Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.12.2006. In der Berliner Zeitung erklärt die Teilchenphysikerin Lisa Randall, wie man sich in der fünften Dimension bewegt: nur nicht schauen! In der FR macht sich Amos Oz Hoffnungen auf einen neuen Friedensprozess in Israel. Die FAZ wundert sich über die Paradoxien des heutigen Kunstmarkts mit seinen braven Künstlern und wilden Sammlern. Die SZ fragt: Was ist vom Mythos Bauhaus geblieben? In der taz erklärt Richard Powers, wie er seine Romane in den Computer diktiert. Genießen Sie die letzten Tage der FAZ in ehemaliger Rechtschreibung!

Berliner Zeitung, 02.12.2006

Arno Widmann unterhält sich im Samstagsmagazin der Zeitung mit der amerikanischen Physikerin (und Nobelpreiskandidatin) Lisa Randall über ihre Theorie der Gravitation, die sich theoretisch viel besser erklären lässt, wenn man die Existenz einer fünften Dimension voraussetzt. Aber sie warnt davor, die eisigen Höhen dieser Abstraktion mit den gewöhnlichen Instrumente der menschlichen Vorstellungskraft erfassen zu wollen: "Wir dürfen nicht schauen. Wir müssen denken und rechnen. In der Elementarteilchenphysik wie in der des Universums sagt ein Wort, eine Gleichung mehr als tausend Bilder. Unsere Vorstellung führt uns, wenn es ums ganz Kleine und wenn es ums ganz Große geht, in die Irre. Schon in unserer vertrauten dreidimensionalen Welt. Unsere Vorstellung sagt uns nicht, dass die Erde sich bewegt. Sie sagt: Die Sonne geht unter. Ich weiß nicht, was die Extradimensionen sind. Ich weiß nicht, wie sie aussehen."
Stichwörter: Widmann, Arno, Abstraktion

FR, 02.12.2006

Sollte der Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina wirklich von Dauer sein, "könnten wir an der Schwelle eines Neuanfangs stehen", hofft Amos Oz, und endlich über ein umfassendes bilaterales Abkommen verhandeln. "Welche Maßnahmen wird ein solches Abkommen enthalten? Darin liegt tatsächlich die Hoffnung. Denn sowohl Israelis als auch Palästinenser wissen, tief in ihren Herzen, wie ein solches Abkommen aussehen wird und wie es nicht aussehen wird. Sogar seine Gegner auf beiden Seiten wissen im Grunde, was in diesem Abkommen stehen wird und was nicht. Sogar jene auf beiden Seiten, die ein solches Abkommen als Verrat und als eine Katastrophe betrachten, wissen, dass es zwei Staaten vorsehen wird, Israel und Palästina, deren Grenze die Linie sein wird, die es vor 1967 gab, mit Änderungen, auf die man sich einigt. Und es wird in Jerusalem zwei Hauptstädte geben. Und es wird kein 'Recht auf Rückkehr' für die Palästinenser geben, ebenso werden die meisten israelischen Siedlungen geräumt werden."

Weiteres: Julika Griem war bei einer Adorno-Vorlesung von Stephen Greenblatt in Frankfurt. Astrid Ludwig berichtet über eine heftig geführte Debatte um den Darmstädter "Block Beuys", dessen Räume die Museumsdirektorin Ina Busch von der "goldhamsterbraun" gealterten Jutebespannung befreien will, weshalb sie sich "putzwütige Hausfrau" an den Kopf werfen lassen musste. Martina Meister geht essen bei Monsieur Vong. Robert Kaltenbrunner schreibt zu 80 Jahren Bauhaus Dessau. Besprochen wird Christoph Marthalers Inszenierung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" an der Berliner Volksbühne ("Nummern, Slapsticks, Dialoge wachsen ins Uferlose", notiert erschöpft Peter Michalzik).

