Heute in den Feuilletons

Auf einer einsamen Erfolgsinsel

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.04.2009. Im Titel-Magazin geißelt Wolfram Schütte die Knebelverträge der FAZ. In der SZ stellt John Mellencamp klar, dass das Elend der Musikindustrie nicht mit dem Internet begann, sondern mit dem Börsengang. In der FR untersucht Wolfgang Kraushaar die Krise der Globalisierungskritik. In der NZZ denkt Jan Philipp Reemtsma über Gewalt und Sinn nach. Die taz rechnet mit der Linken ab. Und alle bewundern das leichte Spiel von Botho Strauß - außer der Welt.

Titel-Magazin, 04.04.2009

Wolfram Schütte kommentiert im Titel-Magazin die Affäre um das Hürlimann-Zitat und kommt auf den Standard-Vertrag der FAZ für freie Autoren zu sprechen, der bei den Freischreibern einzusehen ist. Ein Knebelvertrag sei das, und er habe das schon vor zwei Jahren geschrieben: "Er ist es umso mehr, als der Autor, der einen solchen Vertrag einmal unterzeichnet hat, weder für diese Abtretung seines Copyrights ein erhöhtes Honorar, noch an der künftigen Verwertung materiell beteiligt wird. Mir ist nicht bekannt, dass seither der PEN-Club oder Verdi oder irgendein Einzelner gegen diese unwiderrufliche Enteignung des Urheberrechts geklagt hätte." (Mehr dazu auch hier)

Aus den Blogs, 04.04.2009



(Via 3quarks daily) Ron Rosenbaum setzt sich in Slate ausführlich mit dem heißdiskutierten Cobbe-Porträt von Shakespeare (rechtes Bild) auseinander. Er ärgert sich vor allem über den britischen Shakespeare-Spezialisten Stanley Wells, der dem Porträt Authentizität bescheinigt hat und jetzt alle darüber reden, wie sexy Shakespeare war. Wir meinen: Bei allem Respekt für Shakespeare - der schönste Dichter des 16. Jahrhunderts war zweifellos John Donne (Bild links). Dieses Porträt eines unbekannten Malers entstand laut BBC etwa zu der Zeit, als Donne "To his mistress going to bed" schrieb, eines der umwerfendsten Liebesgedichte überhaupt:
"...
Licence my roving hands, and let them go
Before, behind, between, above, below.
O, my America, my Newfoundland,
My kingdom, safest when with one man mann'd,
My mine of precious stones, my empery ;
How am I blest in thus discovering thee !
To enter in these bonds, is to be free ;
Then, where my hand is set, my soul shall be.
..."

Welt, 04.04.2009

Botho Strauß ist sich in seinem neuen Stück "Leichtes Spiel" ein bisschen allzu treu geblieben, findet Matthias Heine, und durch Dieter Dorns Inszenierung und das Bühnenbild fühlt er sich vollends in die Achtziger zurückversetzt. Aber trotzdem: "Die virtuos zwischen Alltagsjargon und Poesie changierende Sprache ist denn auch das, was einen immer wieder neu zum Zuhören bringt (ganz ehrlich: man ermüdet zwischendurch). Obwohl Sätze wie 'Manchmal genügt ein Blick auf die eigenen Fußspitzen, und man starrt ins Bodenlose' immer ein bisschen so gewollt platziert wirken wie die Aphorismuskirschen auf der dramatischen Sahnetorte."

Weitere Artikel: Gerhard Gnauck berichtet aus Polen über einen Film, der das Land bewegt: Darin erzählt Rafal Wieczynski die Geschichte des Mordes an dem Priester Popieluszko im Jahr 1984. Matthias Lindemann ärgert sich in der Leitglosse über bayerische Politiker, die Videospiele verbieten wollen, während sie das Spiel mit wirklichen Waffen in Schützenvereinen nicht weiter zu stören scheint. Manuel Brug erzählt wie man sich "in Sachsen-Anhalt sehr gemächlich auf Händels 250. Geburtstag vorbereitet".

Besprochen werden eine Ausstellung über Proust in seiner Korrespondenz in München und eine Dramatisierung der Verbotsgeschichte um Maxim Billers Roman "Esra" durch Angela Richter in Hamburg.

