Heute in den Feuilletons

Ich bin ein Hannelörchen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.04.2010. Die 200. South-Park-Episode ist jetzt auch für das deutsche Publikum gesperrt. Die FAZ hat ein Statement von MTV eingeholt. Jörg Lau hat zur Gruppe Revolution Muslim recherchiert und fragt bestürzt: Wegen der albernen Drohposts dieser Freaks wird zensiert? Jon Stewart singt dazu: Bleep Bleep Bleep. In der taz erklärt die Autorin Olga Lewicka: Polentum ist eine Religion. In der FR diskutieren Christa Ritter und Arno Widmann über Sex zwischen Schülern und Lehrern. In der Welt fürchtet Michael Krüger den Zusammenbruch der kritischen Öffentlichkeit durch das Internet. Die NZZ porträtiert den Künstler Hitonari Tsuji. Die SZ lernt aus Großbritannien: Auch im Fernsehen kann man vernünftig debattieren.

Aus den Blogs, 24.04.2010

Jörg Lau hat ein bisschen zu der Gruppe Revolution Muslim recherchiert, wegen der die Macher von South Park Ärger bekommen haben: "Ein Haufen religiös Verwirrter, haltloser Irrer, die nichts dringender brauchen als die besorgte, erregte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. (Hier mehr Hintergrund von der Anti Defamation League.) So, und nun wird es peinlich: Wegen der albernen Drohposts dieser Freaks hat Comedy Central nun das große Muffensausen bekommen und South Park zensiert. Unfasslich."

(Via Huffington Post) Jon Stewart zur South Park-Zensuraffäre:



Tom O'Neil fragt auf seinem Los Angeles Times-Blog Gold Derby: "Will 'South Park' and 'The Daily Show' have the nerve to submit the Muhammad episodes for the Emmy battle?"

TAZ, 24.04.2010

Die polnische Künstlerin und Autorin Olga Lewicka analysiert die geradezu zwanghaft auf alle Ereignisse - und insbesondere die jüngsten - angewandten nationalmythischen Denkmuster in ihrer Heimat: "Polentum, die Liebe zu Polen, ist also eigentlich eine Religion. So krass, wie dies klingt, so krass ist es dann auch.. Lech Kaczynskis Unfalltod wurde nicht nur zu einem Märtyreropfer, er öffnete zudem, ganz messianisch, 'der Freiheit eine Gasse'. Die Russen trauern endlich, Katyn und das Leid Polens überhaupt wird in die Erinnerung der ganzen Welt zurückgerufen - es war eine Heldentat. Wie sich Absichten, Zufälle, Ursachen und Wirkungen in dieser Geschichte tatsächlich zueinander verhalten, wird dabei irrelevant."

Weitere Artikel: Rene Hamann unterhält sich mit dem in Paderborn lehrenden Pop-Professor Christoph Jacke über den Pop und die Universität. Simone Jung und Florian Pfefferkorn suchen in Hamburg - recht vergeblich - nach dem Nachwuchs für Subkultur und Untergrund. Tania Martini denkt in der "Leuchten der Menschheit"-Kolumne über neue und alte Studentenbewegungen nach.

Besprochen wird Hanna Lemkes Geschichtenband "Gesichertes" und ein Sammelband zum österreichischen Studierendenstreik (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

FR, 24.04.2010

In einem Gastbeitrag erklärt Christa Ritter, warum aus ihrer Sicht der sexuelle Umgang von Schülerinnen mit Lehrern in der Aufbruchszeit der sechziger Jahre durchaus eine Befreiung darstellte: "Ein Schüler verliebte sich schnell in die freieren Lehrer, die geistige Welten öffneten und eigene Begabungen entdecken ließen. Damals wurde ohne Netz und doppelten Boden viel ausprobiert und sicher mangels Erfahrung in solchen Freiheiten vielen 'Gewalt' zugefügt: eigentlich jedoch nur alten, schlechten Gewohnheiten."

Feuilletonchef und Generationsgenosse Arno Widmann will das dann doch nicht unerwidert lassen: "Du bewegst Dich in einer Wahnwelt, in der ein sich zu dem Kind hinabbeugender Erwachsener mit ihm auf Augenhöhe ist. Das entspricht der pädophilen Illusion. Die ist freilich schnell zerstört und der pädophile Erwachsene greift zur Gewalt, um seine Lust zu befriedigen."

