Im Kino

Flucht ins Bett

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl, Fabian Tietke
16.04.2020. Rania Stephan erzählt in "The Three Disappearances of Soad Hosni" mit Found-Footage-Material die Geschichte des ägyptischen Filmstars Soad Hosni als psychedelische Collage. Regisseur Bob Clark konnte sich nicht ganz entscheiden, ob er seinen Vietnamheimkehrer-Film "Dead of Night" als Vampir- oder Horrorfilm erzählen will. Als Familiendrama funktioniert er allerdings hervorragend.


Die Schauspielerin Soad Hosni ist eine Legende des arabischen Kinos. Knapp 90 Filme in gut 30 Jahren, zwischen 1959 und 1991. Zehn Jahre später beging Hosni in London Selbstmord. Vor allem in den 1960ern, als nach der Ausrufung der Republik 1953 ein Modernisierungsschub durch Ägypten ging, wurde sie zum Inbegriff der ägyptischen Frau auf der Leinwand. So steht denn auch am Anfang des Experimentalfilms "The Three Disappearances of Soad Hosni" eine Montage der Vielzahl von Rollen, die Hosni verkörperte. Die libanesische Dokumentar- und Experimentalfilmerin Rania Stephan hat sich Hosni nicht einfach als Figur der ägyptischen Filmgeschichte genähert; vielmehr hat Stephan sich der Figur Soad Hosnis durch das Medium genähert, das zu ihrer andauernden Bekanntheit entscheidend beigetragen hat: der Videokassette. Aus über 60 Videoaufnahmen von Filmen mit Soad Hosni hat Stephan ein Porträt in drei Akten montiert.

Rückblenden vom Krankenbett aus bilden den Rahmen des Prologs, in dem in schneller Schnittfolge Szenen aus Hosnis Filmen aneinander anschließen. Ein Schwerpunkt liegt auf den Farbfilmen, die oft psychedelische Elemente wie Lichtspiegelungen in die Bildkonstruktion aufnehmen. Wieder und wieder rennt Hosni durch Landschaften, räkelt sich auf Betten. Ein Sportfilm scheint einzig darauf angelegt, Hosnis Beine ins rechte Bild zu setzen.



Der erste Akt blendet zurück in die Umbruchszeit 1952, als die Monarchie durch einen Militärputsch unter Führung der Offiziere Nasser und Nagib gestürzt wurde. Es folgen Szenen aus eher politischen Filmen, an denen Hosni mitgewirkt hat. Politisches Kino und trällernde Unterhaltung stehen bei Hosni direkt nebeneinander. So könnte es sich bei einem der politischen Filme um "Al-karnak" von Hosnis späterem zweiten Ehemann Ali Badrakhan handeln, einem zentralen Werk für die Abrechnung mit dem System Nassers nach dem Übergang zu Sadat Anfang der 1970er Jahre.

Stephan vollbringt in ihrer Montage die beachtliche Leistung, die Vielschichtigkeit von Hosnis Schauspielkarriere sichtbar werden zu lassen und gleichzeitig subtil wiederkehrende Motive herauszuarbeiten, wie die Flucht ins Bett, in das sich Hosni von der Welt gequält in ihren Rollen zurückzieht. Gleichzeitig werden die Register erkennbar, das Quicklebendige gerade ihrer frühen Rollen, aber auch die psychologische Komplexität, für die Hosni schon bald berühmt wurde.

Stephan schwelgt nicht einfach in den Bildwelten der goldenen Zeit einer der aufregendsten Kinematographien der 1960er und 1970er Jahre, sondern akzentuiert mit viel Sinn für Dramaturgie. So dauert es eine Weile, bis Abdelhalim Hafez, einer der größten männlichen Stars des ägyptischen Kinos der 1950er Jahre und eventueller erster Ehemann, mindestens aber zeitweiliger Partner Hosnis ins Bild kommt.



Im Laufe des Films trübt sich die Stimmung ein. Im dritten Akt des Films irrt Hosni zunehmend über feindliche Gänge, auf denen sich verschlossene Türen aneinander reihen, die Tränen fließen in Strömen. Von der sorglosen Euphorie der Anfangsjahre hat sich wenig erhalten. Ohne es in einem Kommentar erwähnen zu müssen, wird Hosnis doppelte Tragödie erkennbar: die ihrer Krankheit, die sie 1991 zum Rückzug von der Leinwand zwang und die der Rollen, die sie verkörperte.

Schon einmal hatte sich Stephan einer ikonischen Schauspielerin angenommen. 1993 montierte sie in "Tribe" eine Hommage an Marlene Dietrich. Auch das ein Film, der wie überhaupt ihre Found-Footage-Filme einer Wiederentdeckung harrt. In "The Three Disappearances of Soad Hosni" tariert Stephan das Spielerische der Montage präzise mit analytischen Elementen aus. Der Film ist keine quälende Übung in Zuschauergeduld, sondern ein prachtvoller, kluger Bilderreigen, der Lust macht auf eine in Deutschland allzu oft übersehene Kinematographie.

"The Three Disappearances of Soad Hosni" ist ab dem 18.4. für zwei Wochen im Streamingangebot des Berliner Kinos Arsenal zu sehen. Wer dadurch auf den Geschmack kommt, findet einzelne Fernsehmitschnitte von Filmen mit Soad Hosni mit wechselnden Untertiteln auf den üblichen Plattformen.

