Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.05.2003. Etwas spät heute die Feuilletons, dafür haben wir einen brandneuen Server! Die FAZ freut sich auf die nächsten zwei Matrix-Filme. Die NZZ hat die Protokolle der McCarthy-Verhöre gelesen. In der FR erinnert sich Michael Rutschky an seinen Helden aus Jugendtagen: Adorno.

FAZ, 10.05.2003

In den Ruinen von Bilder und Zeiten annonciert Dietmar Dath die beiden Fortsetzungen des Films "Matrix" ("ein Ausbund an Blödsinn") und erklärt, warum das gut ist: "... während die raunende Simulakren-Philosophie Baudrillards den sie inspirierenden realen oder science-fictionhaften Virtualitätskrempel aus der heute ziemlich vergangenen Schubphase der Computerära andauernd problematisiert, diskutiert und beim späten, ganz pessimistisch gewordenen Baudrillard sogar beklagt hat, zeigen die 360-Grad-Freeze-Sequenzen, die Hochhaussprünge, Kung-Fu-Absurditäten und Explosionen der Films ganz im Gegenteil nichts irgendwie Deprimierendes oder Abgründiges, sondern aller mit dem Finstern kokettierenden Lackschwärze zum Trotz immerfort, wie schön, wie erbaulich und fordernd es für die Protagonisten ist, sich dauernd mit der Frage auseinandersetzen zu müssen, ob das, was sie grade machen, in der richtigen oder in der symbolischen, simulierten, codierten Welt stattfindet." Im zweiten Artikel gratuliert Manfred Lindinger dem Chemiker Justus von Liebig zum Zweihundertsten ("Experimentiert wurde häufig in Frack und Zylinder" - war das symbolisch?)

Der Maler David Hockney (mehr hier) hat ein Aquarell gemalt, dass in Anlehnung an Picassos "Massaker in Korea" von 1951 den Titel "Das Massaker und die Probleme der Darstellung" trägt. Hockney trieb dabei die Frage um, so Thomas Wagner, ob der Maler, geht es um Authentizität und Zeugenschaft, wirklich nicht mit dem Fotografen konkurrieren kann? Die FAZ hat einen Text zu dem Gemälde abgedruckt, der letzte Woche in der Times Literary Supplement erschien (das Original ist leider nicht mehr online): Für Hockney "ist Picassos Gemälde universal, da er als Produzent eines Bildes bemerkte, dass die Fotografien nach dem Ereignis entstanden waren, und zwar auf eine Weise, die uns nichts über die schrecklich brutalen Geschehnisse in den Lagern erzählte, sondern von den Überlebenden - von den Wenigen, verglichen mit der schrecklichen Zahl der Toten."

Weitere Artikel: Paul Ingendaay meldet reges intellektuelles Leben in Spanien: Nach dem Irakkrieg und den Repressionen Fidel Castros wird jetzt gegen die Eta protestiert. "'In einem Winkel Europas', heißt es in dem Dokument, das die Namen zahlreicher bekannter Intellektueller trägt, würden die Bürger 'von Angst und Scham' niedergedrückt." Nadine Gordimer hat unterschrieben, Mario Vargas Llosa und Günter Grass. Aber ach, meint Ingendaay, die Basken "hören auf niemanden! Und je mehr über sie gesprochen und geschrieben wird, desto weniger hören und lesen sie." Dieter Bartetzko erkannte beim Auftakt der "Superstars"-Deutschlandtournee in Frankfurt Daniel Küblböck ganz klar als den Nachfolger der legendären Grethe Weiser. Hannes Hintermeier schildert, wie die österreichischen Traditionsverlage nach der Übernahme durch die Klett-Gruppe nach einer Zukunft suchen. Gerhard Stadelmaier macht wenig Worte zur Ankündigung der österreichischen Regierung, den Wiener Festwochen das Geld zu streichen: "Eine Blamage."

