Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.08.2005. "Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört." Alle kommentieren die Übernahme von ProSieben Sat. 1 durch Springer, wenn auch nicht alle so eindeutig wie die SZ, die außerdem die Verwandtschaft von Politik und Frischkäse herausstreicht. Die FAZ befragt vier Schriftsteller nach ihren Lieblingsrandfiguren bei Thomas Mann, während die Welt über dessen Mut staunt. Die NZZ reanimiert die klassische Musik, zumindest in der Wochenendbeilage. Und alle äußern sich zu Hiroshima und der wieder anwachsenden atomaren Bedrohung.

SZ, 06.08.2005

Auf der Meinungsseite kommentiert Hans-Jürgen Jakobs die geplante Übernahme von ProSiebenSat1 durch den Springer-Verlag: "Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört, wenn die Meinungsvielfalt erhalten bleiben soll."

Der Werbeexperte Sebastian Turner ("Scholz & Friends") spricht im Interview über Parteienwerbung - und darüber, was Politik mit Frischkäse zu tun hat: "Frischkäse hat eine überschaubare Funktion: ein Brot zu bedecken. Mal angenommen, Sie essen früh ein Frischkäsebrot, fahren los ins Büro, stehen aber erstmal im Stau, dann erfahren Sie in der Firma, dass ein wichtiger Auftrag geplatzt ist, und dann verliert auch noch Ihr Fußballverein - diese Vorgänge würden Sie nie mit dem Frischkäse in Verbindung bringen." Vorgestellt werden dazu die Werbekonzepte von CDU, CSU, SPD, FDP, Linkspartei und Grünen.

Weitere Artikel: Patrick Illinger erzählt aus der Forschungeschichte der Atombombe, vor und nach Hiroshima. Willi Winkler berichtet von der Eröffnung des "Deutschen Auswandererhauses" (Website) in Bremerhaven. Im Gespräch erzählt der gerade auf der Ansbacher Bachwoche auftretende Cembalist, Organist und Dirigent Masaaki Suzuki, welche Bedeutung Bach in Japan hat. Jens Bisky hat ausgesprochen wenig Freude am hauptstadtkulturfondsgeförderten Berg im Palast der Republik. Über die Umstände des Rauswurfs des Meininger Intendanten Res Bosshart informiert und spekuliert Jürgen Berger. Petra Steinberger kommentiert die außergerichtliche Einigung darüber, dass in den USA jetzt Bilder von Soldatensärgen gezeigt werden dürfen. Gemeldet wird, dass Sony Pictures 1,5 Millionen Dollar an die Zuschauer zahlen muss - weil Sonys Marketing-Abteilungen einen jubelbereiten Filmkritiker erst erfunden und dann eifrig zitiert hatte. Auf der Medienseite plaudert Welt-am-Sonntag-Chef Christoph Keese aus dem Nähkästchen des Springer-Verlags.

Besprochen werden die CD-Box "Lauschangriff" mit gleich fünf Hörspielen, der Briefwechsel zwischen Walter Benjamin und Gretel Adorno und Abilio Estevez' Roman "Ferne Paläste". (Mehr dazu in der Bücherschau des Tages.)

Die SZ am Wochenende hat heute einen kleinen Schwerpunkt zum Thema Mobilität. Gerhard Matzig ist zuständig fürs Allgemeine: "Noch keine Zeit zuvor sah derart 'reisefertig' aus (Benn) - wie unsere." Sonja Zekri wird - als Wochenendpendlerin - konkreter: "Der Beginn meines Pendler-Lebens ist eine Pleite. Die Flüge sind ausgebucht, der Spätzug weg."

Weiteres: Im Artikel von Christopher Keil geht es um "Reiseprofis und Furcht". Aus Shanghai berichtet Michael Frank: "Alles in Schanghai endet sehr plötzlich. Verlässt der Gast ein Speiselokal nicht pünktlich, kann es geschehen, dass ihm Chef oder Chefin mit schriller Stimme verbieten, noch nachzunehmen, oder ihm den Löffel aus der Hand schlagen." Martin Jurgeit erzählt die Erfolgsgeschichte von Keiji Nakazawas Manga "Barfuß durch Hiroshima". Rebecca Casati berichtet, dass die Warhol-Muse Edie Sedgwick jetzt wieder in Mode ist. In der Reihe "Es war einmal" geht es heute um Darwin und den "Affenprozess". Im "Sprachatlas Deutschland" hat es Aris Fioretis mit dem Wort "Habseligkeiten".

