Heute in den Feuilletons

Jubel für andere Beteiligte

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.08.2013. Neues aus der Unentrinnbarkeit: Der Guardian hat NSA-Dokumente veröffentlicht, demnach kann die NSA alles überall, und zwar gleich jetzt abhören, erläutert Spiegel Online, Frontal 21 bringt Neues über deutsche Aktivitäten. Die Zeit gibt Entwarnung: Auch als Totalüberwachter kann man schließlich weiter surfen. Felix Schwenzel staunt auf wirres.net: Stell dir vor, es ist LSR und keiner nimmt es wahr. Sind die Buhs nach der Bayreuther "Götterdämmerung" inzwischen verebbt? Nachtkritik berichtet quasi live. In der FAZ mahnt Rainer Merkel: Ein Westen, der nicht untätig zuschaut, während die syrische Opposition massakriert wird, macht sich schuldig.

Weitere Medien, 01.08.2013

Glenn Greenwald hat im Guardian weitere Papiere aus dem Fundus Edward Snowdens veröffentlicht. Christian Stöcker und Konrad Lischka haben auf Spiegel Online aufgearbeitet, was es mit dem Programm XKeyscore auf sich hat: "Geheimdienstmitarbeiter können danach in 'enormen Datenbanken' der NSA nach Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Schlagworten suchen. Für die einzelnen Anfragen bräuchten sie keine gesonderte Zustimmung eines Richters oder eines anderen NSA-Mitarbeiters, schreibt der Guardian. Auch die Beobachtung der Internetaktivität einzelner Internet-Nutzer sei mit XKeyscore in Echtzeit möglich." (Nachtrag: hier die Langversion des Artikels)

(via Netzpolitik) Der deutsche Staat hat über 200 amerikanische Firmen in Deutschland mit Sonderrechten ausgestattet, damit die hierzulande nachrichtendienstlich arbeiten können, berichtete vorgestern das ZDF-Magazin Frontal 21. Zu diesen Firmen gehört auch Level 3 Communications, ein Tier-1 Internet-Provider aus den USA, der in Frankfurt sitzt. "Über die Hälfte des weltweiten Datenverkehrs läuft über seine Kabel." Ein anonymisierter Mann erklärt in dem Beitrag, ein Freund, der bei Level 3 gearbeitet habe, habe ihn einmal in die Firma mitgenommen und erklärt, 'das sei eine zentrale Stelle zum Abhören aller Telefonate in Süddeutschland. Er zeigte mir zwei Arbeitsplätze, große Schreibtische mit Monitoren vor Schränken mit Datenspeichern. Er erklärte mir, dass in den Schränken praktisch jedes Telefongespräch, auch von mobilen Geräten aufgezeichnet würde. Hier sitzt das FBI und da der Geheimdienst, behauptete er. Auf meine Frage, was die machen, sagte er, es gehe vor allem um das Abhören von großen Industrieunternehmen.' Auf Nachfrage schweigt Level 3 zu diesen Vorwürfen und erklärt, man halte sich an die geltenden amerikanischen Gesetze." Hier der ganze Beitrag:



NZZ, 01.08.2013

Die NZZ begeht heute die Bundesfeier.

Freitag, 01.08.2013

Hanns Zischler, Schauspieler und Autor des Berlin-Buchs "Berlin ist zu groß für Berlin", erklärt im Gespräch mit Michael Girke die Gründe für die unheilbare Gigantomanie der Stadt: "Hier herrscht ein Desinteresse an der eigenen Historie. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass man fortwährend sagt: Gut, ziehen wir das nächste Projekt durch, machen alles noch größer. Wenn dann noch, wie am Beispiel der Hohenzollern erwähnt, eine fehlgeschaltete Psychologie hinzukommt, dann geht es komplett daneben."

Außerdem überprüft Klaus Raab die Positionen von Peer Steinbrücks Netzexpertin Gesche Joost und ist am Ende nicht ganz überzeugt. Im letzten Freitag hatten wir einen Artikel der Romanistin Eva Erdmann über den grassierenden Notenwahnsinn an der Bologna-Universität übersehen.

Im Aufmacher des Freitag stellt Jakob Augstein die bange Frage, ob Journalisten die Bergleute der Gegenwart seien. Lisa Rüffer widmet der Frage ein zweiseitiges Dossier.

