Heute in den Feuilletons

Sein und Zeit in Reinform

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.05.2012. In der taz porträtiert Gabriele Goettle Hilde Schramm, die Tochter Albert Speers, die erklärt, warum sie die Stiftung "Zurückgeben" gründete. Ist es wirklich Kurt Westergaards Mohammed-Karikatur, die für Gewalt sorgte, oder waren es nicht eher die Salafisten?, fragt das Blog Tapferimnirgendwo. Die SZ erkundet mit Gerhard Polt die Unterseite der bayerischen Gemütlichkeit. In Le Monde freut sich Caroline Fourest über den Sieg der säkularen Linken in Frankreich. In der Welt spricht sich der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan gegen einen Boykott der Fußball-EM aus.

Weitere Medien, 07.05.2012

Die laizistische Linke in Frankreich hat gewonnen, schrieb Caroline Fourest in Le Monde schon nach der Fernsehdebatte zwischen Francois Hollande und Nicolas Sarkozy, in der sich Hollande klar zum französischen Säkularismus bekannte: "Nicht nur dass diese Linke existiert, sie hat auch ihren Kampf gegen die obskurantistische Linke gewonnen, die permanent auf der Suche nach mildernden Umständen für Fundamentalismus ist - im Namen des Multikulturalismus, des Antizionismus oder aus Angst vor Rassismus. Diese Linke existert ebenfalls, aber sie hat verloren. In der Wahl und intellektuell."

Vanity Fair erzählt, warum Marilyn Monroe im Jahr 1960 Nacktfotos von sich machen ließ - aus Eiferucht auf Elizabeth Taylor: "Marilyn was making only $100,000 for what would be her last film, 'Something's Got to Give', in 1962, while Taylor was receiving a million dollars for 'Cleopatra'. She wanted to show Fox that she could get the same kind of coverage as the publicity bonanza generated by Taylor's very public affair with her co-star, Richard Burton."

Aus den Blogs, 07.05.2012

(Via @matthiasrascher) Heute ist Montag. Hier ein kleiner Ausblick auf die beginnende Woche:


Welt, 07.05.2012

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan spricht sich gegen einen Boykott der Europameisterschaft aus und plädiert für eine Trennung von Sport und Politik: "Ich glaube nicht, dass sich irgendwer besonders dafür interessiert oder überhaupt jemand bemerkt, ob Präsident Janukowitsch (oder Kanzlerin Merkel) während der EM-Spiele im Stadion ist. Der Fußball existiert nicht für Sie, meine Herrschaften Politiker, Sie spielen andere Spiele, und die haben mit Fair Play nichts zu tun."

Weiteres: In ihrem Nachruf auf Adam Yauch erzählt Anne Waak, wie dank der jüdischen Mittelschichtrapper Beastie Boys plötzlich auch weiße Kids in den Achtzigern cool sein konnten. Manuel Brug stellt fest, dass die interessantesten Opern in Berlin derzeit auf den kleineren Spielstätten gespielt werden. Besprochen wird Matthias Hartmanns Inszenierung des "Trojanischen Pferds" frei nach Homer am Wiener Burgtheater.

Aus den Blogs, 07.05.2012

Bei der "islamfeindlichen Karikatur", die Demonstranten der rechtsextremen Truppe Pro NRW hochgehalten haben und die der Innenminister von NRW jetzt verbieten will, handelt es sich um die bekannte Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard. Gerd Buurmann kommentiert in seinem Blog Tapferimnirgendwo: "Das Handelsblatt titelt: 'Mohammed-Karikatur sorgt für 'Explosion der Gewalt.' Wie bitte? Salafisten marodieren durch die Straßen Bonns und eine Zeichnung von Kurt Westergaard wird dafür verantwortlich gemacht, nur weil Mitglieder einer zugegeben recht unsympathischen Truppe diese Karikatur bei einer angemeldeten Demonstration hochgehalten haben? Nein, für die Eskalation haben einzig und allein die Salafisten selbst gesorgt. Sie haben mit Steinen geworfen. Sie haben mit Zaunlatten geschlagen. Sie haben mit Messern zugestochen." Und ruft: "Kurt Westergaards Karikatur verbieten zu wollen ist genauso falsch wie den Bau einer Moschee verbieten zu wollen!"

NZZ, 07.05.2012

Lennart Laberenz reist auf den Spuren des Entdeckers Pedro Álvares Cabral von Lissabon nach Bahia und nimmt dabei das Phänomen der Kreuzfahrt unter die Lupe: "Ein Teil der Philosophie auf Kreuzfahrtschiffen ist die stete Bewegung, ohne dass es dafür ein Ziel gäbe. Stillstand ist Starre, Leblosigkeit und Verderben - das Kreuzfahrtschiff ist ein Beispiel jener 'Nicht-Orte', die der Soziologe Aldo Legnaro beschreibt, wenn er durch Disneyland und Einkaufszentren spaziert."

Weiteres: Anlässlich des 100. Geburtstags von Rainer Maria Rilkes poetischer Kriegserzählung "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" zeichnet der Germanist Bernhard Fetz ihre Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte nach. Jürg Meier zieht eine Bilanz des 23. Jazzfestivals Schaffhausen. Besprochen wird eine Aufführung von Eugène Scribes "Das Glas Wasser" am Schauspielhaus Zürich.

