Heute in den Feuilletons

Permanente Annahme von Material

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.03.2012. In der taz freut sich der ARD-Zuständige für den Eurovision Song Contest: Der Tingeltangel wird helfen über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan zu berichten. Laut Freitag hängt die ägyptische Kunstszene am Tropf westlicher Förderer und muss deren Moden folgen. Im Tagesspiegel problematisiert der ehemalige Bürgerrechtler Lutz Rathenow die Zusammenarbeit Beate Klarsfelds mit der Stasi. In der Zeit stellt der marxistische Autor Terry Eagleton richtig:die Eiserne Lady war snobistisch, affektiert und ekelhaft herablassend.

Welt, 01.03.2012

Henryk Broder ist auf der Forumsseite nicht allzu überzeugt von Beate Klarsfelds Bundespräsidialkandidatur: "In ihrem Wahn, das höchste Amt der Bundesrepublik sei die angemessene Anerkennung ihrer Arbeit, liegt sie .. in der Tat 'auf einer Linie' mit den eingebildeten Antifaschisten der Linkspartei, die noch immer gegen Globke, Kiesinger und die 'Bonner Ultras' kämpfen. Für Beate Klarsfeld ist die Zeit stehen geblieben, für Gysi und seine Freunde, die ihre politische Sozialisation in der SED erfahren haben, ebenso."

Im Feuilleton findet Paul Jandl, dass Christian Kracht und seine Verteidiger nicht so zimperlich sein sollen: "Wer, wie Christian Kracht, zur Beschreibung edler Wilder in den gut gebügelten Anzug Thomas Manns schlüpft, wer sich und seinen Roman mit diesem Vorbild schmückt, den darf man mit einigem Recht auch der literarischen Herrenreiterei bezichtigen."

Weitere Artikel: Richard Kämmerlings kommentiert die Meldung, dass Bloomsbury den Berlin Verlag an die Bonnier-Gruppe verkauft. Hanns-Georg Rodek erinnert an das "Oberhausener Manifest", das vor fünfzig Jahren die deutsche Kinoszene aufmischte, und wirft einen eher melancholischen Blick auf die deutsche Kinogeschichte.

Besprochen wird der Film "Die eiserne Lady" (mehr hier) mit Oscar-Preisträgerin Meryl Streep.

TAZ, 01.03.2012

Jan Feddersen unterhält sich mit dem ARD-Zuständigen für den Eurovision Tingeltangel, Thomas Schreiber, über die Lage der Menschenrechte in Aserbaidschan, wo der nächste Song Contest ausgetragen wird. Schreiber verteidigt die Entscheidung unter anderem mit dem Argument: "Die circa 1.550 Journalisten, die rund um den ESC nach Aserbaidschan kommen werden, werden eben nicht nur über die bunte Show berichten, sondern auch Geschichten von den Menschen im Land erzählen, und das bedeutet natürlich auch Aufmerksamkeit für die Opposition und für die Menschenrechtsgruppen."

K. Erik Franzen berichtet über den offiziellen Festakt der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Unterzeichnung des Oberhausener Manifests, bei dem unter anderem Edgar Reitz und Alexander Kluge sprachen.

Besprochen werden eine Ausstellung über die Kultur und den Alltag der Yanomami-Indigenen im Folkwang Museum, Bernd Cailloux' Roman "Gutgeschriebene Verluste" über die New-Wave-Zeit Anfang der Achtziger in Berlin sowie drei Bücher über Facebook des Ethnologen Daniel Miller, des Philosophen Peter Trawny und des Literaturwissenschaftlers Alexander Pschera. (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

FR/Berliner, 01.03.2012

Ingeborg Ruthe feiert die Ausstellung russischer Realisten in den Kunstsammlungen Chemnitz, für die das Petersburger Russische Museum und die Moskauer Tretjakow-Galerie etliche Gemälde, vor allem von Ilja Repin, ausgeliehen haben: "Die Peredwischniki waren freilich viel mehr als Chronisten des russischen Elends, der Auswirkungen der Industrialisierung auf die Bevölkerung, archaischen Alltags der Bauern. Ihre Malerei steht zugleich für die Blütezeit des russischen Realismus, zeigt die Schönheit der Landschaft."

Weiteres: Stefan Schickhaus unterhält sich mit dem Dirigenten Antonio Pappano, der mit seinem römischen Orchester Santa Cecilia auf Deutschlandtournee kommt und betont, bei aller Leutseligkeit doch zu diktatorischer Präzision fähig zu sein. Patrick Heidmann interviewt Regisseurin Phyllidia Lloyd zu ihrem Thatcher-Film "The Iron Lady". Barbara Weitzel stellt die neuen Zeitschriften gegen das anstrengende Leben vor.

Besprochen werden Steve McQueens Film "Shame", ein Liederabend mit Tenorduo Christoph und Julian Prégardien, das Album "Ten$ion" der seltsamen südafrikanischen Rapper-Crew Die Antwoord.

