Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.07.2007. Die Hügel von Bayreuth und Salzburg dominieren weiterhin die Feuilletonlandschaft. Mit Haydns Oper "Armide" sind die nach Salzburg Versandten recht zufrieden, mit Thomas Bernhards Stück "Ein Fest für Boris" weniger. Bei Bayreuth überwiegen Kommentare zur schwierigen Finanzlage, die als ein Zeichen für Wolfgang Wagners nachlassenden Einfluss gewertet werden. In der taz erinnert Gabriele Goettle an DDR-Zeiten, in denen das "Waldsterben" noch als "Forstumwandlung" firmierte. Der Tagesspiegel sinniert über das Migratorische in der allerneuesten Kunst. taz und Welt erinnern an die Ermordung Jürgen Pontos vor dreißig Jahren.

NZZ, 30.07.2007

Zweimal Salzburg, einmal gelungen, einmal nicht. Recht mutig findet es Peter Hagmann, dass Jürgen Flimm zum Beginn seiner Intendanz Joseph Haydns Oper "Armida" aus der "Raritätenkiste" geholt hat. Umso erstaunlicher, dass sich das unter der Regie von Christoph Loy auch noch als Volltreffer erwies: "Und jetzt diese Überraschung. Eine Geschichte aus der Zeit der Kreuzzüge, die musikalische Form der Opera seria, die schon im mittleren 18. Jahrhundert als altmodisch galt - und ein Abend in der Salzburger Felsenreitschule, der von Gegenwärtigkeit nur so vibriert." Beim Sprechtheater sah's anders aus. Die junge Regisseurin Christiane Pohle hat Thomas Bernhards "Ein Fest für Boris" sehr verharmlost, bedauert Paul Jandl und sah nur "überall langweilig blühende Menschlichkeit in einer Aufführung, die zur Wiedergutmachung hätte werden können."

Weitere Artikel: Maike Albath hat den italienischen Schriftsteller Roberto Saviano getroffen, der mit seinem - von Albath separat auch vorgestellten - Buch "Gomorrha" einen Bestseller über die sizilianische Mafia landete und nach Morddrohungen untergetaucht ist. Caroline Kesser war in der Madrider Kirche San Gines, wo El Grecos erst jüngst restauriertes und als bedeutendes Werk erkanntes Gemälde "Expulsion de los mercaderes del templo" ein Schattendasein führt. Klaus Bartels denkt in einer Sprachglosse über Herkunft und Gegenwart des Worts "Kontrolle" nach. Vom Luzerner Blue Balls Festival berichtet Christoph Fellmann.

Besprochen wird ein unter anderen von Karl Schlögel herausgegebener Sammelband zu Sankt Petersburg.


Tagesspiegel, 30.07.2007

Marie-Luise Knott hat sich Arbeiten von Künstlern wie der Bosnierin Danica Dakic, dem Kubaner Diango Hernandez, dem Belgier Francis Alys und dem Bulgaren Nedko Solakov angesehen und bemerkt, wie deren Migration ihre Kunst beflügelt. "Alle Künstler migrieren - ob real oder mental. Die Kunst arbeitet damit, Fernes und Nahes zu verbinden, Fremdes ins eigene Erleben hineinzuholen, Eigenes im Fremden zu inszenieren. Auffallend viele, deren Werke in diesem Sommer auf der 'Grand Tour' der Kunst von Documenta (Kassel), Biennale (Venedig), Skulpturenpark (Münster) bis zu 'Made in Germany' (Hannover) ausgestellt sind, haben dem Kulturkreis, in den sie hineingeboren wurden, den Rücken gekehrt. Irgendwann hat es sie nach Mexiko, Anatolien, Shanghai, Berlin, Düsseldorf oder New York gezogen. Natürlich leistet der längst global agierende Kunstmarkt mit seinen 'Börsenplätzen' London, New York, Venedig oder Miami diesem Trend Vorschub, doch die Migration hat auch andere, gewichtige Gründe."