Welt, 01.08.2013

Hannes Stein liest das Buch "Zealot: The Life and Times of Jesus of Nazareth" des muslimischen Religionswissenschaftlers Reza Aslan, der Jesus als historische Gestalt betrachtet und durch ein Interview mit dem Sender Fox News eine gewisse Bekanntheit erlangte. Gerhard Gnauck erinnert an den Warschauer Aufstand, der auf den Tag genau vor 59 Jahren begann und dessen in Comics, aber auch bitterensten Geshichtsdebatten gedacht wird. Besprochen wird James Wans Film "The Conjuring - Die Heimsuchung".

Aus den Blogs, 01.08.2013

Die Rocketnews zeigen zehn unglaublich kleine, aber erstaunlich bewohnbare Häuser in Japan. Links im Bild das Moriyama-Containerhaus.

Vor vier Jahren hat Felix Schwenzel auf wirres.net erstmals über die Forderungen der Pressehierarchen nach Leistungsschutzrechten für das von ihnen verwaltete geistige "Eigentum" geschrieben. Nachdem sie nun erfochten wurden, "wundere ich mich aber umso mehr, dass die verlegerverbände und die verleger auch nach vier jahren vorbereitungszeit so unvorbereitet vom leistungsschutzrecht getroffen wurden, dass sie ihre maximalforderungen noch für ein paar monate oder jahre auf eis legen und 'vorerst' auf ansprüche verzichten und sich weiterhin unentgeltlich bei google news auflisten lassen."

Ohje, ob das klappen wird mit den kostenpflichtigen Angeboten bei bild.de? turi2 meldet unter Bezug auf Horizont: "Pay-TV-Anbieter Sky spuckt dem Springer-Konzern in die Suppe und macht Bundesliga-Highlights auch für Fans zugänglich, die keine Pay-TV-Abonnenten sind - und zwar billiger und früher als Bild.de."

TAZ, 01.08.2013

Als "klamaukhaft" und "dilettantisch" bezeichnet der Historiker Michael Wolffsohn in einem Gespräch die Kopfgeld-Kampagne des Simon-Wiesenthal-Zentrums, die auf Plakaten 25.000 Euro Belohnung für Hinweise auf noch lebende NS-Täter auslobt. "Es ist den Opfern gegenüber pietätlos, solch eine kleine Summe auszuschreiben. Es ist die geldliche Quantifizierung der Ermordeten. Sind dem Wiesenthal-Zentrum die Toten nicht mehr wert? Fast alle Täter und Opfer sind verstorben, wir brauchen weiter eine intensive Aufarbeitung der Vergangenheit und keine Nachhilfe des amateurhaften Wiesenthal-Zentrums aus Jerusalem und Los Angeles."

Weitere Artikel: Michael Hardt gratuliert dem italienischen Philosophen Toni Negri zum 80. Geburtstag. Daniel Schreiber ventiliert in seiner losen alkohlfreien Kolumne die Auffassung, Alkoholgenuss sei etwas Historisches. Rudolf Walther informiert darüber, warum in der Schweiz am heutigen Nationalfeiertag Festfreude nicht so recht aufkommen will: der "helvetischen Lebenslüge Bankgeheimnis" geht es per Gesetz an den Kragen. Auf den Wirtschaftsseiten berichtet Julia Lauter über die Alternativgesellschaft C3S, mit der Musiker und Produzenten das Monopol der Verwertungsgesellschaft Gema brechen wollen; das Startkapital für eine "faire Alternative", die eine "Kultur der freien Inhalte stärken" soll, sei so gut wie zusammen. Auf der Medienseite gibt Daniel Bouhs einen kurzen Überblick über die konkreten Folgen des heute in Kraft tretenden neuen Leistungsschutzrechts, das Zeitungen ermächtigt, bei Google und Co die Hand aufzuhalten: vorerst seien sie demnach (noch) nicht allzu gravierend, zumindest für Google nicht.

Besprochen werden der streng geometrisch komponierte Spielfilm "Halbschatten" von Nicolas Wackerbarth und das Buch "Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei" der Frankfurter Politologin Anil Al-Rebholz (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Und Tom.

Perlentaucher, 01.08.2013

Der Horrorfilm "The Conjuring" von "Saw"-Regisseur James Wan ist der Überraschungshit der Saison. Thomas Groh beschreibt ihn in der Perlentaucher-Kinokolumne als "eine Art gediegenes Coffetable-Book für den Connaisseur des okkulten Horrorfilms der 70er Jahre. Und nicht zuletzt beherrscht Wan sein inszenatorisches Handwerk soweit mit Bravour, dass er weiß, dass ein Gruselfilm vor allem von zwei zentralen Basics des Filmemachens lebt: Kameraposition und Timing."

