Heute in den Feuilletons

Kreuz und quer und vor allem weit

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.07.2008. Die Presse erklärt, was der UN-Menschenrechtsrat unter "Missbrauch der Meinungsfreiheit" versteht. Heise.de und viele Blogs wehren sich gegen neue EU-Pläne, die eine drastische Überwachung von Internetnutzern vorsehen. Zu Kafkas 125. Geburtstag preisen die Feuilletons den zweiten Band von Reiner Stachs Biografie. In der Zeit erklärt Roberto Saviano, wie die Mafia die Herzkammern der italienischen Wirtschaft eroberte. In der NZZ fragt Zafer Senocak: "Warum erfährt die türkische Aufklärung so wenig Unterstützung im Ausland?"

Presse, 03.07.2008

Im UN-Menschenrechtsrat, der von afrikanischen und asiatischen Ländern dominiert wird, steht der "Schutz religiöser Gefühle" heute über dem Recht der Meinungsfreiheit, berichtet Anne-Catherine Simon in der gestrigen Presse: "Sein eifriger Hüter ist die Organisation der Islamischen Konferenz, die als Zusammenschluss von 57 Staaten den Anspruch erhebt, die Islamische Welt zu repräsentieren. Im März beantragte sie erfolgreich, der Menschenrechtsrat müsse künftig über 'Missbrauch der Meinungsfreiheit' berichten, wenn 'rassistische oder religiöse Diskriminierung' im Spiel sei." Siehe zu diesem Thema auch Pascal Bruckners Aufruf "Boykottiert Durban 2" im Perlentaucher.

Berliner Zeitung, 03.07.2008

Cornelia Wystrichowski unterhält sich mit Elke Heidenreich über ihre Sendung "Lesen", die ihren fünften Geburtstag feiert. Heidenreich erklärt nochmal das Prinzip: "Die Sendung sollte nie klassische Literaturkritik machen, das haben manche immer noch nicht verstanden, sie ist dennoch nicht trivial und seicht. Wir haben oft schwierige Bücher in der Sendung, ich stelle sie aber etwas einfacher vor als das klassische Feuilleton."
Stichwörter: Heidenreich, Elke

Aus den Blogs, 03.07.2008

Don Alphonso rät den von einer Heuschrecke trakassierten Redakteuren der Berliner Zeitung zum wiederholten Male, die Zeitung einfach zu bestreiken und statt dessen im Internet zu zeigen, was sie können: "Zeigt mal, wo für Euch die Grenze ist. Für Euch und dieses Land, das vielleicht auch mal wieder stolz sein möchte auf tapfere Journalisten."

Die EU plant drastische Schritte gegegen Internet-Nutzer - angeblich bis hin zur Abschaltung des Internets für Verletzer des Urheberrechts und zur Verpflichtung, Spyware zu installieren. Heise.de berichtet und zitiert Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl: "Die Politiker, die sich an diesen Sommermanövern beteiligen, zeigen ihre Missachtung für Europa und ihr Mandat... Sie vertrauen darauf, dass eine Woche vor der Sommerpause schon niemand hinschauen wird, wenn sie das Telekommunikations-Gesetzespaket von seinem ursprünglichen Ziel Konsumentenschutz abbringen. Sie pflastern den Weg für Überwachung und Filterung des Internets durch Privatfirmen, Sondergerichte und technische Maßnahmen Orwellscher Ausmaße." Einen informativen Beitrag zu diesem Thema findet man auch beim ORF.

Bei Gawker gefunden: Ein Bericht über John Mearsheimers und Stephen Walts Buch die "Israel-Lobby" von Das niederländische Fernsehen hat dazu einen 50-minütigen Dokumentarfilm gedreht, den man ebenfalls bei Gawker sehen kann.

FR, 03.07.2008

Zum 125. Geburtstag von Franz Kafka preist Manfred Schneider den zweiten Band von Reiner Stachs großer Kafka-Biografie: "Stachs meisterliches Porträt bringt uns diesem Kafka so nahe, dass wir glauben, gemächlich durch alle Windungen und Labyrinthe der geheimnisvollen Dichter-Gedanken zu gleiten. Stach hat nahezu alle erreichbaren Quellen zusammengetragen und sie mit einer Kunst und Leichtigkeit ohnegleichen ineinander verwoben."

