Heute in den Feuilletons

Hola, das gibt eine Öko-Bilanz!

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.12.2012. Die Berliner Zeitung fragt: Ist der Tunnel unter der Staatsoper in Wahrheit ein Abgrund? Die Welt schildert die Schwierigkeiten der Stadt Mainz mit der Renovierung ihres Rathauses.Die NZZ porträtiert den makedonischen Schriftsteller Nikola Madzirov. Die Columbia Journalism Review präsentiert deprimierende Grafiken über Zeitungseinnahmen aus Online und aus Print. Die SZ feiert Honoré Daumier.

Welt, 05.12.2012

Wie geht man mit denkmalgeschützten Gebäuden aus dem 20. Jahrhundert um, die oft absichtlich - weil es schnell gehen und billig sein musste - nicht für die Ewigkeit gebaut wurden? Über diese Frage streitet man gerade in Mainz, berichtet Dankwart Guratzsch, wo dem vor vierzig Jahren gebauten Rathaus von Arne Jacobsen der Abriss droht, so marode ist es. Die Renovierung würde 50 Millionen Euro kosten, die die Stadt nicht hat. Soll man eine Nachkonstruktion bauen, wie es Architekten und Denkmalschützer vorschlagen? "Aber auch diese - kaum realistische - Vorstellung gerät in Konflikt mit den simpelsten Nutzungsanforderungen. Denn Jacobsen, dem lange der Ruf vorausging, ein 'Funktionalist' zu sein, hat ein bunkerartiges Gebäude der Intransparenz geschaffen: niedrige Decken, enge Treppenhäuser, lichtlose Säle. Abgeordnete und Parteienvertreter räumten in der öffentlichen Debatte ein, dass es Situationen 'zum Fürchten' gebe..."

Weitere Artikel: Hans-Joachim Müller bereitet uns auf eine vom Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann geschminkte Nofretete vor, die heute abend in der Neuen Nationalgalerie in Berlin enthüllt wird. Hanns-Georg Rodek findet es völlig okay, dass in Ingmar Bergmans Filmregal für seine permanente Sammlung neben Wilder, Tarkowski und Buñuel auch die "Blues Brothers" und "Die Hard" saßen. Alan Posener nennt die Art der Umverteilung in Abu Dhabi "rassistischen Kommunismus" und hofft, dass der Westen bald vom Öl unabhängig wird. Jörg Taszman berichtet über die letzten beiden Filme von Nikita Michalkow, beides Fortsetzungen seines Oscar-Gewinners "Die Sonne, die uns täuschte" und beides Misserfolge beim Publikum. Elmar Krekeler empfiehlt Connie Walthers Fernsehfilm "Zappelphilipp" heute abend in der ARD.

Berliner Zeitung, 05.12.2012

Zumindest auf dem Papier sind die Berliner Virtuosen des Kostensparens. Sie schaffen es zum Beispiel bei den Renovierungsarbeiten für die Staatsoper im Rahmen zu bleiben, weil sie die Kosten für die Garderobe (4,7 Millionen Euro) vorerst in einen anderen Etat ausgelagert haben, erzählt Birgit Walter. Toll wird auch der Tunnel, in dem künftig die Kulissen hin- und hergeschoben werden: "Die Betriebskosten der sanierten Oper steigen um eine Million Euro. Das superteure Tunnelbauwerk braucht eben viel Energie. Und was es kostet, künftig die Bühnenbilder mit Spezialfahrzeugen aus einem fernen Lager heranzuholen, danach hat noch keiner gefragt. Hola, das gibt eine Öko-Bilanz!"
Stichwörter: Bühnenbild, Oper, Virtuosen, Eta

NZZ, 05.12.2012

Jan Koneffke porträtiert den makedonischen Schriftsteller Nikola Madzirov, dem er zum ersten Mal vor neuen Jahren begegnete: "Sich mit ihm zu unterhalten, war ein Vergnügen. Wir sprachen über die Welt der Poesie und die Weltliteratur, über Kundera, Calvino, Tranströmer, junge und alte Philosophen, zeitgenössische Künstler - für sein Alter war er fast einschüchternd gebildet -, nicht zuletzt über europäische und balkanische Grenzerfahrungen. In allerletzter Minute hatte er das Visum für Slowenien erhalten. Und einige Monate zuvor war ihm fast die Einreise nach Griechenland verweigert worden."

