Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.07.2006. Die SZ zieht Erkenntnisgewinne aus der Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin. Die NZZ setzt sich mit den Gefahren des Kriegsjournalismus auseinander. In der Welt kritisiert der israelische Schriftsteller Meir Shalev die Kriegsführung seines Landes. In der taz erklärt Bobby Gillespie, Sänger von Primal Scream, wie Drogenmusik klingen muss: Schmutzig. Schmierig. Gruselig. Und die FR erliegt einem Klavierkonzert von Thomas Larcher mit dem Titel "Böse Zellen". In der Berliner Zeitung rückt der iranische Filmemacher Mohsen Makhmalbaf die Machthaber seines Landes in die Nähe des Faschismus. Alle freuen sich mit Mathias Döpfner über seinen zweiprozentigen Aktienanteil am Springer-Verlag.

NZZ, 21.07.2006

Die immer lesenswerte wöchentliche Medienseite der NZZ befasst sich heute mit Kriegsjournalismus. Petra Tabeling stellt die Arbeit der Dart Foundation vor, die traumatisierten Kriegsberichterstattern hilft und zitiert einen Journalisten: "Wir haben ständig über Traumata berichtet, ohne uns einzugestehen, dass der Konflikt auch Spuren in unseren Seelen hinterließ. Jeder versuchte mit seinen Erfahrungen selbst fertig zu werden und trug das am Kneipentresen mit sich aus. Wir dachten, wir sind einfach immun gegen alle Gefühle." O.I. berichtet in einem zweiten Artikel über wenig bekannte Hintergründe des Geschäfts, etwa die ins Unermessliche gestiegenen Versicherungskosten für Kriegsberichterstatter. In einer Meldung wird überdies ein Aufruf des Präsidenten des Nachrichtensenders CNN International, Chris Cramer, zitiert, der an Fernsehsender, Agenturen und Zeitungen appelliert, mehr in den Schutz ihrer Mitarbeiter in Kriegszonen zu investieren.

Ausschließlich Rezensionen im Feuilleton: Besprochen werden eine Ausstellung über die Berliner Architekten Sauerbruch Hutton in München, die ersten Abende beim Musikfestival Paleo 2006 in Nyon, die Ausstellung "Anstoß Berlin - Kunst macht Welt" im Berliner Haus am Waldsee und Konzerte auf dem World Music Festival in Stuttgart. Auf der Filmseite geht's um den Film "Innocence" der Französin Lucile Hadzihalilovic, um den Film "Populärmusik fran Vittula" - von Reza Bagher und um den Film "The House of Sand" des Brasilianers Andrucha Waddington.

Welt, 21.07.2006

Der israelische Schriftsteller Meir Shalev findet die Reaktion der israelischen Armee auf die Angriffe der Hisbollah zwar berechtigt. "Aber zu viele Dinge erregen Verdacht und Sorge. Es gibt zu viele Schläge gegen Menschen, die nicht der Hisbollah angehören, es gibt keine Definition des Kriegziels, und es gibt keine Definition des Sieges - das heißt, des Endes der Operation. Geht es um die Rückführung der gefangenen Soldaten? Geht es um den Abzug der Hisbollah aus dem Südlibanon? Und wenn ja - auf welche Entfernung? Geht es um die Tötung Nasrallahs? Die völlige Auflösung der Hisbollah? Geht es um den Kampf gegen den Weltterror und auch um die Bekämpfung Syriens und des Iran?"

Im Forum hat der Militärstratege Edward N. Luttwak eine Vorstellung, was die Ziele der israelischen Regierung sein könnten: "Die israelische Reaktion ist keineswegs auf Vergeltungsschläge beschränkt. Über die Jahre hat die Hisbollah mehrere tausend Raketen und einige hundert Lenkwaffen mit größerer Reichweite vom Iran erhalten. Vor kurzem haben zwei iranische Spitzenpolitiker gedroht, Israel mit Hisbollah-Raketen zu attackieren, sollte Israel iranische Nuklearanlagen angreifen. Israel nutzt daher die jetzige Gelegenheit, unterirdische Arsenale und Geheimverstecke auszuheben und zu zerstören. Das politische Ziel Israels ist es, die Position der Hisbollah als legitime politische Partei im Libanon zu zerstören, indem man sie als bezahlten Handlanger des Iran präsentiert.