NZZ, 06.08.2005

Anlässlich des Lucerne Festivals ist die Beilage Literatur und Kunst ganz der klassischen Musik gewidmet. In seiner kleinen Geschichte des frühzeitlichen Kultursponserings erklärt der Wirtschaftswissenschaftler John Kmetz vorsichtshalber gleich vorneweg, warum Hochkultur seit jeher nur auf monetärem Humus gedeihen kann. "Nicht jedermann mag sich wohl damit fühlen, deutsche Renaissancekultur auf hartes Bargeld reduziert zu sehen. Aber ehrlich: Ohne Geld hätten die grossartigen Münchener Chorbücher von Hans Mielich vermutlich nie existiert. Ohne Geld hätten so hochbegehrte Fremde wie Heinrich Isaac und Orlando di Lasso vermutlich nie einen Fuss in deutsche Lande gesetzt. Ohne Geld (und die Möglichkeit, mehr davon zu machen) hätten Drucker wie Petreius, Gardano und Petrucci vermutlich nie ein einziges Musikstück gedruckt. In der Tat, ohne Geld, Kapitalismus, Handel und Banken hätte Musik an Höfen und in Kirchen, in Universitäten und Tanzhäusern, in Privathäusern und Bankettsälen vermutlich nicht existiert."

"Aller Tage Abend ist noch lange nicht", beruhigt Peter Hagemann anhand einzelner Erfolgsgeschichten all jene, die einen Untergang der klassischen Mussik befürchten. Bettina Spoerri erfährt von Clive Gillinson, langjähriger Manager des Londoner Symphony Orchestra und neuer Direktor der Carnegie Hall New York, dass es nicht auf den Frack, sondern auf die Musik ankommt. Alfred Zimmerlin trifft den Komponisten und Avantgarde-Veteranen Helmut Lachenmann, der mit seinem Stil der "musique concrete instrumentale" bekannt wurde. Max Nyffeler schreibt zum 100. Geburtstag des deutschen Komponisten und "einsamen Sinfonikers" Karl Amadeus Hartmann. Christian Wildhagen empfiehlt begeistert zwei Aufnahmen des Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado.

Im Feuilleton erinnert Uwe Justus Wenzel zum Jahrestag von Hiroshima daran, dass sich die Menschheit jederzeit in Minuten selbst auslöschen kann. Joachim Güntner berichtet über das "grause Rätsel" der Brandenburger Kindsmorde und die Debatte um Jörg Schönbohms These der von der SED herbeigeführten "Verproletarisierung" der Bürger der ehemaligen DDR. Das 58. Internationale Filmfestival Locarno ist eröffnet worden, das letzte unter der Direktorin Irene Bignardi, und Andreas Maurer gibt seine Eindrücke der ersten Filme wieder. Thomas Leuchtenmüller stellt Kwame Kwei-Armah vor, Sohn westindischer Immigranten, der als Kolumnist, Moderator, Schauspieler und vor allem Damatiker in Großbritannien Furore macht.

Besprechungen widmen sich einer Retrospektive auf das Werk des amerikanischen Pop-Art-Künstlers Roy Lichtenstein im Kunsthaus Bregenz, und Büchern, darunter eine Auswahl von Prosa, Lyrik und Tagebuchtexten des tschechischen Dichters Jakub Deml "Pilger des Tages und der Nacht", Ines Geipels Roman "Heimspiel" sowie ein von Ulrich Dibelius herausgegebener Sammelband zum Komponisten "Karl Amadeus Hartmann" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 06.08.2005

Auf der Themen-des-Tages-Seite geht es unter anderem um die ProSiebenSat1-Übernahme durch den Springer Verlag. Steffen Grimberg kommentiert, im Gespräch äußert sich der Medienexperte Bernd Gäbler, Stephan Kosch porträtiert den Springer-Chef Matthias Döpfner.

Nie war die Gefahr von Atomschlägen größer als heute, warnt der Politologe Ernst-Otto Czempiel auf der Meinungsseite: "Indien und Pakistan haben sich seit langem Nuklearwaffen zugelegt, der Irak war drauf und dran, Libyen auch, Nordkorea sowieso, der Iran ist auf dem Weg. Ägypten schielt nach Kernwaffen, Saudi-Arabien auch, Israel hat sie schon. Zwanzig Staaten stehen an der atomaren Schwelle, die meisten von ihnen im Krisenbogen von Nordafrika bis Vorderasien. Aber auch Länder wie Südafrika und Brasilien, die den Verzicht auf Kernwaffen bisher beibehalten haben, werden sich dem Sog nicht entziehen können, der jetzt entstanden ist."

