Heute in den Feuilletons

Dann singt Konstantin Wecker

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.02.2010. Laut Schriftsteller Sigfrid Gauch hat auch Peter Esterhazy abgeschrieben, ganze Kapitel sogar, allerdings ohne ein Hehl daraus zu machen. Die Debatte um Helene Hegemann geht ebenfalls weiter und entzweit sogar die FAZ. In der Welt spricht der iranische Regisseur Rafi Pitts über die explosive Stimmung in seinem Land. Die FAZ hat einen Ausbeuter freier Journalisten gefunden: Demand Media. In der SZ erzählt Ingo Schulze, wie er in Dresden den Aufmarsch der Neonazis verhinderte.

Aus den Blogs, 16.02.2010

Helene Hegemann ist nicht die einzige Autorin, die ganze Passagen aus anderen Werken übernimmt. Recht ähnlich ist laut Autor Sigfrid Gauch das Verfahren Peter Esterhazys, der in der "Harmonia Celestis" sogar ganze Kapitel aus Büchern (zum Beispiel von Ernst Jünger) übernommen hat, wie Gauch auf seiner Website schreibt. Auch aus Gauchs Roman "Vaterspuren" hat Esterhazy, ohne zu fragen, ein ganzes Kapitel übernommen. Der Berlin Verlag brachte allerdings einen Marginalienband mit Danksagungen an die zitierten Autoren heraus. "Soso, also darf Peter Esterhazy das. Er nimmt thematisch passende Texte und collagiert sie zu einem eigenen Werk, das von den Feuilletons hymnisch gefeiert wird. Klar, denke ich, wenn er sich bei anerkannten Autoren bedient und ein wenig umschreibt, muss das ja stilistisch gut sein." Gauchs Artikel erschien zuerst in der Rheinpfalz.

Recht heftig attackiert FAZ-Blogger Don Alphonso (allerdings auf seinem eigenen Blog Rebellen ohne Markt) den FAS-Literatur- und Feuilletonchef Volker Weidermann, der Helene Hegemann am Sonntag noch flammend verteidigte: "Viel schlimmer als die Vertuschungsversuche des Verlages, das ganze Ausmaß der Plagiate öffentlich zu machen - das Verhalten ist absolut mies, aber ökonomisch nachvollziehbar - finde ich Volker Weidermann: Der nämlich vergisst darauf hinzuweisen, dass er selbst in eben jener kritisierten Jury sitzt, die nichts dabei fand, ein Werk mit geklauten Texten weiterhin für den Preis zu nominieren."

Don Alphonsos Blogeintrag ist auch eine Antwort auf einen ominösen Satz in Weidermanns Artikel: "Ein Bewohner des Internets, der selbst allzu gerne im Feuilleton schreiben will, entschuldigt sich im Namen des deutschen Feuilletons beim Internet...", der - wie wir jetzt erfahren - eine Retourkutsche auf einen anderen Blogbeitrag Don Alphonsos war.

Während die FAZ-Medienseite Blogs wie Carta gerade durch Don Alphonso abwatschen lässt (siehe unten), schreibt Christoph Bieber auf Carta recht gutmütig über die zunehmende "Nerdisierung" dieser Zeitung und konzediert ihr immerhin, "den Ton für einen neuen gesellschaftlichen Diskurs anzuschlagen", auch wenn sie sich "noch ein genaueres Bild von der Situation an der digitalen Kulturfront" machen müsste.

(Via Ronniegrob) Remix oder Plagiat? Fans bemächtigen sich der Figuren aus "Avatar":



TAZ, 16.02.2010

Cristina Nord unterhält sich mit Benjamin Heisenberg über seinen Film "Der Räuber", der im Wettbewerb läuft (unsere Kritik). Auf die Frage, ob es etwas Besonderes sei, einen Läufer zu filmen, antwortet der Regisseur: "Auf jeden Fall, weil er sich ständig bewegt. Das heißt: Die Kamera kann entweder mitschwenken, ihn durchs Bild laufen lassen, oder sie bewegt sich mit ihm mit. Von diesem Moment an hat man eine Aufgabe. Und dadurch, dass unsere Hauptfigur so viel läuft, hatten wir viele Aufgaben."

Außerdem geht?s um Thomas Arslans Thriller "Im Schatten" (mehr hier) und Koji Wakamatsus Antikriegsfilm "Caterpillar".

Im Rumpffeuilleton berichtet Maximilian Probst von den Feiern zum vierzigjährigen Bestehen des Merve-Verlags. Und Julia Grosse berichtet aus London, dass die Mannequins wieder abnehmen.

Schließlich Tom.

