Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.04.2003. Die FAZ würdigt das lyrische Gesamtwerk von Donald Rumsfeld. In der FR bezweifelt Tahar Ben Jelloun, dass ein Fundamentalist die Freiheit retten kann. Die NZZ zieht Parallelen zur Antike. Die taz bemerkt einen Stimmungsumschwung bei Al Dschasira. Die SZ fragt nach den Chancen einer irakischen Emigrationsregierung.

NZZ, 08.04.2003

Rudolf Stamm resümiert die italienische Debatte zum Irak-Krieg: " In Italien lag die Versuchung nahe, Parallelen mit der Antike zu suchen, mit der Zeit, da sich Rom zur Hauptstadt eines Imperiums entwickelte... Der Corriere della Sera fragte den Latinisten Luca Canali, mit welchem römischen Strategen George W. Bush zu vergleichen sei. Damals, so lautete die Antwort, seien alle Heerführer gebildete Männer gewesen, die überdies ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hätten."

Andrea Köhler denkt über die Bilder des Schmerzes in diesem Krieg nach und beweist mit folgender Vermutung, dass sie offensichtlich nicht musikalisch ist: "Offenbar ist das Auge für die Identifikation mit den Opfern - oder den Tätern - empfänglicher als das Ohr."

Weitere Artikel: Roman Hollenstein meldet, dass Jorn Utzorn den Pritzker Preis bekommt. Thomas Maissen bespricht eine Ausstellung, zwei Publikationen und ein Ritterspiel zur 650-Jahr-Feier des Berner Bunds (mehr hier). Weitere Besprechungen gelten einer Andre-Masson-Retrospektive in Darmstadt, Glucks "Armide" im Luzerner Theater, einem Konzert des Hugo-Wolf-Quartetts in Zürich und Büchern, darunter einer kritischen Wilhelm-Busch-Ausgabe.

FR, 08.04.2003

Der in Paris lebende marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun ("Papa, was ist der Islam?", mehr zum Autor hier) erinnert noch einmal an frühere amerikanische "Interventionen" und deren fragwürdige Folgen: "Ganz gleich was sich die internationale Justiz erhofft, Pinochet wird in seinem Bett sterben. Kissinger ebenfalls. Und nun will Bush also die Demokratie in Irak und der arabischen Welt einführen. Seltsame Demokratie, die mit Tonnen von Bomben und Explosionen auf Wochenmärkten über das Land kommt. Amerika verliert den Verstand. Die Nation weiß nicht mehr, wo ihr Herz und ihre Seele sind. Und der Glaube eines Fundamentalisten, der vor jeder Konferenz betet, wird sie nicht retten."

Weitere Artikel: Petra Kohse erklärt, inwiefern in Zeiten von e-bay "Konsum nicht als Endstufe des Warentausches zu begreifen (sei), sondern als Zwischenstadium" und das "eindeutig eine Emanzipation" bedeute. "Ein Surren wie von tausend Hummeln auf Speed" vernahm Daniel Horowitz auf der "11. Tatoo Convention" in Frankfurt. In der Kolumne Times mager kommentiert "U.Sp." den ersten Spatenstich zum Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Und auf der Medienseite porträtieren Stefan Behr und Markus Brauck die beiden ARD-Reporter Christoph Maria Fröhder und Stephan Kloss, die derzeit aus Bagdad berichten. Sie machten zwar denselben Job, "das aber völlig unterschiedlich".

Besprochen werden schließlich eine Inszenierung der "Salome" an der Deutschen Oper Berlin und "das Weltwissen eines Popfans", Nick Hornbys Buch "31 Songs".

TAZ, 08.04.2003

Selim Nassib erzählt in seinem al-Dschasira-Tagebuch heute vom allmählichen "Wandel im Tonfall" der Berichterstattung: "Der Sender steht immer noch an der Seite der Zivilbevölkerung und nährt die Identifikation der arabischen Welt mit ihr. Aber die Vorwürfe gegen das Regime von Saddam werden jeden Tag deutlicher."

Stefan Heidenreich denkt über den Krieg und seine Nachrichten nach. "Die Nachrichten des Krieges haben nicht die Aufgabe, Ereignisse wiederzugeben. Im Krieg bestimmt die jeweilige Lage das, was gesagt und gezeigt wird."