Andreas Platthaus ärgert sich über die "Fundamentalisten" von der IG Metall und die "dank ihrer Jugend besonders profilsüchtige Dienstleistungsgewerkschaft" ver.di, die dafür gesorgt haben, dass das Treffen zwischen SPD-Gewerkschaftsrat und Gerhard Schröder in dieser Woche abgesagt wurde. Georg Imdahl berichtet von der Wiedereröffnung des Boijmans van Beuningen Museums. Andreas Rosenfelder suchte bei einer Tagung in Bonn vergeblich die Grenzen der niederländischen Literatur. Dietmar Polaczek meldet, dass Ernst Nolte einige Aufregung in Italien verursachte, indem er Israel als dritten ideokratischen Staat im 20. Jahrhundert bezeichnete - nach Nazi-Deutschland und der Sowjet-Union. Joachim Willeitner führt auf dem vierten Platz der Vermisstenliste von Kunstschätzen aus dem Irak den Verlust einer Inkunabel mesopotamischer Kunst: Der Kupferkopf aus Ninive. Ilona Lehnart meldet, dass heute in der Berliner Akademie der Künste ein neuer Präsident gewählt wird: die Namen von Adolf Muschg oder Jochen Gerz, ja sogar von Volker Schlöndorff wurden ihr als Nachfolger von György Konrad zugeflüstert. Und Peter Wapnewski gratuliert Nicolaus Sombart zum achtzigsten Geburtstag.

Besprochen werden die Big-Band-Oper "Heliogabal" bei der Ruhrtriennale: "Innig im Pianissiimo beginnt die Oper 'Heliogabal', die der Komponist und Klarinettist Peter Vermeersch im Auftrag der Triennale komponiert hat: Mit dem diffus-unsauberen Dreiklangssummen eines Brummkreisels, mit einer tränentreibend weich geblasenen Trompetenmelodie, die sich davonschleicht wie ein entfernt widerhallender Erinnerungs-Zapfenstreich", schreibt Eleonore Büning. Die Tournee des Cloud Gate Dance Theatre aus Taipeh und Bücher, darunter Jeffrey Eugenides' Roman "Middlesex", Marina Zwetajewas "Poem vom Ende" in neuer Übersetzung und Petri Tamminens finnischer Western "Der Eros des Nordens" (packt die Klischees am Geweih, heißt es in der Unterzeile. Mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten und Phono-Seite geht es um CDs von Blur ("Think Tank"), Daniel Lanois ("Shine"), dem Abegg Trio (Sergej Rachmaninow, Trio elegiaque, 1892. Peter Tschaikowsky, Klaviertrio a-Moll op. 50) Musik von den Färöer Inseln und Mogens Pedersons Madrigale. Magnus Klaue meditiert über LP-Covers.

In der Frankfurter Anthologie stellt Heinz Ludwig Arnold ein Gedicht von Friedrich Dürrenmatt vor:

"Dramaturgischer Rat

Verzapf keinen Tiefsinn Füge dem Rätsel kein neues bei

Es liegt nicht im Wort Schaff ein Gebilde

Drei Männer am Tisch Was sie reden ist unwichtig

Sie wollen richtig handeln Aber die Würfel sind gefallen

Wer den falschen Zug bestieg Mag in ihm zurück
rennen Er erreicht doch, wohin er nicht wollte."

NZZ, 10.05.2003

Die Protokolle der McCarthy-Verhöre werden erstmals vollständig veröffentlicht, berichtet Andrea Köhler, und kommentiert: "Was man heute eines der düstersten Kapitel der amerikanischen Demokratie nennen darf, scheint vor allem ein Meisterstück an mediengestützter Demagogie gewesen zu sein. Gleichwohl mag überraschen, wie wenig seinerzeit offenbar ausreichte, um jemanden vor den Ausschuss zu laden, ja wie schlecht recherchiert oder schlicht kurios viele Fälle waren. Manche gerieten schon unter Verdacht, wenn sie nur entfernte Bekannte mit liberalen Ideen hatten; ein Angestellter der General Electrics wiederum war dabei beobachtet worden, dass er ein Buch über Sibirien las." Bei der New York Times kann man die Protokolle auch im Netz lesen.