NZZ, 02.12.2006

Im Feuilleton berichtet Beat Stauffer über die große Probleme bei der Umsetzung des neuen Familien- und Frauenrechts, der Moudawana, in Marokko. Das Gesetz ist recht fortschrittlich, doch in der Praxis gibt es für Frauen nur wenig Veränderungen, kritisieren Frauenorganisationen. "In ihren Forderungen für die Zukunft stimmen die drei marokkanischen Frauenorganisationen weitgehend überein. Zuerst einmal müsse die Polygamie prinzipiell verboten werden, weil sie für Frauen eine Geringschätzung bedeute, sagt Mina Tafnout. Als Zweites gelte es, das immer noch islamisch geprägte Erbrecht zu revidieren. Und schließlich sei es von großer Wichtigkeit, das Sorgerecht für Kinder, das Frauen immer noch benachteilige, entsprechend anzupassen. 'Dies ist der nächste Kampf, den wir führen müssen!', sagt Tafnout mit Nachdruck. Dabei lässt sie erkennen, dass dieser Kampf nicht einfach sein wird; denn auch in Marokko verfügen die Verfechter der Scharia über gute Karten."

Weitere Artikel: Hubertus Adam beschreibt das neue Institute of Contemporary Art von Diller & Scofidio in Boston. Der spanische Schriftsteller Javier Salinas erzählt, warum er die Formel 1 mag.

Besprochen werden Bücher, darunter Thomas Pynchons Roman "Against The Day", und Christoph Marthalers Horvath-Inszenierung in Berlin ("Die unbarmherzigen 'Geschichten aus dem Wiener Wald' von 1931 wirken wie das Stück zur Stunde. Fertig lustig. Komisch, urkomisch ist manches an diesem epischen Abend, aber die Komik hat etwas trostlos Leeres, als wären alle Träume ausgeträumt", schreibt Barbara Villiger-Heilig.)

In Literatur und Kunst erzählt die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood im Interview, wie sich der Buchmarkt verändert hat. "Heute Morgen hatte ich eine Sitzung mit meinem Verlag über diese Long-Pen-Kampagne, kennen Sie das? Spätestens seit amazon.com hat sich der Buchmarkt ja massiv verändert. Alle wollen ein Buch zur gleichen Zeit herausbringen, und wenn die Lizenzausgaben und Übersetzungen erscheinen, sollte der Autor oder die Autorin ständig zur selben Zeit überall sein. Die Flugreisen, die Zeit, in der man zu nichts anderem kommt . . . Vor ein paar Jahren starteten wir also diese Initiative: Man sitzt an einem interaktiven Videobildschirm, kann mit der Autorin reden, sie sehen, sein Buch signieren lassen. Statt in irgendeiner Buchhandlung in einer schwitzenden Warteschlange meinen Kopf von oben zu sehen, während ich mir die Finger wund schreibe."

Weiteres: Abgedruckt ist eine Geschichte von David Albahari: "Die Glühwürmchen". Vittorio Magnago Lampugnani beschreibt den Einfluss des "Neorealismo" auf die Architektur in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Thomas Sören Hoffmann überlegt, was uns Hegels "Phänomenologie des Geistes" heute zu sagen hat. Maja Turowskaja erzählt die Geschichte hinter Leonid Grossmans Buch "Beichte eines Juden".

Besprochen werden Bücher, darunter Nicoletta Ossanna Cavadinis "vorzügliche", aber leider bisher nur auf Italienisch erschienene Baumonographie "Casa Cattaneo a Cernobbio", Rainer Martens philosophische Betrachtung "Die Möglichkeit des Unmöglichen" und der dritte Band von Lojze Kovacics slowenischen Jugenderinnerungen "Die Zugereisten" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 02.12.2006

"Weischer 307.200. Weischer 441.600. Wenn in den letzten Wochen über Matthias Weischer geredet wurde, dann klang das nicht so, als handele es sich dabei um einen jüngeren Maler, einen der interessantesten seiner Generation noch dazu; eher hörte sich das Ganze an, als sei Weischer ein börsennotierter Pharmakonzern, der soeben ein Mittel gegen Fehlsichtigkeit patentiert hatte", schreibt Niklas Maak in Bilder und Zeiten und überlegt, was die Leipziger Schule eigentlich so interessant für Sammler macht. "Die Verhältnisse haben sich umgekehrt: Während die bürgerlichen Kunstsammler in Miami das nachspielen, was sie für 'das Leben der Kunstszene' halten, nämlich Nächte durchsaufen, diskutieren, tanzen, pflegen die von ihnen verehrten Künstler den durch und durch disziplinierten und geordneten Büroalltag des klassischen Bürgers. Man kann sich keinen größeren Gegensatz zwischen der aufgekratzten Spekulantenwelt in New York und Miami und den konzentrierten, introvertierten Künstlern in der alten Baumwollspinnerei vorstellen."

