Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.04.2003. In der FAZ schildert der irakische Autor Khalid Al-Maaly seine Freude angesichts des befreiten Bagdad. In der Berliner Zeitung kritisiert Georg Klein die "erbärmlich feige Weise", in der die Amerikaner zu ihrem Sieg kamen. In der NZZ begibt sich Sonja Margolina auf die Spuren des russischen Antiamerikanismus. In der FR graut es Istvan Eörsi vor dem theologischen Arsenal der Regierung Bush. Die taz sucht Rapper, die gegen den Krieg rappen.

SZ, 11.04.2003

Nun, da die strategischen und politischen Defizite Europas zu Tage treten, gilt in der alten Welt wieder die "blumige Rede von der Kultur", der Kampfplatz, auf dem sich Europa für satisfaktionsfähig hält. Ijoma Mangold kann diesem "spitzweghaft-biedermeierlichen" Kulturbegriff, "bei dem alle Menschen Brüder werden, weil ein wenig Hausmusik aggressionshemmend wirken soll", wenig abgwinnen: Die kulturelle Selbstbeschreibung Europas arbeitet mit einem Wirklichkeitsbegriff, den es für besonders fein und vornehm hält. Es ist ein Wirklichkeitsbegriff, der seiner realen Ohnmacht sehr genau entspricht. Von der Macht aus betrachtet, sieht die Wirklichkeit anders aus: Wo Europäer Handlungsfähigkeit vor allem als Disposition zum Schuldig-Werden verstehen, sind die Vereinigten Staaten von der Modellierbarkeit von Welt überzeugt. Und es sieht so aus, als wenn sie auch darin nicht irrten. Europa aber wird umdenken müssen. Oder wollen wir uns nachsagen lassen, dass sich in unserer Kultur nur der Dünkel und die Herablassung von untätigen Schwätzern verbirgt?"

Wolfgang Schreiber hat sich mit Daniel Barenboim zu einem Gespräch über Identität, Versöhnung und den Nahen Osten getroffen. "Beim Thema Europa-Israel bekommt Barenboims Stimme etwas Passioniertes, es ist der Tag, an dem der deutsche Außenminister in Israel und den palästinensischen Gebieten mit Politikern dort verhandelt, über den 'Vierer-Friedensfahrplan' für einen Palästinenserstaat der Zukunft: 'Europa darf sich nicht zurückhalten, es muss sich hineinbegeben: Entweder Europa kommt zum Nahen Osten und hilft die Situation zu befrieden oder der Nahe Osten kommt nach Europa und bringt die schlechten Aspekte mit - den Fundamentalismus, den Terror.'"

Weitere Artikel: Burkhard Müller versucht abzuschätzen, welche mythologischen Höhen Osama bin Laden und Saddam Hussein wohl erreichen könnten - in Kyffhäusern gemessen. Lothar Müller sieht uns mit dem Ende der Concorde einen weiten Schritt ins 21. Jahrhundert tun: "Es fällt auf, dass im 'Ende einer fantastischen Ära der Welt-Luftfahrt' vor allem das Ende einer transatlantischen Linienverbindung zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten steckt. Es fällt auf, dass die zivile Luftfahrt sich aus der Welt der Überschall-Jets zurückzieht und sie wieder ganz den Militärmaschinen überlässt."

Ralf Berhorst berichtet von einer Berliner Tagung über die Bedeutung des 17. Juni, bei der der Historiker Karl Schlögel (mehr hier) die immer wieder hergestellte "direkte Fluchtlinie 1953 - 1989" in Zweifel zog. Jürgen Berger berichtet, dass die Theater Heidelberg, Heilbronn und Freiburg stärker kooperierien wollen, sich darüber aber erstmal kräftig auseinandersetzen müssen. "Bru" schreibt zum Tod des Perkussionisten Babatunde Olatunji.

Auf der Medienseite schildert ARD-Korrespondent Christoph Maria Fröder die Revierkämpfe der journalistischen Nachhut in Bagdad.

