Heute in den Feuilletons

Peking is watching you

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.05.2008. Die SZ hat von Jonathan Littell erfahren, warum er die Nazis so viel sexier findet als die Kommunisten. In der Zeit äußert sich der Dramatiker Simon Stephens nicht sehr zuversichtlich über das zu erwartende Erbe seiner Tochter. In der Welt erklärt Gruner und Jahr-Chef Bernd Kundrun, warum er die Öffentlich-Rechtlichen im Netz fürchtet: sie könnten Innovationen in Gang setzen. Die FR erklärt, warum Paolo Flores D'Arcais Schluss mit der Realpolitik in Italien machen will. Im Kölner Stadtanzeiger kritisiert Najem Wali die arabischen Regimes, die Israel als Sündenbock für selbstverursachte Probleme benutzen. Alle würdigen Robert Rauschenberg.

FR, 15.05.2008

"Schluss mit der Realpolitik" fordert der italienische Philosoph Paolo Flores D'Arcais in der neuen Ausgabe seiner Zeitschrift MicroMega, berichtet Aureliana Sorrento. "Realpolitik - damit meint D'Arcais all das, was von ihm als Grundfehler der Linken erkannt wird: die Politik der Kompromisse, des Verzichts auf eine linke Sozialpolitik, der nachgiebigen Haltung gegenüber einem politischen Gegner, der tagtäglich die Verfassung mit Füßen tritt und in keinem anderen demokratischen Land gewählt würde, weil er sämtliche Fernsehsender des Landes kontrolliert. Aber Realpolitik hieß für die Linken außerhalb des Parlaments lange Zeit auch die Tolerierung einer Kaste politischer Vertreter, von denen sich weder die linke Intelligenz noch der linksgesinnte Bürger vertreten fühlt. Verzweifelt hat man in Ermangelung von etwas Besserem auf deren Wandlungsfähigkeit gehofft. Das Wahlergebnis hat nun alle Illusionen zerschmettert."

Weitere Artikel: Der Komponist Matthias Pintscher spricht im Interview über Musik und das Dirigieren. In Times Mager stellt sich Arno Widmann Natascha Kampusch als eine "Frau mit Stahlnerven" vor: Sie hat das Haus gekauft, in dem sie jahrelang im Keller gefangen gehalten wurde.

Auf der Medienseite berichtet Nico Sandfuchs über die Internetzensur in der Türkei. Immer wieder werden Portale wie youtube oder Wordpress gesperrt, wenn dort Kritisches publiziert wird: "Dass ganze Portale mit teilweise mehreren Millionen Nutzern geschlossen werden, nur weil einzelne Veröffentlichungen zumeist anonymer Teilnehmer gegen die restriktiven türkischen Bestimmungen verstoßen, wird von Nichtregierungsorganisationen längst scharf kritisiert. 'Es gibt bei uns ein Sprichwort: Wegen eines einzigen Flohs wird die ganze Bettdecke verbrannt. Nichts anderes stellt die Maßnahme dar, wegen eines einzigen Inhalts eine ganze Seite zu verbieten', heißt es etwa von der Vereinigung türkischer Verleger (TYB). Sie sollen demnächst die Türkei als 'Ehrengast' bei der Frankfurter Buchmesse vertreten."

Besprochen werden Scarlett Johanssons Debüt-CD "Anywhere I Lay My Head" (Gutes Album, findet Thomas Winkler, "das gelang ihr, indem sie das unterstützende Personal sorgsam auswählte und sich selbst demonstrativ und so weit als möglich in den Hintergrund schiebt". Die Frau weiß eben, wo ihr Platz ist.), zwei Ausstellungen - von Andreas Gursky und Heribert C. Ottersbach - zu Architektur auf der Mathildenhöhe Darmstadt, eine Aufführung von Karol Szymanowskis Oper "Krol Roger" in Wiesbaden, Peter Geyers Kinski-Film "Jesus Christus Erlöser" und Daniel Luchettis Film "Mein Bruder ist ein Einzelkind".

NZZ, 15.05.2008

Der italienische Schriftsteller Sebastiano Vassalli setzt sich in einem "zweifelnden Zwischenruf" mit Veltroni und Berlusconi auseinander und bescheinigt sich selbst "absolute Gleichgültigkeit" angesichts der Wiederwahl Berlusconis: "Der Herr B. begeistert mich nicht; aber noch weniger hat mich Walter Veltroni begeistert, der die 'katho-kommunistische' Seele der Italiener verkörpert und kulturell, finde ich, etwas noch Hinterlistigeres als sein siegreicher Gegner. Die Geschäfte gehen vorbei, die Kirchen bleiben; und momentan erobert die katholische Kirche Italien zurück, hundertvierzig Jahre nach dem Ende der weltlichen Macht der Päpste."