Welt, 30.07.2007

Ulrich Baron meditiert im Aufmacher aus unklarem Anlass über "Zeiten, in denen die Bahn noch eine Urgewalt war". Kai Luehrs-Kaiser kommentiert die Meldung von einem Finanzloch in Bayreuth als Zeichen, dass der für seine Sparsamkeit bekannte Wolfgang Wagner die Zügel nicht mehr in der Hand hält. Der Historiker Manfred Flügge trauert Zeiten nach, in denen die Tour de France noch als erbauliche Lektion in französischer Landeskunde gelten konnte. Eine dpa-Meldung besagt, dass Klaus Wowereit zur Berliner Opernstiftung steht.

Besprochen werden die Salzburger Eröffnungsproduktionen, Thomas Bernhards Stück "Fest für Boris" in Christiane Pohles Inszenierung und Haydns Oper "Armida", die Manuel Brug nicht begeistern konnte ("Über gepflegtes Philologeninteresse hinaus langt es einfach nicht bei diesem auf ein anonymes und konfuses Libretto montierten Werk") sowie einige neue DVDs.

Im politischen Teil erinnert Thomas Schmid an den Mord an Jürgen Ponto vor genau dreißig Jahren: "Mord ist Mord - dieser war aber der wohl heimtückischste, den die RAF je begangen hat. Als der Bankier Jürgen Ponto heute vor 30 Jahren in seinem Haus in Oberursel bei Frankfurt erschossen wurde, kamen seine Mörder leicht an ihn heran. Denn unter ihnen war Susanne Albrecht, eine Freundin der Familie. Unter dem Vorwand, auf einen Besuch vorbeikommen zu wollen, verschafften sie sich Zugang, mit Blumenstrauß und Pistolen bewaffnet. Bei keinem anderen Mord der RAF kamen die Täter im Freundesgewand." Für Welt online wird auch Pontos Tocher Corinna Ponto zu dem Mord interviewt.

FR, 30.07.2007

Zum ersten Mal ist in Salzburg Thomas Bernhards vor 41 Jahren in Auftrag gegebenes Stück "Ein Fest für Boris" aufgeführt worden. Mit Christiane Pohles Reanimation ist Peter Michalzik nur zu Beginn einverstanden. "Längst haben sich die Salzburger Festspiele - anders als Bayreuth - vom Muff befreit. Da stellt sich die Frage, worin die Bedeutung dieses Festes dann überhaupt liegen könnte. Pohle setzt zuerst, sehr klug, auf die Schauspieler, dann aber, weniger klug, bläst sie das Stück ins Existentielle auf. Anfangs funkeln die symbolischen Momente, die sie setzt: die Schuhe und Strümpfe, die Viviane de Muynck an ihren Händen ausprobiert, obwohl man doch die Beine sieht, die zerrissenen Briefe der Guten, von denen Johanna endlos viele in ihrem Ausschnitt versteckt hält, der Kuss, den Johanna der Guten auf den Mund drückt. Das alles könnte etwas erzählen: Verkleidungsspiele, Rätselspiele, Intimitätsspiele. Nach diesen beiden Vorspielen weiß man aber nicht mehr, worum es dieser Aufführung geht."

Weiteres: Auf dem Weltkongress der Psychoanalyse mit dem schönen Titel "Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten in Psychoanalyse und Kultur heute" spürt Martin Altmeyer, dass die Disziplin ihre eigene Vergangenheit noch nicht ganz aufgearbeitet hat. Arno Widmann erinnert an den vor 150 Jahren geborenen Ökonom und Soziologen Thorstein Veblen. Christian Thomas mokiert sich in einer Times mager über Ranglisten im Allgemeinen und die Künstler-Top 100 des Magazins Monopol im Besonderen.

Besprochen werden Christof Loys "klare" Inszenierung der Haydn-Oper "Armida" und eine Ausstellung über das Mainzer Evangeliar im Gutenberg-Museum Mainz.

TAZ, 30.07.2007

Gabriele Goettle besucht Hannelore Gilsenbach, Schriftstellerin und eine der frühen Naturschutzaktivistinnen in der DDR. "Es saßen Funktionäre im Publikum, die stellten dann provozierende Fragen, die alle darauf hinausliefen, dass wir vom Westen beeinflusst sind und unsere Kritik eine am Sozialismus ist, an der 'führenden Rolle der SED' und ihrer Umweltpolitik. Und was sie zur Weißglut brachte: Wir haben Bilder gezeigt - das tote Erzgebirge, die schaumbedeckte Mulde bei Dessau usw. Es war in der DDR streng verboten, solche Fotos zu machen, geschweige denn, sie einer Öffentlichkeit zu zeigen. Das Wort Waldsterben durfte nicht ausgesprochen werden, das hieß Forstumwandlung; mit derselben Absicht redet man heute euphemistisch vom Klimawandel."