Weitere Artikel: Uwe Justus Wenzel erinnert an Hans Jonas, der vor hundert Jahren geboren wurde. Paul Jandl schreibt zum Tod des österreichischen Schriftstellers und Verlegers Heimrad Bäcker. Besprechungen gelten der ersten Architekturbiennale in Rotterdam und Albert Ostermaiers Stück "99 Grad" in Basel.

Lin Literatur und Kunst greift Roman Luckscheiter noch einmal Klaus Brieglebs Antisemitismusvorwurf gegen die Gruppe 47 auf und weist ihn zurück, aber nicht ohne an anderer Stelle Kritik an der Gruppe anzumelden: "Es scheint, als sei der Gruppe ihr steter Prestige- und Machtgewinn letztlich zum Verhängnis geworden. Ihre zunächst völlig legitimen und willkommenen Mittel zur Wiederherstellung einer literarischen Öffentlichkeit gerieten bald zu Techniken der Herrschaftsausübung: Die von Richter versandten privaten Einladungskarten zu den Tagungen, die einen Schriftsteller erst zum temporären Mitglied machten, galten plötzlich als obligatorische Entree-Billetts für den literarischen Markt."

Weitere Artikel in der wie so oft so lesenswerten Samstagsbeilage: Der ukrainische Autor Andrej Kurkow meditiert über die Identitätssuche seines Heimatlandes, das teils noch unter österreichisch-ungarischem und teils unter sowjetischem Einfluss steht. Andreas Breitenstein legt zu Zygmunt Haupts von Andrzej Stasiuk wiederentdecktem Erzählungsband "Ein Ring aus Papier" eine ausführliche und begeisterte Besprechung vor. Felix Philipp Ingold widmet den Russland jüngst erschienen Tagebüchern Marina Zwetajewas eine kenntnisreiche Besprechung. Und drei Artikel befassen sich mit musikalischen Themen: Peter Jost schreibt über das Verhältnis von Komponisten zu ihren Noten-Kopisten. Rolf Urs Ringger stellt Debussys "Proses lyriques" auf eigene Texte vor. Und Wolfgang Dömling stellt die erste bekannte Komposition vor, die "mit dem Rückwärtslauf einer umfänglichen Melodie operiert", ein Organum aus der Notre-Dame-Schule des 12. Jahrhunderts.

FR, 10.05.2003

Michael Rutschky ("Berlin") erinnert sich in Zeit und Bild an seinen Helden aus Studententagen, Theodor Adorno. "Besetzte den Studenten, der ich damals war, 1963, auch 1966 noch das bekannte Katakombengefühl: Mitglied einer esoterischen Gemeinschaft zu sein, die ein geheimes Wissen über den Gesamtzustand der Gesellschaft eint, ein Wissen, das draußen abgewehrt wurde, so kamen dann ja immer mehr von draußen hinzu. Wenn ich eines Tages Adorno und Herbert Marcuse - fassungslos vor Ehrfurcht - im Cafe Bauer in der Gräfstraße bei Kaffee und Kuchen erblickte, dann waren das bald keine versprengten Träger einer Wahrheit mehr, die keiner hören wollte, sondern die Erfinder von Argumentationen, die auf den üblichen Umwegen und unter den typischen Abänderungen ("Verwässerung") bei entscheidenden Kadern der BRD in den Grundbestand an Überzeugung eingingen."

Karl Grobe zieht ein durchwachsenes Resümee der sechsten deutsch-russischen Gespräche im hessischen Kurort Schlangenbad. Gemäß Wladimir Lukin, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Moskauer Staatsduma: "Wir sehen uns plötzlich vor zwei Westen. Das kennt der gewohnheitsmäßig besoffene russische Mensch zwar, aber hier ist es ein ernstes und konkretes Problem."