Unterm Strich wird schließlich noch eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft "Sprache in der Politik" und deren Vorsitzenden Armin Burkhardt gemeldet, als Zeichen des Protests fürderhin statt amerikanischer Begriffe deren "französische Pendants" zu benutzen - also besser "'Billet' statt 'Ticket' und 'Karton' statt 'Box' zu sagen". Die taz kommentiert die Meldung folgerichtig: "Eine Antwort auf die berechtigte Frage, ob man sich mit derlei Blockwart-Allüren nicht auf das 'Niveau' jener Amerikaner begibt, die ihre 'french fries' neuerdings in 'freedom fries' umbenennen, blieb Burckhardt schuldig." Den Aufruf und die Liste mit weiteren Ersatzwörtern finden Sie trotzdem hier.

Marc Peschke stellt die Ausstellung "Winnetou und sein roter Bruder" über den Indianerfilm in Ost und West im Frankfurter Filmmuseum vor, ansonsten werden Bücher besprochen, darunter Gerd Fuchs' historischer Roman "Die Auswanderer", gleich drei Lyrikbände - von Charles Bukowski (hier), dem "vergessenen" amerikanischen Dichter Charles Reznikoff (hier) und von Michael Lentz (hier), sowie zwei Krimis von Uwe Kolbe (hier) und Robert Brack (hier). (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr)

Und hier Tom.

FAZ, 08.04.2003

Die FAZ übernimmt eine Trouvaille des Online-Magazins Slate: Dort hat man bemerkt, dass der US-Verteidigungsminister Rumsfeld, so unbeliebt er sein mag, zu sprachlichen Verdichtungen fähig ist, die Äußerungen aus seinen Pressekonferenzen als Gedichte erscheinen lassen, sofern man ihnen nur den richtigen Zeilenfall angedeihen lässt. Frank Schirrmacher schreibt dazu: "Es erhebt sich Europa: Die Schule des Zweifels, der Skepsis, der Verunsicherung, der Angst zeigt sich blitzschnell hinter dem Mann, der sich doch soeben als Feind des 'alten Europa' populär gemacht hat. In Wahrheit erkennen wir: Rumsfeld wird von allen Furien des alten Europa gejagt. "

Wir übernehmen als Beispiel das philosophische Lehrgedicht "The Unkown":

The Unknown

As we know,
There are known knowns.
There are things we know we know.
We also know
There are known unknowns.
That is to say
We know there are some things
We do not know.
But there are also unknown unknowns,
The ones we don't know
We don't know.

Dirk Schümer denkt über die "Kollateralschäden dieses Kolonialkrieges" nach, meint, dass "auch Vereinte Nationen und Europäische Union ... aus den Ruinen wiederaufgebaut werden" müssen, dass aber zumindest letztere gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen werde. "Dass das träge Europa innerhalb weniger Tage die Bildung einer eigenen Streitmacht auf die Tagesordnung gesetzt hat und dabei nicht nur die arroganten Mittelmächte Deutschland und Frankreich, sondern auch Luxemburg, Griechenland, Belgien federführend waren, zeigt schon jetzt, wie kolossal Amerikas brachialer Spaltungsversuch danebengegangen ist."

Weitere Artikel: Im Kommentar meditiert Christian Geyer über die Äußerung des Verteidigungsminister Struck, Deutschland stehe nicht in "primärer" Verantwortung für den Wiederaufbau des Irak. Werner Spies erinnert an den Tod Picassos vor dreißig Jahren. Anton Thuswaldner resümiert die Rauriser Literaturtage. Andreas Rossmann meldet die bevorstehende Gründung einer "Stiftung Baukultur". Georg Imdahl hat einem Frankfurter Symposion über die allerneueste Malerei zugehört

Auf der letzten Seite setzt Ilija Trojanow seine Pilgerfahrt nach Mekka fort. Heinrich Wefing porträtiert Jorn Utzon, den Architekten eines Werkes, der für sein eines Werk, das Opernhaus von Sydney, nun den Pritzker Preis zugesprochen bekam. Paul Ingendaay erinnert an Terenci Moix, den ersten bekennenden Schwulen der spanischen Literatur, der jüngst verstorben ist. Auf der Medienseite weist Stefan Niggemeier auf eine Dokumentation hin, die nahelegt, dass die Amerikaner ein Massaker an Taliban, die sich ergeben hatten, billigten oder unterstützten. Zhou Derong berichtet über eine Zeitungsschließung und weitere Zensurmaßnahmen in China.