Nach Lektüre des Katalogs zur Breker-Ausstellung in Schwerin ruft Uta Baier aus: "Man muss Arno Breker ausstellen! Aber nicht jetzt und nicht im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin und nicht unter der Leitung eines ehemaligen Kulturhauschefs, dessen Reputation so gering ist, dass er für die Ausstellung allein auf den Kunstbesitz der Breker-Familie zurückgreifen musste und für das Zustandekommen der Ausstellung unreflektierte Begeisterung eines Freundes der Breker-Familie im Katalog in Kauf nimmt und im eigenen Text schon mal den Koloss von Rhodos in eine Reihe mit Brekers Herrenmenschen stellt."

Weitere Artikel: In Deutschland wird die Grenze zwischen Netzbetreiber und Programmanbieter durchlässig, berichtet Konstantin Korosides. Kabel Deutschland und Unity Media treten sowohl als Kabel- wie auch als TV-Programm-Anbieter auf. Im Interview erklärt Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamts, welche Grenzen seinem Amt bei derartigen Fusionen gesetzt sind. Beim Münchner Filmfest hat heute eine TV-Serie fürs Handy Premiere, erzählt Rüdiger Sturm. Produziert wurde sie von dem Künstlerduo Marc Weis und Martin De Mattia. Manuel Brug stellt kurz die 22 Mozart-Opern vor, die in Salzburg aufgeführt werden. See. gratuliert dem Regisseur Norman Jewison zum Achtzigsten.

Besprochen werden eine CD von Tom Petty und ein Konzert des immer noch "mit Schwarzenegger-Armen und einem Waschbrettbauch" ausgestatteten Billy Idol in Berlin.

TAZ, 21.07.2006

Max Dax unterhält sich mit Bobby Gillespie, Sänger von Primal Scream, über Musik und Drogen. "Ecstasy, Kokain und Heroin waren überall. Meine Freunde und ich haben das alles genommen. Wir haben aber versucht, diesen Drogenerfahrungen einen adäquaten Sound gegenüberzustellen. Einen paranoiden, klaustrophobischen, abgefuckten Sound. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen. Insektenfeeling. Schmutzig. Schmierig. Gruselig."

Besprochen werden außerdem neue Türk-Pop-Platten und der Film "Man muss mich nicht lieben" von Stephane Brize.

Und Tom.

FR, 21.07.2006

Guido Fischer hat beim Klavier-Festival-Ruhr eine Rückkehr zum Klavierkonzert beobachtet. Besonders beeindruckt hat ihn das Werk "Böse Zellen" von Thomas Larcher, das sich an einem Mozart-Konzert und dem Film "Böse Zellen" von Barbara Albert inspiriert, in dem "Beziehungen ungeschminkt an die Wand gefahren werden. Entlang dieser morbiden Verstörtheit entwickelt Larcher sein Herz-Rhythmus-System, das im grellen Orchestersatz und in den motorisch beängstigenden Klavier-Repetitionen heftig pumpt, um am gefährlichen Rand der Stille seine Arbeit wieder fast einzustellen. Dass Larcher dabei mit seinen Klavierpräparationen genauso in die Fußstapfen von John Cage tritt, wie er die archaische Suggestivität des Georgiers Giya Kantscheli aufgreift, steht da für eine genau ausgehörte Bandbreite, die er unbeugsam perpetuiert. Im Zusammenspiel mit dem vom Widmungsträger Dennis Russell Davies geleiteten Münchner Kammerorchester hat Thomas Larcher so nicht nur für eine Rehabilitation des Klavierkonzertes gesorgt. 'Böse Zellen' ist für die Möglichkeiten dieser Gattung zweifelsohne der zukünftige Wegweiser."

Weitere Artikel: Hans-Jürgen Linke unterhält sich mit dem Dirigenten des hr-Sinfonieorchesters Hugh Wolff, der demnächst in die USA zurückgeht. Matthias Arning verfolgte Arno Lustigers letzte Vorlesung als Gastprofessor am Fritz-Bauer-Institut. Helmut Ploebst berichtet vom Festival Sommerszene Salzburg. In Times mager beobachtet Sylvia Staude sommerliche Szenen im Zoo.