Freitag, 01.03.2012

Die Kunstszene in Ägypten regt sich zwar - hängt aber immer noch am Tropf westlicher Fördergelder, berichtet Kersten Knipp: "Allerdings, so sagt Aissa H. Deebi, Kunst-Professor an der American University in Kairo, neigen die Förderer dazu, die intellektuellen Moden ihrer Herkunftsländer auf Ägypten zu übertragen. 'Das eine Jahr bekommen wir Gelder zum Thema 'Postkolonialismus', im nächsten Jahr zum Thema 'Gender' und dann zum Thema 'Iconic turn'. Wie sollen wir die Studenten da in Ruhe arbeiten lassen und ihnen die Möglichkeit geben, sich gründlich und in der nötigen Ruhe mit einem Thema auseinanderzusetzen?"

Außerdem porträtiert Wolfgang Michal den Blogger Jens Berger.

NZZ, 01.03.2012

Cleveres Entertainment nennt Susanne Ostwald Phyllida Lloyds Thatcher-Film "The Iron Lady", den allein Meryl Streeps "überragende Schauspielkunst" davor bewahre, ärgerlich oder belanglos zu werden. Thomas Veser schwärmt von dem 2005 eröffneten Al-Azhar-Park, der einzigen nennenswerten Grünanlage Kairos.

Besprochen werden die Ausstellung "Schädelkult" im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim, Lynne Ramsays Film "We Need to Talk About Kevin", Vincenzo Todiscos Einwanderer-Roman "Rocco und Marittimo", Natsume Sosekis Klassiker "Hinter der Glastür" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Tagesspiegel, 01.03.2012

Der Bürgerrechtler Lutz Rathenow greift Beate Klarsfeld an, weil sie mit der Stasi kooperierte, schreibt Matthias Meisner: Sie "habe zwar keine Berichte geliefert und sei kein Spitzel gewesen, habe aber immer wieder Material vom DDR-Geheimdienst bekommen. 'Das hat sie auch gewollt.' Rathenow fordert: 'Es bedürfte schon einer Reflexion, wie weit die Stasizuarbeit der Naziverbrechens-Erhellung gedient und wo sie geschadet hat.' Er fragt weiter: 'Wäre solches Geheimdienstvertrauen auch gegenüber der amerikanischen CIA oder dem Bundesnachrichtendienst aufgebracht worden? Wohin führte es politisch bei jenen, die sich durch permanente Annahme von Material auch erpressbar machten?'"

SZ, 01.03.2012

Im Medienteil zieht Sonja Zekri harsch Bilanz in der Angelegenheit um die toten und verletzten westlichen Journalisten in Syrien: Zahlreiche Tote auf Seiten der syrischen Aktivisten während der Evakuierung der verletzten Journalisten Bouvier und Conroy, nunmehr unterbrochene Versorgungswege, die Stadt Baba Amr eingeschlossen - war es das wirklich wert, fragt sich Zekri: "Ist dies die Aufgabe von Journalisten - die Tragödie eines Landes oder auch nur das Risiko der eigenen Arbeit durch ihr eigenes Schicksal zu verdeutlichen? Dient es der Berichterstattung, wenn Journalisten zur Nachricht werden?"

Außerdem im Feuilleton: Volker Breidecker beglückwünscht das Jüdische Museum in Frankfurt zum "Zugewinn", den die dem Haus überantworteten Archive der Familie Frank darstellen. Hilmar Klute verzehrt im Altausseer Hirschen gemeinsam mit dem Schriftsteller Franzobel eine Speise namens Blunzengröstl. Das Maggie-Thatcher-Biopic "The Iron Lady" ist "eine brillante und heroische Anmaßung, und am Ende ein ziemlich radikales Stück Kino", urteilt Tobias Kniebe. Nicht alles, was "Off" ist, ist deshalb schon spannend, resigniert ein vor Langeweile gähnender Jörg Häntzschel nach dem Besuch der Whitney Biennale in New York, nur um sich umso diebischer über diese stilecht gestaltete Fake-Website zu freuen, die das Geschäftsverhältnis des Museums zu zwei umstrittenen Sponsoren vermeintlich aufkündigt. Alexander Menden stellt das Ertegün-Stipendium an der Oxford University vor, das auf eine großzügige Spende zurückgeht (hier dazu mehr). Rainer Gansera war in München bei einer Veranstaltung zum 50. Jahrestag des Oberhausener Manifests. Anke Sterneborg unterhält sich mit Michael Fassbender über dessen neuen Film "Shame". Sonja Zekri besucht in Libyen diverse Kriegsmuseen und wundert sich doch sehr, wie mickrig Gaddafis Goldfäustchen doch in Wirklichkeit wirkt. Jens Bisky wühlt sich durch die archäologischen Funde, die es von den Grabungen vor dem Bau des Berliner Stadtschlosses zu vermelden gibt.

