9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2019

Püree. Man watet im Püree

31.10.2019. Welt und Guardian denken über die Auflösung der traditionellen Parteiengefüge in ihren Ländern nach. Nach und nach nähern wir uns der Milliarde: Der Tagesspiegel geht nun schon von 600 Millionen Euro Kosten für das Berliner Museum der Moderne aus. Twitter will keine politische Werbung mehr zulassen, meldet unter anderem Zeit online. Im Tagesspiegel kann der Historiker Paul Nolte das Gerede vom Zerfall der Demokratie nicht mehr hören.  In der FAZ kritisiert Hubertus Knabe die Abwesenheit von DDR und Mauerfall in Geschichtsbüchern für die Schule.

Nichts mit Nazi, gar nichts, auf keinen Fall

30.10.2019. Es ist noch Thüringen-Aufarbeitung. In der FAZ diagnostiziert die Eisenacher Ethnologin Juliane Stückrad eine "Krise des Lokalen". SPD und Linkspartei sollten wieder zusammenwachsen, fordert die taz. Die SZ geht nochmal der Frage nach, warum die Kosten für das geplante Museum der Moderne in Berlin noch vor Baubeginn von 130 auf 450 Millionen Euro gestiegen sind. Auf geschichtedergegenwart.ch erklärt die Historikerin Gesine Krüger, was die Beschneidung von Männern in Südafrika mit Postkolonialismus zu tun hat.

Wenn die eigene Regierung den Verstand verliert

29.10.2019. In der NZZ erklärt John Le Carré, warum er Angst vor einem Aufstieg des Faschismus hat. Schrumpft die City, ruft Nicholas Shaxson im Guardian - ein zu großer Finanzsektor mache die ganze übrige Gesellschaft arm. Die New York Times veröffentlicht einen offenen Brief von Facebook-Mitarbeitern gegen politische Werbung auf dieser Plattform. In der NZZ beklagt Hans Ulrich Gumbrecht den Niedergang der Geisteswissenschaften. Emma konstatiert: Nur die Frauen verhinderten, dass die AfD in Thüringen stärkste Partei wurde.

Die dunkle Seite des Alpha

28.10.2019. 24,5 Prozent für die AfD in Thüringen, aber noch ist nicht alles verloren, meint Zeit online: Jetzt hilft nur noch Zuwanderung. Im Guardian schildert Neil Ascherson, wie sich durch den Brexit auch das ganze Vereinigte Königreich aufzulösen droht. Warum sucht deutsche Digitalpolitik immer die falsche Scheinlösung für die tatsächliche Problematik, fragt Sascha Lobo im Tagesspiegel. Und in der NZZ begibt sich Alexander Kluge auf die Suche nach dem verlorenen Buchstaben.

Gut begründbare Bündnisunfähigkeit

26.10.2019. In der taz porträtiert Helmut Kellershohn  den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke als Plagiator völkischen Gedankenguts mit einer kräftigen Prise Kapitalismuskritik. Im Guardian benennt Jonathan Freedland den schärfsten Widerspruch in der aktuellen Brexit-Debatte: Remain hätte eine Mehrheit. Boris Johnson aber auch. Und Frankreich streitet mit extrem widersprüchlichen Zahlen über die Gefängnispopulation: Sind dort nun 70 Prozent Muslime? Oder sind es 27 Prozent? Libération kann es nicht sagen.

Sonntag für Sonntag in gut besuchten Messen

25.10.2019. In den neuen Ländern gibt es viel zu wenig politische Bildung in den Schulen, auch aus Angst vor Rechtsextremisten, schreibt die Politikberaterin Christina E. Zech in der NZZ. In der FAZ schreibt Ronald S. Lauder vom World Jewish Congress über Antisemitismus in Deutschland. In der arabischen Welt wird protestiert - und religiöse Identität ist dabei nicht mehr der entscheidende Faktor, beobachtet die taz. Frankreich ist das erste Land, das das neue europäische Leistungsschutzrecht durchsetzt - und Google und die Verleger liegen im Clinch, berichtet golem.de.

Der Ton wird schärfer

24.10.2019. Deutschland diskutiert über seine Befindlichkeit, und mit der steht es nicht zum besten. Überall werden Umfragen zitiert. 27 Prozent aller Deutschen seien antisemitisch eingestellt, hat laut SZ eine Studie herausgefunden. Und laut einer andere Studie, über die Zeit online berichtet, wollen 60 Prozent der Deutschen "endlich einen Schlussstrich" unter die Vergangenheit ziehen. In der Welt ruft Slavoj Zizek zur Unterstützung der Kurden auf. Das Börsenblatt berichtet über die rasante Konzentration im Buchhandel.

