9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2018

Die Hysterie gestreift

30.06.2018. Mit dem EU-Flüchtlingsgipfel haben die Populisten gesiegt, meint die FR: Alle tun so, als wären unsere Probleme gelöst, wenn es nur die Fremden nicht gäbe. Die Reaktionen auf den Gipfel sind aber zwiespältig. Und in der New York Times verteidigt Wolf Biermann die Kanzlerin. Je moderner die Gesellschaften, desto weniger ist die Präsenz des Todes auszuhalten, schreibt Hans Ulrich Gumbrecht in der NZZ. Politiker von CDU, CSU, SPD und FDP rufen ihre EU-Kolleginnen in einem offenen Brief  auf, gegen die EU-Urheberrechtsreform zu stimmen.

Kein Überfluss an Helden

29.06.2018. In der FR macht Seyla Benhabib  auf die Generationenkluft in der Flüchtlingsdebatte aufmerksam. Die New York Times bringt ein großes Dossier über die Frauen, die die #MeToo-Affäre ins Rollen brachten und heute über ihre Erfahrung sprechen. In Zeit online zieht Sabine Andresen, die Kindesmissbrauch in den Kirchen untersucht hat, bittere Bilanz. Ebenfalls in Zeit online erklären zwei polnische Politologen, wie sie Nationalismus und Offenheit verbinden wollen.

Der vermeintlich nichtsnutzige Süden

28.06.2018. Die europäische Politik macht auf Druck der Lobbies das Internet kaputt, schreiben Marcel Weiß in Neunetz und Sascha Lobo bei Spiegel online - allerdings regt sich jetzt Widerspruch bei EU-Parlamentariern, berichtet orf.at. Die "Lifeline"-Organisation schreibt einen wütenden offenen Brief an Innenminister Seehofer, der ihr Schiff als "Shuttle-Service" bezeichnet hat. In der FAZ rechtfertigt Arkadi Babtschenko seine Scheinermordung. Die italienische Regierung ist auf der Suche nach Sündenböcken, warnt Roberto Saviano in der Zeit.

Surpollupopulation

27.06.2018. Der australische Philosoph Peter Singer hält in der FR an einer weitestmöglichen Auslegung der Meinungsfreiheit fest. Im Freitag freut sich Wirtschaftswissenschaftler Karl Ove Moene, dass er das Rezept für die Abschaffung der Ungleichheit gefunden hat. Die taz erzählt, wie Flüchtlinge an der Grenze zwischen Algerien und Niger krepieren. Im Guardian wehrt sich die Schauspelerin Dijana Pavlovic  gegen den ungenierten Rassismus, der Roma und Sinti entgegenschlägt.

Dieser doppelte Wunsch des Volksgemüts

26.06.2018. Das Ergebnis der türkischen Wahlen schockiert die säkularen Türken. Am Wahlverhalten der Türken in Deutschland haben deutsche Politiker eine starke Mitverantwortung, schreibt Necla Kelek bei emma.deSeyran Ates attackiert im Tagesspiegel den Beirat des Instituts für islamische Theologie an der Humboldt-Uni, der ausschließlich aus konservativen Islamverbänden bestellt wird. Die gesamte deutsche Medienindustrie ruft in einem Appell ans EU-Parlament zu Uploadfiltern auf.  Die New York Times weist in einem großen Dossier nach, dass Baschar al-Assad sehr wohl die Stadt Duma mit Giftgas attackiert hat.

Abseits von Geschmacksfragen

25.06.2018. Fast überall wird in verschiedenen Kontexten über Populismus nachgedacht. In der Welt erklärt  Sahra Wagenknecht, warum sie eine linke Sammlungsbewegung will - und bekundet ihr Verständnis für die Wähler der Populisten. Bei politico.eu empfiehlt der belgische Politiker Yves Leterme gemäßigten Parteien die Übernahme populistischer Rezepte.  Cem Özdemir vergleicht auf die Twitter die feiernden deutschen Erdogan-Anhänger mit Wählern der AfD. Vor 25 Jahren veröffentlichte Botho Strauß seinen Bocksgesang, erinnert sich der Standard. Und seitdem schwillt und schwillt er an.

Die Zeichen sind da

23.06.2018. Die NZZ zeigt auf, wie Linke und Rechte in Frankreich den Laizismus unterwandern. Die EU war immer geplant als eine Union, in der die Nationalstaaten irgendwann aufgehen, meint Robert Menasse in der taz. Die EU wird untergehen, wenn Flüchtlinge die nationalen Identitäten bedrohen, meint dagegen Markus Söder in der Welt. Aber verändert nicht gerade die Flüchtlingspolitik der CSU unsere Identität, fragt die SZ. David Grossman kann das für Israel bestätigen. Der Guardian fürchtet, dass wir in die dreißiger Jahre zurückfallen.

