Heute in den Feuilletons

Dieser Nebel hat etwas überraschend Unkontrolliertes

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.02.2013. Die Zeitungen kriegen ihr Leistungsschutzrecht. Aber Google bleibt außen vor. Denn nach dem neuesten Entwurf bleiben Textsnippets erlaubt - nur was soll das Ganze dann noch?, fragen Netzpolitik, der Lawblogger Thomas Stadler, heise.de und Meedia. Warum paktieren die Öffentlich-Rechtlichen eigentlich so unanständig mit Springer und Burda?, fragt die taz. Die NZZ begrüßt die Neuübersetzung von John Stuart Mill. Die SZ feiert Roy Lichtenstein. Die FAZ bringt ein Manifest für das IT-Grundrecht.

Aus den Blogs, 27.02.2013

Die neueste zentrale Formulierung im Leistungsschutzrecht für Presseverleger lautet, schreibt Netzpolitik.org: "Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte." Markus Beckedahl schreibt dazu: "Die Rechtssprechung wird sich darüber freuen, zu definieren, was denn genau 'kleinste Textausschnitte' sein könnten. Sonst ist uns gerade etwas unklar, was das Gesetz denn soll. Denn Google scheint das erstmal so nicht zu treffen..."

Bei heise.de liest sich die Meldung so, als hätten die Politiker das Problem nur abgeschoben: "Letztlich dürften mögliche Auseinandersetzungen über die Snippets wohl erst gerichtlich geklärt werden können."

Kleinste Textpartikel sollen nach der neuesten Version des Leistungsschutzrechts nicht mehr schützbar sein - Google wäre also außen vor, meint auch Meedia. Aber wo genau der "kleinste Texpartikel" aufhört, und wer zahlen soll, scheint offen: "Ein 'Kompromiss', mit dem sich die Presseverleger wohl kaum zufrieden geben werden. Betroffen wären demnach voraussichtlich nur Anbieter von Web-Diensten oder Apps, die gesamte Texte aus verschiedenen Publikationen zusammenfügen. Blogger und nicht gewerbliche Anbieter sind ohnehin vom Leistungsschutzrecht ausgenommen."

Thomas Stadler meint in seinem Lawblog: "Aus Sicht der Verlage ist damit der Versuch, Google zur Kasse zu bitten, gänzlich gescheitert. Es dürfte sich lediglich um einen Formelkompromiss handeln, der niemandem hilft, aber dennoch zusätzliche Rechtsunsicherheit erzeugt."

Martin Weigert macht in Netzwertig auf eine Debatte aufmerksam, die parallel zur #LSR-Debatte läuft: Telekomgiganten wollen von Google Geld, weil sie deren Daten durchleiten, so hat es jüngst auch Telekom-Obermann René gefordert. Weigert sieht es umgekehrt: "Das Problem mit der Behauptung, die Netzbetreiber würden investieren und die Webfirmen dann die Gewinne abschöpfen, liegt in der Tatsachenverdrehung. In erster Linie sind es die Netzbetreiber, die dank der Existenz der Internetunternehmen Geld 'abschöpfen'. Von den Endkonsumenten nämlich, die für ihre Festnetz- und Mobil-Internetzugänge zahlen. Ohne Facebook, Google, YouTube & Co hätten viele Konsumenten einen deutlich geringeren Bedarf an blitzschnellen Breitbandanschlüssen."

TAZ, 27.02.2013

Wie journalistische Großtaten aussehen, wenn sich Öffentlich-Rechtliche und Qualitätsmedien zusammentun, lässt Silke Burmester auf der Medienseite der taz ganz blass werden, aber nicht vor Neid: "Ehrlich gesagt, ich hatte angenommen, die Öffentlich-Rechtlichen dächten darüber nach, die eigenartigerweise nicht als 'Dauerwerbesendung' ausgewiesenen 'Galas' der Privatwirtschaft - 'Bambi'-Verleihung (Burda), 'Goldene Kamera' (Springer), 'Ein Herz für Kinder' (Springer), 'Goldene Henne' (Burda) - aufgrund ihres fragwürdigen Konzepts einzustampfen, da vernehme ich, dass am 15. März die Goldene Bild der Frau-Gala im Ersten läuft, Titel: "Deutschlands starke Frauen". Das ist die dritte Großwerbesendung, die Springer in den Ö-R platziert. Der Verlag übrigens, der unerbittlich seine Kampagnen gegen den Ö-R, vor allem aber gegen die ARD fährt. Verantwortlich für den Deal ist der NDR unter Thomas Schreiber. Ein Versuch, das Monster Springer gnädig zu stimmen?"

In der Kultur: René Hamann erkennt in John Lanchesters Roman "Kapital" ein Beispiel für das neue Erzählen ohne Verdichtung: "Im Grunde hat man das Gefühl, eine auserzählte BBC-Serie zu lesen. Eine Art 'Lindenstraße' in gut mit Anstrich von Reitz' 'Heimat'." Christian Werthschulte lernt von genervten Harlemern, dass der Tanz in dem neuen Youtube-Hit eben kein "Harlem Shake" sei, sondern öder "Trockenfick mit Luft". Maik Schlüter besucht eine Ausstellung mit Video-Arbeiten von Rineke Dijkstra im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.

Und Tom.