Weiteres: Barbara Bollwahn porträtiert für die vorderen Seiten den Hausmeister des "Zentrums für junge Musiker" in Berlin-Marzahn, das jetzt in der ersten Frank-Zappa-Straße Deutschlands liegt. In der zweiten taz kolportiert Robert Ackermann, dass die Tochter des saarländischen Komponisten Albert Niklaus behauptet, die Melodie für "Mackie Messer" stamme von ihrem Vater.

Besprechungen widmen sich dem neuen Album "Uncle Dysfunktional" der Raveband Happy Mondays und Winfried Oelsners Dokumentarfilm über die deutsche Mannschaft bei der Handball-WM 2007 "Projekt Gold".

Für de Tagesthemenseite untersucht Wolfgang Gast Stasi-Akten, die zeigen, mit welcher Akkuratesse die Terroristin Susanne Albrecht sich in der DDR eine neue Identität zulegte: "'Als ich zwei Jahre alt war', schreibt die 1980 in die DDR geflüchtete Terroristin, 'wurde am 26. 3. 53 meine Schwester Sabine geboren. Weil meine Mutter jetzt ganz mit uns beschäftigt war, holte mein Vater eine Angestellte ins Geschäft [] Wir bekamen jeder einen Holzroller und durften dann auf der Straße Roller fahren.'"

FAZ, 30.07.2007

Aktuell besprochen werden zwei Salzburger Aufführungen, zum einen Christoph Loys Inszenierung von Joseph Haydns Oper "Armida", die Julia Spinola begeistern konnte: "Der Erfolg des Abends war in entscheidendem Maß auch Ivor Bolton zu verdanken, der Haydns Partitur am Pult des Mozarteum Orchesters Salzburg ein überwältigendes Maß an Beredtheit, Facettenreichtum, Witz und Originalität entlockte und ein ausnahmslos glänzendes Sängerensemble auf Händen trug." Weniger Spaß hatte Gerhard Stadelmaier bei Christiane Pohles Inszenierung des Thomas-Bernhard-Stücks "Ein Fest für Boris": "Die frühe Krüppelhölle wurde von Thomas Bernhard in späteren Stücken durch elegantere, wütendere, philosophischere, weltverbesserungsvernichtendere, theatervernichtungsmacherischere Salon- und Gesellschaftshöllen ersetzt. Aber 'Ein Fest für Boris' bleibt wie alle Erstlingshöllen die ungehobelste. In Salzburg hat man sie fade glattgeschmirgelt."

Katja Gelinski berichtet über Klagen, dass die Abteilung für Bürgerrechte im amerikanischen Justizministerium, einst eine Bastion der Linken, unter George W. Bush heftige konservative Schlagseite bekommen habe. In der Leitglosse liefert Dirk Schümer Impressionen aus dem italienischen Hafenstädtchen Porto Ercole, in dem vor knapp vierhundert Jahren Caravaggio starb. Über neueste Erkenntnisse, Laurence Olivier sei als britischer Geheimagent in Hollywood tätig gewesen, informiert Gina Thomas. In Jürg Altweggs Streifzug durch französische Zeitschriften geht es um große Geister wie Jacques Derrida und Jacques Ranciere und um das Verhältnis von Dichtern und Diktatoren. Kilian Trotier klagt über den Verfall des Antikentempels im Potsdamer Park Sanssouci. Thomas Thiel berichtet von einer Konstanzer Tagung, die der Frage nachging, ob es eine neue Konjunktur der Bürgerlichkeit gibt.

