9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2015

Ohne Desinformationsgifte

28.02.2015. Der Altorientalist Markus Hilgert prangert die Zerstörung von Kulturgütern durch die IS-Milizen im Irak in der NZZ als eine "Form des Genozids" an. Der Medienjournalist Lutz Meier fordert bei stern.de ein Gütesiegel für Journalismus. Heinz Bude kritisiert in der taz die deutsche Öffentlichkeit, die den dramatischen Wandel im Land seit zwanzig Jahren nicht thematisiere. In der Welt erinnert Dan Diner an ein frostiges Treffen vor fünfzig Jahren, das die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in Gang brachte. Außerdem: ein Hintergrundvideo über Kevin Spaceys gefälschten Südstaatenakzent in "House of Cards".

Diese schönen, langsamen, halb müßigen Dinge

27.02.2015. In der Welt schlägt Adam Krzeminski vor, die Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin abzuhalten. Die NZZ fragt: Findet der Buchhandel doch noch eine Formel gegen Amazon? In Frankreich wird weiter über die Lage der Juden im Land diskutiert. Irights.info fragt: Wo bleibt bei all dem "Recht auf Vergessen" das Interesse der Öffentlichkeit?

Vor allem Bilder von Notsituationen

26.02.2015. Wenn wir sagen, es sei falsch zu beleidigen, statten wir die Terroristen erst mit Argumenten aus, sagt Kenan Malik in information.dk. In den USA tobt eine intrikate Debatte über die Frage, ob man den Islamischen Staat islamisch nennen dürfe, wir verlinken auf die Protagonisten. In der Zeit fragt sich Boris Schumatsky, was Linke eigentlich gegen Revolutionen haben. In der SZ erinnert Horst Köhler an die Aufteilung Afrikas in Berlin vor 130 Jahren. Laura Poitras' Oscar-prämierter Film "Citizenfour" steht legal zum Download bereit.

Das richtige Rezept für einen sehr süßen Kir

25.02.2015. In der Berliner Zeitung prüft Götz Aly die Legitimität von Forderungen aus alten Kriegsanleihen. In der NZZ erkundet Medienforscher Stephan Russ-Mohl die Meinungsmacht der Leitmedien. Cicero wundert sich sehr über die posthumanistische Philosphie des Richard David Precht. Die SZ beobachtet mit Sorge die Konzentration im italienischen Buchmarkt. Die FAZ schildert die Schwierigkeiten der neuen Charlie Hebdo.

Die Rückkehr der fröhlichen Kritik

24.02.2015. Die neue Nummer der Charlie Hebdo erscheint. Der Zeichner Luz erklärt bei France Inter, warum der Hund so gerne wieder losläuft. Im Perlentaucher analysiert Pascal Bruckner die Strategien des Begriffs "Islamophobie". In der Welt fürchtet Bruckner nach den Morden von Paris und Kopenhagen Selbstzensur aus "Respekt" für Gefühle. Die FAZ zieht das aber trotzdem in Erwägung - aus "Respekt" für "Gefühle". In der NZZ untersucht der Biochemiker Gottfried Schatz, was Angst im Gehirn bewirkt. Und das Van-Magazin ist nicht so ganz von der dringenden Notwendigkeit eines neuen Konzertsaals in München überzeugt.

Wir befinden uns klar in Belgien

23.02.2015. In der Welt erzählt der Kulturwissenschaftler Dennis Meyhoff Brink, wie er den Anschlag in Kopenhagen überlebte und wie er seine Angst bekämpft. Die taz schildert die Depression der türkischen Kulturszene vor den Parlamentswahlen. Le Monde erforscht, wie das Frauenbild in 25 Jahren Photoshop retuschiert wurde. Die SZ berichtet über Homophobie in Afrika. Der Guardian verlangt, dass die amerikanische Regierung fünfzig Jahre nach dem Tod von Malcolm X Akten freigibt.

