Heute in den Feuilletons

In der Sprache tief genug abgeteuft

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.04.2011. In der taz will Egon Bahr nichts auf die Chinesen kommen lassen. Sie haben doch den Hunger abgeschafft.. Die Welt erzählt, wie im chinesischen Netz gegen das Verschwindenlassen Ai Weiweis protestiert wird. Die NZZ klärt auf: Bio ist nicht Öko. Im Guardian bringt Martin Amis eine Hommage auf Christopher Hitchens. In Slate ruft Hitchens: "Go after Qaddafi!"

TAZ, 27.04.2011

Ingo Arend nimmt sich recht kritisch den eher unwandelbaren SPD-Politiker Egon Bahr zur Brust, der aber auch in Sachen Ai Weiwei, Aufklärungsausstellung und Menschenrechtslage in China von seinem alten Annäherungskonzept nicht abrücken möchte. Weil man das Prestige einer Großmacht nicht verletzen dürfe. Und weil ja nicht alles schlecht sei: "Es ist doch eine ungeheuerliche Leistung dieses chinesischen Systems, unter dem ich nicht leben möchte, dass es zum ersten Mal dafür gesorgt hat, dass es in diesem Riesenland keinen Hunger mehr gibt. Die Vorstellung, in diesem Land herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, weil Menschen hungern, ist doch für die ganze Welt abschreckend."

Besprochen werden Kenneth Branaghs Film "Thor" (immerhin spielt der Regisseur nicht selbst mit, seufzt Ekkehard Knörer erleichtert) und Tupolevs neues Album "Towers of Sparks".

In ihrer Medienkolumne widmet sich Silke Burmester dem Hochzeitsmegaereignis, das von ARD und ZDF live übertragen wird, "als könne man mit dem einen Auge den einen und mit dem anderen Auge den anderen Sender gucken."

Und Tom.

Weitere Medien, 27.04.2011

Im Guardian schreibt Martin Amis, was sich wie ein Nachruf zu Lebzeiten auf Christopher Hitchens liest - oder wie ein letzter Liebesgruß: "Christopher is one of the most terrifying rhetoricians that the world has yet seen. Lenin used to boast that his objective, in debate, was not rebuttal and then refutation: it was the 'destruction' of his interlocutor. This isn't Christopher's policy - but it is his practice."

In Slate zeigt sich Hitchens selbst kämpferisch wie eh und je. "Go after Qaddafi", fordert er die Nato auf: "I have heard it argued that the pursuit of Qaddafi runs the risk of civilian casualties, as I presume in theory it must do. But the failure to target him most certainly means a steady and continuous and increasing flow of civilian deaths. To refuse to soil our hands with this homicidal lunatic is an odd way of keeping them clean."

FR, 27.04.2011

Hans-Jürgen Linke führt ein ausführliches Gespräch mit dem innovativen Intendanten der Lyoner Oper, Serge Dorny: "Mein Ideal wäre, dass die ganze Stadt sich als Eigentümer der Oper fühlt." Hans-Jürgen Linke fragt in der Kolumne "Times mager", wie man Lebewesen, die einem mit Pollen die Augen und Nasen verstopfen, als friedfertig ansehen kann. Auf der Medienseite unterhält sich Ulrike Simon mit dem Sprachkritiker Wolf Schneider.

Besprochen werden die Ausstellung "Mondrian und De Stijl" in München und Bücher, darunter Tristram Stuarts Streitschrift "Für die Tonne - Wir wir unsere Lebensmittel verschwenden" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Welt, 27.04.2011

Es gibt in China durchaus Proteste gegen das staatsoffizielle Verschwindenlassen Ai Weiweis, berichtet China-Korrespondent Johnny Erling. Sie formieren sich in sozialen Netzwerken: "Gefahr droht der Pekinger Führung nicht von den großen, sondern von den im Chinesischen 'Weibo' genannten kleinen Medien, den erst vor zwei Jahren als Antwort auf die verbotenen sozialen Interaktionsformen wie Twitter geschaffenen Mikoblogs. Sie funktionieren twitterähnlich und erlauben nur 140 chinesische Zeichen. Sie laufen auf einem halben Dutzend Internetportalen wie Sina, Sohu, Tencent oder Tom. Peking kann sie nicht abschalten lassen, weil sich auch Zehntausende Unternehmen, Regierungs- und Parteistellen Mikroblog-Plattformen zulegen."