Fabian Tietke

The Three Disappearances of Soad Hosni - Frankreich 2011 - Regie: Rania Stephan - Laufzeit: 67 Minuten. Hier geht es zur Übersicht über das Programm "Arsenal 3"

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Es wird zu einer kleinen Sensation, als sich langsam herumspricht, dass der Sohn der Brooks' aus Vietnam zurückgekehrt ist. Allerdings verweigert sich Andy (Richard Backus) konsequent jeglichem Zugriff. Reglos und mit großer Sonnenbrille sitzt er in seinem Liegestuhl, während die anderen auf ihn einreden. Der Krieg scheint in diesem Moment nur in der Fantasie oder verklärten Erinnerung zu existieren. Während der geschwätzige Postbote sentimental an seine eigenen, weit zurückliegenden Front-Erfahrungen denkt, wollen die hektisch herumspringenden Nachbarsjungen nur das Spektakulärste hören: "See a lotta action over there? Kill any guys?"

Getötet wurde in erster Linie Andy selbst. "Dead of Night" (1974) beginnt in einem Dschungel, der so finster und unheimlich ist wie aus einem bösen Traum. Nachdem der Junge hier von einer Kugel niedergestreckt wird, bringt ihn das hartnäckige Flehen seiner Mutter (Lynn Carlin) magischerweise ins Leben zurück. Und wenn Andy schließlich vor der Haustür seiner Eltern steht, sieht er mit seiner Knubbelnase und den Rehaugen zwar genau wie früher aus, aber in Wahrheit ist er ein ganz Anderer geworden. Denn das einzige, was er als Untoter noch fühlen kann, ist Hass, und um sein normales Erscheinungsbild zu bewahren braucht er immer wieder menschliches Blut. Den körperlichen Verfall, der sich ansonsten einstellt, demonstriert Make-Up- und Special-Effects-Legende Tom Savini bei seinem ersten Einsatz.

Krieg ist in "Dead of Night" zunächst etwas, das woanders stattfindet. Junge Männer werden mit einer höheren Aufgabe nach Vietnam geschickt und wenn einer von ihnen fällt, ist das eben ein Kollateralschaden. Der blasse, ausdruckslos dreinblickende Kriegsheimkehrer fungiert als eine Art Spiegel, der die Zerstörung wie eine Lichtreflexion von der Ferne in die Heimat wirft. Als der Dorfarzt (Henderson Forsythe) Andys mörderischen Umtrieben auf die Schliche kommt, bringt der Junge die Perversion des martialischen Opferkults auf den Punkt: "I died for you, Doc. Why shouldn't you return the favor?" Es ist vermutlich kein Zufall, dass ausgerechnet er, der die Logik des Krieges in Frage stellt, auch optisch ein Außenseiter bleibt: Mit seiner Beatnik-Frisur und den Rollkragenpullis bringt Andy einen Hauch von existenzialistischer Gegenkultur in die piefige Provinz.



Regisseur Bob Clark kennt man vor allem wegen seines (im selben Jahr entstandenen) Ur-Slashers "Black Christmas" sowie dank zahlreicher Mainstream-Komödien wie der Teenie-Sex-Klamotte "Porky's". "Dead of Night" ist dagegen ein ähnlicher Misfit wie sein Protagonist: Er will weder so richtig ins Zombie-, noch ins Vampir-Genre passen, verströmt mit gemächlichen Erzähltempo und dissonantem Geigen-Gewitter zwar modernistisches Flair, ist aber dann doch recht klassisch auf eine steigende Eskalation ausgerichtet. Tatsächlich funktioniert diese sonderbare Mischung aber sehr gut. Weder bekommt man hier das Gefühl, es würde nur eine bewährte Formel erfüllt werden, noch drohen die antimilitaristischen Tendenzen in reine Thesenhaftigkeit umzuschlagen.

Zwischen allegorischem Grusel und kauzigen Kleinstadt-Miniaturen erhebt sich immer wieder ein bitteres Familiendrama, das um enttäuschte Erwartungen und die Unumkehrbarkeit des Schicksals kreist. Ständig geht es darum, etwas Vergangenes mit aller Gewalt wieder herzustellen. Am obsessivsten versucht das die Mutter, die mit ihrer bedingungslosen Liebe und der Unfähigkeit loszulassen gewissermaßen der Quell allen Übels ist. Ein nicht minder tristes Schauspiel bietet ein Blind Date, bei dem Andys Schwester ihn mit seiner einstigen Freundin zusammenbringen will. Selbst der Vater (Samuel-Fuller-Lookalike John Marley), dessen geliebtes struppiges Hündchen vom Sohn getötet wurde, scheitert trotz zahlreicher Versuche daran, vernünftig, also: gegen seinen Sohn zu handeln. Das vielleicht Schauerlichste an "Dead of Night" ist, dass er anstelle eines plötzlichen und unumkehrbaren Verlusts eine Art Fegefeuer beschwört, in dem Andys Leben nur eine Täuschung ist und der Moment der Trennung endlos zerdehnt wird.

Michael Kienzl

Dead of Night - Kanada 1974 - Regie: Bob Clark - Darsteller: John Marley, Lynn Carlin, Richard Backus, Henderson Forsythe, Jane Daly - Laufzeit: 88 Minuten. "Dead of Night" ist vor Kurzem unter dem Titel "Deathdream" bei Subkultur Entertainment auf DVD erschienen. Mehr Informationen hier.