Unter Polizeischutz

21.02.2015. Bestürzung in der taz: Ein Kollege hat die Computer der Redakteure offenbar per Keylogger abgehorcht. Laut Welt handelt es sich um Sebastian Heiser, der neulich in seinem Blog der SZ vorwarf, in ihren Sonderbeilagen Tipps zur Steuerhinterziehung veröffentlicht zu haben. Vice erzählt die Geschichte des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie in Berlin, das schon lange vor den Nazis mit Schädelvermessungen hervortrat. Nachdem ein Journalist mit Kippa durch Paris lief und antisemitische Reaktionen aufzeichnete, hat der Schauspieler Amit Jacobi das Experiment für Vice in Berlin wiederholt - wir verlinken das Video. Am Beispiel Joseph Brodsky zeigt Michail Ryklin in der NZZ, wie russische Propaganda funktioniert.

Immerhin ein Grundrecht

20.02.2015. In der New York Times schreibt Oliver Sacks über sein Sterben. Nach neuen Snowden-Enthüllungen können NSA und GCHQ auch die Codes von SIM-Karten knacken, berichtet Zeit.de. Im Perlentaucher wendet sich Wolgang Kraushaar gegen Olivier Roys Parallele von RAF-Terrorismus und Dschihadismus. Auch wenn Bayern nicht froh ist: Das Institut für Zeitgeschichte wird eine kritische Ausgabe von "Mein Kampf" herausbringen, berichtet die Welt. Meedia wundert sich über den neuen Schulterschluss von Print und Öffentlich-Rechtlichen.

Warum sagen wir immer aber?

19.02.2015. Die Zeit bringt die Rede der Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko, die im Kopenhagener Kugelhagel unterging. Ebenfalls in der Zeit bekennt Orhan Pamuk seinen Widerwillen über den türkischen Islamismus. Der Freitag sucht den interreligiösen Dialog. In Boston schneit's - bald hundert Zoll. In der FAZ will Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dass Google im Namen des "Rechts auf Vergessen" noch mehr Links löscht und möglichst niemanden darüber informiert.

Unmethode der Buchstabentreue

18.02.2015. Elif Shafak schildert im Guardian den Zorn türkischer Frauen nach der Vergewaltung und Ermordung der Studentin Ozgecan Aslan. Ebenfalls im Guardian erklärt Flemming Rose, warum Blasphemie gerade in multikulturellen Gesellschaften möglich sein muss. Kenan Malik legt in seinem Blog allerdings dar, warum er Multikulti als politisches Konzept ingesamt als gescheitert ansieht. Außerdem: Das TLS entdeckt Max Weber. Blogs wundern sich über sinkenden Traffic. Und die nigerianische Anti-Barbie hat noch Potenzial.

Mit einem satten Glockenschlag

17.02.2015. Während die Dänen ihre Trauer bekunden, stellen sich Schriftsteller Fragen, etwa Carsten Jensen in der FAZ: Liegt die Schuld bei der dänischen Gesellschaft selbst? Die SZ schildert die Kultur der Freiheit in den nordischen Ländern. In Frankreich sinkt die Debatte auf ihr altes Niveau zurück: Attackiert wird jetzt Manuel Valls, der sich klar gegen Islamismus und deutlich für die Juden in Frankreich aussprach. In der taz rät Expertin Jana Sinram von Mohammed-Karikaturen ab: Sie hat ja auch über die Zeichnungen promoviert, ohne sie abzubilden. Der Blogger Sebastian Heiser erzählt unterdessen, wie die SZ Geld verdient.

Umkippen der Gesellschaft

16.02.2015. Der Anschlag in Kopenhagen galt nicht allein einem Zeichner, sondern Bürgern, die über Meinungsfreiheit reden wollten, hält Brendan O'Neill in Spiked Online fest. Dass die Mörder immer auch Juden ins Visier nehmen, passt dabei ins Bild, meinen die Ruhrbarone: denn der Hass auf Juden ist es, der die Feinde der Idee universeller Werte verbindet.  Stattdessen wollen Islamisten wie Rechtsextremen einen Kampf der Kulturen, meint Huffpo.fr. Hundert Jahre danach stehen Armenien und Türkei immer noch im Bann des Genozids, berichtet die NZZ.