Weitere Artikel: Verena Mayer hält den Boxer Graciano Rocchigiani nach dem Besuch von Rocky's Inn für den "Held der Rezession". Ernst Piper erinnert an den 10. Mai vor 70 Jahren, als auf dem Frankfurter Römer die Bücher von Mann, Tucholsky und Zweig brannten. Martina Meister sieht nach einer Tagung in Potsdam den Irak auf dem schweren Weg in eine düstere Zukunft. Renee Zucker hat angesichts der geplanten Erhöhung der Zigarettensteuer einige Fragen, etwa "Sollten FDP-Wähler nicht pro Kreuzchen 100 Euro in der Wahlkabine abdrücken müssen?". Meldungen berichten von Johannes Raus Sorge um die verfolgten Schriftsteller und dem Tod des österreichischen Lyrikers Heimrad Bäcker.

Auf der Medienseite beobachtet Roman Arens einen Silvio Berlusconi, bei dem die Nerven blank liegen. Michael Ridder hält Hamburgs Pläne, die Privatsender von ihrer Pflicht zu befreien, Wortbeiträge zu senden, vornehm gesagt für Schwachsinn. Eva Schweitzer weiß, dass die BBC zu den Kriegsgewinnern gehört, zumindest in den USA.

Besprochen werden "Days Like These", die zweite Triennale für zeitgenössische britische Kunst an der Tate Britain, und Bücher, darunter die sensationelle Neu-Übersetzung der "Reise ans Ende der Nacht" von einem ungewohnt frischen Louis-Ferdinand Celine, Hans Jonas' "Erinnerungen", der Abdruck von Gesprächen mit Rachel Salamander sowie Jeffrey Eugenides' raffinierter und preisgekrönter Entwicklungsroman "Middlesex".

Im Magazin gibt es ausschließlich O-Töne: Königin Noor von Jordanien redet über ihren harten Job als Friedensbotschafterin im Nahen Osten und über Hollywood-Klischees, etwa in "Lawrence von Arabien". "Die Figur des Lawrence wird derart glorifiziert, dass es so scheint, als wäre er allein für den Sieg der Araber über die Türken verantwortlich. Weil die Araber selbst anscheinend nicht in der Lage waren, sich zu organisieren. Dabei ist der reale Lawrence bei dem Sturmangriff auf Akaba mit seinem Kamel gestürzt und erst wieder zu Bewusstsein gekommen, als die Stadt gefallen war. Aber wegen der Dramaturgie wurde eine Legende gestrickt. Für viele Araber und Moslems sind solche Filme Ausdruck der westlichen Verachtung."

Tiger-Experte und Schriftsteller Yann Martel (Schiffbruch mit Tiger) verrät im Interview, was uns Tiere im Zoo über unser Dasein erzählen können. "Nicht dass Sie mich jetzt für einen Tier-Guru halten. Es ist jetzt nicht so, dass ich jedes Mal zu Tränen gerührt bin, wenn ich einen Tiger sehe. Ich habe die Tier-Charaktere in meinen Büchern nicht aus sentimentalen Gründen benutzt. Der Tiger hat mir zunächst einmal geholfen, eine Geschichte zu erzählen: Die von einem religiösen Jungen, der in einem Zoo aufgewachsen ist und sich ein Rettungsboot mit einem wilden Tier teilen muss."

Thomas Wolf hat fünf junge israelische Designer gefragt, wie der Terror auf ihre Profession abfärbt. Eine Ausstellung mit ihren Kreationen läuft gerade in Hamburg. Sandra Schulz lässt Lothar Wobedo, den SPD-Ortsvereinsvorsitzenden von Bockum-Hövel (Hamm), über den Ärger der Basis mit Schröder&Co klagen. Und Kerstin Friemel will vom deutschstämmigen namibischen Farmer Stefan Menne wissen, wie es weitergehen soll nach Dürre und Landreform.

