Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.07.2004. Die SZ verteidigt die Bundeskulturstiftung gegen die Lordsiegelbewahrer des Bewährten. Die FAZ verteidigt die bewährte Rechtschreibung. Die FR hat den neuen Handke gelesen und findet ihn gar nicht verschroben. Die NZZ misst österreichische Widerstände gegen österreichische Widerständler. Die taz bespricht die österreichische Briefmarke für den österreichischen Nationalhelden Arnold Schwarzenegger.

SZ, 30.07.2004

Holger Liebs verteidigt die Bundeskulturstiftung gegen ihre Kritiker und die Lordsiegelbewahrer, denen jede Form von Kultur Sorge bereitet, "die irgendwie neu, anders, theoretisch oder politisch ist", womit Liebs offenbar auf einen Artikel von Heinrich Wefing aus der FAZ antwortet: "Man mag über Einzelfälle streiten, und nicht selten hat manches Argument der Bewahrer etwas für sich. Darum geht es aber nicht. Die Kulturtraditionalisten wollen gar nicht streiten. Sie halten ihre Position schon für durchgesetzt, validiert, anerkannt. Ihr Geschichtsbild ist nicht janusköpfig, also gleichzeitig vorwärts und rückwärts gewandt. Über ihren Köpfen zieht statt dessen immer schon die olle Eule der Minerva ihre Kreise - man wähnt die Kultur der Gegenwart endgültig in der Abenddämmerung angekommen."

Weiteres: Alex Rühle besucht Deutschlands kleinste und noch dazu antikapitalistische Bank, im Hohenlohischen: "Arbeitstechnisch ist Fritz Vogt eine multiple Persönlichkeit. Und ein gelebter Synergieeffekt. Im Kässle stehen drei Schreibtische. 'Hier sitzt die Sekretärin Vogt', sagt er, und zeigt auf den Tisch, auf dem eine alte schwere Schreibmaschine steht, Typ Erika. 'Gegenüber arbeitet der Vorstand Fritz Vogt. Daneben wirkt unser Buchhalter Vogt. Und am Schalter können Sie beim Schalterbeamten ein Konto eröffnen.' Der Schalterbeamte ist der redselige Fritz: 'Ja Georg, immer rein mit dir.' - 'Gehts heut ins Heu, Monika?' - 'Wie läuft der neue Traktor?'"

Wolfgang Eckart sucht in den Archiven nach Zeugnissen der verwundeten, verstümmelten, traumatisierten Opfern des Ersten Weltkriegs. Andrian Kreye erzählt, wie sich Amerikas rechte Blogger auf Michael Moore einschießen, zum Beispiel auf www.mooreexposed.com und www.moorelies.com: "Michael Moore is a big fat stupid white man". Rudolph Chimelli schreibt zum Tod des französischen Historikers Joseph Rovan, dem "Vermittler zwischen den beiden Erbfeinden". In der Kolumne vom Satzbau schreibt Autorin Katja Lange-Müller über das Fragezeichen, "das Zeichen der Zweifler, der Skeptiker - einerseits, andererseits das der Unsicheren, der Ratsuchenden; es ist ein provokantes, ein politisches Zeichen, eines, das den Misserfolg herausfordert, für gültig Erklärtes abschmettert, gegen bestehende Ordnungen revoltiert". Auf der Medienseite schreibt Marc Hujer über das Medienspektakel der Demokraten in Boston.

Besprochen werden Joanna Laurens "Fünf Goldringe" bei den Salzburger Festspielen, Harrison Birtwistles Oper "The Io Passion" in Bregenz und natürlich Bücher, darunter Craig Thompsons Comic-Autobiografie "Blankets" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 30.07.2004

Ina Hartwig hat den neuen Handke gelesen und bringt uns gute Nachrichten: "Um eines gleich vorwegzunehmen: Peter Handkes neues Buch 'Don Juan (erzählt von ihm selbst)' ist frei von den Verschrobenheiten, mit denen der Autor uns im Zuge seines Engagements für den serbischen Nationalismus einige Jahre lang gequält hat. Schon auf den ersten Seiten ist man umfangen von jenem sicheren, knappen, traumverlorenen Ton, der uns vertraut ist aus Handkes besten Büchern."