Weitere Artikel: Für alteuropäische Philologie-Standards etwas zu unbekümmert, unfein gar, findet Martin Krumbholz Louis Begleys Kafka-Buch "Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe". Harry Nutt hat sich in Berlin eine Diskussion zum Opernstreit angehört. In Times Mager verkündet Christian Schlüter die bahnbrechende Erfindung des Schweden Anders Thidell, Gitarrenbünde im Zickzack verlaufen zu lassen, wodurch sich die Halbtöne der Saiten einzeln stimmen lassen, es also keine Bundunreinheiten mehr gibt.

Besprochen werden Mike Leighs "unbeirrbar frohsinnige" Sozial-Komödie "Happy Go Lucky" ("Das Gute, wie Poppy es sieht, ist überall, und es ist komisch"), eine Ausstellung zu Monika Sosnowska und Andrea Zittel im Schaulager Basel, Igor Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" in einer ORF-Version und eine Aufnahme des Brahms-Zyklus "Die Schöne Magelone".

Zeit, 03.07.2008

Der italienische Antimafia-Autor Roberto Saviano stellt zum Abschluss des Spartacus-Prozesses gegen die Bosse des neapolitanischen Casalesi-Clans klar, dass es sich dabei nicht um das x-te Verfahren gegen eine Bande süditalienischer Krimineller handelte. "Die Prozessakten, die Anhörungen und die Angeklagten zeugen vielmehr vom Kampf gegen ein schattenhaftes Imperium, das als eine der Herzkammern der italienischen Wirtschaft gelten muss... Systematisch haben die Bauunternehmen, Hotels und Transportfirmen der Clans öffentliche Gelder abgesaugt, Staatsbeamte erpresst und sind so zu den führenden Unternehmen Italiens geworden. Ihre Broker investieren und bauen heute in der ganzen Welt. Nach Schätzungen der Antimafia-Bezirksdirektion haben die Geschäfte des Casalesi-Kartells derzeit einen Jahresumsatz von 30 Milliarden Euro - nicht Millionen, sondern tatsächlich Milliarden."

"Der weiße, christliche Mittelschichtseintopf kocht und löffelt sich selbst", spottet die Berliner Autorin Mely Kiyak über die Debatte um den angeblich neuen Feminismus: "Schon den ganzen Winter und Frühling hindurch geht das so. Privilegierte Frauen publizieren und kommen sich dabei mutig vor. Kann man ihnen das zum Vorwurf machen? Nein. Was man ihnen aber vorwerfen kann: Keine Einzige stellt sich hin und sagt, ich habe es als Frau schwer, doch ich möchte der Gerechtigkeit halber sagen, dass es die Nilüfer mit ihrem abgeschlossenen Studium schwerer hat, weil sie in diesem Deutschland seltener auf der Position landet, auf der ich bin. Und ich hatte es auch schon nicht leicht. Aber immer noch besser als Emine, deren Vater findet, dass Hauptschule reicht, weil hinterher ohnehin geheiratet wird. Oder als Hatice, die ihren Hauptschulabschluss gemacht hat und keinen Ausbildungsplatz findet."

Weiteres: In der Randspalte sinniert Peter Kümmel über Siemens, die Lehmschicht und das Mittelschichtsmadenparadies. Hanno Rauterberg stellt klar, dass nur oberflächliche Betrachter Olafur Eliassons New Yorker Wasserfälle für mickriges Geplätscher vom Gerüst halten, der Kunstkenner durchschaut das hintergründige Spiel mit der enttäuschten Erwartung. Harald Martenstein beschließt das EM-Match gegen Eva Menasse mit dem Hinweis, das Fußball ein ganz schön langweiliger Sport wäre, wenn immer der Bessere gewänne.

Besprochen werden Mike Leighs heiteres Drama "Happy Go Lucky", das Album "Two Men with the Blues", für das sich Willie Nelson mit Wynton Marsalis zusammengetan hat, und die "Carmen" im Zürcher Opernhaus.

Im Literaturteil preist Ulrich Greiner Reiner Stachs eindringliche Kafka-Biografie "Die jahre der Ereknntnis". Das Zeit-Magazin erzählt, wie in Buenos Aires fehlende Passagen aus Fritz Langs Film "Metropolis" wiedergefunden worden. Online erzählt man immerhin, wie das Zeit-Magazin erzählt. Auch eine Bilderstrecke gibt es.