Opferschauder bildet den Bodensatz

14.02.2015. In der NZZ stellt der Philosoph Christoph Türcke klar, dass es die religiösen Gefühle gar nicht gibt, deren Verletzung so gern beklagt wird. Die SZ blickt auf die brennenden Bibliotheken der Banlieue. Die FAZ bewundert in Hamburg eine Architektur gewordene Baukostenkurve. Im Blog der LRB glaubt James Meek, Putins Strategie gegenüber der Ukraine könnte noch zynischer sein als befürchtet. Die Welt fragt, warum Polen eigentlich in Minsk nicht mitverhandeln durfte.

Zwingend politischer

13.02.2015. Die taz sucht nach Ursachen für den Terrorismus und findet sie in den Eliten der muslimischen Länder. Die Welt hält an Dresden fest. In der SZ rufen die Politologen Josef Krieg und Markus Rhomberg zu einer radikalen Reform der öffentlich-rechtlichen Sender auf. Wer setzt Islam und Islamismus gleich? Doch wohl der Islamismus, meint Renée Fregosi in huffpo.fr. Slate macht klar: Ohne die Freie-Software-Bewegung wäre das Internet nichts. Und gute Idee für Wochenende: Eier so kochen, dass das Gelbe außen liegt.

Zum Verdruss des einen Gottes

12.02.2015. Heute treten die Feuilletons in den Dialog mit den Religionen. Nicht die Demokratie muss sich anpassen, meint Boualem Sansal in Huffpo.fr, sondern der Islam. In der FAZ erklärt Kamel Daoud, wie das algerische Volk mit dem Islam ruhiggestellt wird, während die Elite die Ölrente einsackt. Ebenfalls in der FAZ: die kräftige Sprache des Pastors Olaf Latzel. In der Zeit finden Robert Spaemann und Bruno Latour: Sterbehilfe und Säkularismus sind des Teufels. Die Franzosen halten laut Huffpo.fr aber trotzdem dran fest. Außerdem: Sorgen um Rechtspopulismus.

Digitalkontrolliert

11.02.2015. Der Guardian berichtet, dass die britische Polizei sehr an Daten von Charlie-Hebdo-Lesern interessiert ist. In der SZ erzählt Hermann Parzinger von der Preußen-Stiftung, wie er seinen Museen einen Migrationshintergrund geben will. Die Welt empfiehlt, die Frage nach den Religionen nochmal mit Kant zu stellen. Libération erzählt, wie die Franzosen Google doch noch besteuern wollen.

Und in jedem Kind schlummert eine minervische Eule

10.02.2015. Pegida ist durch, meint Spiegel Online, aber was lernen wir draus? Slavoj Zizek ist auch durch, meint die taz. In der Berliner Zeitung klärt Gudrun Krämer auf: "Der Koran ist kein Handbuch des Völkerrechts." Huffpo.fr erzählt, wie französische Lehrer mit ihren Schülern Verschwörungstheorien auseinandernehmen. Die NZZ präsentiert eine hierzulande wenig diskutierte Studie über das Versagen der Medien in der Berichterstattung zu den NSU-Morden.

Die einzig vernünftige Devise in einem lächerlichen Zeitalter

09.02.2015. In München herrscht Aufruhr, nachdem Ministerpräsident Seehofer kurzerhand dekretierte, dass es keinen neuen Konzertsaal gibt, berichten SZ und FAZ. Doch doch, es gibt einige Gründe, die für Voltaire sprechen, meint Wolf Lepenies in der Welt. Wolfgang Sofsky findet nicht, dass Angela Merkel die Ukraine zu 28 Jahren Geduld aufrufen sollte. In der NZZ schreibt der jordanische Autor Fakhri Saleh über die Ermordung des Piloten Muas al-Kasasba.