In der Literarischen Welt bespricht Tilman Krause ein neues Buch Peer Sprengels über Gerhart Hauptmann in der Nazizeit. Und Cora Stephan feiert Philipp Bloms Studie "Der taumelnde Kontinent - Europa 1900 - 1914".

TAZ, 04.04.2009

Im Dossier des allerletzten taz mag (danach kommt die neue sonntaz) rechnet taz-mag-Chef Jan Feddersen mit der Linken und also mit weiten Teilen der taz-Leserschaft ab: "Gerade jene Milieus, denen doch auch die taz zugeneigt ist, die sich links fühlen und nennen, die für eine bessere Welt kämpfen, machen oft Angst und atmen nach innen ähnlich erfrischende Luft, wie sie auf Versammlungen der Zeugen Jehovas herrschen dürfte oder in Kegelvereinen, wenn dort Vorstandswahlen nötig werden, oder wie man sie von Jahresversammlungen einer ökologischen Einkaufsgemeinschaft kennt."

Außerdem: Martin Reichert fühlt sich durch die Abwrackprämie zu Kulturkritik verführt. Judith Luig hat Tipps fürs kleine Glück im Winkel während der Krise.

Im Kulturteil porträtiert Julia Grosse den Architekten (bzw. Architekturtheoretiker) und Urbanisten Markus Miessen, der nach acht Jahren London nach Berlin zurückgekehrt ist und eine veränderte Stadt vorgefunden hat: "Als ich jetzt zurückgekehrt bin, hatte ich, zugegeben, ein wenig Angst vor der Ruhe hier. Doch Berlin hat sich verändert, man spricht mit rund dreißig Prozent der Kulturschaffenden plötzlich nur noch Englisch, und jeder hat auf einmal gesteigerte Lust, sich stressen zu lassen. Es hat sich sehr professionalisiert."

In der zweiten taz gibt es ein Interview mit dem "Polizeiruf"-Kommissars-Darsteller Jaecki Schwarz. Ralf Sotscheck schildert den Widerstand eines britischen Dorfs gegen Googles Streetview. Matthias Lohre schildert, wie der FDP-Nachwuchs sich ein Herz zulegen will.

Besprochen werden die große "Calvinismus"-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, Angela Richters Hamburger Theaterprojekt rund um Maxim Billers verbotenen "Esra"-Roman, das Berliner Bob-Dylan-Konzert, Florian Gallenbergers Film "John Rabe" und Bücher, darunter Per Olov Enquists Autobiografie "Ein anderes Leben" und das von Gabriele Gillen und Walter van Rossum herausgegebene "Schwarzbuch Deutschland" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

FR, 04.04.2009

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar unternimmt es, die Krise der globalisierungskritischen Linken in ihren wesentlichen Punkten zu erklären. Als da wäre: "Erstens: Jegliche Globalisierungskritik, die den ökonomischen Liberalismus zu überwinden versucht, indem sie auf vermeintliche Alternativen verweist, ist den Beweis ihrer Praktikabilität bislang schuldig geblieben. Der kapitalistische Welthandel scheint ebenso schatten- wie alternativlos zu sein. Von keinem der noch existierenden kommunistischen Staaten geht eine als exemplarisch oder gar vorbildlich geltende Ausstrahlung aus."

Weitere Artikel: Christian Schlüter berichtet von der Frankfurter Musikmesse - es gibt auch eine Fotostrecke dazu. In Arno Widmanns jüngstem "Mutter"-"Times Mager" hat sich die gesundheitliche Lage nach doppeltem Armbruch stabilisiert. Marcia Pally beschäftigt sich in ihrer US-Kolumne mit der Gier. Reinhard Lüke erklärt, warum er das eigentlich ambitionierte br-Fernsehstück "Hitler vor Gericht" leider nicht empfehlen kann. Judith von Sternburg gratuliert dem "Polizeiruf" zum 300.

Besprochen werden Dieter Dorns Uraufführung des neuen Botho-Strauss-Stücks "Leichtes Spiel" (ein nicht völlig uncharmierter Petzer Michalzik fragt zuletzt aber doch: "Was soll's?"), eine von Paavo Järvi dirigierte Aufführung der 5. Sinfonie Anton Bruckners in der Alten Oper in Frankfurt und eine Darmstädter Inszenierung von Enda Welshs Stück "The New Electric Ballroom".