Im zweiten Text empfiehlt Jochen Werner die DVD-Filmsammlungen des Labels lowave zum zeitgenössischen afrikanischen Experimentalfilmschaffen.
Stichwörter: Filmsammlung, Horrorfilm, 1970er

Aus den Blogs, 01.08.2013

Tja, gestern war Götterdämmerung in Bayreuth, und das Publikum äußerte in krasser Buh-Schreierei seine Meinung über die "Ring"-Inszenierung Frank Castorfs, der aber kein Problem damit zu haben schien, schreibt Wolfgang Behrens auf nachtkritik.de: "Schließlich bleibt Castorf - und mit ihm seine Mannschaft - einfach stehen: In leicht schräger Haltung und mit geradezu andächtiger Miene lauscht er unbewegt in die nicht abebbenden Buhs hinein. Das geht quälende zwei, drei, fünf Minuten lang, längst ist es ein Kampf zwischen ihm und den Wagnerianern geworden. Wie zur Erlösung öffnet sich dann der Vorhang und gibt den Blick aufs nun dort versammelte, frenetisch gefeierte Orchester frei. Doch noch immer bleibt der Regisseur und verneigt sich, sobald Jubel für andere Beteiligte aufbrandet, ironisch mit und heizt den Zorn des Publikums so noch weiter an."

Zeit, 01.08.2013

Überwachungsstaat? Der amerikanische Netzpolitiker Alec Ross gibt Heinrich Wefing im Interview Entwarnung: "Netzfreiheit ist definiert als die Freiheit, ins Netz zu gehen, die besuchten Websites frei zu wählen, und die Freiheit, im Netz mit anderen zu kommunizieren. Nichts davon wird durch die Existenz eines Überwachungsprogramms beeinträchtigt." (Genau, irgendwann merkt der Hund ja auch nicht mehr, wenn er an der Leine läuft)

Im Feuilleton erzählen Bodo Mrozek, Thomas E. Schmidt und Adam Soboczynski auf zwei Seiten den Streit um die Suhrkamp-Führung zwischen Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkéwicz als Familiendrama und Wirtschaftskrimi, dem gemäß Barlach als letzter Kämpfer einer Quadriga übrig ist, deren verwegener Übernahmeplan nicht aufging: "Wenn man der Geschichte eine Moral abringen möchte, dann nur eine finstere: Es gab und gibt in diesem Konflikt keine Lösung, keinen Kompromiss, kein Einvernehmen. Es wird nur ein Ende geben, indem eine der Parteien besiegt wird oder kapituliert."

Weiteres: "Seine Musik ist wie Kiffen, nur viel intelligenter", schreibt Bernd Ulrich in seinem Nachruf auf J. J. Cale. Marie Schmidt besucht den Punkrock-Pionier Richard Hell in New York. Werner Bloch berichtet vom systematischen Abriss historischer Kulturstätten in Mekka, befördert vom puritanischen Wahabitismus, dem die Verehrung selbst der eigenen Kulturstätten suspekt ist: "Seit der chinesischen Kulturrevolution hat es solche massiven Zerstörungen nicht mehr gegeben." Volker Hagedorn zeigt sich enttäuscht vom Auftakt der Salzburger Festspiele. In der monatlichen Krimi-Bestenliste schießt Dominique Manottis Roman "Zügellos" von 0 auf 1.

Besprochen werden der Film "Frances Ha" (dem Anke Leweke begeistert eine "stille Wucht" attestiert, online steht dazu ein Interview mit Regisseur Noah Baumbach), Frank Castorfs "Ring"-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen (über deren konzeptionelle "grässliche Wurstigkeit" sich Christine Lemke-Matwey ärgert) und Bücher, darunter Silvia Bovenschens Roman "Nur Mut" (mehr in unserer Bücherschau heute um 14 Uhr).

Im Wirtschaftsteil wird der überraschende Verkauf zahlreicher Springer-Produkte an die Funke-Mediengruppe aufgearbeitet: Alina Fichter erläutert die Strategie des Springer-Konzerns weg vom Printjournalismus und hin zum renditestarken Online-Rubrikengeschäft, Hanns-Bruno Kammertöns und Kilian Trotier rätseln über die Strategie der Funke-Gruppe. Das Dossier dreht sich um die problematische Nähe von Wirtschaft und Wissenschaft in Form von Auftragsstudien und privatwirtschaftlich finanzierten Instituten.