Auf der letzten Seite erinnert Dietmar Dath aus aktuellem Anlass an Leonard Nimoy alias Mr. Spock - letzteren nämlich wird Nimoy im nächsten Star-Trek-Film ein weiteres Mal geben. Heinrich Wefing hat sich sehr ausführlich in der Gegend um die Berliner Heidestraße umgesehen, die, wie gemunkelt wird, Berlins nächster "Hot Spot" in Sachen Kunst werden soll. Julia Bähr informiert über die neue Gastronomie-Lokalität im Münchner Literaturhaus - der Vorgänger hatte vor der Schließung noch heftige Auseinandersetzungen mit dem Leiter des Hauses. Gemeldet wird, dass Steven Spielberg erwägt, sich wegen der chinesischen Afrika-Politik von seiner Position als Berater der kommenden Olympischen Spiele zurückzuziehen.

Besprochen werden zur Halbzeit der "stellenweise überarbeitete" Ring von Dorst/Thielemann im zweiten Bayreuther Jahr, eine New Yorker Ausstellung über den Condottiere Federico da Montefeltro und seine Bibliothek sowie Bücher, nämlich Shuyu Kongs Studie "Consuming Literature" zum Bestsellermarkt in China und Dubravka Ugresics Essayband "Keiner zu Hause". Auf der Sachbuchseite gibt es dazu Rezensionen unter anderem zu Betsy Udinks Pakistan-Buch "Allah & Eva" und Marina Nemats Bericht über ihre Zeit im iranischen Evin-Gefängnis mit dem Titel "Ich bitte nicht um mein Leben" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 30.07.2007

Die Eröffnung der Salzburger Festspiele gerät für Christopher Schmidt wechselhaft. Während ihm Christiane Pohles Inszenierung von Thomas Bernhards "Ein Fest für Boris" missfällt, sieht er bei Christian Stückl den besten Salzburger "Jedermann" aller Zeiten. Das liegt auch an frischem Schauspieler-Blut. "Während Clemens Schick, im Zombie-Grau der Halbverwesung, seine Rolle aus dem letzten Bond-Abenteuer 'Casino Royale' fortsetzt - ein Croupier des Todes, der dem Jedermann klar macht, dass in seinem Lebensspiel nichts mehr geht -, ist Marie Bäumer als neue Buhlschaft ein kesser Wildfang von größter Natürlichkeit und Schönheit. Radschlagend und die Röcke ihres apricotfarbenen Kleides lüpfend, pflückt sie sich die Männer wie überhängendes Obst. Kein blondes Gift, sondern ein lebenslustiges Naturkind von einer Sinnlichkeit, die kein Schnürmieder braucht. Selbst zuletzt, wenn sie ihren Jedermann im Stich lässt, klingt es, als würde sie versöhnliche Fernseh-Sätze sagen: 'Lass mir Zeit' und 'Wir wollen Freunde bleiben.'"

Weiteres: Burkhard Müller lauscht dem Weltkongress der Psychoanalyse, auf dem es in Berlin um "Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten" ging. Johannes Willms hört nicht mehr viel von den Intellektuellen in Frankreich und macht für dieses Stille den hemdsärmlig hyperaktiven Nicolas Sarkozy verantwortlich. Fritz Göttler fragt sich, ob Steven Spielberg mit seinem zweiten Brief an Hu Jintao die obstruktive Haltung Chinas zu Darfur aufweicht. Holger Liebs meldet, dass der Reiseveranstalter Studiosus die documenta verklagen will, weil nur hauseigenes Personal durch die Ausstellung führen darf. Nico Daniel Schlösser entdeckt einige neue Bildungsangebote bei Second Life, von der VHS Goslar bis zur Harvard University.

Besprochen werden die von Christof Loy inszenierte und Ivor Bolton dirigierte Version von Joseph Haydns "Armida" in Salzburg, Christian Thielemanns und Tankred Dorsts "Rheingold" und "Walküre" in Bayreuth (in seiner Zwischenbilanz bemängelt Wolfgang Schreiber die "ewiggültige Statuarik" der Figuren),eine Werkschau von Robert Gober im Schaulager Basel, Filme auf DVD von Anthony Minghella, Blake Edwards, Gus Van Sant, und Bücher, darunter Horst Bredekamps "rasantes" Buch über "Galilei der Künstler" sowie Heinrich Deterings Reclam-Porträt von Bob Dylan (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)