Die rasante Entwicklung der Robotertechnologie in Japan beobachtet Florian Coulmas. Nirgends würden auch so viele Roboter tatsächlich eingesetzt wie in Japan, allein 400.000 Industrieroboter arbeiten dort. "Die Einstellung zu dieser Technik ist anders als in Europa. So haben sich etwa Arbeitnehmer niemals gegen Roboter gewehrt, weil sie ihre Arbeitsplätze bedroht gesehen hätten. Anthropomorphe Roboter haben etwas Spielerisches. Sie stehen in Japan in einer langen Tradition mechanischer Puppen, die schon vor 200 Jahren Tee servieren, chinesische Zeichen schreiben konnten und später der japanischen Uhrenindustrie Pate standen. Vorbehalte gegen einen Homunkulus, der uns zu beherrschen droht, wie sie in der technikfeindlichen intellektuellen Unterströmung seit der Romantik mitschwingen, kennt man in Japan kaum."

Weiteres: In seinem Nachruf auf Juri Rytcheu bescheinigt Ulrich M. Schmidt dem tschuktschischen Schriftsteller, "seinem Volk eine Literatur und damit auch eine eigene Identität gegeben zu haben". Besprochen werden Nic Balthazars Film über den autistischen "Ben X", Kenneth Bis Film "The Drummer" und Bücher, darunter Pierre Chiquets Roman "Kleopatrafalter" (mehr dazu in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 15.05.2008

Gruner + Jahr-Verleger Bernd Kundrun erklärt in einem längeren Interview, warum die Öffentlich-Rechtlichen im Internet eine so große Bedrohung für private Verlage sind: "Die Öffentlich-Rechtlichen haben jedes Jahr 7,5 Milliarden Euro Gebühren zur Verfügung... Sogar ein Prozent, also 75 Millionen Euro, wäre mehr als die großen Verlage ausgeben können. Dies würde den Wettbewerb extrem verzerren. ARD und ZDF könnten große Redaktionen aufbauen, die besten Journalisten abwerben, immer neue Angebote starten. Mit den Gebühren im Rücken könnten sie zügig Innovationen in Gang setzen, welche Verlage mit Blick auf ihre Erlöse nur Schritt für Schritt wagen können."

Weitere Artikel: Tilmann Krause war dabei, als Jonathan Littell in Berlin mit Historikern über seinen Roman "Die Wohlgesinnten" diskutierte und unter anderem "die ans Schnöselhafte grenzende Nonchalance des Absolventen französischer Elite-Schulen" demonstrierte. Über das namenlose Lucian-Freud-Gemälde, das gerade einen Preisrekord für lebende Künstler gebrochen hat, weiß Thomas Vitzthum Näheres. Hendrik Werner kommentiert eine Untersuchung, die herausfand, dass brillentragende Kinder seit Harry Potter einen erstaunlichen Image-Gewinn unter Gleichaltrigen verzeichnen. Friedrichs Schreibtisch muss Schloss Sansscouci nicht verlassen, freut sich Gabriela Walde. Peter Zander meldet, dass nach der Ersetzung von Volker Schlöndorff durch Sönke Wortmann auf dem Regisseurs-Stuhl nun auch die Hauptdarstellerin für die Donna-Cross-Verfilmung "Die Päpstin" ausgewechselt wird: Johanna Wokalek statt Franke Potente.

Auf der Kinoseite werden unter anderem Gus van Sants Skater-Drama "Paranoid Park", Martin McDonaghs Killer-Komödie "Brügge sehen ... und sterben" und die Klaus-Kinski-Performance "Jesus Christus Erlöser" vorgestellt.

Auf der Forum-Seite erklärt die in Haifa und Monash lehrende Politologin Fania Oz-Salzberger, wie Frieden im Nahen Osten möglich wäre: "Ein Brückenschlag der Mittelschichten, Zweistaatlichkeit, die Aufgabe der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und die Teilung Jerusalems."

Besprochen werden der, wie Hanns-Georg Rodek staunt, konsequent düstere Cannes-Eröffnungsfilm "Blindness" und die Aufführung von Giovanni Paisellos Opera Buffa "Il matrimonio inaspettato" bei den Salzburger Pfingstfestspielen.

