Heute in den Feuilletons

Immer nur Abendessen für drei Leute

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.01.2009. In der NZZ erklärt Dan Diner, warum sich der Clinch zwischen Israel und den Palästinensern auch diesmal nicht lösen lässt. In der Zeit erklärt Francis Fukuyama, warum er trotz allem an die Macht Amerikas glaubt. In der taz erzählt Christian Petzold, warum er die Schauspieler in Autoszenen wirklich fahren lässt. Die SZ porträtiert den britischen Autor Matt Beynon Rees, der versucht, die Lage im Gaza-Streifen in seinen Krimis widerzuspiegeln.

NZZ, 08.01.2009

In einem sehr lesenswerten Hintergrundtext beschreibt der Historiker Dan Diner, warum auch der jetzige Waffengang nicht die Problem zwischen Israelis und Palästinensern lösen wird: "Die israelischen wie die palästinensischen Ambivalenzen in der Anerkennung des jeweils anderen haben ihre Quelle in einem verhohlenen Anspruch auf das ganze Land. Dort haben die inneren Blockaden oder die Bürgerkriege ihren tiefen Grund. Dass zwischen den zum Konsens unfähigen Kontrahenten alternierend Gespräche und Gewalt sich ablösen, ist jener grundlegenden Konstellation innerer Unentschiedenheit auf beiden Seiten geschuldet. Um dennoch politikfähig zu erscheinen, haben etwa radikalere palästinensische Fraktionen, später auch die Hamas, sich auf die vieldeutige Aussage kapriziert, es gelte die Israeli zum Rückzug auf die Grenzen von vor 1967 zu veranlassen, ohne indes die Anerkennung des jüdischen Staates wirklich zu ratifizieren. Eine solche in der dilatorischen Anerkennung Israels angelegte Haltung erlaubte über lange Dauer, so etwas wie das politisch heilige Gut einer palästinensischen Einheit zu wahren."

Besprochen werden eine Bernard Haitinks Aufführung von Bruckners Fünfter mit dem Tonhalle-Orchester Zürich, Thomas Meineckes neuer Roman "Jungfrau" und auf der Filmseite das Drama "Le silence de Lorna" der belgischen Brüder Dardenne sowie Oliver Paulus' Schweizer Bollywood-Versuch "Tandoori Love".

FR, 08.01.2009

In Times mager schreibt Ina Hartwig bemerkenswert unscharf über die Vertraulichkeitserklärung, die Kritiker unterschreiben mussten, wenn sie das Manuskript von Daniel Kehlmanns neuem Roman "Ruhm" bekommen wollten und über die sich der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe hinweggesetzt hat. Zuwiderhandlungen sollen mit 250.000 Euro bestraft werden.

Weiteres: Daniel Kothenschulte unterhält sich mit Regisseur Christian Petzold über dessen neuen Film "Jerichow", den Kothenschulte in einem zweiten Text als den "elegantesten" in Petzolds Karriere lobt. Ulrich Rüdenauer stellt Klaus Nüchtern und sein Wiener Jazz-Label Handsemmel Records vor. Andreas Herberg-Rothe widmet sich in einem Hintergrundtext den Gefahren neuer Waffensysteme.

Besprochen werden außerdem Peter Chans historisches Epos "The Warlords" Thomas Meineckes neuer Roman "Jungfrau" und Stefana Sabins Band "Die Welt als Exil" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 08.01.2009

Im Interview spricht Christian Petzold über die Dreharbeiten seines neuen Films "Jerichow", das Amerikahafte der mecklenburg-vorpommerschen Provinz und echtes Autofahren in seinen Filmen. "Das hat etwas mit der Sprache und mit dem Sprachrhythmus zu tun. Sobald man eine theatralische, kulissenhafte, ungestörte Atmosphäre aufbaut, sprechen die Schauspieler auf eine Art und Weise, die ich nicht leiden kann. Wenn sie aber wirklich fahren müssen und zu zweit sind, dann schaffen sie es, eine eigene Gesprächsdynamik hervorzubringen. Eine Dynamik, die wirklich mit ihrer Umgebung zu tun hat." "Hoch artifiziell verdichtet und zugleich genau geerdet" urteilt Cristina Nord in ihrer Besprechung von "Jerichow".

Julian Weber würdigt in einem Nachruf Ron Asheton, Gitarrist der Band The Stooges. In tazzwei stellt der israelische Journalist Igal Avidan in einem Gespräch sein erstes Buch vor: "Israel. Ein Staat sucht sich selbst". Besprochen werden Michael Kliers Film "Alter und Schönheit", eine DVD-Box mit fünf Filmen von Herbert Achternbusch und eine Studie des Kunsthistorikers W. J. T. Mitchell: "Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur". (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

Auf der Meinungsseite wirft der palästinensische Publizist Hakam Abdel Hadi dem Westen vor, dass er die demokratisch gewählte Hamas nicht als Gesprächspartner anerkannt hat.