Besprochen werden eine Ausstellung über den Impressionismus in Skandinavien im Kopenhagener Statens Museum for Kunst, Züli Aladags Film "Elefantenherz", Händels Oper "Giulio Cesare" in Bologna, Gustav Ernsts "Lulu"-Fortschreibung am Wiener Volkstheater, Konzerte mit Sakari Oramo und Kent Nagano in München und Bücher, darunter Gerhard Seyfrieds Roman "Herero", Gert Jonkes Sprechsonate "Redner rund um die Uhr" sowie Pierre Bayle gelehrtes Kunterbunt "Historisches und kritisches Wörterbuch" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 11.04.2003

Unlängst wurden in taz die kritischen Stimmen der Rapper zum Irakkrieg vermisst. Uh-Young Kim weiß, wo sie zu finden sind, "nur eben nicht auf Majorlabels oder unter dem sinnentleerten Peace-Logo von Viva", sondern im Internet. "So distanzieren sich die Beastie Boys in ihrem partytauglichen Song 'In A World Gone Mad' von militärischer Gewalt und senden ein frisches 'Peace to Islam'. DJ Shadow und Zack De La Rocha, der Exsänger der einstigen Agit-Rockband Rage Against The Machine, haben sich zusammengetan, um in der wütenden Anklage des 'March Of Death' dem 'texas cowboy' und seinem 'high-tech drive-by' die Stirn zu bieten. Und der Spoken-Word-Poet Saul Williams ist gleich mit vier Songs und Remixen im Internet vertreten. Eingebettet in die Parole 'Not In Our Name' prangert der sprachgewaltige Nostradamus des Rap in seinem Manifest 'Pledge Of Resistance' die 'transfusions from blood for oil' an. Ein regelrechter Hit jenseits der Charts gelang Michael Franti, dem Mastermind der HipHop-Formation Spearhead, mit seiner Grassroots-Hymne 'Bomb Da World'. Bei einem Fernsehauftritt von Franti wurde der Refrain - 'You can bomb the world to pieces/but you cant bomb it into peace' - jedoch herausgeschnitten."

In seinem Tagebuch über den Irakkrieg auf al-Dschasira bemerkt Selim Nassib, dass die Freude der Kurden über die Einnahme Kirkuks eine recht ungeteilte ist. "Ist das schon Teil einer eventuellen Demokratisierung des Iraks oder lediglich einer Inbesitznahme der Ölregion zum Vorteil der Amerikaner? Diese Frage ist zentral für den Fortgang der Ereignisse - aber auch für die Rolle, die al-Dschasira in einer arabischen Welt spielen will, die durch den Fall Saddam Husseins aus dem Gleichgewicht geraten ist." In einer arabischen Presseschau verzeichnet Abdel Mottaleb El Husseini, dass die Reaktionen der arabischen Medien von Resignation bis Begeisterung reichen.

Wie an jedem 11. eines Monats gibt es eine Hommage auf "Teddy, den Inkommensurablen", diesmal eine kritische von Thomas Schäfer. Indem Adorno es zur Pflicht des Intellektuellen erklärte, das "falsche Leben und Bewusstsein der Mitmenschen unnachsichtig zu verdammen", meint Schäfer, habe er sei er ziemlich angreifbar für den "Vorwurf des Meisterdenkertums". Daniel Bax gibt mit Ry Cooder und Ibrahim Ferrer eine Lektion in Kubanisch für Fortgeschrittene. Besprochen wird Angela Christliebs und Stephen Kijaks Dokumentation "Cinemania" über Filmsüchtige in New York.

Und Tom.

FAZ, 11.04.2003

Khalid Al-Maaly, ein irakischer Lyriker, der seit langen Jahren im deutschen Exil lebt, schildert seine Freude angesichts der Befreiung Bagdads: "Mein Vater, der während meiner Abwesenheit im Alter von achtundachtzig Jahren starb und der mir in einer vor vierzehn Jahren auf Kassette aufgenommenen Botschaft gesagt hat, dass er, bevor er nachts einschläft, immer an mich denkt; mein Vater, der kaum seinen Namen schreiben konnte, der die arabischen Radiostationen boykottierte und nur den arabischen Dienst der BBC hörte, träumte davon, den Tod Saddam Husseins zu erleben. Leider starb er, bevor er seinen Traum in Erfüllung gehen sehen konnte." Hier ein Buch des Autors, hier ein Gedicht.