Weltweites Nervensystem

23.10.2019. Was nützt der beste investigative Journalismus, wenn er am Ende keine Konsequenzen hat, fragt die tunseische Reporterin Hanène Zbiss in der FAZ. In der NZZ erklärt Tom Segev, warum es furchtbar viele Friedenspläne für Israel und die Palästinenser gibt, aber vorerst - und auf lange Sicht - keinen Frieden. Es reicht nicht zu sagen, wogegen man ist, sagt Jeremy Rifkin im Freitag an die Adresse der Klimaschützer und fordert einen Green New Deal. Einige Feministinnen protestieren in einem offenen Brief gegen eine allzu harmlose Plakatkampagne der Bundesregierung für den Rechtsstaat.

Vornehmlich moralische Fragen

22.10.2019. Die Juden von Halle haben das Attentat nur deshalb überlebt, weil sie sich selbst geschützt hatten, wirft das Tabletmagazine deutschen Behörden vor. Die taz begibt sich auf Erkundungsreise durch die jüdischen Gemeinden in Deutschland, wo das Attentat als neue Qualität gesehen wird. Franziska Giffey schlägt zur Lösung des Problems im Tagesspiegel ein bisschen mehr staatliche Demokratieförderung vor. Die NZZ fragt sich, warum Klimaaktivisten so religiös reden, obwohl sie sich auf Wissenschaft berufen.

Die Tugend ist nur ein Teilaspekt des Lebens

21.10.2019. Ha'aretz porträtiert die uigurische Lehrerin Sayragul Sauytbay, die es schaffte, dem chinesischen Zwangsregime zu entrinnen und den Horror in den Umerziehungslagern für Uiguren schildert. Das westliche Bild des Jahres 1989  ist immer noch viel zu optimistisch, schreibt Thomas Kleine-Brockhoff im Tagesspiegel: Nicht der Mauerfall, sondern das Tienanmen-Massaker gab die Richtung vor.  Im Guardian hofft Timothy Garton Ash nun endgültig auf ein zweites Referendum zum Brexit.

Sinn für unlösbare Probleme

19.10.2019. Im Brexit-Drama naht die Stunde der Entscheidung. Der Guardian nimmt schon bitter Abschied von Europa. In der NZZ schreibt der Historiker Tobias Rupprecht, schon 1989 sei weniger von Liberalismus getragen gewesen als von einem konservativen Nationalismus. In der Welt geißelt der Historiker Andreas Rödder die Feigheit der Professoren angesichts einer drohenden Meinungsdiktatur. Die SZ betont, dass #MeToo auch für Männer eine Befreiung war. Und die NZZ ahnt, dass die Schönheitschirurgie vor Instagram kapitulieren muss.

Wer am lautesten brüllt

18.10.2019. Die Angriffe auf die Kurden in Syrien ist einfach Teil des antikurdischen Rassismus der Türkei, ruft Ronya Othmann in der taz. In der Welt will Cigdem Toprak davon nichts hören: Der Kampf gelte nur der PKK, und die sei zu Recht verhasst. In Deutschland gehört die radikale Rechte zu den Wiedervereinigungsgewinnern, meint der Historiker Uffa Jensen in der SZ. Der Islam ist mit dem Rechtsstaat vereinbar, weil Muslime genauso liberal und autoritär sind wie der Rest der Gesellschaft, erklärt Amir Dziri in der NZZ.

Jagd nach erfundenen Phantomen

17.10.2019. In der FAZ sieht Gilles Kepel die dschihadistischen Organsiationen auf dem Rückzug, in Libération ahnt Farhad Khosrokhavar, dass dafür der labile Paranoiker zum Zug kommt. In der Zeit hat Richard C. Schneider keine Geduld mehr mit den rituellen Reaktionen nach antisemitischen Angriffen in Deutschland. Der Guardian kann Boris Johnson in der Brexit-Deal-Heldenrolle nur mäßig bewundern. Die CJR analysiert Fake News und Outrage Porn bei Indiens ersten WhatsApp-Wahlen. Und die SZ berichtet von einem neuen Offenen Brief in Sachen kolonialer Raubkunst.

