Im Kino

Spektakel des agilen Körpers

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Sebastian Markt
15.06.2017. Zweimal Popfeminismus aus Hollywood: Patty Jenkins' Superheldinnen-Blockbuster "Wonder Woman" ist als geradezu altmodischer Fantasy-Abenteuerfilm unter Umständen interessanter denn als geschlechterpolitische Intervention; Jonathan Levines "Mädelstrip" gelingt es nicht, den zweischneidigen Humor seiner fernseherprobten Hauptdarstellerin Amy Schumer ins Kino zu übersetzen.


Blockbuster-Kino darf wieder Spaß machen, hieß es vergangene Woche an dieser Stelle über "Die Mumie". Auch "Wonder Woman", der mittlerweile vierte Teil des hastig zusammengeschusterten "Shared Universe", mit dem der Comicverlag DC auf die Kino-Fernsehserie des Konkurrenten Marvel reichlich verspätet reagiert, könnte ohne weiteres unter diesem Motto stehen. Nachdem mit den ersten beiden Franchise-Filmen "Man of Steel" und "Batman v Superman: Dawn of Justice" der ganz große Opernschwulst männlichen Leidens an der Welt auf die Leinwand kam und mit "Suicide Squad" der arg verhauene Versuch, das DC-Comicuniversum mit streetsmartem Pop-Zynismus anzureichern, fühlt sich "Wonder Woman" wie eine Besinnung aufs Wesentliche an: Zurück zu den Ursprüngen, zurück zum Kino-Spaß.
 
Im Modus eines fast schon naiven, geradezu altmodischen Fantasy-Abenteuerfilms wird zunächst eine "origin story" erzählt - und zwar nicht nur einer Heldin, sondern, wenn man so will, des Superheld(inn)enmythos generell: Demnach habe Zeus die Menschen geschaffen - Alt-Philologen hören bitte weg - und ihnen zum Schutz die Amazonen zur Seite gestellt, nachdem der Kriegsgott Ares zu viel mit dem Feuer gespielt hatte. Abseits von Raum und Zeit halten sich die Kämpferinnen auf der Insel Themyscira bereit, für den Fall, dass Ares die Erde wieder mit Krieg überziehen sollte. Unter den Kriegerinnen befindet sich die kleine Prinzessin Diana, die mit Staunen beobachtet, zu was die Amazonen fähig sind. Gegen den Willen ihrer Mutter lässt sich auch Diana in der Kampfkunst unterweisen - bis eines Tages nicht mehr zu übersehen ist, dass in der Prinzessin weit mehr Fähigkeiten schlummern als lediglich ein Talent zum Schwertkampf.
 


Der Erste Weltkrieg sucht dieses Idyll, das man als Zuschauer bis dahin ins antike Griechenland verlegt hätte, ruppig heim, wenn die Insel durch einen Spalt im Zeitkontinuum mit einem Schwadron deutscher Soldaten und deren Schusswaffen konfrontiert wird. Vom britischen Spion Steve Trevor (Chris Pine) erfährt die mittlerweile zur jungen Frau herangewachsene Diana (Gal Gadot), dass die Mutter aller Kriege den Globus heimsuche - die Amazone wittert darin das Werk des Kriegsgotts, den sie ein für allemal erledigen will. Als einzige der Amazonen macht sie sich auf, um Ares zu stellen.
 
Weitgehend frei von zwanghaften Verweisen auf das übergeordnete Filmuniversum gestattet sich "Wonder Woman" den Luxus, eine in sich abgeschlossene Geschichte zu erzählen und erinnert damit an eine Zeit im Kino, in der es tatsächlich noch ein seltenes Wunder war, liebgewonnene Comicfiguren in Fleisch und Blut vor sich zu haben. Und das mit Recht: Zwar ist "Wonder Woman" keineswegs der erste Film mit einer Superheldin, aber dass das Kino die Geschichte einer der immerhin ersten eigenständigen Superheldinnen erst so spät aufgreift, ist doch auffällig. Vielleicht auch deshalb erzählt Jenkins die Heldinnenwerdung aus einem naiv-bunten Paradies heraus, in das die hässlich-triste Welt der Männerkriege des 20. Jahrhunderts wie ein Schock hereinbricht: Was im gängigen Superheldenkino lange vorbereitet werden konnte - der erste kanonische "Superman"-Film aus den 70ern stammt immerhin aus einer Zeit, in der so einschneidende, düstere Comics wie "The Dark Knight Returns" und "Watchmen" (beide 1986) noch nicht einmal konzipiert waren -, muss "Wonder Woman" in aller Plötzlichkeit nachholen.
 
Aber - und das ist das entscheidende - die Figur selbst wird darüber nicht zynisch. In einem zentralen Moment sieht sich Wonder Woman mit der Frage aller Superhelden konfrontiert: Warum sich aufreiben für eine Menschheit, die diese Mühe allem Anschein nach nicht wert ist? Anders als Batman und Superman, die über solche Fragen zu grüblerischen Meistern der Nabelschau mit Jesus-Komplex werden, sagt sich Wonder Woman einfach: Deshalb.
 