Ebenfalls in Bilder und Zeiten macht Ingeborg Harms die Chefin der französischen Vogue verantwortlich für das wiedererwachte Interesse der Amerikaner am French Glamour: "Unter den bis in die Zehenspitzen polierten Moderedakteurinnen aus aller Welt, die zum Ritual der Pariser Schauen zweimal im Jahr zusammenkommen, strahlt Carine Roitfeld die Nonchalance eines Zigeunerjungen aus, der sich unbeachtet in einer fremden Großstadt durchschlägt und fieberhaft auf seinen Vorteil sinnt." (Hier ein Foto von Roitfeld und hier ein Porträt aus dem Daily Telegraph.)

Weitere Artikel in Bilder und Zeiten: Peter Richter stellt den Regisseur Uwe Boll vor, "Weltmarktführer in der Verfilmung von Videospielen". Melanie Mühl und Tilmann Lahme spielen "Thurn und Taxis". Christian Kracht schickt einen Brief aus Schanghai. Und Koch Tim Mälzer erklärt im Interview, warum er Plätzchen liebt.

Weitere Artikel im Feuilleton: In der Leitglosse ärgert sich Rtg. dass nicht nur die FAZ Papstworte interpretieren darf. Hubert Spiegel verkündet, dass der erste Roman der Dichterin Silke Scheuermann als Vorabdruck in der FAZ erscheinen wird. Regina Mönch und Andreas Kilb begrüßen die Öffnung des Aufbau-Verlagsarchivs für die germanistische wie zeithistorische Forschung. Kcd. informiert über einen Streit um den Darmstädter "Block Beuys", dessen Räume die Museumsdirektorin Ina Busch "grundlegend" verändern will. Patrick Bahners gratuliert Lothar Gall im Aufmacher des Feuilletons zum Siebzigsten. Gerhard Rohde gratuliert dem Komponisten Hans Otte zum Achtzigsten. Eine Meldung behauptet fälschlich, Daniel Libeskind baue den Turm für Gazprom City, es ist jedoch das britische Architekturbüro RMJM.

Besprochen werden "Glitter and Doom", eine Ausstellung mit deutschen Porträts aus den zwanziger Jahren im New Yorker Metropolitan Museum of Art, Christoph Marthalers Inszenierung von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" an der Berliner Volksbühne ("Bei Marthaler bedeutet der Gedankenstrich: gestrichene Gedanken", schreibt Gerhard Stadelmaier) und Bücher, darunter Thorsten Beckers Roman "Fritz" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

In der Frankfurter Anthologie stellt Hans Christoph Buch ein Gedicht Theodor Däublers vor: "Flügellahmer Versuch:

Es schweift der Mond durch ausgestorbne Gassen/
Es fällt sein Schein bestimmt durch bleiche Scheiben./
Ich möchte nicht in dieser Gasse bleiben. (...)"

Schließlich kündigt die FAZ an, ab dem 1.1.2007 die inzwischen bewährte Rechtschreibung zu übernehmen. "Wir fühlen uns auch den Kindern gegenüber in der Verantwortung, die in der Schule die reformierten Regeln erlernen müssen", begründet Hubert Spiegel die Entscheidung. (Und ganz besonders den vielen FAZ-Lesern unter den Kindern.)

Welt, 02.12.2006

Zu spät verweisen wir auf eine Ernst-Bloch-Preisrede Dan Diners, die bereits am Donnerstag online gestellt oder abgedruckt wurde (so genau weiß man das bei der Welt nie). Diner spricht hier auch den aktuellen Streit um die "Kollision gegenläufiger Gedächtnisse" und den Vergleich des Kolonialismus mit dem Holocaust an: "So ist zu erwarten, dass eine auf Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Opfergedächtnisse pochende, unterschiedslose Vermenschheitlichung von Leiderfahrung zu einem Schwund historischer Urteilskraft führen, gar eine Erosion von Grundbegriffen der Vernunft nach sich ziehen werde."