SZ, 21.07.2006

Günter Kowa konnte die vom Schweriner Kurator Rudolf Conrades organisierte Arno-Breker-Ausstellung schon besuchen und zieht Erkenntnisgewinne aus der nüchternen Präsentation seiner Werke: "Conrades' Anspruch, Breker weder zu verharmlosen noch zu verherrlichen, kommt der eigene Standort zu Hilfe. Brekers Plastiken finden in dem backsteingefüllten Fachwerkbau des barocken Bürgerpalais ein denkbar widersprüchliches Ambiente für den Ruf des monumentalen Kitsches, der ihnen vorauseilt. Keine Weihestätte, keine Ruhmeshalle, kein Heiligtum - stattdessen fügen die Skulpturen sich in eine Folge kleiner, niedriger Räume, in ein schlichtes Treppenhaus, und unter eiserne T-Träger, die dank der Nachwende-Hilfe aus Schleswig-Holstein die 250 Jahre alte Deckenkonstruktion stützen." (Eine Hompage gibt es leider nicht, nur einen Flyer als pdf.)

Weitere Artikel: Burkhard Müller schreibt eine Hymne auf Martin Walsers neuen Roman "Angstblüte" und bewundert unter anderem die "wunderbar schamlose Altherrenerotik, die, da sie aufs Ganze geht, über das Peinliche souverän hinauswächst." Andrian Kreye konstatiert nach einer Reihe ohnmächtiger Kritikeraufschreie in den USA (zum Beispiel dieser von A.O.Scott in der New York Times oder von Joel Siegel bei einem Filmbesuch) über die neue Ohnmacht der Kritik "in einer Medienwelt, in der jedes Kind mit einem Computer und jeder Fan mit einer Webseite die Chance hat, ebenso viel Öffentlichkeit zu schaffen wie der Kritiker einer Zeitung oder eines Fernsehsenders". Im Interview mit Martina Knoben erklären die iranischen Filmemacher Mohsen und Samira Makhmalbaf, die zur Zeit beim Münchner Filmfest gastieren, wie es in ihrem Familienbetrieb, der Makhmalbaf Film School, zugeht. Gemeldet wird, dass der Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke der erste Träger des neuen Gerda-Henkel-Preises für "herausragende Leistungen in den historischen Geisteswissenschaften" ist, was ihm glatte 100.000 Euro beschert. Fritz Göttler gratuliert dem Regisseur und Produzenten Norman Jewison zum Achtzigsten.

Besprochen werden Konzerte des World New Music Festival 2006 in Stuttgart, die Ausstellung "Canossa 1077 - Erschütterung der Welt" in Paderborn und Bücher, darunter Joachim Zelters Roman "Schule der Arbeitslosen" und Jorge Edwards' Abrechnung mit Fidel Castro "Persona non grata".

Auf der Medienseite kommentiert Hans-Jürgen Jakobs kenntnisreich den Umstand, dass Springer-Vorstand Mathias Döpfner "'mittelbar" und außerbörslich 680.000 Aktien aus den Beständen der Verlegerwitwe für 52,4 Millionen Euro gekauft hat - am vorigen Freitag. Döpfner besitzt somit zwei Prozent des Springer-Kapitals."

Berliner Zeitung, 21.07.2006

Im Interview mit Julia Teichmann spricht der iranische Filmemacher und Dissident Mohsen Makhmalbaf auch über die jetzigen Machthaber im Iran: "Es gibt eine berühmte Zeile in einem iranischen Gedicht: 'Die Wahrheit war ein Spiegel in den Händen Gottes. Er fiel herunter und zerbrach, und jeder Mensch nahm eine Scherbe des Spiegels, und jeder dachte, dass er nun die ganze Wahrheit in Händen hielte. Aber die Wahrheit war in verschiedenen Händen.' Wer denkt, dass er einen ganzen Spiegel in Händen hält, ist nahe am Faschismus. Weil er andere zwingen wird, ihm zu folgen. Die iranischen Ideologen denken, dass sie die Wahrheit in Händen halten."

Und Armin Petras schreibt zum fünften Todestag von Einar Schleef:: "jetzt fliegt sie rum, diese schleefsprache, und liegt in bibliotheken und zu hause, und man kann das mitnehmen und sich selbst an sich selbst erinnern und sich wundern, was aus dem eigenen sprechen geworden ist - so leer, so klischee, so ohne kraft."

