der Palästinenser verantwortlich machte - ohne den Holocaust wären die Palästinenser heute ein glückliches Volk. Ilona Lehnart berichtet über eine Bilanz die Goethe-Präsident Hilmar Hoffmann in Berlin zog und die angesichts fortwährender Etatkürzungen nicht ohne Bitternis vorgetragen wurde. Auf der Medienseite erfahren wir von Katja Gelinsky, dass die amerikanischen Fernsehsender seit dem 11. September mehr Politik bringen als lange Zeit zuvor - wen wundert's? Sandra Kegel berichtet vom Fernsehfestival in Baden-Baden. Auf der letzten Seite schildert Barbara Kirchner den Kult, der um die Fernsehserie "Buffy" getrieben wird. Dieter Borchmeyer hat mit angesehen, wie Siegfried Unseld bei der Feier zjm 50. Jahrestag seiner Promotion Tränen vergoss. Und Edo Reents berichtet, dass die Asche George Harrisons über dem Fluss Jamura im Norden Indiens ausgestreut wird - außerdem soll demnächst seine letzte Platte erscheinen.

Besprochen werden eine Ausstellung über Adlolf Wölflin in Wien (die Zeitschrift Wespenest hat dem paranoiden Künstler übrigens ein Sonderheft gewidmet), der Dokumentarfilm "Absolut Warhola" und Lars Norens Stück "Akt der Gnade" in Darmstadt.

TAZ, 03.12.2001

Der Europäischer Filmpreis auch in der taz: Katja Nicodemus meint, dass die Voraussetzungen diesmal gar nicht so schlecht gewesen wären. Schließlich waren in diesem Jahr Filme nominiert, die für eine Konsolidierung des europäischen Kinos sprächen und die Veranstaltung wurde, wenn auch nicht vom deutschen, so doch vom jordanischen Staatsfernsehen übertragen. "Aber machen wir uns nichts vor. Natürlich zappten die Howeitat spätestens nach den ersten 30 Sekunden von Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümeln weiter. Denn Beduinen haben nicht nur bei T. H. Lawrence ein untrügliches Gespür für Rhetorik und finden es unverzeihlich, wenn eine schöne Begrüßungsrede mit einer sprechenden AOK-Broschüre verwechselt wird."

Katrin Bettina Müller feiert die Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin: "Hurra! Ohne Zeit- und Kostenrahmen zu übersteigen wurde in Berlin ein Museum saniert." Und Mark Terkessides würdigt anlässlich seines 40.Todestages den Antikolonialismus-Theoretiker Frantz Fanon ("Die Verdammten dieser Erde").

Und natürlich Tom.

SZ, 03.12.2001

Susan Vahabzadeh ist mit der Verleihung der Europäischen Filmpreise am Samstag in Berlin ganz zufrieden: "Es gibt insgesamt nicht viel zu meckern an der Auswahl." Auch wenn etwas schlecht kaschierte Enttäuschung und glückliches Gekreische fehlte, meint Vahabzadeh, sei die Zeremonie nicht schlecht gewesen: "Da gab es einen Moment, den nichts seiner Magie berauben kann: Wim Wenders erinnerte daran, dass an diesem Ort, an dem nun das Tempodrom eröffnet wurde, bis zum Zweiten Weltkrieg der Anhalter Bahnhof gewesen ist, von dem die Menschen in die Welt hinaus gereist sind, und dass man, wenn man ganz genau hinhörte, noch das Stampfen der Dampflokomotiven hören könnte. Das war so schön und so poetisch, dass man wirklich in die Stille hineinhorchte." Sämtliche Gewinner gibt es hier im Überblick.

Bernd Graff denkt über 40 Jahre Zivildienst und Gewissensprüfung nach (und verweist am Ende seines Textes auf mehr Beiträge zu dem Thema, die wir aber im Internet nicht gefunden haben.)
Veronika Schöne war bei einer Tagung in Loccum, die nach dem modernen Künstler suchte. Hilmar Klute gratuliert dem Liedermacher Franz Josef Degenhardt zum 70. Geburtstag und Fritz Göttler würdigt den verstorbenen Western-Regisseur Budd Boetticher. Gustav Seibt trauert um das Rechtshistorische Journal: Das "intellektuell lebendigste, aber auch unterhaltsamste und witzigste Zeitschriftenunternehmen der deutschen Wissenschaft in der letzten Generation", wird eingestellt.

