9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2018

Mangel an stillem Einverständnis

31.03.2018. In Interview mit der NZZ denkt Peter Sloterdijk über den Einbruch des Fremden in unsere Gesellschaften nach. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erinnern Aleida und Jan Assmann daran, dass Deutschland kein christlicher, sondern ein säkularer Staat ist. Nachdem die Reparationszahlungen für britische Sklavenhändler 2015 abbezahlt wurden, könnte man jetzt vielleicht über Entschädigungen für die ehemaligen Sklaven nachdenken, meint Kris Manjapra im Guardian. In der taz erklärt der Bewegungsforscher Simon Teune, warum Friedensmärsche heute so aus der Mode gekommen sind. China will am Wochenende alle Verbindungen zum freien Internet kappen, berichtet die SZ.

Der kleine kirchliche Zuschuss

29.03.2018. Einen nicht ganz zu vernachlässigenden Aspekt der Kritik an Facebook thematisiert Sascha Lobo in Spiegel online: Sie wird oft von Konkurrenten vorgebracht. Und die "Transparenzberichte" der Plattformkonzerne, die einst unanständige Ansinnen der Behörden offenlegten, handeln heute nur noch davon, wie man den Löschungsvorgaben der Behörden gehorchte, kritisiert politico.eu. Der NouvelObs enthüllt, dass Julia Kristeva für Bulgarien spionierte - sie dementiert. In der FR beteuert der Theologe Manfred Lütz, dass die Katholische Kirche nichts mit Hexenverbrennungen zu tun hatte. Mit der Verbrennung von Juden aber vielleicht schon, fürchtet die Welt.

Prächtig ausgestattete Opferecke

28.03.2018. Frankreich geht dem Mord an Mireille Knoll nach. Auch in London und Berlin wird über Antisemitismus nachgedacht. In der Zeit wehrt sich Neil MacGregor gegen Vorwürfe, das Humboldt-Forum gehe zu lax mit Fragen der Raubkunst um. In American Interest erzählt Peter Pomerantsev, wie es mit der Idee der Freiheit bergab ging. Das britische Parlament ist laut Guardian empört über Mark Zuckerberg, der sich nicht den Fragen eines Untersuchungsausschusses zu Cambridge Analytica stellen will.  Warum sind die Autoren der "Erklärung 2018" eigentlich so weinerlich, fragt Thomas Schmid in der Welt.

Konkret gefährdet

27.03.2018. In Paris wurde die 85-jährige Holocaust-Überlebende Mireille Knoll aus antisemitischen Motiven erstochen und verbrannt - Zeit, dass die Republik sich erhebt, schreibt Bernard-Henri Lévy. In London erregt Jeremy Corbyn, der ein antisemitisches Wandgemälde verteidigte,  Empörung. In Berlin wurde eine Schülerin wegen ihrer jüdischen Herkunft mit Mord bedroht - ein Grund mehr am Berliner Neutralitätsgebot festzuhalten, so Götz Aly in der Berliner Zeitung. Gestritten wird über die Chancen Carles Puigdemonts, einer Auslieferung zu entgehen.

Rechtsstaatlich nachvollziehbar

26.03.2018. Facebook ist weiter unter Druck: Nutzer, die ihre Konten löschen, stellen fest, dass der Konzern weit mehr Daten sammelte, als sie je vermuteten, haben ars technica und der Guardian herausgefunden. Facebook antwortet, dass die Nutzer ihre Daten freiwillig gaben. Auch in Deutschland große  Empörung.  Die SZ sieht Carles Puigdemont als politischen Gefangenen. In der taz erklärt der ehemalige Fonds-Manager Bill Browder, wie man Putins Oligarchen mit einem "Magnitsky-Gesetz" wehtun könnte. Politico.eu porträtiert die Frauenrechtlerin Rebecca Gomperts, die Abtreibungspillen nach Irland sendet.

Warum diese Eiertänze?

