Heute in den Feuilletons

"Du machst es wie Maxim Vengerov"

Wochentags ab 9 Uhr, am Sonnabend ab 10 Uhr
13.12.2007. In der taz erklärt der algerische Schriftsteller Boualem Sansal: Opposition ist Opposition gegenüber allem. Nur in Deutschland trägt die Opposition gern Schutzplanen, beklagt sich Gert Voss in der Zeit. Die NZZ hätte lieber gar keine Opposition. Die FR blickt bekümmert auf die asozialen deutschen Reichen. In der SZ empfiehlt der Pianist Fazil Say den Assistenten von Maxim Vengerov als Kofferträger mit Massagefähigkeiten. Die FAZ bietet der Steinway-Mafia Paroli.

TAZ, 13.12.2007

Reiner Wandler porträtiert den letzten großen algerischen Schriftsteller, der noch nicht von religiösen Extremisten ins Exil getrieben wurde, den 57-jährigen Boualem Sansal: "Die literarische Kritik kennt keine Tabus. Sansal rechnet unerbittlich mit 'Polizeidiktatur, Bürokratie und Frömmlern' ab. Denn 'Opposition bedeutet nicht nur Opposition gegenüber dem Regime, sondern auch gegenüber den Gesetzen, dem Propheten und selbst gegenüber Gott. Opposition ist Opposition gegenüber allem.'"

Bettina Allamoda hat bei James Mangolds Western "Todeszug nach Yuma" die Arbeit der Kostümdesignerin Ariane Phillips überzeugt, die auch Madonna oder Courtney Love einkleide: "Dabei sind die Cowboys wirklich dressed to kill: lässiges Leder, apart in Hellgrau und Schwarz, gewagt in Weiß. Dazu rostrotes Wildleder, passend zur vorüberziehenden Rinderherde und den akkurat gestutzten Bartstoppeln."

Besprochen werden eine Ausstellung des niederländischen Künstlers Aernout Mik im Kunstverein Hannover, Volker Schlöndorffs Ode an die Ferne "Ulzhan" (den Ekkehard Knörer als "esoterisch inspirierten Kulturpessimismus" schmäht) und Nora Hoppes Film "La fine del mare".

Angesichts der geplanten Verschärfung des Sexualstrafrechts konstatiert in der tazzwei die amerikanische Sexualhistorikerin Dagmar Herzog "seit ein paar Jahren eine Regression auch in der globalen Diskussion". Barbara Dribbusch setzt uns über das virile Klimakterium in Kenntnis.

Und Tom.

FR, 13.12.2007

Ina Hartwig reist in das Literaturland Kroatien: Eine Variante des kroatischen Charmes geht so: "'Ich bin traurig, dick und hässlich, aber ich bin frech genug, Sie mit meiner Prosa zu belästigen.' Der das sagt, heißt Delimir Resicki und sitzt auf der Bühne eines kleinen Theaters in Pula, Istrien, wo er im Rahmen der Buchmesse aus seinem jüngsten Buch vorliest. Er gilt als einer der Besten seiner Generation - es ist die Generation der 50- bis 60-Jährigen, die eine wilde Jugend in Titos Jugoslawien hatten, in der Tudjman-Zeit den Selbstbedienungs-Kapitalismus der Herrschenden hassen lernten, dann den Krieg auf dem Balkan erlebten und jetzt, da die Küstenregionen von reichen Russen aufgekauft werden, Melancholiker oder Zyniker sind. Oder beides."

Peter Michalzik konstatiert ausgeprägte asoziale Züge an Deutschlands Reichen: "Wahrscheinlich ist es heute die größte Angst vieler Reicher, vom Rest der Gesellschaft getrennt in einer eigenen Welt zu sein. Aber ebenso wahrscheinlich ist es genau das, was längst Realität ist. Die neuen Reichen haben keine Funktion in der Gesellschaft. Sie sind mit sich selbst beschäftigt, selbst wo sie karitativ unterwegs sind. Für uns ist es mal kurios, mal menschenverachtend, dass Reiche gern darüber besorgt sind, dass mehr Menschen Leistungen aus unserem Sozialsystem beziehen als einzahlen. Aus der Sicht derer da oben sieht das anders aus: Besorgt sind sie nicht aus Geiz sondern aus Sorge ums Ganze. Sie finden es nämlich bedrohlich, dass unsere Gesellschaft darüber ihre Reformfähigkeit verliert. Auch sie sind überzeugt, dass sie für alle nur das Beste wollen."