NZZ, 03.07.2008

"Warum erfährt die türkische Aufklärung so wenig Unterstützung im Ausland?", fragt der Schriftsteller Zafer Senocak in einem Artikel zur sich selbst zerreißenden Türkei. "Es ist das melancholische Gefühl gegenüber der Aufklärung in Europa, das die türkischen Aufklärer wie die Boten aus einer vergangenen Zeit erscheinen lässt. Die überall konstatierte Krise des Bürgertums lässt wenig Verständnis aufkommen für ein dynamisches, wehrhaftes, von sich selbst überzeugtes Bürgertum. Und tatsächlich ist auch in der Türkei dieses Bürgertum verwundet, bloß wehrt es sich dagegen, seine Wunden zu lecken. Es sträubt sich dagegen, sich gegenüber Kritik zu öffnen, ist zur Selbstkritik nicht fähig, nicht willens, das eigene Gesellschafts- und Weltbild permanent zu hinterfragen. Stattdessen pflegt es weiter den nationalistischen Ton der zwanziger und dreißiger Jahre, der in Europa zur größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte geführt hat. Diese Haltung führt zu einer Wagenburgmentalität, die nur aus der Defensive heraus aktiv werden kann."

Besprochen werden eine Ausstellung spanischer Meisterwerke "El Greco to Velazquez" im Museum of Fine Arts in Boston, zwei italienische Neuerscheinungen zu Mussolinis Architekturpolitik, Heinz Dieter Kittsteiners Studie "Weltgeist, Weltmarkt, Weltgericht" und Rick Moodys Erzählungen "Paranoia".

Die Filmseite widmet sich Tom Kalins auf dem Baekeland-Fall beruhender Inzest- und Muttermord-Drama "Savage Grace" und Samuel Benchetrits Hommage an den Gangsterfilm "J'ai toujours rêve d'être un gangster".

FAZ, 03.07.2008

Frank Schirrmacher schreibt die Einführung zur neuen Serie "Kafkas Sätze": Satz für Satz soll darin am Werk des Dichters gezeigt werden, "worin Kafkas literarisches Genie bestand: in der absoluten Kontrolle über den mehrfachen Schriftsinn nicht nur fast jedes Satzes, sondern fast jedes Wortes." In der Glosse stellt Jordan Mejias eine Initiative in San Francisco vor, die darum wirbt, ein örtliches Klärwerk nach dem scheidenden Präsidenten George W. Bush zu benennen. Von einem gewaltigen Vatikankomplottverdacht, der Italien in Atem hält, berichtet Dirk Schümer. Land unter droht, allen Versprechungen zum Trotz, bei der Staatsoperette in Dresden, warnt Reiner Burger. Wolfgang Sandner bereitet uns auf die Deutschlandpremiere von Christian von Richthofens in London erfolgreichem Autovernichtungsmusical "Auto Auto" vor. Die Empfehlungen einer Kommission, die herausgefunden hat, wie Nordrhein-Westfalen mehr kulturelle Strahlkraft gewinnen könne, kennt Andreas Rossmann. Philipp Vetter porträtiert Ufuk Topkara, der als Muslim durchs Jüdische Museum führt. Gerhard Rohde gratuliert dem Komponisten und Intendanten Peter Ruzicka zum Sechzigsten. Auf der Medienseite schreibt noch einmal Jordan Mejias zum Tod des "legendären Magazinerfinders" Clay Felker. Jörg Thomann macht auf den ab sofort geöffneten "Matussek Fanshop" bei Spiegel Online aufmerksam.

Auf der Kinoseite versucht Bert Rebhandl eine erste Einschätzung zur Frage, wie sehr sich Fritz Langs Klassiker "Metropolis" durch die nun sensationell in Argentinien gefundenen fehlenden Szenen verändern wird. Rüdiger Suchsland hat Julie Christie als Gast des Münchner Filmfests erlebt. Über mehr oder weniger kosmetische Änderungen der Oscar-Auswahlregularien informiert Michael Althen.