Kosten für die Transparenz

22.06.2018. Mit dem Brexit könnte auch das Stündchen der irischen Vereinigung schlagen, denn die Mehrheitsverhältnisse in Nordirland ändern sich, vermutet politico.eu. In der FAZ ist die CDU-Politikerin Serap Güler empört über Joachim Gaucks Kritik an mangelnden Deutschkenntnissen der Gastarbeiter: Denn niemand interessierte sich für sie als Mitbürger. Julia Kristeva streitet ihre Stasi-Mitarbeit ab, kompromittiert haben sie und der Tel-Quel-Kreis sich aber sowieso, schreibt Richard Wolin bei chronicle.com.

Am Wahltag Dankbarkeit

21.06.2018. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments will ein europäisches Leistungsschutzrecht und Uploadfilter. Wir bündeln erste Reaktionen auf diese Abstimmung, die nur mit den Stimmen von zwei Front-national-Abgeordneten gewonnen werden konnte. Sollte das Gesetz greifen, werden die Verlage im Netz weniger präsent sein, vermutet Spiegel online. Die Welt verteidigt das Projekt. Politico.eu schildert den Niedergang der gemäßigten Rechten, der in Brüssel vor allem von der CSU durch Fusion mit den Extremisten betrieben wird. Le Monde prangert ein ungarisches Gesetz an, das Flüchtlingshelfern mit Gefängnisstrafen droht.

Im Ungesicherten zu denken

20.06.2018. Letztlich kassiert die Politik durch Gesetze wie das Europäische Leistungsschutzrecht das Internet selbst ein, konstatiert The Verge - denn sie scheint es nur mehr als die Sphäre der Giganten zu betrachten. Die Brexit-Anhänger lieben den Brexit mehr als sie das Vereinigte Königreich lieben, konstatiert der Spectator nach Lektüre einer Umfrage. Roberto Saviano äußert sich in Guardian und Freitag entsetzt über die italienische Flüchtlingspolitik. Die NZZ sagt dem Intellektuellen leise Servus.

Verwandlung von Fremdem in Eigenes

19.06.2018. Die SZ geißelt den neuen Krieg der Bilder, für den Kinder in Käfige und Flüchtlinge auf See gehalten werden. Identität ist nicht, was man ist, sondern was man wird, meint Barbara Vinken in der NZZ. Slate.fr staunt über die Popularität Erdogans bei jungen Franzosen maghrebinischer Herkunft. In der taz wünscht sich Liane Bednarz eine Diskussion darüber, was konservativ und was rechts ist. Netzpolitik fordert eine digitale Bildung mit Open Source.

Begriff einer neuen Wildnis

18.06.2018. Im Observer kann es Nick Cohen nicht fassen, dass der Einfluss Russlands auf die Brexit-Bewegung von allen Seiten totgeschwiegen wird. In der FAZ fragt Arkadi Babtschenko Reporter ohne Grenzen, ob er sich lieber hätte erschießen lassen sollen als mit dem ukrainischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Netzpolitik geißelt die Kapitulation der Öffentlich-Rechtlichen vor den Zeitungsverlagen. Die SZ führt uns mit terra0 in den Wald des Anthropozän.

Die Schweiz ist kein Kreidestrich

16.06.2018. Die Grünen-Abgeordnete Claudia Roth erklärt in einem Blogpost, wie der Populismus die Demokratie außer Kraft setzen will und wie diese sich wehren sollte. In der NZZ bezweifelt die Philosophin Ursula Renz, dass man Gruppen so etwas wie Identität zuschreiben kann. Emma.de begrüßt einen Appell der "Frauen in Naturwissenschaft und Technik", die Frauen im Iran im Kampf gegen Kopftuch und Rechtlosigkeit zu unterstützen. Und in der Welt verrät Viktor Jerofejew  jetzt schon den Sieger in der Fußball-WM.

Seltsam kleingeistig, stumpfsinnig und starr

15.06.2018. Die CSU setzt bei den Flüchtlingen auf eine AfD-Politik. Das ist nicht nur flüchtlings-, sondern auch bayernfeindlich, meint die SZ. Die taz warnt vor linker Häme: Was nach Angela Merkel kommt, wird nur schlechter. Wer braucht Heimat, fragt der Kulturtheoretiker Jan Söffner in der NZZ. Islamische Religionskunde soll vor allem den Einfluss der christlichen Kirchen sichern, warnt in der taz Memet Kiliç. Warum argumentieren Feministinnen oft wie die letzten Reaktionäre, fragt Judith Sevinç Basad in der FAZ.