SZ, 01.08.2013

Richard Beck denkt in seinem Hintergrundartikel über die aktuellen Debatten um Porno-Filter in Island und Großbritannien darüber nach, "ob die Anhänger des Pornoverbots nicht bloß auf schnelle Lösungen aus sind, statt für tief greifende politische und soziale Veränderungen zu kämpfen. Natürlich spiegeln und verstärken Pornos den Sexismus in der Gesellschaft. Aber das tun auch die Sportschau, rosa Prinzessinnen-Kinderbücher, der rechte Flügel der republikanischen Partei und die Oscar-Moderation des Komikers Seth MacFarlane."

Hollywood bereitet sich auf eine Erde ohne Menschen vor, beobachtet Philipp Stadelmeier beim Durchsehen der jüngsten Apokalypse-Blockbuster. Jedoch: "Anstatt Apokalypse mit Zeigefinger zu machen, wetteifert die voranschreitende Animationstechnik eher mit der Schöpfung selbst und schafft posthumane Bilderwelten, die sich von den Geschichten und Geschicken der Menschen emanzipiert haben."

Weitere Artikel: Bernd Graff spricht mit der Internetaktivistin Juliana Rotich, die einen Notstromgenerator für den eigenen Internetzugang gebaut hat, der die nairobischen Onliner unabhängiger von den Stromausfällen im Land machen soll. Entsetzt blättert sich Hilal Sezgin durch das Programm des vom Mutterunternehmen Manufactum mittlerweile losgelösten Ablegerverlags Manuscriptum, in dem sich offenbar eine beachtliche Menge homophober, antifeministischer, revisionistischer, rassistischer und demokratiefeindlicher Schriften tummelt.

Besprochen werden das Videospiel "The Last of Us", die CD-Box "Elvis at Stax", der Politthriller "Die Moebius Affäre", das in Salzburg aufgeführte Animationstheater "The Animals and the Children took to the Streets" des Ensemble 1927 (schöne Eindrücke davon hier) und Jonathan Sperbers große Marx-Biografie (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 01.08.2013

Was hat der Westen in Syrien zu suchen? Nichts, findet der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der jede Parteinahme für die Rebellen scharf kritisiert. Der Westen habe "schwere Schuld" auf sich geladen, als er die Opposition unterstützte: "Aber ob man denn (...) im Ernst behaupten wolle, nach Assads brutalem Zuschlagen gegen friedliche Demonstranten seien diese noch immer verpflichtet gewesen, friedlich zu bleiben, militärische Gegengewalt zu unterlassen und damit die Fortdauer der Tyrannei hinzunehmen? Ja, ebendies. Regime wie das Assads sind eine Geißel ihrer Völker. Aber Bürgerkriege sind eine schlimmere."

Weitere Artikel: Im Gebaren der Staatsanwaltschaft im Fall Manning sieht Jordan Mejias eine Warnung an "alle Journalisten im investigativen Gewerbe und alle Leuten, die mit ihnen sprechen". Für ein "verdientes Revival" hält es Thilo Wydra, dass das Bildformat von May Spils' Schwabinger Kultfilm "Zur Sache Schätzchen" beim Restaurieren "neu justiert und korrigiert" wurde (unseren Filmkritiker Thomas Groh packte bei dieser staatlich finanzierten Filmrestauration mit der Schere unterdessen die blanke Wut: "Wer solche Manöver stolz als Filmrestaurierung verkauft, tritt Filmgeschichte mit Füßen."). Kerstin Holm flieht vor der Hitze in Moskau aufs Land.

Dumm gelaufen, das mit dem heute geltenden Leistungsschutzrecht. Missmutig stellt Josh Groeneveld auf der Medienseite fest, dass sich im Fall Google zwar, wie zu erwarten, so gut wie nichts ändert, dass das Leistungsschutzrecht aber, wie gewarnt wurde, "an anderer Stelle - genau dort, wo es dies eigentlich nicht tun sollte - bei Blogs und kleineren Aggregatoren" wirkt, so etwa bei Rivva (hier eine geknickte Stellungnahme). Bittere Ironie: Gerade mit Rivva ist die Süddeutsche kürzlich noch eine Partnerschaft eingegangen.

Besprochen werden eine Ausstellung über experimentelles Schuhdesign im Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig, Noah Baumbachs Film "Frances Ha", die DVD-Premiere des japanischen Animationsfilm "Ame & Yuki" und Bücher, darunter Patrick Modianos Roman "Der Horizont" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).