Auch Christian Geyer sah die Bilder des Jubels im Irak, hält aber fest, "dass dieser Jubel für die legitimatorischen Fragen des Irak-Krieges eine Null-Aussage darstellt". Weitere Artikel zum Irak: Lisa Zeitz stellt den "American Council for Cultural Policy", eine Lobby-Organisation reicher Kunstsammler, vor, die angeblich die Ausfuhrbestimmungen für irakische Kunstschätze lockern will. Richard Kämmerlings unterhält sich mit dem polnischen Autor Piotr Siemion über polnische Reaktionen auf den Sturz Saddams. Christian Schwägerl hat eine Siegesfeier von Exilirakern in Berlin besucht. Joseph Hanimann berichtet über den ostentativen "Akt des Schweigens", mit dem Chirac auf die Siegesmeldungen reagierte, und über eine Umfrage, nach der ein Drittel der Franzosen einen Sieg Saddams bevorzugt hätte. Heike Hupertz erzählt auf der Medienseite von tanzenden Exilirakern in den Städten der USA. Und Kerstin Holm sieht die Russen durch den schnellen Kriegsausgang pikiert.

Ferner schildert Joseph Hanimann Besorgnis erregende Verfallsprozesse in den Höhlen von Lascaux, die von Schimmelpilzen bedroht werden. Auf der letzten Seite versucht der Kirchenhistoriker Albert Wucher Papst Pius XII. gegen den Vorwurf der Untätigkeit in der Nazizeit in Schutz zu nehmen. Ilona Lehnart porträtiert den Berliner, in Tokyo lebenden Kunstsammler Klaus Friedrich Naumann der dem Berliner Ostasienmuseum eine kostbare Sammlung schenkte. Regina Mönch bezweifelt, dass es noch zu einer Zwischennutzung des Palastes der Republik kommt, bevor er abgerissen wird. Auf der Medienseite meditiert Verena Lueken über die Figur des Kriegsberichterstatters in Kriegsfilmen.

Besprochen werden die Uraufführung von Elliot Carters "Boston Concerto" unter Ingo Metzmacher in Boston (hier ein 20-minütiges Interview mit dem Komponisten zu seinem neuen Werk) und die Ausstellung "Liebeskunst" im Zürcher Museum Rietberg.

NZZ, 11.04.2003

Sonja Margolina verfolgt die Spuren des russischen Antiamerikanismus: "Die Russen sind keine Pazifisten; sie lehnen den Krieg nicht aus humanitären Gründen ab. Man ist gegen den amerikanischen Sieg, nicht weil einem die sterbenden Kinder leid tun - es gibt eine viel größere Zahl tschetschenische Kinder, die ermordet und verkrüppelt wurden -, man hat auch keine übermäßigen Sympathien für Araber und Muslime; manch einer wünscht ihnen gar ... alles Böse. Auch das internationale Recht ist nur insofern von Bedeutung, als es Russland dank dem Vetorecht im Uno-Sicherheitsrat ein Gewicht verleiht, das es weder ökonomisch noch militärisch hat. All die Proteste gegen den Krieg im Irak mit der tschetschenischen 'Leiche' im eigenen Keller sind moralisch mehr als dubios." Im Unterschied zum europäischen funktioniere der russische Antiamerikanismus nach dem Motto "Vorwärts zurück in die Zukunft": "In Russland hat der Antiamerikanismus eine klare ideologische Botschaft: Zurück in die UdSSR! Der verführerische schwarze Schnurrbart (der des 'Väterchens') ist weiter im Unterbewusstsein der Gesellschaft aufbewahrt."

Weitere Artikel: G.W. berichtet über die angespannte Lage der britischen Zeitungen und einigen verblüffenden Umfrageergebnissen: "So ist zum Beispiel die Daily Mail für und der Guardian gegen den Krieg - immerhin ein Viertel der jeweiligen Leser dieser Blätter vertritt jedoch im ICM-Survey den gegenteiligen Standpunkt." Hanno Helbling würdigt das Leben des verstorbenen Historikers Ferdinand Seibt (mehr hier).

Besprochen werden: die Installation einer Jean Prouve-Tankstelle im "Architekturzoo" der Firma Vitra in Weil am Rhein, Art deco im Londoner Victoria & Albert Museum, des "Artists Artist" Ian Anülls Werkschau im Kunstmuseum Solothurn. Auf der Filmseite berichtet Alexandra Stäheli von einer "unheimlichen Menage a trois" und dessen Verfilmung in dem Dokumentarfilm "Ich hieß Sabine Spielrein", Geri Krebs bestaunt die enorme Risikobereitschaft des jungen Filmemachers Carlos Reygada: "Mit minimalem Budget, ohne einen einzigen professionellen Schauspieler, aus Kostengründen mit 16-Millimeter-Material - jedoch im Cinemascope-Format - hat der Mexikaner in Eigenproduktion einen Erstling realisiert, der sich inhaltlich in Gefilden bewegt, in die sich gewöhnlich nur gestandene Cineasten wagen: Tod und Sexualität, Religion und Sinnsuche." Dieses Werk trägt den schönen Namen "Japon".