In Times mager beschreibt Louise Brown britische Kämpfe um eine Reform überalterter Gesetze zur Prügelstrafe bei Kindern.. Besprochen wird eine Austellung über Geoffrey Bawa im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt. Außerdem nennt eine Meldung die Filme der 61. Internationalen Filmfestspiele von Venedig - unter anderem läuft der neue Film von Wim Wenders.

NZZ, 30.07.2004

Paul Jandl zeigt, wie schwer sich die Österreicher mit der Anerkennung ihrer NS-Widerständler tun. Bezeichnend findet Jandl den Streit um die Würdigung von Robert Bernardis, des nach dem Hitler-Attentat hingerichteten Stauffenberg-Adjutanten: "Seit Tagen zieht sich eine Debatte durch die Innenpolitik, die wieder einmal groteske Wahrheiten ans Licht bringt. Soll zum ehrenden Andenken eine Wiener Kaserne nach dem Widerständler Robert Bernardis benannt werden? Es wäre nicht Österreich, wenn es in dieser Parallelaktion zur deutschen Erinnerungskultur keine 'Militärhistorische Denkmalkommission' gäbe. Diese gibt es. Und sie beharrt im Einverständnis mit den jeweiligen Verteidigungsministern seit etlichen Jahren darauf, dass es aus Heerestradition nicht opportun sei, Befehlsverweigerern wie Robert Bernardis Ehrungen dieser Art zuteil werden zu lassen."

Weiteres: Frank Zelger stellt das "Centre Allemand d'Histoire de l'Art" in Paris vor. Ignaz Strebel befasst sich mit der Gartenanlage "Hidden Gardens" in Glasgow. Joachim Güntner kommentiert die neu entfachte Debatte zur Rechtschreibreform: "Was nützt die beste Orthographie, wenn es im Ausdruck hapert? Niedersachsens Ministerpräsident fordert die Rücknahme der Reform mit den Worten, man müsse jetzt 'die Reset-Taste drücken'. Offenbar ist schiefes Sprechen ein Problem, das auch die Verfechter des rechten Schreibens nicht verschont."

Hanno Helbling würdigt den verstorbenen Joseph Rovan mit einem Nachruf. Auf der Medienseite geht es unter anderem um die Web-Logs, die immer mehr Einfluss auf den amerikanischen Wahlkampf haben.

Und viermal Film: Besprochen werden das filmische Porträt " 3 x Ingmar Bergman", die Satire "Muxmäuschenstill", das Remake "The Ladykillers" sowie der Thriller "I, Robot".



TAZ, 30.07.2004

Dirk Knipphals schreibt einen kulturkritischen Aufmacher über eine Briefmarke, die das kleine Land Österreich seinem emigrierten Nationalhelden Arnold Schwarzenegger widmet: "Man beachte das sorgfältige Arrangement der Flaggen im Hintergrund. Hinter Arnolds Konterfei gehen die amerikanischen Stars and Stripes grafisch geschickt in die breiteren rot-weißen Streifen Österreichs über. Die Amis, mag das ausdrücken, mögen allein zum Mond geflogen sein - an der Erfolgsgeschichte Arnold Schwarzeneggers aber reklamiert Österreich nun seinen Anteil, zumindest postalisch. Amerika und Österreich: in Arnold vereint."

Besprochen werden Tschechows "Die Möwe" in Falk Richters Inszenierung bei den Salzburger Festspielen und die Compilation "Favela Booty Beats" mit Baile Funk, dem "großartigen Electro-Sound des schwarzen Rio de Janeiro".

