Heute in den Feuilletons

Der das Schlachtfeld aufräumt

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.04.2009. Die SZ fürchtet um das Ende der Berliner Nachtkultur. Die Welt bekämpft die Bekämpfer des DDT. In der NZZ meint der Layouter Javier Errea, dass Zeitungen in zwanzig Jahren auch nicht so anders aussehen werden. Die FAZ begreift nicht, dass sich Architekten gegen den Abriss ihrer Bauten wehren.

Welt, 24.04.2009

Die Naturschutzinitiative PAN veranstaltete zum morgigen Welt-Malariatag eine Pressekonferenz. Eine Million Menschen sterben im Jahr an der Krankheit, über die Hälfte der Menschheit ist von ihr bedroht. Aber die Pressekonferenz hatte nur ein Ziel: dass das Pestizid DDT, das bislang einzig wirksame Mittel zu Bekämpfung der Mücken, geächtet bleibt. Ulli Kulke plädiert mit Aplomb für die Rehabilitierung dieses Stoffs: "Ohnedies geht es heute nicht um den Gebrauch von DDT wie in den sechziger Jahren, als an einem Tag über US-Feldern als Pestizid ein Vielfaches der Menge ausgebracht wurde, die heute in manchem afrikanischen Staat ein Jahr lang für das Besprühen von Zimmerwänden nötig wäre, um die Malaria auszurotten. So aber kam jener Stoff, der einst 40, 50 Millionen Menschenleben gerettet haben dürfte, dessen Verbot seither ebenso viele Todesopfer forderte, aus der Welt."

Weitere Artikel: Im Aufmacher des Feuilletons erinnert Michael Miersch an den Tierfreund und Pionier des Naturschutzes Bernhard Grzimek. Michael Pilz feiert die neue CD von Bob Dylan ("Es wird nie langweilig mit ihm. Nach einer düsteren Plattentrilogie tritt ein zufriedener alter Mann ins Licht und grüßt am Schluss mit 'It?s All Good'. Natürlich ist nichts gut, außer Musik und Laune") Uta Baier begrüßt die Restaurierung der Archivbücher des ehemaligen Königsberger Prussia-Museums, dessen Bestände sich heute zum Teil im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte befinden. Thomas Lindemann porträtiert den jungen Filmregisseur Lars Jessen, dessen "Dorfpunks" er als "ergreifend heiteren Provinzfilm" bespricht.

NZZ, 24.04.2009

Auf der Medienseite unterhält sich Jan Marot mit dem spanischen Designer Javier Errea über die Zeitung in zwanzig Jahren - ein Mann der Zukunft: "Ich denke, die Zeitungen werden den heutigen sehr ähnlich sein. Die Substanz dessen, was eine Zeitung ausmacht, wird dieselbe bleiben. Auch die Art und Weise, wie man mit Bild und Text erzählt. Es gibt ja keine anderen Ressourcen. In der Essenz hat sich hier in den letzten 200 Jahren nicht viel verändert."

"ras" mokiert sich über eine offenbar von verschiedenen Onlinemedien und Blogs verbreitete Falschmeldung über Twitters Einfluss auf die Moral.

Für das Feuilleton berichtet Martin Zingg über den Salon international du livre et de la presse in Genf. Besprochen werden unter anderem die große Ausstellung von Vincent van Goghs Landschaften (was für Samuel Herzog auch etwas mit Äpfeln zu tun hat), eine "Traviata"-Inszenierung mit Anna Netrebko im Zürcher Opernhaus, Bob Dylans multimediales Akkordeon-Album "Together Through Life" sowie Amanda Petrusichs Buch über Folkmusic "It Still Moves".

SZ, 24.04.2009

Auch Gustav Seibt hat Tobias Rapps "wunderschön geschriebenes" Buch "Lost and Sound" über die Berliner Nachtkultur und den legendären Club "Berghain" gelesen - fürchtet allerdings, dass damit gerade deren Ende markiert und gekommen ist: "Ist dann das 'Berghain' nicht längst von einem Ort der Bedürfnisbefriedigung in eine Stätte der Kultur mutiert, unter massiver Beihilfe jener Intellektuellen, die den egalitären, anti-hippen, berlinisch-gemischten, unintellektuellen, leiblichen Charakter der ganzen Veranstaltung nicht genug rühmen können?"