NZZ, 04.04.2009

In Literatur und Kunst spricht Jan Philipp Reemtsma im Interview mit Uwe Justus Wenzel über Gewalt und warum es so schwer ist, sie zu verstehen: "wie Wittgenstein sagte: Wenn einer an die Wandtafel schreibt, 2 mal 2 ergibt 375, dann hat er sich nicht verrechnet, sondern es ist irgendwas anderes passiert. Und das - dieses andere - ist etwas, was man in Rechnung stellen muss bei der Frage der Gewalt, zumindest mit Blick auf bestimmte Formen extremer Gewalt, die auf Körperzerstörung geht. Unsere normalen Sinnverleihungsstrategien greifen da nicht; sie bringen uns nur dazu, eine Dimension des Menschenmöglichen nicht wahrzunehmen."

Im Feuilleton singt die Schriftstellerin Dubravka Ugresic ein Hohelied auf den japanischen Musiker Daisuke Inoue - für seine Erfindung des Karaoke. Das ist nämlich mehr als nur singen, meint sie: "Kulturkritiker sind Leute, für die zum Beispiel das Tätowieren mehr als nur eine Mode ist. Offensichtlich gehöre auch ich zu dieser zweifelhaften Berufsgruppe, denn ich bin bereit, in Karaoke mehr zu sehen als das laienhafte Jaulen von irgendjemandem beispielsweise zur Melodie 'I will survive'. Karaoke fördert nämlich die demokratische Vorstellung, dass jeder alles kann, wenn er nur will, und dass jeder will, wenn er es doch kann."

Einen "Lebensabend voller Theater" hat Barbara Villiger Heilig in München verbracht, mit Dieter Dorns Uraufführung von Botho Strauß' neuem Stück "Leichtes Spiel": "Verhandelt werden Geld und Geltungssucht, Zoten und Zaster, Markt und Marken, Glauben und Gläubiger usw., bis die Lästerzungen gestoppt werden vom Kuss. Dass er ein Happy End besiegelt, darf man bezweifeln."

Weiteres: Sieglinde Geisel fürchtet, dass wir in der Krise gerade die Chance auf ein paar grundlegende Korrekturen verspielen. Hubertus Adam besichtigt Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in San Francisco.

Besprochen werden Dennis Kellys Stück "Nach dem Ende" am Theater Basel und Bücher, darunter Peter Sloterdijks Mamutstudie "Du musst dein Leben ändern", Günter Kunerts Gedichte "Als das Leben umsonst war", Ljudmila Ulitzkajas Roman "Daniel Stein", Sema Kaygusuz' Debüt "Wein und Gold" und Robert Dempfers Geschichte des "Roten Kreuzes" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

SZ, 04.04.2009

Der Musiker John Mellencamp rechnet ab. Nicht mit dem Internet, das ist seiner Meinung nach nicht der Hauptschuldige am Niedergang des Business - schuld ist die Industrie selbst: "1997 waren Kreativität und die Musiker selbst zweitrangig geworden. Sie hatten sich der Wall Street unterzuordnen, während die Plattenfirmen an die Börse gingen. Die Plattenfirmen betrieben mit ihren Musikern unterdessen einen Ramschverkauf und zwangen sie, ihren neuen Konzernherren in den Arsch zu kriechen. Es ging nur noch darum, die Aktionäre zufrieden zu stellen, um Quartalsbilanzen. Altgediente Mitarbeiter dieser Firmen wurden der Rentabilität geopfert. Eine Kultur der Gier erfasste selbst die leidenschaftlichen Musikliebhaber in der Industrie."

Weitere Artikel: Thomas Schultze berichtet vom Hollywood-Branchentreffen ShoWest in Las Vegas, wo alle nach dem erfolgreichen Start von "Monsters vs. Aliens" im 3D-Erfolgsfieber waren: "Erfolgstrunken sonnt man sich im Bewusstsein, im Angesicht der Finanzkrise auf einer einsamen Erfolgsinsel zu sitzen." Tobias Kniebe erklärt dazu, dass 3 D alles, nur keine ästhetische Revolution bringen wird. Eine bisher unbekannte Darwin-Satire von Max Klinger stellt Lydia Haustein vor. Dorion Weickmann schreibt zum Tod der Tänzerin Eva Evdokimova.