Die Tagesthemenseiten empfehlen in mehrseitiger Ausführlichkeit: "Schöner Altern mit der taz: Vergessen Sie die Klischees".

Und hier Tom.

FAZ, 30.07.2004

Diese Zeitung kämpft weiter fürs Bewährte, auch und gerade in der Rechtschreibung. Professor Theodor Ickler (mehr hier), einer der prominentesten Streiter gegen die Rechtschreibreform, fasst in einem ellenlangen Aufmacher noch mal alle "Grundirrtümer der Reformer" (so die Redaktion) zusammen. In der Leitglosse umreißt Mark Siemons die Stimmung nach der Verabschiedung der Hartz IV-Reformen: "In dem Moment, da einige der Sicherheiten des Sozialstaats fortfallen, ist plötzlich alles denkbar." Christoph Peters empfiehlt Uwe Johnsons "Jahrestage" als sein Lieblingsbuch. Oliver Tolmein berichtet über eine Studie der israelischen Soziologin Yael Hashiloni-Dolev über Schwangerenberatung in Israel und in Deutschland ("Deutschland ist ein Land, das gegenüber neuen Techniken äußerst kritisch ist. In Israel herrscht dagegen eine große Technikbegeisterung", zitiert er die Forscherin, hier ein Artikel aus Ha'aretz zum Thema). Jordan Mejias berichtet vom Ravinia-Festival, das in diesem Jahr zum hundertsten Mal veranstaltet wird. Wolfgang Sandner schreibt einen Nachruf auf den Dresdner Orchesterintendanten Olivier von Winterstein. Ingeborg Harms gratuliert dem amerikanischen Schriftsteller William H. Gass zum Achtzigsten.

Auf der Medienseite macht uns Stefan Niggemeier mit der Planung der Fernsehsender für die nächste Saison bekannt. Nina Rehfeld berichtet über neue Soap Operas in den USA, die sich vor allem über product placement refinanzieren. Und Felicitas von Lovenberg empfiehlt Ingmar Bergmans letzten Film "Sarabande" einen Rückblick auf die "Szenen einer Ehe", der heute zur publikumsfreundlichen Zeit von 23 Uhr im ZDF läuft.

Auf der letzten Seite stellt Christian Schwägerl die Arbeiten des Alterungsforschers James Vaupel vom Rostocker Max-Planck-Institut für demographische Forschung vor - er widmet sich dem komplizierten Thema der Alterns und hat zum Beispiel Folgendes herausgefunden: "Den Höhepunkt ihrer körperlichen Fitness und den Tiefpunkt ihrer Mortalität erreichen Menschen in der Regel dann, wenn sie gerade geschlechtsreif werden. Doch auch um dahin zu gelangen, müssen sie zuerst älter werden."

Außerdem schreibt Patrick Bahners eine launige Kolumne zu Äußerungen des ungarischen Nationaltrainers Lothar Mattäus über die Trainerfindung für die deutsche Nationalmannschaft. Und Dietmar Dath porträtiert den Science-Fiction-Autor Jack Williamson.

Besprochen werden die große Ausstellung über Frösche im American Museum of Natural History ("Den vietnamesischen Moosfrosch, der in mehr als einem Dutzend Exemplaren in einem der Terrarien sitzen soll, haben wir nicht entdeckt. Seine Tarnung ist perfekt, schreibt eine begeisterte Verena Lueken, auch die Website der Ausstellung ist empfehlenswert), "Arbeiten mit Licht" von Olafur Eliasson in Wolfsburg, Sönke Wortmanns Film "Der Himmel von Hollywood", eine Ausstellung über Schinkel und seine Schüler im Barther Vineta-Museum und der "Tannhäuser" und "Rheingold" und die "Walküre" in Bayreuth (als Regisseurin für den "Ring" 2006, so vermutet Büning, soll das "dramatisch begabte Kind Katharina", die Tochter von Wolfgang Wagner, endgültig inthronisiert werden).