Berliner Zeitung, 15.05.2008

Der Journalist und Referent des Tibetischen Zentrums in Hamburg Andreas Hilmer wundert sich doch ein bisschen über die vielen Lücken im Gesprächsprogragramm des gerade in Deutschland weilenden Dalai Lama: "Bundespräsident Köhler, Außenminister Steinmeier und wer sich noch so alles moralisch wegduckt, tragen schwer am Balanceakt zwischen Dialog und Handel. Peking is watching you - jeder zu offiziell ausfallende Handschlag auf deutschem Boden gleicht einer Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten."

Tagesspiegel, 15.05.2008

Christiane Peitz hat Neues über den epochemachenden Stauffenberg-Film des Couragebambi-Trägers Tom Cruise herausgefunden: "Jüngste Meldung: Es wird nochmals gedreht und nochmals verschoben. Neuer Starttermin ist nun der 13. Februar 2009. Vorerst."
Stichwörter: Cruise, Tom

Kölner Stadtanzeiger, 15.05.2008

Diesen Artikel aus dem gestrigen Kölner Stadtanzeiger haben wir (durch einen Link der Achse des Guten) erst heute gefunden. Einen ziemlich originellen Standpunkt für einen arabischen Autor vertritt Najem Wali zum 60. Geburtstag Israels: "Es gibt keinen Frieden, ohne unmittelbar mit dem anderen zu sprechen und seine Lebensweise kennenzulernen. Warum fürchten die Herrschenden bei uns diese Wahrheit? Sie fürchten, ihre Landsleute würden erkennen, dass Stillstand und Verwüstung der arabischen Gesellschaften nur in einer Hinsicht mit dem arabisch-israelischen Kampf zusammenhängen: Friede mit Israel wäre das Ende des Opiumrauschs, mit dem die arabischen Herrscher ihre Völker betäuben. Er verursacht die Schwierigkeiten, an denen angeblich Israel schuld ist."
Stichwörter: Israel, Wali, Najem

TAZ, 15.05.2008

Heute vor hundert Jahren fiel in Deutschland das Politikverbot für Frauen, aus diesem Anlass ist in tazzwei ein Interview mit der Politikwissenschaftlerin Claudia von Gelieu zu lesen, Autorin des Buchs "Vom Politikverbot ins Kanzleramt. Ein hürdenreicher Weg für Frauen". Sie weiß: "Dieses traditionelle Frauenbild, das ist Propaganda. 90 Prozent der Frauen mussten schon immer ihren Lebensunterhalt verdienen. Allerdings haben die bürgerlichen Frauen nach dem Politikverbot ihre Aktivitäten als 'geistige Mütterlichkeit' getarnt. So haben sie das traditionelle Bild quasi mitbefördert."

Im Kulturteil würdigt Ulf Erdmann Ziegler im Nachruf den verstorbenen Künstlers Robert Rauschenberg. Christina Nord macht in Fernando Meirelles Wettbewerbsbeitrag für Cannes "Blindness" desolate Parallelwelten aus.

Besprochen werden außerdem der neue Film von Gus Van Sant "Paranoid Park", die Killer-Kinokomödien "You Kill Me" von John Dahl und "Brügge sehen und sterben?" von Martin McDonagh und das Buch "Rubens in Sibirien. Beutekunst aus Deutschland in der russischen Provinz" von Kerstin Holm (mehr dazu in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

Zeit, 15.05.2008

Peter Kümmel hat ein schönes Gespräch mit dem zur Zeit angesagtesten Bühnenautor, dem Londoner Simon Stephens, geführt, der kein allzu positives Bild von unserer Zukunft zu haben scheint: "Teil meiner Arbeit ist es, mir auszmalen, wie die Welt sein wird, wenn meine kleine, 15 Monate alte Tochter so alt ist, wie ich es bin, also in 36 Jahren. Es ist sehr schwer, sich über die Zukunft optimistische Gedanken zu machen. Sie erbt das Chaos und den Wahnsinn von uns - das wird sie verfolgen. Den Todesgedanken auf meine Kinder anzuwenden, ist sehr schwer. Es gibt eine Stelle in meinem neuen Stück, da sagt die Mutter, Harper, zu ihrer Tochter Sarah: Der Schmerz ist besser als nie gelebt zu haben. Vor der Aufführung haben wir diese Zeile gestrichen, und ich bin froh darüber. Aber ich glaube an diese gestrichene Zeile."