Aufmacher der Literarischen Welt ist Peter Hamms Laudatio zur posthumen Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises an Mihail Sebastian, dessen Tagebuch "Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt" er mit Viktor Klemperers "Ich will Zeugnis ablegen..." vergleicht. Tilman Krause spricht in seinem "Klartext" über die traurige Lage heimatloser Monarchisten in Deutschland. Krause porträtiert auch den franzöischen Romancier Benjamin Berton. Und Michael Miersch hält ein Plädoyer für den amerikansichen Reporter Patrick J. O'Rourke ("Reisen in die Hölle").

Im Kulturteil erinnert Dankwart Guratzsch an die Gründung des Bauhauses vor achtzig Jahren. Friedrich Pohl interviewt für welt.de den Pianisten Lang Lang. Besprochen wird Christoph Marthalers Inszenierung von Horvaths "Wienerwald" an der Berliner Volksbühne ("Man sieht nur der grandiosen Marthaler-Maschine beim Produzieren von Marthalerität zu, aber es ist ein schönes 'nur', schreibt Matthias Heine).

TAZ, 02.12.2006

Im tazmag erzählt Thomas Feix von einem Mann, der 53 Jahre alt ist und sein Leben vertrödelt hat: "Wenn er sich nur nicht so verflucht endgültig eingerichtet hätte in diesem Leben. Es siecht dahin wie die Topfpflanze, die auf dem Fenstersims steht. Überwindet keinen Widerstand, hinterlässt keine Spur. Ist wie ein ewiger Zustand. Ohne Anfang, ohne Ende. Einschläfernd wie der Tod, wenn er da ist. Es ist September, Spätsommer in Berlin. Manchmal sieht Jochen noch den Morgen heraufdämmern, wenn er schlafen geht. Er hat dann zehn Stunden Fernsehen hinter sich und sechs Stunden Radio. 40 bis 60 Zigaretten, Marke 'Auslese', 100 Millimeter, dazu drei Liter Saft, Orangensaft. Wer viel raucht, soll viel trinken, hat er gelesen. An seine Lunge mag er nicht denken, lieber nicht. Wahrscheinlich ein schwarzes Loch, wahrscheinlich beide Flügel. Er sagt, er ist dabei, das Leben aufzurauchen, das er noch vor sich hat."

Weiteres: Fabian Kress porträtiert den Berliner Schriftsteller Mario Wirz, der seit 21 Jahren mit Aids lebt. Besprochen werden Bücher, darunter Leo Perutz' Roman "Der Meister des Jüngsten Tages" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Für den Kulturteil hat sich Tobias Rapp mit Richard Powers unterhalten, der gerade durch Deutschland reist, um seinen neuen Roman "Das Echo der Erinnerung" vorzustellen. "Powers spricht, wenn man ihn nach der Arbeit an seinen Büchern fragt, nie von 'schreiben'. Er sagt: 'komponieren'. Bevor er einen Roman beginne, erzählt er, fräse er sich anderthalb Jahre lang in das Wissensfeld ein und lese und sammle alles, was ihm zum anvisierten Thema in die Hände falle, um dann so lange mit dem angehäuften Wissen zu spielen, bis sich die Figuren auftun. Den Roman selbst spreche er dann in das Spracherkennungsprogramm seines Computers. Er habe seit Jahren nicht mehr mit einer Tastatur gearbeitet. Er komme vom Klang. 'Mein Gehirn fühlt sich am stärksten zur Musik hingezogen.'"

Weiteres: Kirsten Riesselmann stand vor der Kirche in Istanbul, als Papst und Patriarch darin beteten. Besprochen werden eine Ausstellung der Autochromen Fotografien von Käthe Buchler im Fotomuseum Braunschweig und Christoph Marthalers Inszenierung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" an der Berliner Volksbühne ("Es ist schön, wie die Ausstattung nebenbei ein Stück DDR-Geschichte miterzählt", schreibt Simone Kaempf).

Und noch Tom.

SZ, 02.12.2006

Was ist vom Mythos Bauhaus geblieben?, fragt anlässlich des achtzigsten Jubiläums Gerhard Matzig. "Was der Gropius-Nachfolger Hannes Meyer noch als menschenfreundliche, sozialbewegte Formel begriff ('Volksbedarf statt Luxusbedarf'), mutierte entweder zum teuren 'modernen Klassiker' - oder zur schäbigen Billigkeit. Es ist bezeichnend, dass heute auch ein Baumarkt 'Bauhaus' heißt. Der Leitgedanke 'Weniger ist mehr' erfreut in diesem Sinn vor allem Bauherren, die sich alles, was den Raum zum Raum machen könnte, sparen, um das nichtige Ergebnis anmaßend als 'modern' zu deklarieren. Mit dem Erbe des Bauhauses, das vom Dessauer Stadtparlament auf Anweisung der Nationalsozialisten im Jahr 1932 geschlossen wurde, ist es so, wie mit dem Beton in der Werbung: Es kommt darauf an, was man daraus macht."