Besprochen werden Felicitas Zürchers Theateradaption von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" am Staatsschauspiel Dresden und ein Buch von David Eagleman über das Gehirn, das Burkhard Müller zufolge an "forcierter philosophischer Blindheit" leide (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 01.03.2012

Bert Rebhandl stellt nach den Stellungnahmen zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes fest: "Der deutsche Film wird nicht zu Tode novelliert werden". Hans Christoph Buch berichtet vom Hay Festival in Kolumbien. Andreas Platthaus gratuliert dem Kino UT Connewitz in Leipzig zum hundertjährigen Bestehen, das das Lichtspielhaus gebührend mit einer Aufführung des sowjetischen Science-Fiction-Klassikers "Aelita" feierte. Hans-Christian Rössler freut sich über das aufblühende israelische Kino, selbst wenn es auch in diesem Jahr wieder knapp nicht zum Oscar gereicht hat. Für Sophie Maltzahn berichten Aktivisten der irischen Occupy-Dependance vom Zeltlager-Alltag zwischen Essenholen und zweimal wöchentlichem Frischmachen zuhause. Felicitas von Lovenberg kann die Übernahme des Berlin Verlags durch Bonnier nur begrüßen. Schön fände es Dieter Bartetzko, wenn sich aus der aktuell für schlanke 15.000 Dollar monatlich mietbaren Thomas-Mann-Villa in Pacific Palisades eine Begegnungsstätte machen lassen könnte. Irene Bazinger berichtet von einem Gert Voss gewidmeten Abend in der Adenauer-Stiftung. Oliver Tolmein berichtet von "seltsamen Wegen" bei der Vorbereitung des Transplantationsgesetzes. Ärgerlich findet es Andreas Kilb, dass das Land Berlin mit neuen Forderungen gegenüber dem Bund den Bau des Berliner Schlosses verzögert. Leicht säuerlich reagiert Lorenz Jäger auf die Meldung, dass Götz Aly den Börne-Preis bekommt.

Besprochen werden neue Alben von Nanci Griffith und Dry the River, Steve McQueens neuer Film "Shame", Wilfried Minks Inszenierung von "Tod eines Handlungsreisenden" am St. Pauli Theater in Hamburg und Bücher, darunter Raouf Khanfirs Roman "Wittgenstein" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

Zeit, 01.03.2012

Terry Eagleton, marxistischer Literaturwissenschaftler, lässt sich auch durch Meryl Streep nicht in seinem Blick auf Maggie Thatcher besänftigen. Ihre "Iron Lady" findet er vor allem unpolitisch: "Sie ahmt ihren Tonfall mit erstaunlicher Genauigkeit nach, scheint sich aber als Amerikanerin nicht im Klaren darüber zu sein, wie snobistisch, affektiert und ekelhaft herablassend er in englischen Ohren klang. Zu oft stellt der Film die Starrköpfigkeit als bewundernswerte Willensstärke und geistige Unabhängigkeit dar. Er vergisst, dass solche Eigenschaften, wie zum Beispiel auch Offenheit, danach bewertet werden müssen, welche Form sie annehmen, nicht als Tugenden an sich. Willensstark war auch Attila, der Hunnenkönig."

Im Interview mit Alice Bota und Gero von Randow spricht die syrische Autorin Samar Yazbek über den Aufstand, der durchaus mit konfessionellen Spannung und einer Verschlechterung der Lage der Frauen einhergeht, den sie aber dennoch voll und ganz unterstützt: "Dieses Morden, das Foltern und diese Brutalität, die ich gesehen habe, lassen mich noch mehr an die Leute glauben, die auf die Straße gehen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sich Unbewaffnete auf die Straße stellen und erschossen werden. Und am nächsten Tag kommen die nächsten. Ich konnte mit dem Wort Heldentum nie etwas anfangen. Es war mir fremd. Aber diese Menschen dort auf der Straße, das sind für mich Helden."

Weiteres: Susanne Gaschke wirbt für die Initiative Pro Quote und beschreibt, wie die Guerilla-Aktion vorbereitet wurde. Helmut König bemisst die tektonischen Erschütterungen, die Fukushima für unser Weltbild bedeutet. Im Dossier beschreibt die Schriftstellerin Banana Yoshimoto, wie sie das Atomunglück erlebte. Im Politikteil nennt Götz Aly den Vorwurf gegen Joachim Gauck, er relativiere den Holocaust, "infam" und legt dar, aus welchen Zusammenhang die Zitate gerissen wurden.

Besprochen werden eine Ausstellung des neuseeländischen Medienkünstlers Simon Denny im Landesmuseum Münster (und im Internet), Bruce Springsteens neues Album "Wrecking Ball" Günther Anders' Erinnerungen an seine Ehe mit Hannah Arendt "Die Kirschenschlacht" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).