Hier Tom.

Welt, 08.01.2009

Eckhard Fuhr bespricht mit Begeisterung Alexander Kluges DVD-Essay über Eisenstein und sein Marx-Projekt. Peter Dittmar berichtet in der Leitglosse von Protesten Moskauer Bürger gegen die Umbennung der "Großen Kommunistischen Straße" in Solschenizyn-Straße. Hendrik Werner berichtet von sinkenden Zuschauerzahlen für Elke Heidenreichs "Lesen"-Sendung, die jetzt auf dem Portal litcolony.de läuft. Ulrich Baron meditiert aus gegebenem Anlass über Gas als "Symbol der Moderne". Matthias Heine schreibt zum Tod des Stooges-Gitarristen Ron Asheton. Uwe Wittstock unterhält sich mit dem Autor Luka Bärfuss, der für seinen Ruanda-Roman "Hundert Tage" den Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman erhielt. Auf der Filmseite geht's unter anderm um Christian Petzolds "Jerichow". Auf der Forumsseite wird über die Frage gestritten: "Führt Israel einen gerechten Krieg?". Clemens Wergin antwortet mit "ja", Mariam Lau antwortet mit "nein".

Aus den Blogs, 08.01.2009

turi2 verweist auf ein CNN-Online-Interview mit Google-Cherf Eric Schmidt zur Zeitungskrise und zur Frage, ob Google helfen kann: "I wish I had a brilliant idea, but I don't."

Don Alphonso macht sich über Gedanken über die Frage, welche Blogger nach Robert Basic ihre Blogs noch verkaufen könnten, ist aber nicht sehr optimistisch.

SZ, 08.01.2009

Die erste Seite dreht sich fast komplett um den Gaza-Krieg und die Hintergründe. Andrian Kreye erklärt, wie es die Hamas geschafft hat, die Palästinenser für ihre radikale Linie zu gewinnen: "Schier unmöglich wird es sein, gegen diese Mischung aus effektiver Wohltätigkeit, spiritueller Heimat und Heldenmythos anzukommen." In einem zweiten Artikel porträtiert Alex Rühle den britischen Autor Matt Beynon Rees, der vesucht, die komplexe Lage in seinen Krimis über den Gaza-Streifen widerzuspiegeln: "Das Wertvolle an 'Ein Grab in Gaza' sind die Alltagsbeschreibungen aus einer vollkommen entropischen Gesellschaft. Die Widerstandskämpfer herrschen mit hemmungsloser Gewalt über den Alltag, wer einem in die Quere kommt, wird, wenn man die Beziehungen dazu hat, in eine Folterzelle gesperrt." Auf SZ Online steht außerdem ein Interview mit dem israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery.

Weitere Artikel: Fabian Soethof teilt mit, dass sich der deutsche Buchhandel - anders als der amerikanische - für das Jahr 2009 nicht in der Krise sieht. Jens-Christian Rabe weiß, warum Apple künftig Gitarren- und Klavierunterricht anbietet. Gerwin Zohlen stellt das "meist gehypte" der jungen deutschen Architekturbüros, Graft Architekten, vor (dessen bisherige Website aber den ganz und gar üblichen Flash-Wahnsinn von Architektenseiten im Netz betreibt). Benedikt Hotze warnt davor, den modernen Teil des Hannoveraner Landtags abzureißen. Knappe Nachrufe gibt es auf den Stooges-Gitarristen Ron Asheton und die Musikmäzenatin Betty Freeman. Die Medienseite fragt, ob DuMont die deutschen Titel des angschlagenen Mecom-Konzerns übernimmt.

Besprochen werden neue Filme, darunter Sam Mendes' erst in der nächsten Woche startende Richard-Yates-Verfilmung "Zeiten des Aufruhrs" und Michael Kliers "Alter und Schönheit" und Bücher, darunter Robert Pfallers Gegenwartsdiagnose "Das Schmutzige Heilige und die Reine Vernunft" und der Kriminalroman "Fragen Sie den Papagei" des jüngst verstorbenen Richard Stark alias Donald Westlake (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr). 