Weitere Artikel: Mara Delius erzählt, dass die amerikanische Armee mithilfe von Ethnologen für eine kultursensible Kriegsführung in Afghanistan und dem Irak sorgen. Harald Peters porträtiert den jungen britischen Popstar Jamie Woon (Musik). Andreas Rosenfelder fragt angesichts der vom Chaos Computer Club ersonnenen Idee der "Kulturwertmark" (mehr hier): "Sind die Koffeindrinks ausgegangen?" Dankwart Guratzsch besuchte eine Tagung über "die Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt" (Programm als pdf-Dokument), die der allerneuesten Erkenntnis Rechnung trug, dass der Trend zu Suburbia gebrochen ist und schon wegen der alternden Bevölkerung eine Rückkehr zur Stadt ansteht. Alan Posener ist sauer über den Verbleib Sarrazins in der SPD. Hannes Stein hat beim Tribeca-Festival in New York einen Dokumentarfilm über die Klitschko-Brüder gesehen.

Auf der Medienseite publiziert Julia Smirnova ein kleines Denkstück über das von Unterdrückung und Willkür lädierte Gedächtnis der Russen.

NZZ, 27.04.2011

Ulf Erdmann Ziegler amüsiert sich über die Vertracktheiten der Energiewende: "Dabei ist Bio nicht Öko. Wer sein Haus von aussen isolieren lässt, spart dann zwar Energie, hat es aber möglicherweise mit Tonnen von Schadstoffen beladen." Joachim Güntner berichtet von den mauen Reaktionen, mit denen Entwurf zum Berliner Einheitsdenkmal aufgenommen wurde.

Besprochen werden David Pountneys Inszenierung von Verdis "Un Ballo in maschera" am Opernhaus Zürich, Peter Stephan Jungks Roman "Das elektrische Herz", Evelyn Grills "Das Antwerpener Testament" sowie gleich drei Steiner-Biografien (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

SZ, 27.04.2011

Franziska Augstein gratuliert dem Satiriker Peter Ensikat zum Siebzigsten. Der Historiker und neue Leiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, Andreas Wirsching, denkt darüber nach, wie der Islam im Rahmen eines "kulturellen Anverwandlungsprozesses" ein Teil von Europa werden kann. Inga Rahmsdorf stellt den spanischen Fotografen Gervasio Sanchez vor, der seit 25 Jahren die Angehörigen von Verschwundenen porträtiert. Wann werden die Deutschen über das Internet als Realität diskutieren, fragen Michael Moorstedt und Jan Füchtjohann und blicken neidvoll auf die lebhaften Debatten im englischsprachigen Raum.

Besprochen werden Francis Lawrences Film "Wasser für die Elefanten" mit Christoph Waltz und Robert Pattinson, Philipp Preuss' Inszenierung von Molieres "Der Geizige", zwei Ausstellungen belgischer Künstler - die Luc-Tuymans-Retrospektive im Bozar in Belgien und Michaal Borremans' "Eating the Bird" im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart und Bücher, darunter ein Band über Denkmalspflege (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 27.04.2011

In zwei kurzen Texten, die einer Marbacher Ausstellung zum Begriff des Schicksals entstammen, begegnen sich auf der ersten Feuilletonseite Botho Strauß und Arno Geiger eher als Fremde. Botho Strauß schreibt über die Sprache, Heidegger, Adorno und raunt so: "Es geschieht jedesmal etwas wie Schrecken und Reinigung, wo in der Sprache tief genug abgeteuft und ein verborgenes Vorkommen erreicht wird." Bei Geiger fallen die Zeilen gedichtlich und es geht um den fußballspielenden Vater: "Mein Vater ist Gründungsmitglied des FC Wolfurt 1947, er hat dort / als linker Außenläufer in der Kampfmannschaft gespielt"

Weitere Artikel: Gina Thomas nimmt Einblick in die nun veröffentlichten Geheimdienstdokumente aus den Fünfzigern, die "Pikantes" über die indiskretionsfreudigen Londoner Kreise um den Kritiker Cyril Connolly verraten. Künstlerisch überzeugend findet Jürg Altwegg die neun Laternen, die in Genf an den Genozid an den Armeniern erinnern sollen - die Türkei reagiert, wie nicht anders zu erwarten, erbost. Auf der DVD-Seite werden unter anderem Editionen von Peter Brooks "Moderato Cantabile" mit Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo sowie zwei DVDs, "Kinski talks", die den Schauspieler zeigen, wie er tobte, leibte und lebte. Auf der Medienseite kennt Detlef Borchers Hintergründe zur anders als von Wikileaks geplant verlaufenen Veröffentlichung der Guantanamo-Protokolle. Und Michael Hanfeld fragt, wozu die Öffentlich-Rechtlichen nun auch noch einen Jugendkanal brauchen.

Besprochen werden die Ausstellung über Fotografie und die Präraffaeliten "Une ballade d'amour et de mort" im Musee d'Orsay in Paris, Kenneth Branaghs Superheldenfilm "Thor" und Bücher, darunter Ulrike Grunewalds Hintergrundliteratur zu einem viel beachteten Ereignis "William & Kate" (allerdings bleiben für Ernst Horst Fragen offen: "Welches Label trägt die Schrotflinte des Prinzen? Kann Kate eigentlich reiten?" - mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).