Im Kino

Liebende

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
16.09.2009. Es ist noch gar nicht so lange her, da galten Filme aus Hongkong als die aufregendsten der Welt. Überprüfen kann man das jetzt an Wong Kar-Wais leicht überarbeitetem Film von 1994, "Ashes of Time". Es ist ein Liebesfilm, in dem sich die Liebenden töten wollen, und ein Schwertkampffilm, der den Kampf in ein Spektakel des Abstrakten verwandelt.
Ein Auftragskiller, der seine Liebe nur für wenige Minuten am Tag sieht. Ein Polizist, dessen Wohnung von einer Frau, die ihn heimlich liebt, in seiner Abwesenheit umdekoriert wird und die dann doch im entscheidenden Moment aus seinem Leben verschwindet. Das schwule Paar, das nach Argentinien geht und immer wieder aufs Neue miteinander bricht. Die beiden Eheleute, die mit anderen verheiratet sind, deren Affäre darin besteht, im beengten Flur eines Mietshauses im Hongkong der 60er Jahre aneinander vorbeizugleiten: Das Kino von Wong Kar-Wai ist voll von diesen einsam zweisamen Figuren, von Liebenden, die einander in größter Nähe umkreisen und doch nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Gefallene Engel allesamt, trotz eines Filmtitels kaum "Happy Together".



Jetzt kommt "Ashes of Time" von 1994, Wongs einziger Beitrag zu dem in Hongkong seit den Produktionen der Shaw Brothers traditionsreichen Wuxia-Genre, in einer etwas gestrafften und digital überarbeiteten "Redux"-Version wieder weltweit in die Kinos. Auch in diesem Film interessierte Wong das Spektakel kunstvoll geschwungener Schwerter und im Wind flatternder Tücher nur insoweit, als darin das melancholische Pathos der von der Liebe verletzten Protagonisten zum Ausdruck kommt.

Dreh- und Angelpunkt der lose verbundenen fünf Episoden ist ein Gasthaus am Rande einer Wüste, dessen Wirt (Leslie Cheung) "Probleme löst", indem er im Namen seiner Gäste Kopfgeldjäger und Auftragskiller anheuert. Bereits in der ersten Episode zeigt sich die typisch Wong'sche melancholische Tragik: Ein junger Mann (gespielt von Brigitte Lin) bittet den Wirt um den Mord an dessen bestem Freund (Tony Leung Ka Fei), da dieser das Herz seiner Schwester (ebenfalls Brigitte Lin) gebrochen hat. Diese wiederum beauftragt den Wirt mit dem Mord an ihrem Bruder, da dieser ihren Liebsten umbringen lassen will. Die ergreifendsten Szenen gelingen Wong dabei mit den geringsten Mitteln: Ein Bast-Vogelkäfig, eine clever gesetzte Ausleuchtung, zwei Personen und die richtigen Kamerabewegungen genügen, um einen der magischsten Kinomomente hervor zu zaubern.



Indem Wong Bruder und Schwester von derselben Frau spielen lässt, greif er nicht nur auf Traditionen des klassischen Wuxia-Kinos zurück, in dem junge Männer häufig von Frauen verkörpert wurden, er impliziert auch recht eindeutig, dass hinter beiden Personen nur eine einzige, die Schwester, steckt. Dies In-Sich-Verstrickt-Sein, wie auch das im Hongkonger Actionkino immens populäre Motiv der zwei Kontrahenten, die eigentlich Brüder sein könnten und die das Schicksal auf unterschiedliche Seiten der Front gespült hat, mag man als allegorische Verarbeitung der historisch-politischen Zerrissenheit zwischen der einstigen Kronkolonie und dem Festland China vor 1997 betrachten, die Zahl der Exegeten jedenfalls, die dies vorschlägt, ist beachtlich.



Von nicht minderer poetischer Melancholie ist die sich anschließende Episode vom zusehends erblindenden Schwertkämpfer (Tony Leung), der sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal noch die blühenden Pfirsichbäume seiner Heimat sehen zu können, und den am Tag der kämpferischen Auseinandersetzung, die ihm das nötige Geld für die Reise einbringen soll, ein wolkenverhangener Himmel mit diesigem Licht straft. Diesen Kampf eines einzelnen gegen eine zahlenmäßig weit überlegene Bande Banditen zelebrieren Wong Kar-Wai und Kameramann Christopher Doyle, der hier noch ganz am Anfang einer seitdem erstaunlichen Karriere stand, nicht nur als Todesballett vor der Kamera, sondern auf Bildebene als Spektakel des Abstrakten, in dessen erdfarbene Schlieren bald schummrige Körper, bald grelle Sonnenblitze eintauchen und wieder daraus verschwinden. Was heute als Gestaltungsmanöver fast alltäglich erscheinen mag, legte 1994 noch Zeugnis darüber ab, warum das Hongkong-Kino seit seiner Erneuerung durch Regisseure wie John Woo oder Tsui Hark, in deren Gefolge sich dann auch Wong Kar-Wai einen internationalen Namen machen konnte, für einige Jahre als das aufregendste der Welt galt. Es schien den Widerspruch zwischen kommerziellen Schauwerten und künstlerischer Integrität spielend aufzulösen.



Die Wiederaufführung von "Ashes of Time" bietet die willkommene Möglichkeit eines Wiedersehens mit eben diesem einst so gefeierten und heute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen Kinoentwurf, für den "Hongkong" einst stand. Hier, an der Kippstelle zwischen aufregender Dynamik und technischer Perfektion, zwischen emotionaler Aufrichtigkeit und leerem Stilismus, entstand einer der optisch reizvollsten Filme seines Genres, bevor dieses endgültig in den hyperbolischen Manierismus des heutigen Schwertkampf-Filmes mündete.

"Ashes of Time". Regie: Wong Kar-wai. Darsteller: Leslie Cheung, Brigitte Lin, Maggie Cheung, Tony Leung Chiu Wai, Jackie Cheung, Charlie Yeung, Carina Lau. Hongkong / China / Taiwan 2008

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