Erzählt ist das unterhaltsam, in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Schauwert-Exzess, mitreißenden Szenen und bloßem Storytelling. Auch das Feingespür für Genderfragen ist bei Regisseurin Jenkins eine Selbstverständlichkeit. Zwischendurch gibt es etwa eine heitere Vignette, in der Diana zwecks Camouflage in die geziemliche Frauenmode der 10er Jahre eingekleidet werden soll. Für die freiheitsliebende Amazone ist die Frauenkleidung dieser Tage ein Körpergefängnis, eine Zumutung. Zur Frau wird man bekanntlich nicht geboren, sondern - eben auch mit disziplinierender Mode - gemacht.
 
Ist der Film deshalb die feministische Meisterleistung, als die er von vielen Seiten marketingträchtig ausgerufen wird? Wenn junge und ältere Frauen im Kino zur Abwechslung einmal mit taffen Frauen mitfiebern können, ist das weiß Gott nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil. Wenn Nerds von ihren Testosteron-Monstern ein bisschen Abstand erhalten, sowieso nicht. (Und ganz nebenbei: Dass Regisseurin Patty Jenkins nach ihrem vielbeachteten, oscarnominierten Debüt "Monster" nach 14 Jahren nun erstmals wieder einen Kinofilm drehen darf, ist einerseits erfreulich, andererseits ist die lange Durststrecke ein Skandal.)
 


Dennoch bleiben, was diese Facette des Films betrifft, ein paar Vorbehalte. Die haben damit zu tun, dass es immer sonderbar wirkt, wenn sich emanzipatorische Ziele an eine multimillionendollarteure Ware eines internationalen Konzerns knüpfen - eine bloße Marktausdifferenzierung des Spätkapitalismus ist kein Indiz für tatsächliche Emanzipation. Fraglich bleibt auch, ob Superheld(inn)en-Narrative überhaupt für emanzipatorische Großerzählungen taugen: Dass "Wonder Woman" eben keine normale Frau ist, sondern eine Ausnahme nach allen Regeln der Kunst, sagt ja bereits der Titel. Auch der Rest des Films unterscheidet klar zwischen Wonder Woman und den übrigen Frauen. Die Geschichte, dass Frauen mit besonderen Befähigungen alles erreichen können, riecht zunächst einmal nach einem sozialdemokratischen Feminismus für die Chefetage. Der ist eine schlechte Sache nicht per se. Doch den (eben vorrangig weiblichen) Reinigungskräften, die diese Chefetage nachts putzen, ist damit kaum geholfen. Die Abschaffung des Patriarchats - bitte gern, klaro - hat eben nicht bloß mit Personalfragen zu tun.
 
Sondern auch mit Ästhetik. Wonder Woman stellt eben auch ohne Weiteres ein ideales Produkt im Sinne feministischer Filmtheorie nach Laura Mulvey dar - nicht zuletzt in den fetischisierenden Zeitlupenaufnahmen, die das Spektakel des agilen Körpers auskosten. Ein Promo-Shot zum Film betont sogar - man darf spekulieren: mithilfe von Bildmanipulation - die Brustwarzen der Figur, eine glatte Preisgabe des Projekts des Films zu Promozwecken.
 
Vielleicht ist die Sache also etwas komplizierter. Vielleicht ist es generell schwierig, derartige Unterhaltungsprodukte mit solchen Diskursen zu beladen. Spaß und Freude sollte man sich davon jedenfalls nicht nehmen lassen. Auch wenn es nicht schadet, zu wissen, dass der Film von Steven Mnuchin produziert wurde. Das ist der US-Finanzminister unter Donald Trump.
 
Thomas Groh
 
Wonder Woman - USA 2017 - Regie: Patty Jenkins - Darsteller: Gal Gadot, Chris Pine, Connie Nielsen, Robin Wright, Danny Huston, David Thewlis - Laufzeit: 141 Minuten.
 
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Ein pièce de résistance der auf Comedy Central ausgestrahlten Serie "Inside Amy Schumer" ist ein halbstündiges Remake von "12 Angry Men", in dem eine hochkarätig besetzte männliche Geschworenenriege die Frage debattiert, ob Amy Schumer ausreichend fuckable sei, um ihre Existenz als Hauptprotagonistin einer Fernsehserie zu rechtfertigen. Die erbittert geführte und groteske Ausformungen annehmende Diskussion gerät alsbald zur performativen Abrechnung mit einigen Grundkonstanten der medienkulturellen und sexualpolitischen Gegenwart. Der Sketch ist exemplarisch für Schumers lustvoll dreckigen Witz: ein Schwert, dass in zwei Richtungen schneidet. Meist, aber nicht ausschließlich, operiert sie mit ihr selbst als Hauptprotagonistin in Iterationen eines Alter Egos, das mal angriffslustig ist, mal verletzlich, und ständig neben der Spur. Es geht um eine Form von Peinlichkeit, deren Pein stets die Matrix anvisiert, vor deren Hintergrund die zweifelhaften Bewertungen ihrer Figuren erst stattfinden und auf das Publikum zurückfallen.
 