TAZ, 10.05.2003

Die Schiiten werden von einer religiösen zu einer politischen Kraft im Irak, notiert Karim El-Gahwary in einem großen lesenswerten Artikel auf der Tagesthemenseite. Das Fernziel ist eine islamische Republik. Auf seiner Rundreise traf er auf GIs in Unterhosen und Schiitenführer mit Zuversicht. "Die Scheichs nehmen das Schauspiel des selbst ernannten amerikanischen Gemeindevorstehers gelassen. Jeder wisse, dass Eidani eine Marionette der Amerikaner sei, aber solange er es schafft, Infrastruktur, Krankenhäuser und Schulen wieder in Gang zu bringen, lasse man ihn ruhig gewähren. Ihn anschließend loszuwerden dürfte sich als nicht allzu großes Problem erweisen, meinen alle übereinstimmend. Viele tausend Kilometer entfernt, in Washington, erklärt unterdessen ein weniger pragmatischer Ideologe, Donald Rumsfeld, Iraks schiitische Scheichs zu einer 'lautstarken Minderheit, die einen Irak nach dem Muster Irans schaffen wollen'. Dies werde Washington niemals erlauben." Dazu ein Überblick über die verschiedenen Schia-Gruppen und ein paar Fakten zum Vorbild Iran.

Weiteres: Andreas Merkel hat David Poe angeblich mittags beim Abwaschen entdeckt, und freut sich, dass der fabelhafte Songwriter nun auf Deutschlandtournee geht. Teddy, der Inkommensurable, fünfter Teil (über die Serie): Jochen Schimmang fährt mit seiner Huldigung Theodor Adornos fort und bereut, dass er zum Studieren nach Berlin und nicht nach Frankfurt gegangen ist. "Wäre ich Adorno noch begegnet, selbst so kurz vor seinem Tod, so wäre ich gegen die ganze Tristesse der kommunistischen Parteikostümierung resistent gewesen, der ich ein knappes Jahr nach meinem Studienbeginn in Berlin erlag und die mich zwei Jahre meines Lebens kostete."

Auf der Medienseite porträtiert Jan Freitag den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Springer, Peter Tamm, der das Pressegeschäft mit der Seefahrt vergleicht. Genüsslich zitiert die taz zudem aus Norbert Korzdörfers Bild-Hymne auf Edelfeder Claus Jacobi: "Der Computer ist seine Nabelschnur zu Bild und der Welt. Er steht auf Sylt, am Strand der Bahamas, im Privatjet eines Freundes - oder auf dem Frühstückstablett im Ehebett."

Im tazmag widmet sich Barbara Lehmann eingehend dem Alptraum Wladimir Putins, dem sowjetischen Strippenzieher Boris Beresowski (Lebensstationen). Von der Savile Row aus soll Russland reformiert werden. "Hier, in London, in der Verbannung, in die ihn Putin jagte, hat er sich als Herrscher über zweihundert Quadratmeter Büro kurz materialisiert: ein Raubtier im Exil, gebremste Energie, die sich in der Krümmung des Rückens staut. Schmale Hände, sehr kleine Füße. Da sitzt er nun, auf einem Stühlchen, das schwarze Hemd leicht geöffnet, und lächelt, charmant, charismatisch: 'Fragen Sie!'"

Weiteres: Jens E. Sennewald sinniert nur unwesentlich knapper über die Droge Luxus (rund um den Überfluss), und wie Louis Vitton seine gewöhnlcih kapitalistischen Kunden dazu bringt, nicht nur Unsummen für eine Handtasche auszugeben, sondern auch noch ohne Murren die an Planwirtschaft erinnernden Wartezeiten von über fünf Jahren zu akzeptieren. Barbara Ertel berichtet vom Spektakel um die umstrittene lettische TV-Show "Fabrika" (TV in Lettland), eine "Big Brother"-Variante. Elisabeth Wagner porträtiert zum Muttertag eine Frau, die ihr Kind an einen fremden Mann verloren hat.