Auf der Medien- und Informatikseite analysiert Detlef Borchers die Demokratiepotentiale der Suchmaschine Google angesichts des Phänomens des "Googlewashing"- das Internetpendant zur Gehirnwäsche. Nachdem sich der "rauchende Pulverdampf" für's erste verflüchtigt hat, unterzieht ras die mitunter "zerstörerisch, desorientierende" Kriegsberichterstattung des Fernsehen einer kritischen Analyse.

FR, 11.04.2003

Den Autor Istvan Eörsi graut es vor dem "theologische Arsenal", mit dem George Bush den Kampf gegen das Böse zu gewinnen sucht: "Was Vizepräsident Cheney betrifft: Von ihm genügt es zu wissen, dass er gegen die Freilassung von Nelson Mandela war. Wolfowitz, der Falke im Verteidigungsministerium, befasste sich zu Nixons Zeit mit der Propagierung des Vietnam-Krieges. Die rassistische und antifeministische Haltung des frommen John Ashcroft, der die Homosexualität kriminalisieren will, ist allgemein bekannt. Ein anderes Mitglied von Bushs Mitarbeiterstab, Richard Armitage, vertrat die Vereinigten Staaten zu Zeiten des Schah in Iran... Diese Spiritualität, getunkt in sektiererische christliche Soße, tischt man der öffentlichen Meinung der Welt auf."

Astrid Hölscher beklagt die Neuregelung zum "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft", die Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen erlauben soll, Bücher und Fachzeitschriften zu digitalisieren und in ihr Intranet zu stellen. "Geistiges Eigentum hat in Deutschland nie den gleichen Stellenwert genossen wie materielle Besitztümer. Ein Autoklau erregt die Gemüter allemal mehr als die Raubkopie einer CD oder eines Buchs." Der geballte Zorn der Kritiker findet seinen Niederschlag hier.

Weitere Artikel: Hilal Sezgin erinnert an Gertrude Bell (mehr hier), die aus mesopotamischem Ton ein neues Babylon knetete und damit als erste Erfinderin Iraks gelten darf. In einer Gerichtsreportage berichtet Ursula März vom Fall der Monika D., die ihren Lohn als Putzfrau mit dem Verkauf geklauter Handys aufbessern wollte.

Besprochen werden Hirokazu Koreedas Film "After Life" und Politische Bücher, darunter die anonymen Erinnerungen "Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945", Baruch Kimmerlings Untersuchung "Politizid. Ariel Sharons Krieg gegen das palästinensische Volk" sowie Michela Wrongs Studie zu Mobutus Aufstieg und Kongos Fall "Auf den Spuren von Mr. Kurtz" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).


Weitere Medien, 11.04.2003

In der Berliner Zeitung macht der Autor Georg Klein auf die ungleichen Waffen aufmerksam, mit denen die Amerikaner siegten: "In den letzten Wochen wurde nicht gezeigt, mit welchen technischen Hilfsmitteln, ob mit Klappspaten oder mit Bulldozern, Amerikaner und Briten die vielen gegnerischen Toten unter die Erde bringen, um das Schlachtfeld zu bereinigen. Aber auf welch erbärmlich feige Weise diese Leichen produziert wurden, wird aus den Bildern, die um die Welt gingen, durchaus klar: Urangeschosse, die aus todsicherer Entfernung vierzig Jahre alte Panzer knacken. Lasergesteuerte Bomben auf Infanteristen, die den Feind, der sie in Stücke reißt, bis zuletzt nicht zu Gesicht, geschweige denn vor die rostige Kalaschnikow bekommen haben." Ja, hätten sie von Mann zu Mann gekämpft!

Auch Perlentaucher-Autor (und Berliner-Zeitungs-Redakteur) Arno Widmann hat den Kriegsausgang in der Berliner Zeitung vor drei Tagen kommentiert und dort wütende Leserreaktionen ausgelöst: "Bush hatte recht", so seine These.
Stichwörter: Klein, Georg, Widmann, Arno