Emily Middleton, die von Schumer gespielte Hauptfigur in "Mädelstrip", ist ein leider etwas generisch geratenes Kompositum jener Charakteristika - ein Hang zu desaströsen Beziehungsdynamiken, ausgedehnter Alkoholkonsum, mittelfristige Lebensplanlosigkeit - die in "Inside Amy Schumer" das Material einer selbstreferentiellen Auslotung und auch Ausreizung der misogynen Erwartungshaltungen an medial inszenierte Weiblichkeit ausmachen. Nachdem sie, prototypische hot mess, in kurzer Abfolge sowohl ihres Jobs als auch ihres Freundes verlustig geht, und sie sich von den Frauen, die sie zu ihren Freundinnen zählt, eine Reihe von vielsagenden Absagen einfängt, wendet sich sich in ihrer letzten Hoffnung, den schon gebuchten All Inclusive Urlaub in Ecuador nicht alleine antreten zu müssen, an ihre Mutter (Goldie Hawn). Die geschiedene und auf resignierte Häuslichkeit eingestellte Frau läßt sich widerwillig dazu überreden, ihre Tochter zu begleiten.
 


Der bald gefundene semicharmante Urlaubsflirt, der sich als landeskundiger Abenteurer vorstellt, und als Cicerone für das Leben jenseits der Clubmauern andient, entpuppt sich als Lockvogel einer Lösegelderpressungs-Truppe, die es vorwiegend auf Touristinnen abgesehen hat. Von da an folgt der Film der Logik eines Abenteuerthrillers mit komödiantischen Einlagen, eines Katz- und Mausspiels zwischen den beiden Frauen, fürchterlich finsteren Gangstern und einer Reihe von selbsternannten männlichen Rettern, die sich, wen mag es wundern, zumeist als Vollpfosten herausstellen. Schließlich ein Ende, das Mutter und Tochter ausgesöhnt finden wird, und in dem letzere in sinnhaftem Bezug zur Welt auch sich selbst findet. In Nebenrollen der noch bei Mutti lebende minderbemittelte und soziophobe Bruder und ein von Wanda Sykes und Joan Cusack gespieltes Zweigespann survivalgeschulter Frauen mit besonderen Befähigungen, das zu den schöneren Einfälle des Films zählt und gerne mehr Platz beanspruchen hätte dürfen.
 
Dass das Szenario wenig begeistern kann, ist nicht allein dem Drehbuch von Katie Dippold anzulasten, wenngleich es - auch im Gegensatz zum ebenfalls aus Dippolds Hand stammenden Drehbuchs zum "Ghostbusters"-Reboot - daran scheitert, eine Balance zu finden zwischen der figurenbasierten Komik der großartigen Darstellerinnenriege und einer genreorientierten narrativen Geschlossenheit. Es zeigt sich daran die Schwierigkeit, ein komödiantisches Potential, das seine schärfsten Witze als auch seine scharfsinnigste Kritik aus einem Moment der Destablilisierung gewinnt, in die Erfordernisse einer linearen Erzählung einzupassen, die bei allem Festhalten an Biestigkeit der Konvention gemäß nach Läuterung, verdienter Ernsthaftigkeit und Aussöhnung strebt. (Was man im Übrigen auch als den wunden Punkt des sehr viel gelungeneren, von Schumer selbst geschriebenen Vorgängers "Trainwreck" ansehen darf.)
 
Die situativen Dilemmata und Frauenfiguren, die Schumer in ihrer eigenen Show ausrollt, gewinnen ihre Schärfe gerade aus dem Ausbleiben von Entschuldigungen und Auflösungen und weisen auf einen gesellschaftlichen Konflikt, der auf individuell beschrittenem Weg gerade nicht zu befrieden ist. Auch, dass die ausgestellte, zwischen naiver, egozentrischer Unbedarfheit und Vorurteile bediendender Grenzverletzungen pendelnde politische Unkorrektheit - ein weiteres wiederkehrendes Moment von Schumers Komik - hier vor einem stereotypenschwangeren Ecadorianisch-Kolumbianischen Einheitsabziehbild stattfindet, trägt dazu bei, dem prekären Unterfangen den kritischen Boden zu entziehen.
 
Man kann in all dem eine verschenkte Chance sehen; vielleicht muss aber auch einfach nicht jeder Segen, den einem das sogenannte goldene Zeitalter des Fernsehen beschert, ins Kino (rück)übersetzt werden.
 
Sebastian Markt
 
Mädelstrip - USA 2017 - OT: Snatched - Regie: Jonathan Levine - Darsteller: Amy Schumer, Goldie Hawn, Joan Cusack, Ike Barinholtz, Wanda Sykes, Christopher Meloni - Laufzeit: 97 Minuten.