Weiteres: Joachim Güntner fürchtet, dass das neue Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt eher auf die Interessen der Industrie zugeschnitten sein könnte als auf die der Philosophie. Besprochen werden die große Klangkunst-Ausstellung "Sound Art" im ZKM in Karlsruhe, Florian Illies' Geschichtsrevue "1913" und eine Kiste Kinderbücher (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Weitere Medien, 05.12.2012

(Via Performance Today) Annamia Erikson spielt den Hornruf aus "Siegfried":


TAZ, 05.12.2012

Thomas Ebermann (Ex-KB, Ex-Grüner) spricht im Interview mit Sonja Vogel über sein Stück "Der Firmenhymnenhandel", das sich an den Blödheiten der Corporate Identity weidet: "selbst Weltkonzerne sind unter jedem Niveau. Bei den Hymnen von VW oder dem Henkel-Konzern staunt man, zu welch trivialer Geschmacklosigkeit die bereit sind."

Weitere Artikel: Brigitte Werneburg berichtet von der Verleihung des Turner Prize an die Videokünstlerin Elizabeth Price. Joachim Lange erzählt, wie die Inszenierung des "Ring" in Buenos Aires nach dem Eklat um Katharina Wagner zu einem guten Abschluss kam. Und Medienkriegsreporterin Silke Burmester empfiehlt dem Spiegel vielleicht doch mal Frauen als Leserinnen in Betracht zu ziehen.

Und Tom.

Weitere Medien, 05.12.2012

(Via Dirk von Gehlen) Ryan Chittum präsentiert in einer vehementen Verteidigung von Paywalls auf den Websites von Zeitungen in der Columbia Journalism Review die beiden folgenden Statistiken. Die erste zeigt die Einnahmen der Zeitungen aus Online-Werbung, die zweite die Einnahmen, die im Print erzielt werden. Mehr zu dieser Debatte auch auf Gigaom.
Stichwörter: Gigaom, Paywalls, Zeitungen

FAZ, 05.12.2012

Andreas Platthaus liest schon auf Französisch Jacques Tardis neuen Comic "Moi, René Tardi", in dem dieser die Erfahrungen seines Vaters als Kriegsgefangener in Deutschland verarbeitet hat. Hannes Hintermeier greift Meldungen über Tropenholz im Papier deutscher Kinderbücher auf. Mark Siemons berichtet, dass die Konfuzius-Institute in der ganzen Welt über großzügige Stipendienvergabe dafür sorgen wollen, dass Sinologie-Studenten "China lieben und China verstehen", so wie sie es verstehen. Oliver G. Hamm begutachtet den Entwurf des deutschen Architekten Stephan Braunfels für das Kulturzentrum für Zhangzhou.

Besprochen werden Open von Elliott Carter und Mathis Nitschke in Montpellier, Fatih Akins Dokumentarfilm "Müll im Garten Eden" (mehr hier), ein Konzert Claudio Abbados und seines Orchestra Mozart Bologna, die mit Bach auf Tour sind und Bücher, darunter Simon Reynolds' Essay "Retromania" über die Frage, warum die neueste Popmusik so alt klingt (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 05.12.2012

Willibald Sauerländer jubelt über den Schatz, den Brigitte und Walter Kames der Staatlichen Grafischen Sammlung München in Form einer umfangreichen Sammlung von Lithografen des Karikaturisten Honoré Daumier überlassen haben und der nun in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen ist. Für Sauerländer wirft diese Sammlung auch ein nicht gerade gutes Licht auf heutige Karikaturen: "Was ist aus der Karikatur geworden? Heute scheint sie kaum mehr eine Rolle zu spielen. In der digitalisierten Informationsgesellschaft lassen sich die politische Agenda und die Finanzspekulation nicht mehr physiognomisch charakterisieren. Die neue Öffentlichkeit hat kein Gesicht mehr."

Weiteres: Alexander Menden berichtet von Protesten einiger Künstler bei der Turner-Preisverleihung gegen Kürzungen des britischen Kulturhaushalts. Christine Dössel betrauert den unerwartet verstorbenen Schauspieler Jeroen Willems. Karl Bruckmaier gratuliert Little Richard zum 80. Geburtstag. Hier eine nicht ganz so alte Live-Aufnahme:



Besprochen werden neue Pop-Veröffentlichungen, Joe Wrights Kostümfilm "Anna Karenina" ("kaum mehr als ein putzmunteres Wachsfigurenkabinett", meint Christopher Schmidt) und Bücher, darunter Irena Breznás Roman "Die undankbar Fremde" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).