Besprochen werden eine Ausstellung über den Stern-Comic "Jimmy das Gummipferd" im Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum, Thomas Bischoffs Inszenierung von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" in Hannover und Tim Albery Inszenierung der "Götterdämmerung" in Edinburgh.

SZ, 08.04.2003

Regula Freuler berichtet über amerikanische Satire, die im Internet, dem Medium, das sich Bushs Kontrolle entzieht, "Unterschlupf" gesucht und offenbar auch gefunden habe. "Allein aus den USA stammen unzählige Internetseiten mit politischen Cartoons, Comics und Parodien über den Krieg im Irak. Und von einigem, auf das man im Internet stößt, würden sogar die nicht gerade zimperlichen Macher von Titanic und South-Park die Finger lassen." Über "Opfer unter der irakischen Bevölkerung" werde - bisher - allerdings noch nicht gescherzt. In Weiterführung eines Witzes - "Ein Amerikaner und ein Afghane spielen Schach. Wer gewinnt? Der Afghane natürlich. Dem Amerikaner fehlen schließlich zwei Türme" - sei dagegen bereits eine zweite, neue Pointe entstanden: "Schon, aber der Afghane hat bald keine Bauern mehr."

Im Umfeld des Themas Krieg denkt Gustav Seibt über "alteuropäische Erfahrungen" mit "Rückkehrern und Dagebliebenen" nach: "Die Akzeptanz, auf die eine Emigrationsregierung stößt, hängt davon ab, wie stark das gestürzte Regime die Gesellschaft durchdringen konnte; das aber ist vor allem eine Frage der Dauer. Im Irak ist daher mit einem sehr hohen Durchdringungsgrad zu rechnen." Und Petra Steinberger erinnert an das "Small Wars Manual", das "Handbuch der Kleinen Kriege" von 1935, in dem das amerikanische Marine Corps bereits alles Wissenswerte über das angemessene Verhalten bei "Aufständen und Guerillakämpfen und Revolutionen, in Kriegen, die eigentlich keine waren" zusammengestellt hat.

Weitere Artikel: Sonja Zekri analysiert die Faszination, die die Wüste auf "Zivilisationsmüde" ausübt . Fritz Göttler wundert sich, wie Hollywoods Studio-Bosse den "R-Faktor" (sprich:die einst gefürchtete Alterbeschränkung) für ihre Filme nicht mehr als Bedrohung erleben, sondern zum "Markenzeichen" machen. Alexander Kissler resümiert eine Tutzinger Tagung zum "Trialog von Judentum, Islam und Christentum", und Roswitha Budeus-Budde besuchte die 40. Kinderbuchmesse in Bologna. "Augf" informiert über Jeffrey Archer, einen echten englischen Lord im Knast, Detlef Borchers denkt in der "Internet"-Kolumne über "Nutzen und Nachteil der Kryptografie" nach, im "Testbild" registriert Beat Wyss eine gewisse zeitgenössische Schamlosigkeit beim Aufstellen "eingebetteter" Flachbildschirme, und in der "Zwischenzeit" macht sich Hermann Unterstöger wieder mehrere Gedanken über angenehm versprengte Anlässe. Auf der Medienseite - wird nicht alle interessieren, aber manche eben doch - wird schließlich die heutige, nun wirklich allerletzte Folge von Ally McBeal maßvoll beweint.

Besprochen werden die Uraufführung von Alexa Hennig von Langes "Ich habe einfach Glück" am Schauspiel Hannover, Jon Amiels Film "The Core" und zwei Konzertabende mit Dirigent Kent Nagano in Berlin und München, und natürlich Bücher, darunter eine Aufsatzsammlung von Dan Diner über "jüdische und andere Geschichten", eine Dissertation über den Einfluss der "Christlichen Rechten" auf die amerikanische Politik, Jakob Heins New-York-Roman "Formen menschlichen Zusammenlebens" und ein "intelligenter Psychokrimi" von Daniel Glattauer (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr)