Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.08.2007. Die FR bringt ein großes Interview von Andre Müller mit Peter Handke. Die FAZ lässt sich von Craig Venter in die Zukunft des gentechnisch veränderten Menschen einweisen. In Polityka spricht Richard von Weizsäcker mit Adam Krzeminski über den deutschen Widerstand und die deutsch-polnische Nachkriegsgeschichte. Im Tagesspiegel freut sich Bushido auf seine Villa in Lichterfelde West. Die SZ zieht eine recht zufriedene Bilanz der Salzburger Festspiele. In der NZZ beklagt Richard Wagner die anhaltende Wirkung kommunistischer Geschichtsmanipulationen in Osteuropa.

Weitere Medien, 31.08.2007

In Polen wird im Wahlkampf mal wieder heftig über Deutschland debattiert. Ein polnischer Politiker bezeichnete den deutschen Widerstand als kümmerlich. Richard von Weizsäcker antwortet in einem langen Gespräch, das Adam Krzeminski mit ihm führte (und das Polityka auch auf deutsch online stellt): "Die abfällige Bemerkung über den deutschen Widerstand finde ich zwar kenntnisarm, doch zugleich kann ich von den Polen nicht erwarten, dass sie diese furchtbar schwierigen, tragischen und schließlich erfolglosen Unternehmen verschiedener Widerstandsgruppen nachvollziehen. In der Bewegung des 20. Juli 1944 war das Wichtigste gar nicht die Vorstellung, Hitler zu beseitigen, den von Deutschen verursachten, verbrecherischen Krieg abzubrechen und die möglichst besten Bedingungen für Deutschland zu bekommen. Die Verschwörer wussten ja, dass die Alliierten auf einer bedingungslosen Kapitulation bestehen. Nein, es ging darum, der Welt zu zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt. Wir sollen nicht vergessen, dass nach dem erfolglosen Attentat mehr Menschen an allen Fronten, in den KZs und unter den Bomben getötet wurden als seit dem Kriegsausbruch..."

FR, 31.08.2007

In einem epischen und wie immer großartig geführten Interview befragt Andre Müller den Schriftsteller Peter Handke, zunächst einmal - wie kann es anders sein - zu Serbien und Milosevic. "Man hat ihn abgewählt. Dass man ihn ausgeliefert hat, bleibt eine ewige Schande für Serbien", sagt er zum Beispiel, und auf Müllers Einwurf, die serbische Schriftstellerin Biljana Srbljanovic sagt, er, Handke, habe keine Ahnung, Milosevic habe Oppositionelle auf offener Straße ermorden lassen, antwortet er: "Das stimmt überhaupt nicht. Es gab eine total freie Presse in Jugoslawien. Aber es gab das Wirtschaftsembargo des Westens, wodurch ganz von selbst mafiose Strukturen entstanden. Diese kleinen Mafia-Gruppen haben sich gegenseitig bekriegt. Wie kann man das mit Milosevic in Verbindung bringen?... So etwas zu behaupten, ist eine Unverschämtheit. Dieses Mädchen wurde während des Nato-Krieges gegen Jugoslawien vom Spiegel, der ja für diesen Krieg war, beauftragt, ein Tagebuch zu führen. Die schrieb dann, während die Bomben fielen, es sei ganz ungefährlich, es splittere nur da und dort etwas Glas. In Wahrheit sind über tausend Serben in diesem Krieg umgekommen. Diese Frau ist eine Westhure. So nenne ich das."

Der österreichische Schriftsteller Franzobel gesteht, manisch die Verkaufsstände seiner Bücher bei Amazon zu kontrollieren. "Meine eben erschienene "Liebesgeschichte" etwa war kurzfristig an 480. Stelle, ist dann aber innerhalb weniger Tage auf Platz 20 000 abgesackt, um gegenwärtig bei 14 000 zu verharren, was äußerst frustrierend ist, wenn gleichzeitig der neue Menasse auf 100 und Arno Geiger auf 2000 steht. Gut, dafür habe ich Peter Henisch und Margit Schreiner, beide um die 100 000, fest im Griff, auch Gerhard Roth und Josef Winkler rangieren noch hinter mir, während Thomas Glavinic, der in seinem neuen Buch den Literaturbetrieb karikiert, seltsame Pendelbewegungen vollführt."

Weiteres: Christian Schlüter bemerkt, dass die chinesische Regierung viel geschmeidiger und geschickter auf Vorhaltungen in punkto Menschenrechten reagiert. In einer Times mager weist er angesichts von Kardinal Meisners Missfallensbekundungen zu Gerhard Richters Domfenster darauf hin, dass das Originalfenster im 14. Jahrhundert eben wegen seiner figürlichen Darstellungen Anstoß erregt hatte.

Besprochen werden Sophie Calles Ausstellung "Prenez soin de vous" im französischen Pavillon der Biennale in Venedig, eine Retrospektive des japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto im Düsseldorfer K20, und Bücher, darunter Warlam Schalamows "grandiose" Samisdat-Literatur Erzählungen aus Kolyma".


Tagesspiegel, 31.08.2007

In einem Interview mit Andre Görke und Nana Heymann gibt Bushido Auskunft über seinen tatsächlichen Charakter: "Ich habe mir im Frühling ein schönes Haus gekauft, 660 Quadratmeter, drei Stockwerke, in Lichterfelde West. Klingt ziemlich spießig, privat bin ich auch ein Spießer."
Stichwörter: Bushido, Spießer

FAZ, 31.08.2007

Jordan Mejias war zum Plausch geladen, bei Genom-Entschlüssler Craig Venter und Kollegen, die auf einer netten Farm in Connecticut Zukunftsbilder von schönen neuen Welten malten, ohne dabei ins Frösteln zu geraten: "Die Manipulation menschlicher Gene hält [Venter] nicht nur für möglich, sondern für wünschenswert. Gewiss, den Häftling, der ihn bat, eine attraktive Zellengefährtin genetisch maßzuschneidern, will er in Zukunft ebenso enttäuschen wie den widerlichen Herrenmenschen, der sich von ihm eine geistig unterentwickelte Arbeiterschicht wünschte. Aber, fragt Venter, wer könnte etwas gegen Menschen mit gentechnisch aufgepeppter Intelligenz haben? Oder gegen neue Genome, die neue, ungeahnte Quellen von Biotreibstoff erschließen? Niemand auf der Eastover Farm erschauert vor dem eugenischen Revival. Was in einer deutschen Runde heftige Kontroversen ausgelöst hätte, zieht hier unter Ahornwipfeln, die sanft in der Brise rauschen, unbeanstandet vorüber."

Weitere Artikel: Andreas Rossmann zeigt sich irritiert von Kardinal Meisners wegwerfenden Bemerkungen über Gerhard Richters Kirchenfensterglaskunst. Heinrich Wefing hat sich die zwei neuen Synagogen angesehen, die an diesem Wochenende in Berlin eröffnet werden. Der Physik-Professor Stefan Rahmstorf rechnet mit den Klimaskeptikern ab, die er für nicht weniger unbelehrbar hält als etwa die Kreationisten (eine Langfassung des Textes hat die FAZ ins Netz gestellt). Ein einst der linksradikalen "lotta continua" angehöriger Professor der italienischen Universität in Terramo hat den Holocaustleugner Robert Faurisson zu einem Vortrag eingeladen - Wolfgang Schieder informiert über die Umstände des Skandals. Dirk Schümer hat in Venedig Filme von Kenneth Branagh und Jaume Balaguero gesehen. Mark Siemons meldet, dass Kafkas "Verwandlung" jetzt in den chinesischen Schullesekanon aufgenommen werden soll. Martin Hollender gratuliert dem Historiker Helmut Hirsch zum Hundertsten.

Auf der letzten Seite findet sich ein Interview, das Wolfgang Sandner mit dem Dirigenten James Levine geführt hat, und in dem es etwa um dessen Traum geht, "Verdis 'Troubadour' in Anwesenheit des Komponisten auf[zu]führen und dann von ihm [zu] hören, ob es so war, wie er sich das Werk vorgestellt hat". Paul Ingendaay informiert über schwere Turbulenzen an der Madrider Bibliothek zweier Weltkarten wegen. Nicole Hegener begrüßt die Skulptur eines Jünglings im Berliner Bode-Museum, die höchstwahrscheinlich Baccio Bandinelli geschaffen hat.

Auf der Sachbuchseite werden die von Walter Kaiser und Wolfgang König herausgegebene "Geschichte des Ingenieurs" und ein Band über "Toleranz - Religion - Recht", weiter vorne unter anderem Eric Laurrents Roman "Clara" rezensiert.

Besprochen werden mehrere Beethoven-Konzerte in Salzburg, Christoph Hübners Film "Thomas Harlan - Wandersplitter" und die Düsseldorfer Ausstellung "Der große Pan ist tot".

TAZ, 31.08.2007

Cristina Nord berichtet gutgelaunt vom zweiten Tag beim Filmfestival in Venedig, wo Takeshi Kitano sie mit seiner außer Konkurrenz laufenden Revue "Glory to the Filmmaker!" amüsierte. "So entsteht eine muntere Tour de force durch die Filmgeschichte und durch Kitanos eigenes Werk - unschlagbar etwa die Schießerei in einem Parkhaus, bei der die Kugeln, in ihrer Bewegungskurve durch Slow-Motion-Effekte sichtbar gemacht, auf Kitano zufliegen wie in 'Matrix', dann hinter ihm abprallen und wieder Kurs nehmen auf Kitano. Als eine seinen Hinterkopf trifft, stolpert er und sagt: 'Autsch'."

Im Medienteil zweifelt Dominic Johnson an der Rechtssprechung im Falle zweier ermordeter Journalisten in der Demokratischen Republik Kongo. Vier Leute wurden zum Tod verurteilt, die beiden mutmaßlichen Mörder kamen frei. In der zweiten taz kommentiert Arno Frank die Einwände Kardinal Meisners zu Gerhard Richters Kölner Domfenster. "Der Mann hat keine Ahnung."

Besprechungen widmen sich Manu Chaos neuem Album "La Radiolina", der Platte "Friend And Foe" der Band Menomena, und Christoph Hübners nüchternem Dokumentarfilm ""Thomas Harlan - Wandersplitter".

Und auf der Tagesthemenseite erzählt Heike Holdinghausen eine "Geschichte über Kunstsinn in Zeiten knapper Kassen": In der Stadt Siegen wird ein neues Theater eröffnet.

Und Tom.

NZZ, 31.08.2007

Der Schriftsteller Richard Wagner sieht die Transformationsprozesse in Ostmitteleuropa noch lange nicht an ein erfolgreiches Ende gekommen - das Erbe des Kommunismus wird, fürchtet er, noch lange untergründig nachwirken: "Die Kommunisten aber operierten mit Halbwahrheiten. Sie erfanden die Geschichte nicht, sie manipulierten sie. Selbst die meisten der Kriegsverbrecherprozesse der Nachkriegszeit halten einer rechtsstaatlichen Überprüfung nicht stand. Im Grunde müssten die Prozesse neu aufgerollt werden. Das aber ist praktisch unmöglich, und so wird der Revisionismus weiterhin seine Argumente finden. Die kommunistische Propaganda zerstörte den ethischen Wert der Geschichtskultur. Diesen wiederzugewinnen, ist unabdingbar für eine ausgewogene Bewertung der Vergangenheit. Wie viel Zeit so etwas braucht, veranschaulicht nicht zuletzt die schier endlose Kollaborationsdiskussion in den Niederlanden, trotz demokratischem Umfeld."

Weitere Artikel: Georges Waser vermisst an ihrem zehnten Todestag Prinzessin Diana und fragt zudem nach dem aktuellen Zustand der britischen Monarchie. Thomas Schacher porträtiert das Boston Symphony Orchestra und seinen Dirigenten James Levine - sie sind mit drei Konzerten beim Lucerne Festival vertreten. Axel Christoph Gampp hat die Ville Torlonia in Rom nach ihrer Restaurierung besichtigt. Im Dossier Medien schreibt "S.B." über Nutzen und Notwendigkeit des Wikiscanner (Website), mit dessen Hilfe die Quellen von Wikipedia-Einträgen geortet werden können. Villö Huszai porträtiert die Schweizer Künstler Christoph Wachter und Mathias Jud, die "ein Loch in die chinesische Firewall geschlagen" haben.

Besprochen werden Jiro Taniguchis Manga "Vertraute Fremde", Michael E. Veals Buch über die Geschichte des Dub und eine Ausstellung mit Werken des Grafikdesigners Jonathan Barnbrook in London.

Welt, 31.08.2007

Berthold Seewald kommentiert am Rande die jüngsten Äußerungen der polnischen Außenministerin Anna Fotyga, nach denen Polen im Zweiten Weltkrieg Kulturverluste in Höhe von 20 Milliarden Euro erlitten habe, die mit den Berliner Beständen in der Krakauer Jagiellonen-Universität nicht abgegolten wären: "Für Russland sind seine Trophäen Symbole des Sieges über Deutschland und damit seiner Größe. Für Polen sind sie Zeichen, nicht weiterhin ein Spielball zwischen den großen Nachbarn zu sein. Die Mythen, die sich daran festmachen, berühren viel zu viele Emotionen, als dass Politiker ihre Existenz mit ihrer Rückgabe wegen eines deutschen Rechtsstandpunkts aufs Spiel setzen würden."

Weiteres: Auf der Mostra in Venedig hat Peter Zander Ang Lees neuen Film "Gefahr und Begierde" gesehen, der mit einer Aufsehen erregenden Sex-Szene bereits die amerikanischen Sittenwächter auf den Plan gerufen hat. Im Interview mit Katharina Dockhorn verteidigt Constantin-Vorstand Martin Moszkowicz das Amphibien-System, zwei unterschiedliche Fassungen eines Films für Fernsehen und Kino zu drehen. Matthias Heine besucht Herlinde Koelbls Ausstellung "Haare" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die ihn "mit sanfter ausdauernder Gewalt" daran erinnerte, "dass es eigentlich wie bei den Affen fast unseren ganzen Körper bedeckt". Hanns-Georg Rodek stellt den derzeit in "Franz und Polina" zu sehenden Schauspieler Adrian Topol vor, der 1989 mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland ausgesiedelt ist. Holger Kreitling ist sich nicht sicher, ob die Idee von Bundespräsident Horst Köhler, mehr Kunst auf öffentlichen Plätzen zu zeigen, eine gute ist. Als vorbildlich beschreibt Manuel Brug die Jugendarbeit des San Francisco Symphony Orchestras. Peter Dittmar berichtet, dass aus der Nationalbibliothek in Madrid zwei Exemplare von 1482 der Mappa mundi des Ptolemaios gestohlen wurde - wahrscheinlich von Fachleuten.

SZ, 31.08.2007

Das erste Jahr der Jürgen-Flimm-Festspiele in Salzburg gibt Anlass zur Hoffnung, meint Reinhard J. Brembeck, auch wenn die Musik ein wenig zu kurz kam. "Während zu Zeiten Gerard Mortiers (1992-2001) noch die Postmoderne üppig blühte, versuchte Peter Ruzicka (2002-2006) etwas krampfhaft, eine zweite Avantgarde zu installieren, die er auf fünf reichlich wackelige 'Programmsäulen' stellte. Bei Flimm ist von solchen allzu papierenen Programmphilosophien nicht viel zu spüren, und deshalb war heuer in dem von Touristen verstopften Salzburg ein wohltuend ungewohnter Hauch von unbeschwerter Boheme zu spüren. Flimm ist durch und durch Theatermann, und so präsentiert sich seine erste Festspielsaison als Sieg der Bühne über Musik, Dramaturgie, Bildungsbürgerernst, Kanon und Regietheaterdiskussion." Nicht so freundlich springt Christopher Schmidt mit dem Schauspieldirektor Thomas Oberender um.

Gerhard Matzig rügt die deutsche Architektenzunft für ihr mangelndes Umweltwusstsein. "Erstens: Architekten haben keine Ahnung von Wohnarchitektur. Und zweitens: Architekten verstehen nichts von Haustechnik als Fundamentaldisziplin eines ökologischen Bauens. Beide Annahmen sind richtig. Ausgerechnet die deutschen Architekten, Teil einer Nation, die in Fragen der Umwelttechnologie führend ist, verschlafen so in großen Teilen die radikalste Herausforderung, die es in diesem Beruf je gegeben hat. Es ist nicht zu fassen."

Weiteres: Bernd Graff erklärt, was es mit den Creative Commons-Lizenzen auf sich hat. Helmut Mauro schaut beim Busoni-Klavierwettbewerb in Bozen vorbei, wo heute Abend die drei Gewinner gekürt werden. Stefan Koldehoff informiert, dass Vincent van Gogh einige seiner Bilder auf Geschirrhandtücher gemalt hat, von denen jedes heute mehrere Millionen Euro schwer ist. Andrian Kreye gratuliert dem Komponisten und Jazzmusiker Gunter Hampel zum Siebzigsten. Andreas Schubert schreibt den Nachruf auf Hillel Kristal, Besitzer des New Yorker Clubs "CBGB & OMFUG".

Auf der Medienseite beschreibt Arne Perras den befreienden Einfluss von Handys und Internet auf den afrikanischen Journalismus.

Besprochen werden eine Ausstellung über militärische Tarnung im Imperial War Museum in London, und Bücher, darunter David Bodanis Biorgrafie "Emilie und Voltaire" sowie Dzevad Karahasans "Berichte aus der dunklen Welt".