24.03.2018. Die New York Review of Books fürchtet, dass inzwischen der gesamte militärisch-industrielle Komplex arbeitet wie Cambridge Analytica. In der NZZ stellt Joshua Cohen klar: Wir haben nicht alle dasselbe Internet. Wer braucht Konservative, die sich nicht offen zu Nationalgefühl und Christlichkeit bekennen?, fragt die Welt in Richtung Botho Strauß. In der SZ beleuchtet Leonardo Padura die Lage Kubas am Ende von Raúl Castros Herrschaft. Und die taz serviert die verheerende Ökobilanz der Avocado.

Wie es nie gewesen ist

23.03.2018. Uwe Tellkamp mag von einem "halbvergessenen Gestern" träumen, einen besonderen Schutz verdienen seine Argumente dennoch nicht, findet Dirk Pilz in der Berliner Zeitung. Die taz porträtiert die Breslauer Unternehmerin Marta Lempart, die den polnischen Protest gegen eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts anführt. Die NZZ fragt: Und wenn der Einfluss von Facebook gar nicht so groß ist, wie er geschrieben wird? Bei Emma schreibt Seyran Ates über Hasskommentare und Morddohungen - und die mangelnde Hilfe von Facebook und der Polizei.

Nachträgliches Stockholm-Syndrom

22.03.2018. Gesucht war zwar mal jemand, "der nicht alt, nicht weiß, kein Mann, kein Deutscher, am liebsten auch kein Europäer ist". Aber Hartmut Dorgerloh, so finden fast alle Medien, ist ein guter Mann zur Leitung des Humboldt-Forums und hat auch schon mal eine schöne Parkordnung formuliert.  Die Zeit bringt ein ganzes Dossier über die neue Fraktion bürgerlicher Reaktionäre, die sich in der "Erklärung 2018" manifestiert.  Mark Zuckerberg versucht sich durch zahlreiche Interviews aus der Bredouille zu winden, findet aber keine Gnade vor der deutschen Presse.

Aus der Welt der Zuhandenheit

21.03.2018. Es lässt sich nichts machen, fürchtet die taz: An der Humboldt-Uni werden die konservativen Islamverbände über das Institut für Islamische Theologie bestimmen dürfen. Die taz bringt auch ein großes Dossier über die Lage der Kurden. Facebook ist laut Zeit und Guardian ganz schön heftig in der Bredouille. In der FAZ erklärt Monika Grütters, warum sich der bisherige Chef der Preußischen Schlösser und Gärten prima als Intendant des Humboldt-Forums eignet.

Leider kein Mitleid

20.03.2018. Über hundert Professoren und Pädagogen solidarisieren sich mit Hartmut von Hentig - die NZZ wundert sich. Eine Menge emeritierte Professoren, Uwe Tellkamp und Henryk Broder solidarieren sich mit Demos gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik, aber nur wenn sie friedlich sind, notiert der Tagesspiegel. Die Welt schildert, wie fundamentalistische Christen in Brasilien Stimmung gegen Künstler machen. Die Diskussion über den Missbrauch von Facebook-Nutzerdaten durch die Firma Cambridge Analytica geht weiter. 

Innere Dämonen im Visier

19.03.2018. Im Interview mit taz und Welt erzählt Deniz Yücel, wie es ihm in der Haft erging. Anne Applebaum in der Washington Post und FAZ-Korrespondent Jochen Buchsteiner haben Zweifel an der Wirksamkeit der britischen Politik gegenüber Russland: Zu sehr hängt man ab von den Oligarchen. In der FAZ erinnert der Historiker Martin Schulze Wessel an den Prager Frühling, der unter anderem mit dem Antisemitismus der Slansky-Prozesse brach. Observer und Guardian bringen neue Details zum Fall Cambridge Analytica.

Nicht zwingend Sinn

17.03.2018. Supermächte: Einen Tag vor den russischen Wahlen beschwört der Soziologe Igor Eidman in der NZZ die Europäer, Putin keine politische Rationalität zu unterstellen: Seine Logik sei die des organisierten Verbrechens. Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze benennt in Zeit online den Anteil der Demokraten am Erfolg Donald Trumps. Facebook muss in einem zerknirschten Blogpost einräumen, dass die Firma Cambridge Analytica seit 2015 Daten seiner Nutzer missbrauchte - Techcrunch resümiert den Vorgang.