Spiegel Online, 07.05.2012

Rolf Hochhuth tritt aus der Akademie der Künste aus, meldet Spiegel Onine: "Der 81-Jährige teilte in einer Erklärung mit, er sei aufgrund einer einseitig verlaufenen Diskussion über das umstrittene israelkritische Gedicht von Günter Grass ausgetreten. Sein Text trage die Überschrift 'Ich weigere mich, zwischen Antisemiten zu sitzen', sagte Hochhuth am Sonntag."

TAZ, 07.05.2012

Heute ist Gabriele-Goettle-Tag. Diesmal lässt sie sich von Hilde Schramm, Erziehungswissenschaftlerin, Autorin, Tochter von Albert Speer, erklären, warum diese 1994 mit drei anderen Frauen die Stiftung "Zurückgeben" gegründet hat - mit Geld, das sie aus dem Verkauf von Bildern gewann, die ihr Vater ihr vererbt hatte: "Mir ist in meinem Leben klar geworden, dass man immer hingucken muss - gestern und heute -, wie verdienen Leute ihr Geld, durch wessen Ausbeutung. Da bin ich stur, an dieser Stelle, und ich sage es noch mal: Der ganze Reichtum, der heute erworben ist, der ist nicht unschuldig - überhaupt nicht! Man sollte sehen, wie viele unterschiedliche Formen von Vorteilsnahme auf Kosten anderer an unserer Geschichte hängen. Sie und ich und unsere Nachgeborenen sind die Erben. Da gibt es natürlich viel Abwehr. Schon allein beim Wort 'ZURÜCKGEBEN'. Das ist mit Schulden verknüpft, Geborgtes gibt man zurück. Bei zu Unrecht Genommenem kommt die Schuld ins Spiel, für Geraubtes wird Rückgabe gefordert. Damit will niemand was zu tun haben, das widerspricht dem Selbstbild der bürgerlichen Ehrvorstellungen. Also das Spenden wird bei uns nicht leicht gemacht."

Und Tom.

SZ, 07.05.2012

Gerhard Polt wird 70! Alex Rühle besucht das bayerische Humor-Urgestein im Süden Münchens und ist prompt von dessen Wesen eingenommen: "In seinen Figuren zeigt er oft die morsche, faulige Unterseite der bayerischen Gemütlichkeit, im richtigen Leben aber wirkt es, als sei der Mann Sein und Zeit in Reinform". Dazu passend zum Nachhören aus dem Hörspiel-Pool des br gefischt: Andreas Ammer und Gerhard Polt machen Geräusche und plaudern am Schliersee.

Moritz Gathmann porträtiert den auf Putin und auch sonst ziemlich sauren russischen Schriftsteller Sachar Prilepin, dessen schon viel übersetzter Roman "Sankja" demnächst auch auf Deutsch erscheinen soll: "Politisch bezeichnet Prilepin sich heute als 'links-konservativ'. Mit den russischen Liberalen verbindet ihn eine Hassliebe: Er wirft ihnen vor, dass sie in den 90er Jahren ihre Chance vertan haben, jene bezichtigen ihn einer nationalistischen Ideologie. Tatsächlich besingt Prilepin das Russentum, aber gleichzeitig ist er Kosmopolit."

Weitere Artikel: Gema-Vetreter Alexander Wolf erklärt im Interview auf einer dreiviertel Seite, wie es nach dem Youtube/Gema-Urteil des Hamburger Landgerichts weitergeht: "Wir verhandeln mit Youtube, das dürfen sie nicht vergessen." Aha. Johan Schloemann blättert in einer Schrift des Pianisten András Schiffs über die Schwierigkeiten des richtigen Fingereinsatzes beim Klavierspielen. Andrian Kreye verabschiedet sich von Beastie Boy Adam Yauch (hier zum Beispiel das tolle, von Yauch inszenierte Musikvideo zum Beastie-Boys-Stück "Intergalactic").

Besprochen werden neue DVDs, Eunyoung Kims beim Musiktheaterfestival in München aufgeführt Oper "Mama Dolorasa", eine Ausstellung mit Malereien von Abraham Bloemaert im Staatlichen Museum Schwerin und Bücher, darunter ein Fotoband über China (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 07.05.2012

Der Softwareentwickler und Podcaster Max Winde macht in Urheberrechtsfragen Vorschläge zur Güte (die wir aber nicht recht entdeckt haben). Marcus Jauer besuchte in Berlin eine Diskussion zum gleichen Thema, die ihn unbefriedigt zurückließ. Michael Hanfeld erzählt die Geschichte des Fotografen Daniel Morel, der seine Bilder vom Erdbeben auf Haiti bei Twitter einstellte und nun gegen die Agentur AFP klagt, die die Bilder übernommen hat. Wiebke Porombka meldet, dass der Aufbau Verlag einen neuen Verlag für Popkultur namens Metrolit gründet. Edo Reents schreibt zum Tod des Beastie Boy Adam Yauch. Gemeldet wird, dass die Tagebücher Klaus Manns komplett ins Internet gestellt wurden.

Besprochen werden Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" in einer Inszenierung David Böschs (die Andreas Rossmann tief beeindruckt hat), Eugène Scribes Farce "Das Glas Wasser" in Zürich und Bücher, darunter eine neue Biografie über Zelda und Scott F. Fitzgerald (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

In der FAZ am Sonntag spricht sich der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew gegen eine Trennung von Sport und Politik und für einen Boykott der Europameisterschaft aus: "Janukowitsch, der ukrainische Präsident, versucht, Russland und Europa gegeneinander auszuspielen. Aber er benimmt sich dabei wie ein Krimineller, wie ein Bandit, der er ist und immer bleiben wird. Wenn du gegen ihn bist, lebst du gefährlich. Es gelten die Gesetze der Straße."