In einer Art Salamitaktik

16.10.2019. Auf ZeitOnline fordern Ulf Buermeyer und Sven Herpig, statt immer neue Sicherheitsgesetze zu erlassen, erst einmal die bestehenden zu evaluieren. Der Guardian erklärt, wie gut Überwachung und Vernachlässigung einhergehen. Die Welt stellt den Islamischen Religionsunterricht auf den Prüfstand. In der FAZ sieht Bülent Mumay die türkische Opposition in einer Welle des Nationalismus untergehen. Die NZZ berichtet, mit welcher Skrupellosigkeit der russische Geheimdienst Verschwörungen fabriziert. Ähnliches berichtet die NYTimes von den Philippinen. Die SZ trifft die malische Menschenrechtsaktivistin Fatouma Harber in Timbuktu.

Das kann hier jetzt tagelang dauern

15.10.2019. Die Polen haben sich einfach kaufen lassen, meint die SZ nach dem Triumph der PiS-Partei bei den Wahlen. Dass Kaczyński die Demokratie und den Rechtsstaat schleift, wissen sie, aber es ist ihnen egal. In der NZZ möchte der Wissenschaftsphilosoph Claus Beisbart Maschinen Ethik beibringen, bevor sie Entscheidungen über unser Leben treffen. In der taz ergründet die Psychologin Eva Walther die Psychologie der AfD-Wählerschaft. Im Guardian erklärt Edward Snowden, warum Hintertürchen für die Regierungen in verschlüsselten Diensten nichts Gutes sind.

Bestimmte Ostverhaltensweisen

14.10.2019. Die New York Times kann erstmals lückenlos nachweisen, dass Russland in Syrien systematisch Krankenhäuser bombardiert. In der Welt antwortet Deniz Yücel auf den Essay seines Chefs Mathias Döpfner zum Attentat in Halle: Nein die Flüchtlingskrise ist nicht schuld. Im Tagesspiegel schreibt Michael Stolleis über die zwei Gesichter der DDR: Gesetzesstaat und Erziehungsdiktatur. Und in der FAS erklärt Marcel Beyer, warum er genug hat von Dresden.

Möglichkeitszuwachs

12.10.2019. Das Attentat von Halle beherrscht die Debatten. Der Tagesspiegel analysiert das für diese und andere Taten charakteristische Gemisch aus rechtsextremem Hass, der Ideologie des "großen Austauschs", der "Gamification des Terrors" und Selbstinszenierung des Täters als "Loser". In der SZ beschreibt Gustav Seibt die Anschlussfähigkeit des Antisemitismus für alle Infamien dieser Welt. Auch mit Deal bleibt der Brexit eine Katastrophe, fürchtet der Independent. Bernard-Henri Lévy geißelt in La Règle du Jeu den Verrat an den Kurden.

Imaginierte Übermacht

11.10.2019. Die Medien verarbeiten den Schock von Halle. Einigkeit besteht, dass der Begriff des "Einzeltäters" fehl am Platz ist. Sowohl Max Czollek bei Spiegel online als auch Mathias Döpfner in der Welt protestieren vehement gegen Annegret Kramp-Karrenbauers Begriff "Alarmzeichen": "Das hier ist der Sturm", schreibt Czollek. Außerdem: Die FAZ verbreitet mit Genuss die These, Emmanuel Macron sei eine Marionette der Milliardäre. Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat, insitiert der Historiker Stefan Wolle bei t-online.de.

Interaktives Radikalisierungsinstrument

10.10.2019. Erste Kommentare zum Attentat auf die Synagoge von Halle betonen, dass der Boden für eine solche Tat auch durch eine Banalisierung antisemitischer Vorfälle in Deutschland bereitet wurde. Zugleich stellt sich der Täter, der ein Video-Livestream von seinen Morden sendete, in einen internationalen Kontext, konstatieren der Guardian und Zeit online. Welt und NZZ blicken auf Polen im Vorfeld der Wahl, die von den Rechtspopulisten mit Hetze gegen Homosexuelle und milden Gaben für die eigene Klientel wohl gewonnen werden wird.

Es ist leise im Tiergarten. So leise

09.10.2019. Unrechtsstaat DDR? Aber ja, meint die SZ, auch an die Adresse von SPD-Populistinnen - höchste Zeit, "dass der Osten einen klaren Blick auf die sozialistische Vergangenheit wirft". Die Marionettisierung des chinesischen Volks schreitet voran. Schüler werden mit EEG-Stirnbändern ausgestattet, um ihre Motivation zu messen, berichtet golem.de. Das Verhältnis der Deutschen zur Digitalisierung ist oft von Angst, Verachtung und Unwissen geprägt, beobachtet die FR. Der biologisierte Antirassismus ist ein Rassismus, warnt Philipp Kröger im Blog geschichtedergegenwart.ch.