Mit einiger Beschämung müssen wir gestehen, dass wir ausgerechnet eine Verteidigung Henryk Broders, Necla Keleks und Seyran Ates' in der taz übersehen haben. Letzte Woche schrieb Cigdem Akyol: "Vor allem Necla Kelek und Seyran Ates verteidigen unsere Werte - Demokratie, Gleichberechtigung und die Achtung der Menschenrechte -, die sie sich so vehement erkämpfen mussten. Die meisten von uns genießen die von unseren Vorfahren erkämpften Rechte auf selbstverständliche und, wie die Ignoranz gegenüber den Lebensläufen zeigt, auch gedankenlose Weise." Was beweist, dass die taz (anders als die SZ) immerhin noch fähig ist, Gegenstimmen zuzulassen.

Welt, 16.02.2010

Hanns-Georg Rodek unterhält sich mit dem iranischen Regisseur Rafi Pitts, der gleich zwei Filme auf der Berlinale vorstellt und im Gespräch die Stimmung im Lande skizziert: "70 Prozent der heutigen Iraner waren noch nicht geboren, als sich die Islamische Revolution 1979 ereignete. Sie haben nichts zu verlieren und keine Angst vor einem radikalen Wechsel."

Weitere Artikel: Kai-Luehrs-Kaiser erinnert aus Anlass des Falls Hegemann an den Skandal um die Pianistin Joyce Hatto, deren CDs zum großen Teil gefälscht waren (Alfred Brendel hatte den Fall in der NZZ noch einmal aufgegriffen, auch weil die angloamerikanischen Kritiker zu ihrer Blamage lieber schwiegen, so Luehrs-Kaiser). Eckhard Fuhr besuchte auf der Berlinale ein Kolloquium über die Zukunft des Kinos. Wieland Freund schreibt den Nachruf auf den Krimiautor Dick Francis.

Besprochen werden die Ausstellung "Das große Spiel - Archäologie und Politik" in Essen, die Ausstellung "Kampf um die Stadt - Politik, Kunst und Alltag um 1930" im Wien Museum und Vivaldis Oper nach "Orlando furioso" in Frankfurt.

NZZ, 16.02.2010

Rainer Stadler begibt sich in das immer unübersichtlichere Geflecht der Schweizer Medienlandschaft. In der vorigen Woche wurde die entsetzlich heruntergewirtschaftete Basler Zeitung an den Financier Tito Tettamanti und den Basler Anwalt Martin Wagner verkauft: "Sicher verdient Beachtung, dass Wagner vor acht Jahren bei der Übernahme des Jean-Frey-Verlags involviert war; dass er die Weltwoche präsidiert und im Verwaltungsrat von Axel Springer Schweiz, von Constantin Film Schweiz, von Highlight Communications und der Team Television Event and Media Marketing sitzt; dass ferner die drei letztgenannten Medienfirmen von Bernhard Burgener geführt werden und dass Werner Klatten wiederum Präsident von Highlight Communications ist. Letzterer war von 1988 bis 1994 Geschäftsführer von Sat1 und damit im Machtbereich des damals oft beargwöhnten Leo Kirch."

Im Feuilleton: Knut Henkel berichtet von den Problemen der jüdischen Gemeinde in Caracas, die mit Abwanderung und Antisemitismus zu kämpfen haben. Besprochen werden der Roman "Das war ich nicht" (Leseprobe) von Kristof Magnusson, der neue Film "The Ghost Writer" von Roman Polanski, ein Buch über den Symbolismus in der Schweiz und zwei Publikationen zum Thema persuative Kommunikation.

FR, 16.02.2010

Im Interview mt Julia Kospach spricht der Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer über seine Krimis, über Kindesmissbrauch, Provinzstädte und die Bedeutung der Imagination: "Ich halte das für einen psycho-hygienisch extrem wichtigen Mechanismus. Er wirkt einerseits präventiv: Die Dinge, die wir uns vorstellen, müssen wir nicht tun oder oft nicht tun. Andererseits wirkt er auch triebregulierend."

Vom roten Teppich der Berlinale rapportiert unter anderem Frank Junhähnel: "Der Montag ist traditionell der schlimmste Tag des Festivals. Sonnabends kommen die Berühmten, sonntags gibt es was zu lachen, montags läuft ein Film der Berliner Schule. Das war schon immer so. Damit auch jeder merkt, dass jetzt das Arbeitsfestival begonnen hat." Michael Kohler hat sich eine Reihe von Forumsfilmen angesehen.

Weiteres: Christian Thomas denkt über die Konjunkturen der Dekadenzrhetorik nach. In Times mager klappt Felix Helbig die Meldungen vom Chatroulette nach.