Weitere Artikel: Arno Widmann denkt zum 50. Jubiläum des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts auch über die sozialen Wirkungen der Psychoanalyse in Deutschland nach. Bitter kommentiert Daniel Kothenschulte schon vorab die Auswahlpraktiken beim Deutschen Filmpreis. In einer Times Mager von Sylvia Staude geht es um schlaue Krähen, gelehrige Schimpansen und multitaskingunfähige Menschen. Marcia Pally erklärt in ihrer Kolumne, was du und ich von Goldman Sachs lernen können. Christoph Schröder berichtet von einer Lesung, bei der die Autorin Annika Scheffel aus ihrem Romandebüt "Ben" vortrug.

Besprochen werden die Ernst-Ludwig-Kirchner-Retrospektive im Frankfurter Städel, und eine von Wulf Kirsten zusammengestellte Auswahl deutscher Gedichte von Nietzsche bis Celan und Pete Dexters Roman "God's Pocket" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 24.04.2010

Adam Krzeminski erörtert in der Literarischen Welt die Frage, die sich jetzt in Polen stellt: "Ist die Katastrophe von Smolensk eine Fortsetzung der zweihundertjährigen Leidensgeschichte Polens - deren Wegmarkierungen die Teilungen durch die übermächtigen Nachbarn, blutig unterdrückte Aufstände und planmäßige Mordaktionen seitens der Besatzer sind - oder eben ihr Schlussstein?"

Uwe Wittstock führt ein Gespräch mit Michael Krüger, Hermann Riedel und Michael Stempel vom Hanser Verlag, das mit sachlichen Erwägungen beginnt ("Der Verkaufspreis des eBooks liegt im Literaturverlag 10 bis 20 Prozent unter dem Preis des entsprechenden gebundenen Buchs") und in der Apokalypse des Urheberrechts endet. Frage: "Was passiert, wenn sich das Urheberrecht in Zukunft nicht verteidigen lässt? Wenn die Autoren keine Honorare mehr bekommen, die Verlage ihre Bücher nicht mehr gegen Raubdruck verteidigen können und auch die Zeitungen keine Geschäftsgrundlage haben, weil ihnen die Anzeigenerlöse wegbrechen und das Publikum erwartet, alle Inhalte im Netz kostenlos lesen zu können? Wird es dann noch so etwas wie eine kritische Öffentlichkeit geben, eine unabhängige Öffentlichkeit, in der aktuelle politischen und gesellschaftlichen Fragen breit diskutieren werden können - was für eine demokratische Meinungsbildung unumgänglich ist?" Antwort Krüger: "Nein. Es wird diese kritische Öffentlichkeit nicht mehr geben." Na, dann können wir ja einpacken!

Weitere Artikel: In der Kolumne feiert Hannes Stein den algerischen Autor Boualem Sansal, dessen Roman "The German Mujahid", der vom Islamismus und der Nazizeit handelt, er gern einen Pries für muslimisch-jüdische Versöhnung geben würde. Martin Ebel weist mit großer Dringlishkciet auf den bulgarischen Autor Vladimir Zarev hin, der mit "Familienbrand" einen der besten Wende-Romane Osteuropas verfasst habe. Besprochen wird außerdem, neben vielen anderen Büchern, Anthony Beevors Studie über den D-Day.

Im Feuilleton wird Franz Schmidts Oper "Notre Dame" besprochen.

Auf der Forumsseite stellt Paul Nolte die Frage "Ist die Freiheit den meisten Deutschen doch eher äußerlich geblieben?" Und plädiert für vorsichtige Antworten.

Den gestern angekündigten Artikel Fritz J. Raddatz' über den "Verfall des deutschen Feuilletons" haben wir in der heutigen Welt leider nicht gefunden!