Schließlich Tom.

SZ, 10.05.2003

Lothar Müller gratuliert dem Soziologen Nicolaus Sombart (er hat eine eigene Seite) zum Achtzigsten und zur erfolgreichen "Zähmung des Männerbundes aus dem Geist der weiblich codierten Salonsphäre. (...) Seit den frühen achtziger Jahren hat Nicolaus Sombart in Berlin den alteuropäischen Salon nachinszeniert, ein wenig sentimentalisch, in grün, mit allerlei Plüsch und lebenden Bildern nicht nur der Plauderei, sondern auch der Libertinage. Und wenn man bedenkt, dass er 1982/83 Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin und 1990 Directeur d?Etudes an der Maison des Sciences de l?homme in Paris war, so könnte es scheinen, als sei die freundliche Versöhnung von Bibliothek und Salon das charakteristische an diesem Leben. Aber dieser Schein trügt."

Weitere Artikel: Lothar Müller zum Zweiten. Diesmal überbringt er dem Deutschen Museum in München Glückwünsche zum Hundertsten und lässt dabei gleich die Geschichte der Technikmuseen Revue passieren. Heinz Ludwig Arnold kommentiert in der Reihe Briefe aus dem 20. Jahrhundert ein Schreiben von Marcel Reich-Ranicki an Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahr 1981. "Es geht überhaupt nicht um Literatur, es geht - um es gleich und kurz zu sagen - um eine ernste Sache, nämlich um Geld." Hanns C. Löhr hat aus einem erst jetzt veröffentlichten Geheimbericht der Amerikaner Skandalöses von den Anfängen des bayerischen Nationalhelden Franz Josef Strauß und seiner "Luftwaffengang" nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren. Holger Liebs wundert sich über die vielfältigen Metamorphosen des einstigen Britney-Spears-Klons Christina Aguilera, die im Augenblick "wie eine Mini-Madonna auf Amphetamin" daherkommt. Petra Steinberger blickt aus einer fernen Zukunft wehmütig zurück auf die Zeit, als es noch freie Raucher gab. Andreas Zielcke befürchtet, dass die immer komplexer werdende Technik die Justiz aushebeln könnte, wie am Fall Eschede zu sehen. Jürgen Berger berichtet vom Heidelberger Stückemarkt, der sich dieses Jahr auf das Theater in Russland konzentrierte.

Die Medienseite ist im Netz leider noch von gestern, ansonsten könnten wir etwa Nils Kreimeiers Artikel über den Mythos Bernsteinzimmer lesen, den "ewigen Knüller" der hiesigen Medien.

Besprochen werden Ralf Schmerbergs Gedichtfilm "Poem", die deutsche Erstaufführung von Peter Eötvös? Jean-Genet-Oper "Balcon" in Freiburg, ein gefühlsintensiver Musikabend mit dem Alban-Berg-Streichquartett im Münchner Herkulessaal, die eher laute als lustige Big-Band-Oper "Heliogabal" auf der Ruhrtriennale in Duisburg, und Bücher, darunter zwei neue Bände zur Bücherverbrennung 1933, die aufgezeichneten "Erinnerungen" von Hans Jonas sowie Leopold Günther-Schwerins neuaufgelegter Roman "Der Kleptomane" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Auch die SZ am Wochenende entzieht sich dem Zugriff. Weshalb es weitgehend im Dunkeln bleiben muss, warum Gustav Seibt Oberbayern für das Glutamat unter den deutschen Landschaften hält oder was ein vergnügter Klaus Maria Brandauer in seiner Wiener Stadtwohnung gleich hinter dem Parlament über Poesie und Heimat zu sagen hat. Willi Winkler ruft außerdem zur Arbeitsverweigerung auf frei nach dem Motto "Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt". Und Rainer Stephan gibt Tipps für die letzten exklusiven Sommerspiele dieser Erde, in England, Italien oder Schweden.