Besprochen werden eine Fernand-Leger-Ausstellung in Basel, Mike Leighs neuer Film "Happy-Go-Lucky", und Bücher, darunter Will Selfs Oscar-Wilde-Update "Dorian - eine Nachahmung" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 03.07.2008

Berthold Seewald berichtet über die unter Beteiligung des Deutschen Archäologischen Instituts von Athen gefundenen Überreste des Hippodroms von Olympia. Peter Zander freut sich, dass verschollen geglaubte Kapitel von Fritz Langs "Metropolis" im Museo del Cine in Buenos Aires wiedergefunden wurden - der Director's Cut mit 210 spannenden Minuten kann jetzt komplettiert werden. Hendrik Werner hat erfahren, dass Harry Potter jetzt als Hörbuch auch auf Platt erscheint. Alexander Kluy besucht eine Münchner Ausstellung zum 125. Geburtstag Kafkas, dem der Rowohlt-Verlag auch einen opulenten Bildband widmet. Nach den Serben nun also die Sorben. Thomas Gerlach wirft einen Blick auf das beginnende sorbische Literaturfestival in Bautzen, zu dem als Ehrengast Peter Handke erwartet wird, welcher in der Oberlausitz gerne "kreuz- und quer und vor allem weit" wandert. Und Rainer Haubrich resümiert die Diskussionen um die Pläne für ein Jüdisches Museum in Köln.

Auf der Filmseite unterhält sich Peter Beddies mit der Schauspielerin Sally Hawkins, die in Mike Leighs erstem heiteren Film "Happy-Go-Lucky" mitspielt.

Weitere Medien, 03.07.2008

In der Weltwoche fordert Jean Ziegler, Beirat des UN-Menschenrechtsrates, eine Intervention der UNO in Simbabwe, dessen Diktator Mugabe in einer "Spirale der Paranoia" versinke. Aber Ziegler wirbt auch um Verständnis für Mugabe und erinnert an den Bürgerkrieg mit den Weißen des ehemaligen Rhodesien: "Der von ihm vertrauensvoll unterschriebene Waffenstillstands-Vertrag sah einen zehnjährigen Eigentumsschutz für die weiße Minderheit vor. Danach, im Jahre 1989 sollte die Landreform stattfinden, finanziert von Grossbritannien. Labour stürzte, Margaret Thatcher kam an die Macht. Sie verweigerte jede Hilfe für die Reform. In den Slums von Bulawayo und Harare, in den Bretterhütten am Rande der weissen Plantagen, lebten Millionen verelendeter afrikanischer Bauern. Im Jahr 2000 schlug Mugabe zu. Ohne Entschädigung, in einer Nacht-und- Nebel-Aktion, wurden die Landbesetzungen, häufig begleitet von irrationaler Gewalt, organisiert. Die weißen Siedler flüchteten."

nachtkritik, 03.07.2008

Anne Peter ist nach Minsk gereist, um sich das Freie Theater Weißrusslands anzusehen: "Seit 2005 Vladimir Scherbans Inszenierung von Sarah Kanes 'Psychose 4.48' am Yanka-Kupala-Staatstheater verboten wurde, haben sich hier in der Initiative 'Freies Theater' all jene Theatermacher in den Untergrund zurückgezogen, die sich nicht von der staatlichen Kulturpolitik auf dem sehr engen Raum eines - gelinde gesagt - antiquierten Kunstverständnisses zusammenpferchen lassen wollen. Scherban gibt hier weiterhin meist den Regie-Ton an. Eine Theaterlandschaft jenseits der Staatstheater mit ihren vom Kulturministerium streng kontrollierten Spielplänen gibt es praktisch nicht. Und vor allem werden die Staatstheater von Schwanensee-Ballerinen, opulenten Operninszenierungen, Partisanenstücken aus Sowjet-Zeiten, russischen Klassikern und viel Boulevard geprägt. Hauptsache schön, unterhaltsam und harmlos. Das Projekt 'Freies Theater' sei erst beendet, wenn sich das politische System in ihrem Land 'von einem diktatorischen Regime zur Demokratie gewandelt hat', schreibt die Mitbegründerin der Gruppe, Natalia Koliada, in einem Manifest auf der Website des Theaters."

TAZ, 03.07.2008

In der Entlassung Faruk Sens als Direktor des Zentrums für Türkeistudien sieht Dilek Zapticioglu einen Beweis für die Ausgrenzung von Deutschtürken. Sen hatte kürzlich behauptet, die Türken seien die neuen Juden Europas. "Faruk Sen ist ein weiteres abschreckendes Beispiel für alle Deutschtürken, die sich um Integration bemühen. Denn jeder kleine Fauxpas, jedes falsche Wort kann einem offenbar den Kopf und Job kosten, und Schlösser müssen dann ausgewechselt werden, damit man ja nicht wieder in sein Büro einzudringen wagt." (Aber es hätte doch nicht schaden können, wenn Sen seinen Kopf zunächst mal zum Nachdenken genutzt häte.)