Mit viel weniger Energie

08.10.2019. Im Guardian erklärt Fintan O'Toole, warum alle Iren über die Idee lachen, man könnte die innerirische Grenzen mit technischen Methoden offenhalten. Die NZZ erklärt, wie aus indischen arabische Zahlen und sehr viel später Algorithmen wurden. Klimaschutz geht nicht ohne Entglobalisierung und Rückkehr in die Provinz, erklärt in der SZ der Philosoph und Aktivist Rupert Read.

Hochrüstung im Inszenierungsgeschäft

07.10.2019. In der NZZ denkt Aleida Assmann über den Ort der Bürger nach: die Mitte soll er suchen, sonst fällt alles auseinander. In der FAZ erzählt der Politologe Heribert Dieter, wie öffentlicher Grund und Boden in Hongkong die Stadt in die Katastrophe der Wohnungsnot führt. In der taz fürchtet Daniel Schulz, dass es sehr wohl einen spezifisch ostdeutschen Rechtsextremismus gibt. Und im Buchmarkt erzählt Peter Haag, Verleger von Kein & Aber, wie die Insolvenz des Grossisten KNV aus der Warte seines Verlags aussah.

Jetzt ändert sich alles

05.10.2019. Auf ZeitOnline beklagt Leïla Slimani Marokkos Kultur des Lügens. In der FR erklärt Heinrich August Winkler, dass es die Schamlosigkeit ist, die Nazis von Populisten unterscheidet. Im Tagesspiegel fordern die Frankreich-Kennerinnen Claire Demesmay und Christine Pütz ein Ende der permanenten Krittelei an Emmanuel Macron. Die NZZ leistet nach einem großen Schluck Kraftbrühe Abbitte bei Vilém Flusser. Und die taz erinnert an jenen Tag vor vierzig Jahren, als sich die Staatsmacht der DDR von Leipzigs Straßen zurückziehen musste. Außerdem erklärt Daniel Ellsberg in der taz: "Alle Behörden lügen."

Sein Schwiegersohn, ein Bauunternehmer

04.10.2019. Bülent Mumay zeigt in der FAZ, wie Sicherheit und Meinungsfreiheit zusammenhängen: Die mit der AKP quasi identische Bauindustrie hat Sicherheitsflächen in der Erdbebenstadt Istanbul zugebaut, und Journalisten, die darüber berichten, werden bestraft.  Wenn die Bürger der Neuen Länder nicht an Meinungsfreieht glauben, so liegt das an konservativen Publizisten, meint Zeit online. Netzpolitik stellt die französische Politikerin  Sylvie Goulard vor, die in  Ursula von der Leyens EU-Kommission für die Digitalpolitik zuständig sein könnte.

Und das alles klimafreundlich und emissionsfrei

02.10.2019. Herbst. Das Wetter hält sich nicht an den Klimawandel. Gereizte Stimmung  ist überall. Phillip Ruch rechnet in der taz  hoch: 2025 gewinnt die AfD 33 Prozent. Der Rest bildet eine "Rettungskoalition". Blut fließt. Bei den Krautreportern raten Farhad Dilmaghani und Georg Diez den Öffentlich-rechtlichen, gar kein AfD-Personal mehr einzuladen, denn "nie wieder Faschismus". In der NZZ rauft sich Peter Sloterdijk die Haare: Die Polloi mästen sich an der Fiskokratie. Und die Oligoi sowieso. Ein konstruktiver Vorschlag kommt aber aus der Zeit: Rainer Klute fordert eine neue Debatte über Atomkraft.

Ein neuer Kalter Krieg hat begonnen

01.10.2019. Heute feiert Peking. Und Hongkong protestiert. Siebzig Jahre nach der Gründung der Volksrepublik weiß die heutige chinesische Jugend nichts über deren Verbrechen, fürchtet die Unternehmerin Franka Lu in Zeit online. In der Welt prangert Liao Yiwu den Opportunismus des Westens gegenüber China an. Besonders im holländischen Exil entwickelte der ehemalige Kaiser Wilhelm II. einen geradezu genozidalen Antisemitismus entwickelt, erkennt John Röhl in der FAZ. Die taz berichtet über Initiativen zur Erinnerung an den Holocaust in der Ukraine.