Besprochen werden David Böschs Inszenierung von Vivaldis "Orlando furioso" an der Frankfurter Oper, eine Aufführung der "Meistersinger" in Kassel und Anne Webers Roman "Luft und Liebe" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 16.02.2010

Oliver Jungen porträtiert die Firma "Demand Media", die seiner Ansicht nach mit Billigtexten und Pseudojournalismus die Google-Ergebnislisten überschwemmt: "Die gewaltige Aufgabe, der sich das von Rosenblatt 2006 gegründete Unternehmen 'Demand Media' verschrieben hat, ist es, alle Fragen, die je in Googles Suchfeld eingetragen werden, zu antizipieren und zu beantworten, und zwar zu den niedrigst möglichen Kosten. Rosenblatt interessieren nicht einzelne Suchbegriffe, sondern die 'Long Tail'-Suchen, bei denen Nutzer ganze Phrasen eingeben. Im Englischen beginnen sie oft mit 'How to': 'How to Use a Toilet Plunger Correctly?', also: 'Wie benutze ich einen Klostampfer richtig?'" (Jungen vergisst leider, auf den langen und vorzüglich recherchierten Artikel über Demand Media hinzuweisen, den Daniel Roth vor einigen Monaten in Wired veröffentlicht hat.)

Weitere Artikel: Paul Ingendaay meldet von der Verleihung des Spanischen Filmpreises gleich acht Auszeichnungen für David Monzons Thriller "Zelle 211". Der französische Film "Der andere Dumas" erzählt das Schicksal von Alexandre Dumas' Schreibsklaven Auguste Mawuet, der ein Mulatte war - Jürg Altwegg schildert die Empörung, die seine ethnisch inkorrekte Besetzung mit Gerard Depardieu ausgelöst hat. Gina Thomas schreibt zum Tod des Krimiautors Dick Francis.

Auf der Medienseite schlägt FAZ-Blogger Don Alphonso gegen Bloggerkollegen von Carta über Spreeblick bis zu Netzwertig aus, die versuchen, mit ihrer Internetexpertise ihr Leben zu fristen, statt einfach vom Ererbten zu leben.

Auf der Berlinaleseite schreibt Andreas Kilb über deutsche Filme, von denen ihm Angela Schanelecs "Orly" (im Forum) und Benjamin Heisenbergs "Der Räuber" (im Wettbewerb) exzellent gefallen; schlecht findet er Thomas Arslans "Im Schatten" aber auch nicht. Bert Rebhandl war dabei, als Christoph Schlingensief den Stummfilm "L'inferno" aufmischte. Andreas Platthaus staunt über den irakischen Film "Son of Babylon" von Mohamed Al-Daradjis und Hans-Jörg Rother sieht zwei afrikanische Filme. Bei den "Berlinale Keynotes" hörte Verena Lueken Sir Norman Foster (und andere) über die Zukunft des Kinos im Stadtraum nachdenken.

Besprochen werden die Uraufführung von Alexei Ratmanskys neuer Choreografie nach Cervantes' "Don Quichotte" in Amsterdam, eine Aufführung von Antonio Vivaldis Oper "Orlando Furioso" an der Frankfurter Oper, eine Rudolf-Stingel-Ausstellung in der Berliner Neuen Nationalgalerie, und Bücher, darunter James Hamilton-Patersons Roman "Heilige der Trümmer" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 16.02.2010

Der Autor Ingo Schulze erzählt unter dem Titel "Keinen Fußbreit den Faschisten", wie er, trotz Versammlungsverbot, "zum Radikalen wurde und, mit vielen Verbündeten, den Aufmarsch der Neonazis in Dresden verhinderte": "Diejenigen, die es per Gesetz gar nicht hätte geben dürfen, haben durch ihren zivilen Ungehorsam erreicht, dass es zum ersten Mal keinen Marsch der Rechtsradikalen gibt." Und "dann singt Konstantin Wecker, ohne Klavierbegleitung".

Weitere Artikel: Susan Vahbazadeh bespricht einige Wettbewerbs-Filme und Fritz Göttler einige Forums-Filme auf der Berlinale. Richard Fleming besucht New Orleans im Karneval (aber "mehr als vier Jahre nach Katrinas zerstörerischem Schlag bleibt 'der Sturm', wie ihn hier jeder nennt, das prägendste Kapitel der jüngeren Geschichte von New Orleans"). Und Jonathan Fischer spricht mit Jazztrompeter Christian Scott (Musik) über New Orleans (der nebenbei auch eine traurige Wahrheit über Jazz sagt: "Was heute als Jazz bezeichnet wird, sind doch nur langweilige Fingerübungen. Das muss jetzt endlich mal eine Ende haben. Weil er niemanden berührt, er an unserer Realität vorbeigeht") Jürgen Busche schreibt zum Tod des englischen Krimiautors Dick Francis. Volker Breidecker erinnert an den italienischen Gelehrten Mario Praz (dem Marc Fumaroli einen Essay in Sinn und Form widmete).

Besprochen werden die Ausstellung "George Grosz - Korrekt und anarchisch" in Berlin, Vivaldis Oper "Rolando furioso" in Frankfurt und Robert Harris' neuen Bestseller "Titan".