Jörg Hunke meldet, dass Claus Kleber doch nicht zum Spiegel geht, sondern beim ZDF bleibt Gemeldet werden der Tod von Rocklegende und Frauenverprügler Ike Turner sowie die Kür Uwe Vorkötters zum Chefredakteur des Jahres. In der Times Mager schätzt Hans-Jürgen Linke die "anthropologische Leistung der Reklame" ab.

Besprochen werden der trotz des guten Titels für Daniel Kothenschulte enttäuschende Animationsfilm "Bee Movie", die Überblicksschau "Schlingensief" im Migros-Museum für Gegenwartskunst in Zürich und Eckhard Henscheids Lesung von Heino Jaegers "Ein Jahrhundertgenie".

Welt, 13.12.2007

Jan Philipp Reemtsma hält eine Rede auf Robert Gernhardt, der heute siebzig geworden wäre. Uwe Wittstock berichtet kurz über die Gernhardt-Ausstellung "Letzte Bilder" in der Frankfurter Caricatura. Rainer Haubrich widmet die Glosse den falschen Terrakottafiguren. Claus Kleber will nicht Chef des Spiegels werden, wird gemeldet. Wieland Freund gratuliert dem Kinderbuchautor Paul Maar zum Siebzigsten. Stefan Kirschner resümiert den Abschlussbericht der Enquete-Kommission für Kultur. Berthold Seewald schreibt über die katalogisierte Berlinka-Sammlung in Krakau. Und Ulrike Simon porträtiert den Fernsehjournalisten Jörg Thadeusz.

Besprochen werden eine Ausstellung zu den großen Skandalen der Bundesrepublik im Bonner Haus der Geschichte, Volker Schlöndorffs Film "Ulzhan", Irene Langmanns Dokumentation "Rubljovka", Kirsten Sheridans Film "Der Klang des Herzens" und James Mangolds Western "Todeszug nach Yuma". Im danebenstehenden Interview mit dem Schauspieler Christian Bale sagt dieser den schönen Satz: "Egal wie viel Realismus du hineinlegst, es ist und bleibt unecht. Zwischen Batman und Werner Herzog ist da kein großer Unterschied."

NZZ, 13.12.2007

Martin Meyer kommentiert die Abwahl des Schweizer Bundesrats Christoph Blocher, mit der "eine ungemütliche Ära für die helvetische Konkordanzdemokratie" angebrochen sein könnte: "Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich das Klima nochmals deutlich verschärfen wird: zwischen Links und Rechts ohnehin, aber auch in der Mitte, wo sowieso vielerlei Unsicherheiten herrschen bezüglich dessen, was Erfolg versprechen könnte."

Weiteres: Biochemiker Gottfried Schatz widmet sich in seiner Wissenschaftskolumne dem Hautfarbstoff Melanin, der "den Gang der menschlichen Geschichte wahrscheinlich tiefgreifender beeinflusst hat, als Seuchen, Kriege und Religionen". Ursula Seibold-Bultmann stellt Chemnitz' neue "Sparkasse für moderne Kunst", das Museum Gunzenhauser, vor.

Besprochen werden Peter Ackroyds Roman "Wie es uns gefällt" und Hans-Ulrich Treichels Erzählung "Der Papst, den ich gekannt habe" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Auf der Filmseite preist Susanne Ostwald Shekhar Kapurs Film "Elizabeth - The Golden Age" mit Cate Blanchett als "farbenfrohe Ausstattungsorgie, die Bollywood zur Ehre gereichte".