Berliner Zeitung, 24.04.2010

Für Jeff Jarvis rettet das Internet die kritische Öffentlichkeit. Weil die Leser sich jetzt einmischen, erklärt er im Interview: "Als ich ein Reporter war, habe ich mich immer geschämt, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ich wollte mich verstecken und hoffte, dass niemand es entdeckt und wir keine Korrektur drucken müssen. In der Blogwelt habe ich gelernt, dass seine Fehler zu korrigieren, die eigene Glaubwürdigkeit vergrößert. Man beseitigt den Fehler nicht, man streicht ihn durch und zeigt, dass man es nun besser macht."
Stichwörter: Internet, Jarvis, Jeff

NZZ, 24.04.2010

In Literatur und Kunst stellt Leopold Federmair den in Paris lebenden japanischen Schriftsteller, Hardrocker und Filmemacher Hitonari Tsuji vor, den er 2009 in einem Konzert gehört hat: "Eine Zeitlang konnte ich nicht glauben, dass der Sänger Hitonari Tsuji war. Hitonari alias Jinsei alias Zinc. Dann beschloss ich, dass er es war, der Romancier, Filmregisseur und eben - Musiker. 'Zink', sagte er zwei Wochen später im Pariser Cafe, wo wir uns verabredet hatten, 'das ist eine schöne Farbe, wie der Himmel meistens.' In Paris, warf ich ein, bedeutet zinc auch Theke. 'Aha ...' Mein Blick fiel auf seine lackierten Fingernägel: zinkfarben, himmelgrau. Wie der Tokio-Himmel in [seinem Roman] 'Anti-Noise'."

Weitere Artikel: Christian Saehrendt studiert am Beispiel von Ernst Ludwig Kirchner den Zusammenhang zwischen Avantgarde und Skandal. Claudia Bertling Biaggini erinnert an den Rangstreit der Künste um 1500. Besprochen werden Li Ers Roman "Koloratur" und Yang Lians Gedichtband "Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Feuilleton beschreibt Martin Meyer, wie moderne Medien den Krieg ins Wohnzimmer bringen. Susanne Ostwald schreibt zum Siebzigsten von Al Pacino. Michael Mayer schreibt zum Tod der Kindheitsforscherin Alice Miller. Besprochen wird die bisher nur auf Englisch erschienene Obama-Biografie von David Remnick.

FAZ, 24.04.2010



Die 200. South Park-Folge mit einem (in den Medien selten gezeigten) Mohammed im Bärenkostüm, der am Ende sowieso nur der Weihnachtmann ist, ist nun auch auf der deutschen Website von South Park gelöscht. "We apologize", heißt es auf der Seite.



Michael Hanfeld hat MTV um eine Begründung gebeten - hier der Text des Senders: "Wir haben diese Entscheidung mit großem Widerstreben getroffen. Wir glauben fest an kreative Ausdrucksfreiheit: Wir alle profitieren davon, wenn es einzigartigen und tiefgründigen Kreativen wie den Machern von South Park erlaubt ist, sich frei auszudrücken. Allerdings steht die Sicherheit unserer Angestellten für uns stets an erster Stelle, und so haben wir uns zu diesen Vorsichtsmaßnahmen entschlossen."

Im Aufmacher erklärt Frank Rieger vom Chaos Computer Club ausführlich, wie Amazon, Apple oder Google unsere Suchanfragen speichern. Etwas unklar bleibt allerdings, wie der vom CCC vorgeschlagene Datenbrief dem entgegenwirken und wie er überhaupt erstellt werden soll (mehr dazu auf der Webseite des CCC). Jürgen Dollase kann mit dem Begriff "ethische Küche", den Patricia Alexandre im Gault-Millau-Magazin einführte, wenig anfangen. Arno Lederer plädiert im Streit um Abriss oder Erhaltung des Stuttgarter Bahnhofs für den Erhalt der Bahnhofsflügel. Orlando Figes, dessen Ehefrau angeblich die Bücher seiner Konkurrenten unter dem Pseudonym "Historian" verrissen hat, hat jetzt zugegeben, dass er selbst diese Verrisse geschrieben und seine Frau dafür "den Kopf hingehalten" hat, berichtet Gina Thomas. Abgedruckt ist die Laudatio von Senta Berger und Günter Rohrbach auf Bernd Eichinger anlässlich der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Michael Horeni schickt eine Reportage über den Fußballverein Hannover 96, der seit dem Selbstmord von Torwart Robert Enke in der Krise steckt. Christian Geyer schreibt zum Tod der Kindheitsforscherin Alice Miller.