Weitere Artikel: Franziska Augstein kann am zwanzigsten Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens zwar die Fähigkeit chinesischer Netizens zur Organisation erkennen, einen verbreiteten Willen zur Demokratisierung freilich nicht. Susan Vahabzadeh blickt voraus auf die Verleihung des Deutschen Filmpreises heute Abend. Rebecca Casati unterhält sich mit dem Filmpreis-Favoriten Ulrich Tukur. Im Gespräch mit Till Briegleb stellt der neue Intendant Ulrich Khuon seine Pläne fürs Berliner Deutsche Theater vor (hier ein aktuelles Interview mit Khuon im Tagesspiegel). Sonja Zekri berichtet über den nun veröffentlichten Briefwechsel zwischen dem einsitzenden Oligarchen Chodorkowskij und dem Science-Fiction-Autor Boris Strugazki ("Picknick am Wegesrand"). Fritz Göttler schreibt zum Tod des britischen Kameramanns und Regisseurs Jack Cardiff. Auf der Literaturseite unterhält sich Harald Eggebrecht mit Johannes Zeilinger über die Historisch-Kritische Karl-May-Ausgabe. Kai Wiegandt hat einen Auftritt des Schriftstellers Jonathan Franzen in der Berliner Temporären Kunsthalle erlebt.

Besprochen werden Bob Dylans neues Album "Together Through Life" (ein völlig hingerissener Willi Winkler meint: "diese Platte heilt alle Wunden"), die Ausstellung "No Room To Answer" in Stuttgart, eine Stuttgarter Inszenierung von Yasushi Inoues Stück "Das Jagdgewehr" mit Corinna Harfouch und Lars Gustafssons neuer Roman "Frau Sorgedahls schöne weiße Arme" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 24.04.2009

Stefanie Peter resümiert eine Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste zu ihrem Projekt "Die Wiederkehr der Landschaft" in der Stadtentwicklung. Am ehrlichsten habe die Tätigkeit eines Landschaftsarchitekten dabei Joan Roig aus Barcelona auf den Punkt gebracht: "Ich arbeite immer an hässlichen Orten, und ich fühle mich wie einer, der das Schlachtfeld aufräumt, nachdem die Ingenieure und Architekten abgezogen sind."

Besprochen werden Lars Jessens Verfilmung von Rocko Schamonis Erfolgsroman "Dorfpunks", Darnell Martins Film "Cadillac Records" über das legendäre Chicagoer Label Chess Records mit Beyonce Knowles als Etta James, Mos Def als Chuck Berry und Adrian Brody als Labelgründer Leonard Chess und neue CDs, darunter von Camera Obscura. In tazzwei kommentiert Reinhard Wolff die Forderung nach Wiederaufrollen des Prozesses gegen die Macher der Internettauschbörse Pirate Bay wegen Befangenheit des Richters - der sitzt, wie sich erst jetzt herausstellte, in gleich mehreren Lobby-Organisationen der Verwerterindustrie. Und Judith Luig und Wiebke Pormbka besuchten Lesungen der Literaturstars Judith Hermann und Jonathan Franzen.

Hier Tom.

Aus den Blogs, 24.04.2009

Das Blog Lizas Welt schreibt resümierend zu Durban 2: "Auf der Genfer UN-Konferenz gegen Rassismus wird das Abschlussdokument - in dem die Beschlüsse der Skandalveranstaltung von Durban vor siebeneinhalb Jahren bekräftigt werden und Israel somit erneut als einziger Staat an den Pranger gestellt wird - vorzeitig durchgepeitscht. In der ARD nennt eine 'Menschenrechtlerin' den Holocaustleugner Mahmud Achmadinedschad 'israelkritisch' - und man darf gespannt sein, wann jemand die Nazis als 'judenkritisch' und den Ku-Kux-Klan als 'schwarzenkritisch' bezeichnet."