Ein Baby, das geboren ist

07.02.2015. In der Welt beschreibt Serhij Zhadan, wie die Logik des Krieges ein ganzes Land ergreift. Das Schlimmste an der IS-Miliz ist, dass sie tatsächlich so etwas wie staatliche Strukturen entfaltet, meint Terrorexpertin Loretta Napoleoni in Telepolis. Im Guardian fragt Richard J. Evans, warum uns die Nazizeit bis heute in solcher Intensität beschäftigt. Im NYRBlog erzählt die Autorin Liu Yu, wie das Internet chinesischen Demokraten erlaubte, sich zu artikulieren, bis die Regierung es verbot.

Bar hier in Bern

06.02.2015. Die SZ fragt: Warum hat Cornelius Gurlitt die Sammlung seines Vaters ausgerechnet dem Kunstmuseum Bern vermacht? The Verge feiert einen glanzvollen Sieg für die Netzneutralität. Die Welt ärgert sich über eine Ausstellung zu den Roten Khmer in der Akademie der Künste, weil sie eine historische Chance verspiele. Der Tagesspiegel staunt über das Frauenbild der Frauen der IS-Miliz. Venturebeat.com wundert sich, dass Google für Tweets bezahlt.

In der Spirale des Ideellen

05.02.2015. Im Culturmag wundert sich Wolfram Schütte über einen reichlich unfranziskanischen Papst. Die SZ erklärt, warum Dieudonnés Antisemitismus nicht das gleiche ist wie Blasphemie. In der Zeit benennt Heinrich August Winkler die innere Verwandtschaft zwischen Rechts- und Linkspopulisten in Europa. Und beide lieben Putin, meint auch huffpo.fr. Huffpo.fr erklärt auch, warum Golshifteh Farahani nackt posiert. Und der Guardian freut sich, dass einige der Mädchen, die Boko Haram entwischen konnten, nun wieder studieren.

Wenn die Einschüchterung Erfolge hat

04.02.2015. In der französischen Huffpo erklärt Caroline Fourest, warum Blasphemie gerade jetzt sein muss. In der Welt plädiert die amerikanische Politologin Anne-Marie Slaughter dagegen für religiöse Selbstzensur nach amerikanischem Modell. Ausgerechnet in Ländern wie den USA und Australien wird immer mehr auch aus politischen Gründen zensiert, berichtet die Welt. Schuld an der Misere Griechenlands sind die Griechen, meint Bernard-Henri Lévy in seinem Blog. In der SZ spricht der nigerianische Schriftsteller Helon Habila über Kunst im Zeitalter von Boko Haram.

Der gravierende Bedeutungsverlust des Schreibens

03.02.2015. In Huffpo.fr fragt der Journalist Mohamed Sifaoui: Was meinen jene, die sagen: "Ich bin nicht Charlie." In der Welt findet Richard Herzinger, dass sich Rinks und Lechts zum Verwechseln ähnlich sehen. In der FAZ bewältigt Marcel Beyer Pegida mit Dante. Bild meldet: Die Öffentlich-Rechtlichen kriegen jetzt soviel Gebühren, dass sie sparen können. Die NZZ berichtet über den Niedergang von al-Dschasira. Milo Rau setzt in der taz seine Serie über den Kongo fort.

Löwe seyn, um die Wölfe zu schrecken

02.02.2015. In der NZZ beschreibt die Psychologin Anna Schor-Tschudnowskaja, wie Putins Russland die Intellektuellen und Oppositionellen in den "moralischen Burnout" treibt. Im FAZ-Nachruf erzählt Thomas Karlauf, wie Richard von Weizsäcker den Mauerfall verpasste. Im Magazine littéraire spricht Bernard-Henri Lévy über den Wahn Louis Althussers. Bild meldet, dass der Iran einen neuen Wettbewerb für Holocaust-Karikaturen auslobt.