Auf den Kulturseiten beklagt Simone Kaempf die mangelnde Thematisierung neuer Lebensmöglichkeiten beim Festival Theater der Welt in Halle, woran auch die Vorstadtjugendlichen in "X(ics)" der italienischen Gruppe Motus litten. Thomas Winkler unterhält sich mit der Rocklegende Sid Griffin über Bluegrass, den Fluch von Gram Parsons und Baseball. Ekkehard Knörer empfiehlt Liebhabern des schmutzigen Action-Kinos und solchen, die es werden wollen, die "Grindhouse"-Kombi der beiden Regisseure Quentin Tarantino und Robert Rodriguez jetzt im Freiluftkino anzusehen.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte" von Michael Althen und Hans Helmut Prinzler und die DVD von Preston Sturges? Komödie "Sullivans Reisen" aus dem Jahr 1941. Und in tazzwei stellt der niederländische Politaktivist Wam Kat im Interview sein Kochbuch "Wam Kats 24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung" vor.

Schließlich Tom.

SZ, 03.07.2008

Die Redaktion der Berliner Zeitung hat gegen ihren Chefredakteur Josef Depenbrock geklagt und - verloren. Der Grund für die Klage, berichtet Caspar Busse, war Depenbrocks doppelte Rolle als Chefredakteur der Berliner Zeitung und Geschäftsführer des Berliner Verlags. "Die Redaktion will, dass Depenbrock die Doppelrolle endlich abgibt - zu groß sei der Interessenskonflikt", wenn der Geschäftsführer Personal entlässt, dass der Chefredakteur eigentlich braucht. Richter Andreas Dittert, der die Klage abwies, "zeigte in der Verhandlung zwar durchaus Verständnis für die Argumente der Journalisten. Doch weder aus dem Redaktionsstatut noch aus den Arbeitsverträgen könne juristisch abgeleitet werden, dass ein Chefredakteur nicht gleichzeitig Geschäftsführer sein darf. Einen Anspruch auf Mitbestimmung gebe es nicht. Die Redaktion habe 'kein Vetorecht, sondern nur eine sehr schwache Form der Mitwirkung' bei der Bestellung eines Chefredakteurs, sagte Dittert, der zuvor noch vergeblich eine gütliche Einigung angeregt hatte."

Da war es wohl etwas verfrüht, dass die Redaktion der Berliner Zeitung bereits gestern per Anzeige in der taz nach einem neuen Verleger suchte: "Anstelle redaktioneller Beiträge unter der Rubrik 'flimmern und rauschen' gab es eine sechsspaltige Großanzeige: 'Verleger gesucht', stand da: 'Kaufen Sie uns!' Nur 'ernst gemeinte' Gebote seien an 'die Redaktion - keinesfalls: Chefredaktion - der Berliner Zeitung' zu richten."

Weitere Artikel: Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Linguistik, findet Gejammer über einen angeblichen Verfall der deutschen Sprache grundlos: "Tatsache ist, dass das Deutsche heute einen größeren Wortschatz und eine differenziertere Syntax hat als zur Zeit der Klassik." Martin Walser hielt an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste einen Vortrag über die "beklagenswerte Kultur des 'Rechthabenmüssens'" in Deutschland. Die SZ verspricht, diesen Vortrag noch "ausführlich" zu dokumentieren. In Buenos Aires fand man ein 16mm-Negativ mit herausgeschnittenen Szenen aus Fritz Langs Film "Metropolis", lesen wir in einer Meldung. Jens Bisky berichtet von einer Diskussion um die Lindenoper. Alexander Menden meldet die BBC-Ausstrahlung eines 44 Jahre alten Interviews mit den Beatles.

Die Literaturseite ist heute Franz Kafka gewidmet: Thomas Steinfeld würdigt den Sprachvirtuosen Kafka, Burkhard Müller den fragmentarischen Kafka. Andreas Dorschel stört sich im zweiten Teil der Kafka-Biografie von Reiner Stach an den vielen Metaphern.

Besprochen werden die Ausstellung "Hiroshi Sugimoto" in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, der Film "Auge in Auge". Eine deutsche Filmgeschichte", der Zeichentrickfilm "Kung Fu Panda" (dazu gibt es ein Interview mit Dustin Hoffman, einem der Sprecher), Nikolaus Harnoncourts Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" in Graz und Maurizio Cattelans "Projekt Synagoge Stommeln".