SZ, 13.12.2007

Alex Rühle hat zugehört, als sich der Geiger Renaud Capucon und der Pianist Fazil Say, "Exklusivkünstler am Konzerthaus Dortmund", total SZ-mäßig im Pariser Cafe Marly unterhielten. Vom Essen nach einem Auftritt will Say nix hören. Aber dass Capucon Sportler beneidet, die "nach jedem Match Massage, Spa und Physiotherapie haben", leuchtet ihm voll ein: "Du musst dir eine Freundin anschaffen, die gut massieren kann. Oder du machst es wie Maxim Vengerov. Der hat einen Assistenten engagiert, der ihm die Geige und den Koffer trägt und der auch noch gut massieren kann."

Weitere Artikel: Christian Kortmann wirbt für die neue Videoclip-Technik von Immersive Media auf sz-online: "Besonders interessiert ist das Militär". Wolfgang Schreiber erklärt vierhundert Quasthoff-Fans, was sie versäumt haben, als sie ihre Karten für das Konzert des erkrankten Baritons in München zurückgaben: den sensationellen Auftrtitt von Michael Volle. Ijoma Mangold berichtet über den 500 Seiten starken Abschlussbericht der Enquete-Kommission für Kultur. Lyn. meldet die Schließung der Terrakotta-Armee-Ausstellung im Hamburger Museum (es waren alles Kopien, keine Originale). Nora Sobich berichtet über einen Streit um Richard Neutras vom Abriss bedrohtes Bürgerkriegsmuseum von Gettysburg. Roswitha Budeus-Budde gratuliert dem Schriftsteller Paul Maar zum Siebzigsten.

Auf der Medienseite wird ein Radio-Feature auf Bayern 2 über Ingmar Bergmans Münchner Jahre angekündigt.

Besprochen werden Irene Langemanns Dokumentarfilm über die "Rubljovka", eine Straße, die Moskau mit der westlich gelegenen Provinz verbindet, Volker Schlöndorffs Western aus Kasachstan "Ulzhan" (Schlöndorff "demonstriert hier, dass er immer noch David Bennents funkelnden Irrsinn am besten zu dosieren weiß", behauptet Susan Vahabzadeh. "Unser Team war so lahm, dass ich viel Zeit zum Nachdenken hatte", sagt Schlöndorff in einem sehr schönen beigestellten Interview), James Mangolds Neuverfilmung des Westerns "Todeszug nach Yuma" mit Russell Crowe und Christian Bale und Bücher, darunter der siebte Band der Tagebücher von Harry Graf Kessler und György Dalos' Roman "Jugendstil" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 13.12.2007

Ein Klavier, ein Klavier: Eleonore Büning und Gerhard Stadelmaier nehmen den Verkauf der Firma Bösendörfer zum Anlass, auf der Aufmacherseite übers Klavier zu schreiben. Büning klärt uns auf über die Marktmacht der "Steinway-Mafia" und weiß auch, warum sie ihren Bechstein-Flügel präferiert: "Die erzielte Grundtönigkeit des Bechsteinflügels aber ist messbar, sie macht ihn jedem Steinwayflügel überlegen. Da beim Bechstein die tieferen Frequenzen der Obertöne dominieren, hat der typisch abgerundete transparente Bechsteinklang sehr viel mehr Farben auf der Palette nicht nur im lauten, sondern auch im leisen Bereich, von Pianissimo bis zum Mezzoforte." Gerhard Stadelmaier wiederum schätzt das absolutistische Steinway-Klavier als eines mit Seele und stellt andere Vergleiche an: "Kein Yamaha, der sich bei Pianissimo-Innigkeiten, kein Bösendorfer, der sich bei Triumphoktavengedonner ertappen ließe."

Weitere Artikel: Edo Reents weiß in der Glosse, welche Platten Politiker von Hitler bis Merkel und Medwedjew so im Schrank hatten bzw. haben. Viel geredet und nichts entschieden wird, wie Konrad Mrusek berichtet, bei der Klimakonferenz auf Bali. Andreas Rossmann informiert über Autoverkehr-Unterkellerungspläne für Düsseldorf. Patrick Bahners referiert einen Vortrag des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier über den "Rechtsstaat in Zeiten des Terrorismus". Tilmann Spreckelsen gratuliert dem Kinderbuchautor Paul Maar zum Siebzigsten. Mark Siemons informiert über chinesische Reaktionen auf falsche Terrakottakrieger in Hamburg. Den Skandal um die französische Organisation "Arche de Zoe" nimmt Jürg Altwegg zum Anlass, über die Tätigkeit humanitärer Organisationen nachzudenken.