Das war ich nicht, das war meine künstliche Intelligenz

16.03.2018. "Wir haben es hier mit einem ähnlichem Syndrom wie in der Weimarer Republik zu tun. Das Syndrom der unverdauten Modernisierung, der Freiheitsschmerz der Untertanen", schreibt Zafer Senocak in der NZZ mit Blick auf die Türkei. Ähnliches ließe sich nach der Lektüre der FAZ und der taz von Russland behaupten. Und bei pop-zeitschrift.de. rezensieren Jörg Scheller und Wolfgang Ullrich das Twitterkonto von Norbert Bolz.

Durchlässigkeit, die es so vorher nicht gab

15.03.2018. Die Welt fordert, dass die Briten mit Sanktionen gegen Russland nicht alleingelassen werden. In der NZZ spricht Herfried Münkler über die "Poesie" von Nationalstaaten und das Scheitern eines europäischen Narrativs. In Amerika ist man sich des Rassismus wenigstens bewusst, klagt die Journalistin Fatin Abbas in Zeit online. In der Zeit wird eine neue Debatte über die Beschneidung von Jungen eröffnet. In Neunetz nennt Marcel Weiß den Preis für die Regulierung von Plattformen wie Youtube und Facebook.

Digitales Galapagos

14.03.2018. Wozu brauchten wir ein 1968, wenn es schon Horst Ehmke gab, fragt Heinz Bude in der Berliner Zeitung. Der polnische Antisemitismus ist keineswegs eine Erfindung der Kommunisten, insistiert Götz Aly in der Berliner Zeitung. Putin antwortet auf britische Sanktionsdrohungen mit einem Wahlkampfauftritt auf der Krim, notiert politico.eu. Der Grüne Sven Giegold fordert im NDR ein öffentlich-rechtliches Airbus-Projekt. Alle trauern um Stephen Hawking.

Einige bombastische Reden

13.03.2018. Politco.eu legt glasklar dar, warum Italien nun wirklich nicht mehr regierbar ist. Der Guardian klärt über die Aktivitäten der "Cyber Muslim Army" auf, die in Indonesien mit Bots und Hate Speech für den wahren Glauben kämpft. Die NZZ beschreibt die Presse in Osteuropa - wenn sie nicht zur Schweizer Ringier-Gruppe gehört - als abhängig von Staatsaufträgen und Oligarchen. Die Salonkolumnisten wundern sich, wer heute alles "rechts" ist. In der Washington Post kratzt Shashi Tharoor am Winston-Churchill-Kult.

Abendland, was sollte das sein?

12.03.2018. In der FR macht sich Nora Bossong Gedanken über die europäische Idee. New York Times und politico.eu denken über die Wirkung von Facebook und politico.eu auf die Politik nach. Auch Tim Berners-Lee äußert sich in einem offenen Brief sehr kritisch über die Macht der Plattformen und fordert Regulierung. FAZ und SZ fürchten die Macht Xi Jinpings.

Die Zeichen stehen auf Restauration

10.03.2018. ZeitOnline meldet die Freilassung der beiden Journalisten Murat Sabuncu und Ahmet Şık aus türkischen Gefängnissen. In der Welt erkundet Serhij Zhadan die postkoloniale Misere der Ukraine. In der taz stellt Isolde Charim klar: Pluralisierung ist keine Addition. Hans Christoph Buch berichtet in der FR, dass Haiti von #MeToo nur träumen kann. Die FAZ erlebt schockiert in den neuen Bouillons von Paris, dass die besseren Kreise wieder gegrillte Schweinsfüße mampfen.

Lack der Machthaber

09.03.2018. Die taz erzählt, wie sich sämtliche irische Regierungen an einer längst fälligen Reform des Abtreibungsrechts vorbeimogelten. In der NZZ zieht Slavoj Zizek Parallelen zwischen  Feminismus und islamischen Fundamentalisten. Welt und FR denken über Reformen bei den Öffentlich-Rechtlichen nach. In Polen gehen die schmerzhaften Debatten über polnischen Antisemitismus weiter, berichten die Welt und die SZ.