In Bilder und Zeiten porträtiert Christian Wildhagen den Dirigenten und Vater des Verteidigungsministers Enoch zu Guttenberg, der dazu standesgemäß (Hand auf Hund) abgebildet wurde. Roberto Zapperi überlegt, warum in Frankreich, Italien und Spanien das Bidet benutzt wird, in Deutschland und England dagegen nicht, und kommt zu dem Schluss: Es liegt am moralischen Rigorismus der Protestanten. Helmut Mayer hat einen Ortstermin im Autographenmuseum in Paris. Und die Schauspielerin Hannelore Hoger erklärt im Interview: "Ich bin ein Hannelörchen. Warum sollte ich wie alle sein?"

Besprochen werden Inszenierungen von Jarry/Stephens' "Ubu" und Jakob Heins "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand" in Essen, ein Konzert der Band Tunng in Köln und Bücher, darunter neue Koranübersetzungen (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten- und Phonoseite stellt Ulrich Olshausen das Programm der jazzwerkstatt vor. Weiter geht's um die Wolfgang-Rihm-Edition, eine CD des Bassbaritons Bryn Terfel (Eleonore Büning empfiehlt aber eher Rene Pape) und eine CD von Madsen.

In der Frankfurter Anthologie interpretiert Jan-Christoph Hauschild ein Gedicht von Heinrich Heine:

"Mittelalterliche Roheit

Mittelalterliche Roheit
Weicht dem Aufschwung schöner Künste:
Instrument moderner Bildung
ist vorzüglich das Klavier
..."

SZ, 24.04.2010

Zu jedermanns Überraschung erweisen sich die erstmals veranstalteten Fernsehdebatten der drei Spitzenkandidaten vor der Wahl in Großbritannien als Erfolg. Nicht nur, weil der Außenseiter Nick Clegg (von den Liberaldemokraten) alle positiv überraschte, sondern weil insgesamt vernünftig diskutiert wurde. Johan Schloemann findet, dass man daraus auch einen grundsätzlicheren Schluss ziehen kann: Es "lassen die rhetorischen Fähigkeiten der drei britischen Spitzenkandidaten, zusammen mit der strikten Unterbindung des Durcheinanderredens durch den einen Moderator, eine Lehre auch für Deutschland erkennen: Nicht das Fernsehen untergräbt die Demokratie. Sondern schlechte Rhetorik und schlechtes Fernsehen."

Weitere Artikel: Burkhard Müller resümiert die gestrige Filmpreisverleihung, bei der Michael Hanekes "Das weiße Band" nicht ganz unerwartet jede Menge Lolas abräumte. Dem US-Filmemacher Paul Mazursky gratuliert Fritz Göttler zum Achtzigsten, Tobias Kniebe dem Schauspieler Al Pacino zum Siebzigsten. Lothar Müller schreibt zum Tod der Psychoanalytikerin Alice Miller. Auf der Medienseite kommt das Radio groß raus, das sowohl das Internet als auch den Ipod bestens zu verkraften scheint.

Im Aufmacher der SZ am Wochenende denkt Werner Bartens über "soziale Epidemien" wie zuletzt die Schweinegrippe-Panik nach. Peter Burghardt besucht das von aller Welt nicht unbedingte geliebte Architekturmekka Brasilia anlässlich des 50. Jahrs seines Bestehens. Alexander Runte porträtiert den Promi-Tätowierer Scott Campbell. In der Reihe "Das war die Gegenwart" schreibt Oliver Herwig über den Kinderwagen. Mit einem persönlichen Text des Psychoanalytikers Werner Schmidbauer endet die "Augenzeugen"-Serie auf der Historienseite. Tina Hüttl und Christian Maier unterhalten sich mit Natalie Massenet, Gründerin des Online-Luxusmodeportals Net-a-porter über, nun ja, "Luxus".

Besprochen werden Friederike Hellers Inszenierung von Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" an der Berliner Schaubühen, ein Münchner Abend mit Montserrat Caballe, das die Opfer ins Zentrum rückende Buch und die dazugehörige Ausstellung, die Christoph Reuter und Marcel Mettelsiefen zum deutschen Luftschlag in Kunduz am 4. September 2009 erarbeitet haben, eine große Henri-Cartier-Bresson-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art, eine Ausstellung mit Gemälden von Miles Davis im Theatermuseum Hannover, die Ausstellung "Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens" im Münchner Literaturhaus und Andrew Sean Greers Roman "Geschichte einer Ehe" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).