NZZ, 27.02.2013

Jean-Claude Wolf begrüßt die Neuausgabe von John Stuart Mills Werken, die den Klassiker des Liberalismus auch als Verfechter der Frauenrechte ins rechte Licht rückt. Besprochen werden außerdem die Ausstellung "Liebe ist kälter als das Kapital" im Kunsthaus Bregenz, eine Aufführung von Verdis "Rigoletto" in der vielleicht kleinsten Oper der Welt, in Biel, Helga Hirschs Rückblick auf die Frauen der 50er Jahre "Endlich wieder leben" und Jochen Jungs Geschichte "Wolkenherz" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Spiegel Online, 27.02.2013

Sascha Lobo macht in seinem jüngsten (vom aktuellen Stand leicht überholten) Artikel zum Leistungsschutzrecht eine interessante Beobachtung: "Die beiden maßgeblichen Treiber des Leistungsschutzrechts, Axel Springer und Burda, sind weniger vom wirtschaftlichen Erfolg des digitalen Journalismus abhängig als die meisten anderen Verlage. Beide haben in den letzten Jahren ihre nichtjournalistischen Aktivitäten im Netz stark ausgebaut."

FR/Berliner, 27.02.2013

Arno Widmann gratuliert dem Stroemfeld-Verleger KD Wolff sehr herzlich zum Geburtstag: "Ohne KD Wolffs dickköpfige Ruppigkeit, ohne seine auch physische Durchsetzungskraft hätten es weder die Black Panther noch der wahre Hölderlin in unsere Bücherregale geschafft."

SZ, 27.02.2013

Am Ende der großen Roy-Lichtenstein-Retrospektive in der Tate Modern in London ereilt Alexander Menden, der bis dahin viel vom Comic inspirierte Pop Art gesehen hat, doch noch ein ästhetischer Schock: "Auf dem letzten Bild, 'Landschaft im Nebel' (1996) zerreißt etwas Unerwartetes die kühle Ästhetik: Zwischen dem blau gepunkteten Vordergrund und dem schwarz gepunkteten Berg im Hintergrund breitet sich der Nebel als grauweißer Farbschleier aus. Dieser Nebel hat etwas überraschend Unkontrolliertes, er besteht aus impulsiv aufgetragenen Farbschlieren. Hier ist er plötzlich, der expressive Pinselstrich, den Lichtenstein sich so lange verbot, den er parodierte. Es wirkt, als gestatte er sich am Ende seines Schaffens doch noch, etwas Persönliches preiszugeben."

Weitere Artikel: Burkhard Müller besucht in Chemnitz eine Tagung zur wissenschaftlichen Streitkultur. Kerstin Schweighöfer meldet, dass das Rotterdamer Völkerkundemuseum zum Ausgleich weggfallender Subventionen seine Afrikasammlung verkaufen muss. Jan Füchtjohann informiert sich in einem Aufsatz von Ulrich Raulff aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte über die geistesgeschichtlichen Ursprünge der intellektuellen Zeitdiagnostik. Volker Breidecker gratuliert dem Verleger KD Wolff zum 70. Geburtstag.

Besprochen werden Sherry Hormanns Film "3096 Tage" (bei dem Martina Knoben der Eindruck beschleicht, "dass hier ästhetisch nichts zu Ende gedacht ist"), Lasse Hallströms neuer Film "Der Hypnotisieur", Yasmina Rezas in Hamburg aufgeführtes "Ihre Version des Spiels", neue Stücke am Schauspielhaus Zürich, Konzerte vom Artemis Quartett und Tal & Groethuysen und Bücher, darunter Tom Hollands "Im Schatten des Schwertes: Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 27.02.2013

Gerhart Baum, Constanze Kurz und Peter Schanz werfen sich in einem gemeinsamen Text für das sogenannte IT-Grundrecht in die Bresche, das es dem Staat verbietet, sich in Computer einzuschleichen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 2008 die Maßstäbe für ein IT-Grundrecht gesetzt, doch wurden diese weder politisch noch juristisch umgesetzt. Nach wie vor wird unkontrolliert Spähsoftware eingesetzt: "Staatlicherseits wurden in den letzten Jahren bundesweit in etwa hundert Fällen Trojaner eingesetzt. Die mangelnde Zurückhaltung zeigt sich auch in der Geringschätzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, also der Intimsphäre der Bürger. Jeder staatliche Eingriff ist hier tabu. Dennoch fand der Bundesdatenschutzbeauftragte Aufzeichnungen und Übersetzungen erotischer Gespräche, die eigentlich sofort hätten gelöscht werden müssen."

Weitere Artikel: Die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters legt in der Reihe über vermeintliche Nebenwerke der Berliner Gemäldegalerie ein Wort für die frivole "Junge Dame im Négligé" der preußischen Malerin Anna Dorothea Therbusch ein. "Es ist einfach zum Verzweifeln", ruft Dirk Schümer angesichts des italienischen Wahlergebnisses und der Manipulationen, die Berlusconi mehr Gewicht zuschieben als ihm durch sein Wahlergebnis zukommen. Kerstin Holm erzählt in der Leitglosse von neuesten Korruptionsaffären im putinistischen Apparat. Mark Siemons liest mit großer Begeisterung Mo Yans gerade bei Hanser erschienenen Roman "Frösche" (der auch Katharina Borchardt vom Deutschlandradio begeistert hat). Jenni Roth schlendert über die Waffenmesse in Abu Dhabi, wo auch deutsche Produzenten ihre neuesten Spielzeuge feilbieten.

Auf fast der ganzen Medienseite insistiert der Chefredakteur des Branchenblatts Horizont, Jürgen Scharrer, streng objektiv, dass Werbung im Internet nutzlos sei und statt dessen in die Zeitung gehöre, weil dort auch die Inhalte wertvoller seien.

Besprochen wird Sherry Hormanns Film "3096" über den Fall Natascha Kampusch.