Bitte nehmt, was euch richtig und wichtig erscheint

08.03.2018. Heute beherrschen die Frauen alles. Naja, zumindest in dieser Presseschau: Viele Medien bringen Schwerpunkte zum Tag der Frau, die taz ein ganzes Dossier, das sich an Judith Butler abarbeitet, aber auch Recherchen zu Abtreibung in Deutschland bringt. Die SZ verteidigt das Kopftuch bei Richterinnen. Im Wiener Kurier äußert sich Seyran Ates skeptischer zum Kopftuch. In der NZZ skizziert Necla Kelek die Lage der Frau im Islam. Der Guardian freut sich über die wohl kommende Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Irland.

Die bröckelnden Überreste

07.03.2018. Herfried Münkler geißelt in der NZZ das "Shaming and Blaming", mit dem NGOs und Lobbygruppen an den Unis ihre Sichtweisen durchsetzen wollten. Die FAZ freut sich, dass die American Historical Review nun versucht, mehr "Migrant*innen, Indigene und Kolonialisierte als Autor*innen zu gewinnen".  In Sachsen ist der Geist des Rechtsterrorismus noch keineswegs tot, klagt die Anwältin Kristin Pietrzyk in der SZ. Italien ist das erste Land, in dem die traditionellen politischen Parteien tatsächlich tot sind, konstatiert politico.eu nach den Wahlen.

Gewisse Spannung zur Gegenwart

06.03.2018. NZZ und Guardian sehen das italienische Wahlergebnis als ein Desaster für Europa. Die FAZ porträtiert den Internetunternehmer Davide Casaleggio, der die Strippen hält, an denen die Fünf Sterne schweben. Vor seinem Abgang als Gründungsintendant verspricht Neil MacGregor in der FAZ eine Leitungskommission fürs Humboldt-Forum. Die Islamologin Rachid Benzine äußert sich in Le Monde eher skeptisch über Macrons Idee einer "Halal-Steuer".

Wer dazukommt und wer nicht

05.03.2018. Die taz lauscht der dröhnenden Stille nach der Bekanntgabe des SPD-Votums für die Große Koalition. Die Reform der öffentlich-rechtlichen Sender kann nicht von diesen allein betrieben werden, meint Markus Heidmeier bei Zeit online. Die NZZ staunt über die Verkitschung islamischer Gesellschaften durch den Islamismus. In der taz plädiert die Frauenärztin Kristina Hänel für eine Streichung des Paragrafen 219a.

Vielleicht ist das Schlimmste schon vorbei.

03.03.2018. In der Welt wertet Roberto Saviano den Mord an dem slowakischen Reporter Ján Kuciak als eine Drohung der 'Ndrangheta an alle Journalisten. In der SZ gibt der Schriftsteller Michal Hvorecký dem hetzerischen Premier Robert Fico eine Mitschuld. Die FR blickt auf die Wahlen in Italien. In der taz ermuntert Ian Kershaw Europa jedoch zu mehr Optimismus. Und der Guardian hört von Theresa May ein Loblied auf die europäische Integration.

Das Christliche ist für das Konservative geradezu konstitutiv

02.03.2018. In der SZ erklärt Samuel Salzborn, warum Rechtsextreme Muslime hassen und den Islam lieben. Außerdem blickt die SZ mit Wehmut auf jene Zeiten zurück, als Autos noch "Capri" und "Ascona" hießen. Jörg Metes resümiert bei den Ruhrbaronen die Reaktionen von Lamya Kaddor und ihrer Unterstützer auf den Vorwurf, sie habe ein Zitat von Necla Kelek systematisch verfälscht. Spiegel Daily macht Reformvorschläge für die Öffentlich-Rechtlichen. Und die FAZ sieht die SRG vor der "No Billag"-Abstimmung kritisch.

Mit einem gänzlich unbekümmerten Unernst

01.03.2018. Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin wurden offenbar ermordet, weil er über die explosiven Beziehungen der 'Ndrangheta zu höchsten Kreisen der slowakischen Politik recherchierte. Die Seite occrp.org und die Welt bringen seine letzte, unvollendete Reportage. Welt und SZ staunen über das katholisch großherzige Italien,  das Berlusconi gerade seine vierte Chance gibt. In der Zeit plädiert Jürgen Habermas für mehr Europa. In der NZZ wendet sich Maram Stern vom Jüdischen Weltkongress gegen das polnische Holocaustgesetz.