FAZ, 08.01.2009

Mit viel Sympathie stellt Regina Mönch die Richterin Kirsten Heisig vor, die als gnadenlos gilt, weil sie in Berliner Problemvierteln unerbittlich scharf urteilt: "Das 'Neuköllner Modell' peilt nicht schärfere Gesetze an, sondern will zuallererst die geltenden durchsetzen. Die Schulpflicht, das Prügelverbot für Eltern. Weil die Richterin viele Arrest-Verfahren beschleunigt - damit die sehr jungen Prügler und Räuber sich noch erinnern können, was sie in den Gerichtssaal brachte -, ist sie von den Berliner Grünen und der SPD scharf attackiert worden. Die Polizeigewerkschaft unterstützt sie, immerhin, und warnt vor den muslimischen Friedensrichtern, die längst mit eigenen Gesetzen regeln, was eigentlich Sache des Staates ist."

Weitere Artikel: Jan Brachmann hat das erste ins Internet übertragene Konzert der Berliner Philharmoniker gesehen und gehört (hier kann man das tun), ist durchaus fasziniert, warnt aber auch: "Irgendwann wird ein Konzertbesuch so exotisch sein wie Ferien auf dem Bauernhof, und wir bestaunen das echte Geigen bald so ungläubig wie das Melken einer Ziege." Joachim Müller-Jung war in Bangalore und hat das "Harvard Indiens", das "Indian Institute of Science" besucht, dessen Schwächen er jedoch nicht übersehen will. In der Glosse joggt Christian Geyer in der Eiseskälte und macht sich auch dabei noch so seine Gedanken. Mit eher wenig Verständnis für die Musikindustrie kommentiert Edo Reents neue Entwicklungen wie die Aufhebung des Kopierschutzes auf itunes. Tobias Rüther schreibt über den Ausstieg von Florian Schneider bei Kraftwerk. Sabine Frommel hat eine Pariser Tagung über Frauen in der Architektur besucht. Der Wissenschafts-Verleger Vittorio E. Klostermann erklärt, warum die Wissenschaft Wissenschafts-Verlage dringend braucht. Thomas Thiel informiert auf der Medienseite über die Pläne des A-List-Bloggers Robert Basic, sein Blog Basicthinking bei ebay zu versteigern. Auf der Kinoseite schreibt Hans-Jörg Rother über eine Ousmane-Sembene-Retrospektive beim Festival von Thessaloniki.

Besprochen werden die Ausstellung "100 Meisterzeichnungen aus der Morgan Library" in der Pinakothek der Moderne in München, Michael Kliers Film "Alter und Schönheit" und Bücher, darunter Peter Careys Roman "Liebe" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Zeit, 08.01.2009

Der amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama spricht im Interview mit Martin Klingst über die Finanzkrise und den gravierenden Prestigeverlust der USA, der aber noch lange nicht das Ende des amerikanischen Zeitalters bedeute: "Macht zeigt sich nicht in Zeiten allgemeinen Wachstums, sondern dann, wenn alle wie jetzt in großen Schwierigkeiten stecken. Russland wirkte zum Beispiel sehr stark, als es im August 2008 in Georgien einmarschierte. Doch seit der Ölpreis unter 50 Dollar pro Barrel sackte, ist das Land nach außen wie nach innen geschwächt. Chinas Einfluss beruhte auf seiner zweistelligen Wachstumsrate. Die Wirtschaftskrise wird die sozialen Spannungen drastisch verschärfen. Chinas Regierung wird alle Hände voll zu tun haben, Aufstände zu unterdrücken."

Weiteres: Katja Nicodemus und Christof Siemes unterhalten sich mit Regisseur Christian Petzold über seinen neuen Film "Jerichow", vor allem aber über Geld. "Arm filmt gut" gefällt ihm als Devise nicht, er hätte auf jeden Fall gern mehr davon, allein schon für mehr Drehtage: "Ich schreibe immer nur Abendessen für drei Leute, würde aber gern mal eine Orgie inszenieren." (Ein Video-Interview mit Petzold gibt es auf der Filmseite Cargo.)

Weiteres: Regisseur Dominik Graf nimmt zumindest einige sehr engagierte Redakteure gegen den Vorwurf in Schutz, das Fernsehen sei für schlechtes Kino verantwortlich. Das seien immer noch schlechte Filmregisseure. Die Dramatikerin Gesine Danckwart meditiert über das Auto: "Auto findet im Kopf statt." Wolfram Goertz bedankt sich bei den Korepetitoren der Opern, die im Falle eines Orchesterstreiks einspringen. Carsten Fastner erzählt noch einmal, wie aus Haydns Huldigung des österreichischen Kaisers die deutsche Nationalhymne wurde.

Im Literaturteil spricht der Historiker Philipp Sarasin im Interview mit Elisabeth von Thadden über Darwin als einen der großen Autoren des modernen Denkens: "Diese Moderne akzeptiert nichts Gegebenes, auch keine göttlich abgeleitete Ordnung, ohne sie kritisch zu befragen und für veränderbar zu halten."