Auf der Medienseite wird zum einen gemeldet, dass - laut einer Studie von Castulus Kolo und Robin Meyer-Lucht - Zeitungsleser ins Internet abwandern, und zum anderen, dass der von der Zeitung ins Internet abgewanderte Stefan Niggemeier vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet wird. Online kommentiert Michael Hanfeld die Absage Claus Klebers an den Spiegel - und erwähnt nebenbei, dass vor der Entscheidung für Kleber nur der (vom Medium Magazin gerade als "Chefredakteur des Jahres" ausgezeichnete) FR-Chef Uwe Vorkötter noch als ernsthafter Kandidat im Gespräch war.

Auf der Kinoseite feiert Dominik Graf den Schauspieler Peter Lohmeyer. Hans-Jörg Rother berichtet vom Filmfestival in Thessaloniki und Rüdiger Suchsland war dabei, als Martin Scorsese in Marrakesch den Film "Transes" sah, den die von ihm gegründete World Cinema Foundation restauriert hat.

Besprochen werden eine Frankfurter Ausstellung mit letzten Zeichnungen von Robert Gernhardt, das von Jerry Seinfeld mitentwickelte "Bee" - und wie Andreas Platthaus findet, in der Tat auch B- - "Movie" (hier unsere Kritik), und Bücher, darunter Detlef Kuhlbrodts Szenen aus vier Jahreszeiten "Morgens leicht, später laut" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Zeit, 13.12.2007

Peter Kümmel unterhält sich mit dem großen Gert Voss über seinen ab nächster Woche in Wien zu sehenden "Wallenstein", das Kino und das Elend des Regietheater: "Ich habe in so vielen Aufführungen den Eindruck, dass sie sich um das Schwierige drücken. Wenn sie verletzbar werden sollten, wenn sie sich dem Risiko eines ungebrochenen Gefühls aussetzen müssten, dann büxen sie aus ins Ironische... Heute ist das Theater kommensurabel, eine einzige bolleartige Vergnügtheit. Neulich sah ich von Nicolas Stemann 'Ulrike Maria Stuart': Die Zuschauer wurden von den Schauspielern mit Flüssigkeiten vollgespritzt, aber vorher hat man Schutzplanen für die vorderen Reihen ausgeteilt. Früher hätte man so was gemacht, ohne die Leute vorzubereiten."

Weiteres: Evelyn Finger beklagt den Niedergang des Genre der Kanzelpredigt, die nur noch "der feierlichen Selbstvergewisserung und der kollektiven Seelenwellness" diene. Katja Nicodemus beschwert sich über den diesjährigen Weihnachtsblockbuster "Der Goldene Kompass": "Als Zuschauer kommt man sich vor wie ein Kind, dem die Eltern eine Kiste teures Spielzeug scheppernd unter den Baum kippen." Claus Spahn schreibt zum Tod von Karlheinz Stockhausen. Hanno Rauterberg gratuliert dem Architekten Oscar Niemeyer, der am Samstag sage und schreibe hundert Jahre alt wird.

Besprochen werden James Mangolds klassizistischer Western "Todeszug nach Yuma", Irene Langemanns Film über Russlands Reichen-Residenz "Rubljowka", die "Snowsjow" des russischen Clowns Slava Polunin, und in der Rubrik Diskothek Beethovens Klaviertrios, Django Reinhardts "Swing from Paris" und Loriot auf DVD.

Im Aufmacher des Literaturteils bespricht Ulrich Greiner Peer Hultbergs Roman "Eines Nachts". Im Dossier ruft Brigitte Fehrle nach den jüngsten Fällen von Kindestötungen dazu auf, sich mehr in die privaten Angelegenheiten anderer einzumischen.