Zum 60. Geburtstag Israels unterhält sich Evelyn Finger mit der Gender-Forscherin Judtih Butler über den "Kein Grund zu feiern", den sie zusammen mit vielen anderen jüdischen und nicht-jüdischen Intellektuellen als Anzeige in die International Herald Tribune stellte. Auf die Frage, wie Israel Frieden schließen soll mit Gegnern, die keinen Frieden wollen, antwortet Butler: "Sind Sie sicher, dass Israel keinen Krieg will?"

Weitere Artikel: Thomas Assheuer erklärt im Aufmacher, wie sich die Hirnforscher den menschlichen Drang zur Kunst erklären (soweit ihre Neuronen das zulassen). Hanno Rauterberg fürchtet, dass sich die Deutschen mit ihrem großen Expo-Pavillon in Schanghai blamieren. Adam Krzeminski berichtet über eine bittere Fehde zwischen den polnischen Historikern Bogdan Musial und Woldzimierz Borodziej um die Frage, wie weit die Polen bei der Vertreibung der Deutschen autonom agierten - und Musial scheint in dieser Kontroverse nicht sehr gut auszusehen. Georg Seeßlen bringt einen Artikel über "Indiana Jones IV", der sich so liest, als hätte er den Film schon gesehen.

Besprochen werden eine Pariser Ausstellung über die Spuren des Heiligen in der modernen Kunst, Beethoven-Audfnahmen unter Jost van Immerseel und das Debüt-Album von Scarlett Johansson.

Aufmacher des Literaturteils ist Fritz J. Raddatz' Besprechung von Thomas Pynchons neuem Roman. Der politische Teil übernimmt Timothy Garton Ashs Guardian-Kolumne über 68 und 89 (hier das Original). Auf der Zeitläufte-Seite porträtiert Alexis Schwarzenbach, Kurator der Zürcher Ausstellung über Annemarie Schwarzenbach, seine große Verwandte.

Der Zeit liegt wiederum ein Sonderheft bei, das zu erklären versucht, wie das Internet unsere Kultur verändert. Hier ist die Übersicht über die online lesbaren Artikel der Hefte.

SZ, 15.05.2008

Gustav Seibt verfolgte eine Diskussion mit Jonathan Littell in Berlin, der als Vorbilder für seine Literatur rechte Autoren wie Celine und Drieu la Rochelle und linke Utopisten der Auslöschung des Individuums wie Foucault nannte und der in seinem Roman laut Seibt folgende Frage stellen will: "Warum eigentlich wurde - siehe Visconti, siehe Genet - bisher nur der Nationalsozialismus sexualisiert dargestellt, nie aber der Stalinismus? Die Antwort dürfte sein: Weil man den stalinistischen Verbrechen bei allem Grauen bisher immer noch einen universalistischen Hintergrund zubilligt. So erscheinen sie als grauenhafter Irrtum, aber nicht als Perversion. Doch nur wenn man Mord als Trieb anerkenne, so der geheimnisvoll nuschelnde Littell, lasse sich begreifen, warum Darstellungen davon so reißende Nachfrage erzeugen." (Na, da hat er ja richtig spekuliert!)

Weitere Artikel: Thomas Steinfeld hat auf schwedisch Lars Norens gerade auf schwedisch publiziertes monumentales Tagebuch gelesen, das saftige Details aus dem schwedischen Kulturbetrieb mitteilt. Susan Vahabzadeh berichtet recht distanziert über den Eröffnungsfilm von Cannes, Fernando Meirelles Verfilmung von Jose Saramagos Roman "Stadt der Blinden". Der Kunsthistoriker Philipp Demandt erzählt, wie der Schreibtisch Friedrichs des Großen nach Verhandlungen mit jüdischen Erben, in deren Familienbesitz das Stück zeitweise war, nun dauerhaft für Sanssouci bewahrt werden konnte. Joseph Hanimann gratuliert dem Autor Raymond Federman zum achtzigsten Geburtstag. Jörg Häntzschel schreibt den Nachruf auf Robert Rauschenberg. Roswitha Budeus-Budde unterhält sich mit den georgischen Verlegern Bakur Sulakauri und Tina Mamulashvili über das Verlagswesen in ihrem Land. Ingo Petz besucht die neckische Internetseite für Kinder, mit der das russische Präsidialamt auf sein großartiges Wirken aufmerksam macht.

Besprochen werden Filme, darunter Gus Van Sants "Paranoid Park", Christoph Nußbaumeder neues Stück "Mörder-Variationen" in Köln und Bücher, darunter die Lebensgeschichte des glamourösen Gen-Entschlüsslers Craig Venter.