Tagesspiegel, 21.07.2006

Nur online: Tankred Dorst gibt im Interview schon einen Einblick in seine Bayreuther "Rheingold"-Inszenierung, die am Mittwoch Premiere haben wird. "In dieser Inszenierung werden Zeiten ineinander geschoben. Die Zeit der Götter, die wir nicht kennen, trifft auf das Heute: ein Nobelhotel, ein Abbruchhaus, eine struppige Wiese. Im ehemaligen Physiksaal einer verlassenen Schule sitzt Mime und versucht, das zerbrochene Schwert zusammenzuflicken."
Stichwörter: Dorst, Tankred, Rheingold

FAZ, 21.07.2006

Michael Hanfeld, sonst für Medienberichterstattung zuständig, besucht die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und hatte in einer islamistischen Universität sogar Gelegenheit mit Taliban-Politikern zu sprechen. "Im Grunde genommen, sind die deutschen Soldaten für sie noch viel gefährlichere Gegner als die Amerikaner, weil sie sich um den zivilen Aufbau Afghanistans kümmern wollen. Und nichts haben die Taliban mehr zu fürchten als Freunde und Helfer."

Weitere Artikel: Gina Thomas freut sich über eine Neupräsentation der Sammlung islamischer Kunst im Victoria & Albert Museum. In der Leitglosse kritisiert Christian Schwägerl das neue Kursbuch, das Demografen und Demoskopen verwechselt. Joseph Hanimann verzeichnet eine Veränderung des Bildes von Albert Dreyfus in Frankreich, der bisher nur als Opfer wahrgenommen wurde und nach Lektüre seiner Schriften, Briefe und Besuch einer ihm gewidmeten Ausstellung durchaus als aktiver Kämpfer um seine Rechte erscheint. Andreas Rosenfelder stellt eine neue Art von Videospielen vor, die dazu dienen sollen, die Kapazitäten unseres Hirns weiter zu steigern. Gina Thomas präsentiert die für die Briten peinliche Enthüllung, dass jeder zweite Brite den Genen nach ein Nachfahre von Deutschen sei. Man will trotzdem weiter Pommes frites mit Essig essen. Stephan Sahm zeichnet neue Debatten zum Thema Sterbehilfe nach. Rechtschreiber Theodor Ickler arbeitet sich ganzseitig durch den Duden, nachdem er den Wahrig gestern schon kritisch abfertigte. Annette Zerpner resümiert die vierte Ausgabe des Leipziger Hörbuchsommers. Günter Kowa besucht das restaurierte Max-Klinger-Haus bei Naumburg. In der Reihe "Wir vom politischen Archiv" präsentiert Peter Grupp ein Schreiben des Außenministers Stresemann zu einem damals viel beachteten Staatsbesuch des afghanischen Königs Aman Ullah im Jahr 1928.

Auf der Medienseite zitiert Melanie Mühl einen Amnesty-Bericht, der scharfe Kritik an der Kollaboration von Internetunternahmen wie Google und Yahoo in der chinesischen Zensur übt: "Jeder Internet-Dissident, der einen Yahoo-Account habe, könne sicher sein, dass ihn der Konzern an die chinesischen Behörden ausliefere." Peer Schader stellt das MTV-Videoportal Overdrive vor, auf dem Musikvideos und Shows kosten-, aber nicht werbefrei abrufbar sind. Jörg Becker setzt seine Serie über Internet in China mit einer Recherche über die durch das Netz angeheizte Spielsucht vieler Chinesen fort. Mit Staunen vermeldet Michael Hanfeld, dass Mathias Döpfner jetzt zwei Prozent der Springer-Aktion sein eigen nennt.

Auf der letzten Seite unterhält sich Joachim Müller-Jung mit Bill und Melinda Gates über die Ziele ihrer Stiftung, die sich vor allem für die Gesundheit in Ländern der Dritten Welt einsetzt. Gina Thomas berichtet über Interessenkonflikte beim Ankauf neuer Kunst in der Londoner Tate Gallery. Und Pia Reinacher stellt den Luzerner Altphilologen Christoph Riedweg vor, der seit knapp einem Jahr Leiter des Istituto Svizzero di Roma ist.

Besprochen werden eine Retrospektive des Bildhauers Stephan Balkenhol in Duisburg und eine kleine Ausstellung über Becketts Deutschlandbesuch in den Jahren 1936 und 37 in Berlin.