Berliner Zeitung, 24.04.2009

Eva Schweitzer berichtet über Überlegungen der amerikansichen Zeitungsverleger: "Derzeit wird unter Verlegern diskutiert, ob Zeitungen, womöglich unter dem Dach von Associated Press, eine gemeinsame kostenpflichtige Website als Konkurrenz zu Google News gründen."

FR, 24.04.2009

Sylvia Staude gratuliert zum dreißigjährigen Bestehen des Aterballettos, das sich im tänzerischen Entwicklungsland Italien sehr wacker hält:



Harry Nutt war bei Jonathan Franzens Vortrag in der Temporären Kunsthalle (Titel: "Sex, Literatur und die Deutsche Sprache"). In Times mager sinniert Hans-Jürgen Linke über deutsches Operngut und seine Pflege.

Besprochen werden eine Ausstellung Modiglianis in der Bonner Kunsthalle, ein Tim Gorbach "maßlos enttäuschender" Klavierabend des Schriftstellers und Pianisten Ketil Björnstad in der Frankfurter Fabrik, die in Düsseldorf gezeigten Stücke von Kathrin Röggla und Schiller, Peter Handkes Betrachtungen zum Kosovo "Die Kuckucke von Velika Hoca" und Richard Münchs Analyse der Bildungspolitik "Globale Eliten, lokale Autoritäten".

Tagesspiegel, 24.04.2009

Einen "Brandbrief" mit Ultimatum zum Google Book Settlement haben die Unterzeichner des Heidelberger Appells an Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel gesandt, berichtet Markus Ehrenberg: "Die Unterzeichner des 'Heidelberger Appells' fordern nun Bundesregierung und Landesregierungen auf, das bestehende Urheberrecht entschlossen zu verteidigen. Man hoffe auf 'ein politisches Signal' bevor die Widerspruchsfrist am 5. Mai abläuft, die ein US-amerikanisches Gericht zu den Google-Plänen festgelegt hat."

FAZ, 24.04.2009

Postmoderne Bauten behindern die Rekonstruktion eines Altstadtviertels in Frankfurt. Das beste wäre Abriss (eine alte Frankfurter Tradition), meint Dieter Bartetzko. Nun pochen aber die Architekten auf etwas, das der FAZ sonst sehr sympathisch ist: "Überall verfechten gestern noch abrissfreudige Architekten plötzlich das Urheberrecht und die Unantastbarkeit von (meist modernen) Werken der Baukunst. Wie Goethes Zauberlehrling werden sie Entwicklungen nicht mehr Herr, die sie und ihre Vorgänger selbst in Gang setzten."

Weitere Artikel: Jordan Mejias unterhält sich mit den drei Wirtschaftsnobelpreisträgern, Robert F. Engle III, Eric S. Maskin und Edmund S. Phelps über die Krise - letzterer meint: "Ich liebe es, mich mit deutschen Journalisten zu unterhalten! Sie sind so pessimistisch!" Mara Delius schildert die Krise des amerikanischen Buchmarkts, die viel mit seiner Fixierung auf Blockbuster zu tun hat. Andreas Kilb war bei den Berliner Außenamts-Kulturtagen. Verena Lueken kündigt eine neue Serie an, in der die aktuellen Wörter der Krise unter die Lupe kritisch unter die Lupe genommen werden. In der Glosse begreift Andreas Rossmann die Berufung des weithin unbekannten Christian Tombeil ans Essener Grillo-Theater als weiteres Signal für den Niedergang des Kulturlebens der Stadt. Vom Luzern Festival, bei dem in diesem Jahr Nicolas Harnoncourt und Mariss Jansons Haydn dirigieren, berichtet Max Nyffeler. Cord Riechelmann erinnert zum hundertsten Geburtstag an den Zoologen Bernhard Grzimek. Auf der Medienseite empfiehlt Jochen Hieber den Spielfilm "Sie wusste zuviel" über die ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja, der heute um 21 Uhr auf Arte zu sehen ist.

Besprochen werden ein Holly-Golightly-Konzert in Köln, die Retrospektive des Bildhauers Julio Gonzalez in Madrid, Felix Moellers Dokumentarfilm "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" und Bücher, darunter Michael Ebmayers Roman "Der Neuling" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).