Wenn die Palästinenser keinen eigenen Staat haben, dann ist das auch ihre Schuld, meint der stellvertretende israelische Botschafter Ilan Mor in einem Gastbeitrag auf den politischen Seiten: "Wieder und wieder haben die Palästinenser das Angebot eines eigenen Staates zurückgewiesen: 1937 den Vorschlag der britischen Peel-Kommission über die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat, 1939 die Empfehlung des britischen Weißbuchs zu einem vereinigten Staat und dann im Jahr 1947 die UN-Resolution 181."

FAZ, 15.05.2008

Der Schriftsteller Marcel Beyer beschäftigt sich, wie in einem langen und sehr interessanten Gespräch zu erfahren ist, am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte gerade mit Proust und den Bienen. Und er erläutert Unterschiede zwischen den Wissenskulturen: "Mich fasziniert, welches unglaubliche Weltwissen die Zoologen haben, denen ich bisher begegnet bin. Man trifft einen Spinnenforscher, der eine Art erforscht, die in Costa Rica auf Blättern einer bestimmten Pflanzensorte lebt. Man denkt: 'Ah, das ist jetzt ein Fachmann und sein Wissen bezieht sich auf den Horizont dieses Blattes.' Und dann sieht man, das stimmt nicht, der weiß über Verhalten bei ganz anderen Tieren genauso viel, über Gedächtnis, Genetik und so weiter. In meinem eigenen Kulturbereich, der Literatur, treffe ich dagegen so viele Menschen, die eigentlich sehr bescheiden sind, in dem, was sie wissen wollen."

Weitere Artikel: In der Glosse berichtet Andreas Kilb von einem Auftritt Jonathan Littells in Berlin, bei dem ihn die durchweg wohlgesinnten Mitdiskutierenden freilich ein weiteres Mal "nicht zu fassen" bekamen. Der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner denkt, veranlasst durch die nun erwiesene doppelte Schillersche Inauthentizität, darüber nach, was die Schädel der Dichter so faszinierend macht - oder auch nicht. Reiner Burger findet, dass in der "Groteske" um die Dresdener Waldschlösschenbrücke auch die UNESCO durch seltsames Verhalten ihr Scherflein beigetragen hat zum jetzigen Schlamassel. Eine Münchner Tagung zu antiken Vasen hat Hildegard Wiegel besucht. Paul Ingendaay war im nordspanischen Puente la Reina, wo die Künstlerin Christina Oiticica - außerdem Ehefrau des Bestsellerautors Paulo Coelho - die Kreuzung zweier Stränge des Jakobswegs für eine Bild-Beerdigungs- und -Bergungs-Performance nutzte. Kerstin Holm porträtiert Alexander Awdejew, den zukünftigen russischen Kulturminister. Dem Musiker mit Namen Brian - Peter George St. John le Baptiste de la Salle - Eno gratuliert Tobias Rüther zum Sechzigsten. Niklas Maak verabschiedet den im Alter von 82 Jahren verstorbenen großen amerikanischen Künstler Robert Rauschenberg, der zusammenbrachte, was zuvor nicht unbedingt zusammengehörig schien.

Auf der Medienseite berichtet der CNN-Reporter Dan Rivers, wie ihn die Junta in Burma an der Arbeit gehindert hat. Und Jürg Altwegg informiert darüber, dass ein jetzt durchgesickerter Kürzungsplan für die in eine schwere Krise geratene Zeitung Le Monde insbesondere einen Kahlschlag bei der Kulturberichterstattung vorsieht.

Auf der Kinoseite fordert Thomas Jansen eine Pflichtabgabe deutscher Filme, um die jetzt schon beträchtlichen Überlieferungslücken nicht immer weiter wachsen zu lassen. Der Eröffnungsfilm "Blindness" des Filmfestivals in Cannes hat Verena Lueken nicht überzeugen können. Michael Althen gratuliert der Schauspielerin Mireille Darc zum Siebzigsten.

Besprochen werden Alfred Brendels "abschiedstrunkenes" Kölner Konzert mit Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, Aufführungen bei den Salzburger Pfingstfestspielen, vor allem Riccardo Mutis jüngste neapolitanische Ausgrabung: Giovanni Paisiellos Opernschwank "Il matrimonio inaspettato", Luc Percevals Wiener "Troilus und Cressida"- "Zerstörung" (so jedenfalls Martin Lhotzky), Peter Geyers Kinski-Film "Jesus Christus Erlöser" und Bücher, darunter des heute seinen achtzigsten Geburtstag feiernden Raymond Federman "Mein Körper in neun Teilen" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).