Besprochen werden Dieter Dorns höchst aufwändige Inszenierung von Botho Strauss' neuem Stück "Leichtes Spiel" (bewundernswert findet Christopher Schmidt Dorns Leistung, umso mehr, als das Stück selbst nur eine "pompöse Petitesse" voller "Altmännerphantasien" sei), Angela Richters Inszenierung einer Textcollage rund um den Maxim-Billerschen "Fall Esra", zwei Konzertserien mit dem chinesisch-amerikanische Komponisten und Dirigenten Tan Dun in München, eine Aufführung von Mozarts "Cosi fan tutte" mit dem Opernstudio der Bayerischen Saatsoper und Bücher, darunter David Rieffs essayistischer Bericht "Tod einer Untröstlichen. Die letzten Tage von Susan Sontag" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende schildert der Schriftsteller Durs Grünbein einen Auftritt des Papstes: "Die schwarze Mercedes-Limousine mit dem kleinen weißhaarigen, weißgewandeten Mann im Fond war von einem Schwarm von Motorradpolizisten eskortiert. Gewiss war da dies mädchenhaften Lächeln gewesen, aber hatte er uns auch wirklich zugewinkt? Oder war es nur ein Zitat von Dürers Gebetshänden gewesen, grüßend vorgestreckt hinter den getönten Scheiben?"

Im Aufmacher gibt sich Willi Winkler als Männerversteher in einer "entmannten" Welt: "Nicht bloß der Held, der ganze Mann ist dabei, sich in die Geschichte zu verabschieden. Es braucht keinen Psychoanalytiker, um unsere waffennärrischen amerikanischen Freunde zu verstehen, denen offensichtlich etwas fehlt." Anne Ameri-Siemens ist in München der Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali begegnet, die dort ihr neues Buch "Adan und Eva" vorstellte. Harald Hordych porträtiert den Wrestler und Schauspieler Dwayne Johnson, der jetzt nicht mehr "The Rock" sein will. Auf der Historienseite geht es um Frank W. Woolworth und seine Kaufhauskette. Joachim Käppner und Kurt Kister unterhalten sich mit dem Jagdflieger Günter Rall über "Helden".

FAZ, 04.04.2009

Glücklich kehrt Gerhard Stadelmaier vom Theatergroßereignis in München zurück: Dieter Dorns Uraufführung von Botho Strauß' neuem Stück "Leichtes Spiel": "Paar-Luft. Wie das eine nicht mehr zum anderen kommt, ist seine dramatische Klage und Laune. Er ist der Einzige (außer dem Papst), der ans Paar als Möglichkeit, als Utopie noch glaubt und über die Paar-Unmöglichkeiten in seinen Stücken traurig bis zornig lächelt."

Weiteres: Der Kunsthistoriker Werner Spies bewundert schaudernd die Erbarmungslosigkeit von Andy Warhols Porträts, die das Pariser Grand Palais in einer großen Ausstellung zeigt. Jürgen Dollase fürchtet um das Gedächtnis der Kochkunst, da traditionelle Rezepte kaum archiviert werden. Auf der Medienseite nimmt Jörg Thomas mit Erleichterung das Ende von "Schmidt und Pocher" hin. Karen Krüger begleitet den Marsch von Deutschtürken aus Dietzenbach ins anatolische Düzbag zur Bürgermeisterwahl.

Besprochen werden Sebastian Krämers "Schlaflieder zum Wachbleiben", neue Telemann-Einspielungen, alte Jacques-Brel-Aufnahmen und Bücher, darunter Rayk Wielands "Ich schlage vor, dass wir uns küssen", Per Olov Enquists Autobiografie "Ein anderes Leben", Irene Disches "Clarissas empfindsame Reise" und Proust-Hörbücher (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

In Bilder und Zeiten bricht der Dichter Durs Grünbein eine Lanze für Hermann Brochs vergessenen Monumentalroman "Der Tod des Vergils". Marianne Sommer erinnert an den Maler Charles Knight, dessen Dinosaurier-Bilder unsere Vorstellung der Urzeit nachhaltig prägten. Ingolf Kern besucht die nach Berlin zurückgekehrte Bärbel Bohley. Und Uwe Ebbinghaus interviewt Klaus Marschall, den Chef der Augsburger Puppenkiste.

In der Frankfurter Anthologie stellt Peter von Matt Thomas Rosenlöchers Gedicht "Mozart" vor:

"Ein Tastengeklacker. Und rumms rumms die Treppe
stapft der Tod hoch..."