In Dessau erstrahlt derweil das Bauhaus nach einer zehnjährigen Renovierung in neuem Glanz. Restauriert wurden vor allem die Farben, berichtet Günter Kowa durchaus beeindruckt, weist aber gleich auch auf den Pferdefuß hin: Für die Ewigkeit gebaut haben die Bauhäusler nicht, das Haus ist "ein Sanierungsfall in Permanenz".

Weitere Artikel: Richard Powers hält im Interview zu seinem neuen Roman "Das Echo der Erinnerung" ein Plädoyer für den Gedankenroman. Es war natürlich sehr löblich, dass das Vereinigte Königreich 1807 den Sklavenhandel im gesamten Empire verbot, "doch die Feier der eigenen humanistischen Traditionen verstellt vielen Briten den Blick auf das historische Gesamtbild und führt zur Selbstgefälligkeit", findet Alexander Menden mit Blick auf die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des Slavery Abolition Act. Immerhin hatten Briten davor 150 Jahre lang Afrikaner in die Sklaverei verschleppt. Michael Bauchmüller meldet, dass sich Bahn und Bundesverkehrsministerium auf einen Kompromiss zu einer Ausstellung über die Rolle der Reichsbahn bei der Deportation der Juden geeinigt haben - die Ausstellung soll auch auf Bahnhöfen gezeigt werden, aber wo, lässt die Einigung offen. Stefan Koldehoff beschreibt die hilflosen Begründungen für die Absage des EU-Raubkunstgipfels. Wie Sonja Zekri berichtet, hat Gazprom bekanntgegeben, welches Architekturbüro mit einem 300 Meter hohen Turm die Petersburger Silhouette zerstören darf: das britische Büro RMJM (mehr hier). Gustav Seibt schreibt zum 70. Geburtstag des Historikers Lothar Gall.

Besprochen werden Christoph Marthalers Inszenierung von Horvaths "Wiener Wald" an der Berliner Volksbühne ("Wenn das Tor sich öffnet, sehen wir nicht Wiener, sondern Berliner, die einander Horvath vorspielen, als Stück im Stück; also wird mal gebellt, mal gesülzt. Und der Texttreue wird dadurch ein dünnes Mäntelchen umgehängt", schreibt Christopher Schmidt), die Ausstellung "Ensor und die Avantgardisten an der Küste" in Ostende, Roberto Ciullis Inszenierung des "King Lear" in Mülheim, Verdis "Simone Boccanegra" an der Deutschen Oper Berlin und Klaus Garbers Buch über "Das alte Buch im alten Europa" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende erzählt Jeanne Rubner am Beispiel der EU-Verordnung 2006/502/EC, die Wegwerffeuerzeuge in Europa kindersicher machen will, wie einfach es ist, sinnvolle Verordnungen mit dem Vorwurf überbordender EU-Bürokratie abzubügeln, wenn man davon ablenken will, dass eine Wirtschaftslobby an der Nichtverabschiedung interessiert ist. Birgit Weidinger porträtiert die Fotografin, Filmemacherin, Autorin und Kulturbotschafterin Xiao Hui Wang, die ihre Arbeiten gerade in der Ausstellung "Foto China" in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zeigt. Thomas Speckmann erinnert daran, wie vor siebzig Jahren der deutsche Einsatz Francos endgültigen Sieg sicherte. Thomas Melle steuert eine Erzählung bei. Und Anselm Kiefer erklärt im Interview, warum er sich gern enttäuschen lässt: "Jede Enttäuschung ist eine Stufe auf dem Weg zur Erkenntnis. Wie bei dem Mystiker aus dem Sefer Hechaloth, dem Buch der Himmelspaläste. Beim Gang durch die Himmelspaläste verbrennen ihm zuerst die Füße, dann die Arme. Bis zum Schluss nur noch Geist ist."