Besprochen
werden die Ausstellung "Sade/surreal" im Kunsthaus Zürich über die Surrealisten und ihre "Liebe zum göttlichen Marquis", eine Inszenierung von Marius Petipas' Ballett "Raymonda" und eine Aufführung des "Käthchen von Heilbronn" in Weimar. Außerdem haben die Münchner Philharmoniker Wolfgang Rihms "Frau/Stimme" - eine Vertonung von Heiner-Müller-Wörtern - gespielt und Martin Semmelrogge hat "Fear and Loathing in Las Vegas" von Hunter S. Thompson gelesen.

Und Bücher: Unter anderem der Essay des Philosophen Julian Nida-Rümelin "Strukturelle Rationalität" sowie die deutsche Übersetzung der "Last Words" von William S. Borroughs (mehr in unserer Bücherschau heut ab 14 Uhr).

NZZ, 03.12.2001

Ilja Trojanow berichtet über die "vielfältige, differenzierte Diskussion der Gründe, Hintergründe und Folgen" des 11. September in Indien. Die Kritik am Westen überwiegt in allen Fraktionen: "Die größte Heuchelei wird - quer durch alle politischen Kreise - in der neuerlichen Hofierung Pakistans gesehen. Da Pakistan als Anstifter und Förderer des Terrors in der gesamten Region betrachtet wird, habe sich der 'Kampf gegen den Terror' in dem Augenblick diskreditiert, in dem er Pakistan als einen der wichtigsten Verbündeten auserkor. Als vor Wochen eine Bombe vor dem Landtag in Srinagar explodierte, die insgesamt 40 Menschen das Leben kostete, wich die bis dahin an den Tag gelegte Zurückhaltung dem wütenden Unverständnis, dass die westlichen Mächte dem Terrorismus in Kaschmir weiterhin kaum Beachtung schenken."

Weiteres: Marion Löhndorf erzählt in einem langen Hintergrundtext, wie die Stadt Bonn mit dem Verlust von Bundessubventionen für ihre Kultur fertig wird. Besprochen werden eine Pisanello-Ausstellung in der Londoner National Gallery, das Handlungsballett "Raymonda" im Bayerischen Staatsballett München und Abschlusskonzerte des Basler Musikmonats mit dem Klangforum Wien.

FR, 03.12.2001

Veronika Rall hat sich anlässlich des Europäischen Filmpreises ein wenig in Rage geschrieben. Das Markenzeichen der Europäischen Filmakademie, wettert Rall, seien Kopie, Indifferenz und Identitätslosigkeit. Dass neben "Amelie" auch "Black Box BRD" zu den Gewinnern gehört, findet sie auch nur typisch: "Beide betreiben eine neue Spielart des Romantizismus: Wer kann, wer möchte schon die Liebeserkärung an die grande nation Frankreich auslassen, zumal sie sich sehr retro auf Montmartre und in den Glubschaugen der süßen Audrey Tautou spiegelt? Und wer möchte die Friedenserklärung zwischen dem deutschen Kapital und der Roten Armee Fraktion missen, wenn sie dramaturgisch geschickt bis in den letzten Schnitt/Gegenschnitt, bis in einen elaborierten Soundteppich unter historischen Aufnahmen serviert wird?"

Im Wettbewerb um ein neues Fußballstadion für München ist es zu einer Traumpaarung gekommen, wie Christian Thomas jubelt: Die Entwürfe von Herzog & de Meuron traffen auf die Pläne von Gerkan Marg & Partner. Und Frank Keil hat sich die Hamburger Kontinentalpremiere des Musicals "König der Löwen" angesehen, meint aber, dass es, obwohl mit echten Menschen besetzt, nicht ganz mit dem Disney-Film mithalten könne.