Im Kulturteil: Ein etwas ungutes Gefühl hat Dirk Knipphals bei der allzu heftigen Reaktion auf Schönbohms DDR-Pauschalverdammung. Abgedruckt wird eine Erzählung des Schriftstellers Norbert Zähringer zu "60 Jahre Hiroshima" mit dem Titel "Die Letzten ihrer Art". Brigitte Werneburg informiert kritisch über einen Schwerpunkt der Kunstzeitschrift "Art" über die "Lüge der Emanzipation". Ariane Eichenberg und Michael Marek haben das neue Klee-Museum in Bern besucht.

In der taz zwei klagt Solvin Wright über ausgesprochen langweilige Wahlkampf-Blogs deutscher Politiker.

Besprochen werden Paula Fox' im Original schon 1984 erschienener Roman "Luisa", Bernhard Kellers Romandebüt "Spiel im Dunkeln" und andere Bücher (Mehr in der Bücherschau des Tages.)

Das taz mag hat heute einen deutsch-indischen Schwerpunkt. Die in Deutschland arbeitende Fernsehjournalistin Navinda Sundaram beklagt den Niedergang der Auslands-Berichterstattung, zum Beispiel beim ARD-"Weltspiegel": Man sucht vergeblich nach einem Bericht über den staatlich geduldeten Genozid in Gujarat 2002. Nicht eine Fußnote über die phänomenalen Ergebnisse der Parlamentswahlen im Mai 2004, als die indische Wählerschaft die Bharatiya Janata Party und ihre (un)heilige 'Kuh-Allianz' von der Macht fegte." Paul Paulun informiert über die Geschichte des Musiktransfers zwischen dem Westen und Indien. Meenakshi Shedde und Vinzenz Hediger berichten über den "Tiger von Eschnapur" und deutsche Filmemacher in Indien. Vorgestellt wird Dorothee Wenners und Merle Krögers Film über Mercedes und Bollywood, "StarBiz".

Und Tom.

FR, 06.08.2005

Auf der Medienseite berichtet Daland Segler über die ProSiebenSat1-Übernahme durch Springer. Sein Kommentar auf der Meinungsseite fällt eher kurz aus: Der neue Verbund "dürfte einflussreicher werden als das Bündnis zwischen Altkanzler Helmut Kohl und dem Filmhändler Leo Kirch. Wie ökonomische zur politischen Macht wird: Döpfner könnte es uns neu lehren."

Im Kulturteil denkt Robert Kaltenbrunner über die Veränderung des öffentlichen Raums nach: "In einem schleichenden Prozess setzt sich das Uneindeutige und Hybride durch. Traditionell war der öffentliche Raum ein Bereich, der einer konkreten, vorbestimmten Nutzung entzogen war. Genau diese Unbestimmtheit droht in unseren Städten mehr und mehr zu verschwinden. An ihre Stelle tritt ein wohlkalkulierter Mix an Infrastrukturen, die reale oder vermeintliche Konsumbedürfnisse befriedigen, die einladend wirken und zugleich das Fortbestehen des Urbanen vortäuschen." Weitere Artikel: Der Historiker Christian Geulen setzt die Diskussion um Wolfgang Kraushaars Buch "Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus" und linken Antisemitismus fort. Karin Ceballos Betancour bringt irgendwie Bonanza und Poulantzas durcheinander. Peter Steinke stellt den Wiesbadener Tänzer Daniil Simkin vor.

Auf dem Titel des Magazins prangt Franz Beckenbauer, innen drin - zu lesen "auf" ePaper - gibt es heiteres Weltmeisterraten. Daneben aber auch ein Gespräch mit dem Schriftsteller Robert Gernhardt über Fußball und Humor.

Welt, 06.08.2005

Der 50. Todestag von Thomas Mann beherrscht die Beilage Literarische Welt. Wolf Lepenies würdigt den Mut des Schriftstellers, sich wie in der "Deutschen Ansprache" von 1930 immer wieder gegen die herrschende Meinung zu stellen. "Die Politik der an die Macht drängenden Nazis entlarvte er als 'Massenkrampf, Budengeläut, Halleluja und derwischmäßiges Wiederholen monotoner Schlagworte, bis alles Schaum vor dem Mund hat'. Zugleich zögerte er nicht, die Mitschuld eines großen Teils der deutschen Elite am Aufstieg der Nazis anzuprangern: 'Dazu gehört eine gewisse Philologen-Ideologie, Germanisten-Romantik und Nordgläubigkeit aus akademisch-professoraler Sphäre, die in einem Idiom von mystischem Biedersinn und verstiegener Abgeschmacktheit mit Vokabeln wie rassisch, völkisch, bündisch, heldisch auf die Deutschen von 1930 einredet.'"

Michael Kleeberg gräbt nach dem seiner Meinung nach immer noch verborgenen Wesenskern des Schriftstellers und legt "Herz, Glaube und Liebesfähigkeit" frei. Hinzuweisen ist außerdem auf Manuel Brugs begeisterte Besprechung der Tristan-Einspielung mit Placido Domingo, die wohl vorerst letzte große Studioaufnahme der Plattenfirma EMI.

FAZ, 06.08.2005

Auf der dritten Seite gilt es, eine Kausalkette zu bewundern. Da der Todestag von Thomas Mann sich zum fünfzigsten Mal jährt, hat Robert Gernhardt einige der Randfiguren aus dessen Werk gezeichnet und in einem Buch veröffentlicht, weswegen die FAZ nun vier Schrifsteller eingeladen hat, in kleinen Vignetten ihre persönlichen Lieblinge vorzustellen. Martin Mosebach (mehr) etwa liebt den fülligen Maitre Machatschek aus "Felix Krull". "Machatscheks Frack sitzt selbstverständlich perfekt, aber es ist dennoch von Zeit zu Zeit nötig, seine Körpermassen mit den Reifen und Ringen dieser Frackrüstung in Übereinstimmung zu bringen. Wenn Machatschek mit dem Bauch ruckt, meint man das satte Ineinandergreifen einer teuren Mechanik zu hören."

"Wir sind der einzige Schimpanse, der Afrika verlassen hat." Im Aufmacher des Feuilletons wirbt der Astrophysiker und Nasa-Berater Gregory Benford aus Gründen der Denkfreiheit für eine Fortsetzung der bemannten Raumfahrt. Andreas Platthaus stellt zum sechzigsten Jahrestag des ersten Atombombenabwurfs Nakazawa Keijis Mangareihe "Barfuß durch Hiroshima" vor, der nun vollständig auf Deutsch vorliegt. "dsch" berät Workaholics, wie sie sich vor dem Urlaubsinfarkt schützen können. Jordan Mejias blättert in The Atlantic Monthly und The New Republic und erfährt, warum auch Demokraten Hoffnungen in den von Bush nominierten Richterkandidaten John G. Roberts setzen. Michael Gassmann gratuliert dem Fotografen Jupp Darchinger zum Achtzigsten.

In den Überresten der Bilder und Zeiten meditiert Dietmar Dath über die Enttäuschungen der sexuellen Revolution und die daraus resultierende pornografische Verfasstheit des Sexuellen in der Gesellschaft. Abgedruckt wird zudem Hannes Hintermeiers Laudatio auf die Schriftstellerin Petra Morsbach, die für ihren Roman "Gottesdiener" den Johann Friedrich von Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis der Stadt Stuttgart erhalten hat.

Auf der Medienseite schildert Michael Hanfeld die Übernahme von ProSieben Sat.1 durch Springer, der sich nun, zumindest was die publizistische Macht angeht, "auf Augenhöhe" mit Bertelsmann befinde.

Auf der Schallplatten- und Phonoseite wird eine "sensationelle" Neueinspielung von Tristan-Szenen unter Antonio Pappano vorgestellt, unter anderem mit Placido Domingo (der "steil und scharf wie ein Riff" singt, versichert Eleonore Büning.), sowie "Body of Song", das neue Album des ruhiger gewordenen Rockers Bob Mould.

Besprochen werden Oday Rasheeds dokumentarischer Spielfilm über das Filmemachen in Bagdad, Michael Bays Actionfilm und "geschmackloser Klunker" "Die Insel", eine Ausstellung mit Zeichnungen des rumänischen Künstler Dan Perjovschi im Kölner Museum Ludwig, und Bücher, darunter Jonathan Franzens Roman "Schweres Beben", Ippolito Nievos "Bekenntnisse eines Italieners" und Rüdiger Görners Betrachtung des späten "Thomas Mann" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).