Telefonnummer in Ankara

14.06.2018. Macht Schluss mit diesem Quatschgesetz, ruft Sascha Lobo in Spiegel online und geißelt die Kumpelei des Axel-Springer-Verlags mit der CDU, die ganz Europa eine "Linksteuer" beschert. Auch in Amerika wollen die Mediengewaltigen laut Buzzfeed Facebook am liebsten loswerden. Die Frage ist nur, wie die Zigarette danach schmeckt. Herfried Münkler schreibt heute quasi  überall. In der NZZ geht's um Eliten, in der Zeit um den Westen und mit beiden bergab. Die EU ist an der Lage in Italien selber schuld, ruft die taz. Unverfroren bereitet sich die Welt unterdessen vor den Augen einer angeekelten Welt auf das WM-Spektakel in Russland vor.

Das Etikett ist der Beweis

13.06.2018. Die EU-Kommission möchte alle EU-Bürger verpflichten, ihre Fingerabdrücke in den Personalausweisen speichern zu lassen. Auf Deutschland wird sie sich bei der Durchsetzung wohl verlassen können, fürchtet Netzpolitik. Auch die geplante europäische Urheberrechtsreform setzt mit Uploadfiltern auf automatisierte Überwachung der Nutzer, warnen Internetpioniere wie Jimmy Wales und Tim Berners-Lee. In der taz blickt Ilija Trojanow kritisch auf den Kulturkampf der Linken. Und: Alle gratulieren Aleida und Jan Assmann zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Check Check Check Check

12.06.2018. In ihrem Blog ruft die EU-Abgeordnete Julia Reda dazu auf, sich gegen Uploadfilter und das europäische Leistungsschutzrecht zu wehren. In der NYRB warnt Nesrine Malik vor Islamkritikern, die den Rechten in die Hände spielten, in der FAZ fürchtet die Ethnologin Susanne Schröter, dass die Rechten genau von dieser Haltung profitieren. Will Donald Trump den Westen zerstören, fragt die New York Times.

Als sei es ewig 1990

11.06.2018. In der NZZ plädiert Pascal Bruckner für mehr Durchlässigkeit in Identitätsfragen. Politico ruft die EU auf, die russische Opposition zu unterstützen. Im Observer kritisiert Kenan Malik die Festung Europa. In der FAZ kritisiert der Politologe Stefan Luft unser überkomplexes Asylrecht. In der FR erinnert der Philosoph Markus Tiedemann Monika Grütters daran, dass Toleranz eben kein Kennzeichen von Religionen ist. In Medium fragt sich Andre Spiegel, warum Verleger das E-Book ablehnen.

Gene, Technik und Markt

09.06.2018. In der FAZ erinnert Serhij Zhadan die Freunde des Fußballs daran, dass der ukrainische Regisseur Oleg Senzow in einem Straflager nördlich des Polarkreises seit drei Wochen im Hungerstreik liegt. Die NZZ lässt sich von einem Trump-Anhänger und China-Verehrer erklären, wie Utilitarismus funktioniert. Die taz besucht die Georgien. Und die SZ stellt fest, dass sich ARD und ZDF vom klassischen Kino verabschiedet haben.

Blinkend und piepsend

08.06.2018. Die Weltreligionen sind beim Steuerhinterziehen viel toleranter als beim Sex, lernt die NZZ vom Evolutionsforscher Michael McCullough. In der FAZ möchte der Germanist Peter Eisenberg bitte kein Gender-Sternchen aufgezwungen bekommen. Politico verlangt, dass die EU gegenüber Polen Härte zeigt. In Deutschland geht der Bücherkauf immer weiter zurück, schuld ist das Internet, berichten FAZ und SZ. In Georgien dagegen wächst der Buchmarkt - und hat auch mehr Frauen in Führungspositionen. In der Welt fragt Thierry Chervel, ob man die AfD wirklich in jeder Tagesschau zitieren muss.

Antiliberaler Opferkult

07.06.2018. Wie soll man mit der AfD umgehen? Sie sozial ächten, wie es Armin Nassehi in der taz vorschlägt? Sie totschweigen, wie die NZZ meint? In der Zeit gibt der Philosoph Jason Stanley, den 68ern eine Mitschuld am aufflammenden deutschen Nationalismus, weil sie den Nationalsozialismus mit dem Kapitalismus erklären wollten. Erst Berlusconi, dann der Movimento Cinque Stelle - mit dem Wunsch, die Herrschaft der Parteien abzuschaffen, ist Italien Vorreiter in der Politik, ruft der Philosoph Damiano Cantone in der NZZ.

Irgendein kleiner Held

06.06.2018. Unsere europäische Zukunft steht auf dem Spiel, lasst uns die Institutionen erobern, ermuntert in der taz Nora Bossong die Pro-Europäer. Packt eure Sachen, hat der neue italienische Innenminister Matteo Salvini gerade Flüchtlinge aufgefordert. Welche Sachen, fragt in politico interessiert der Mediziner Craig Ferguson, über den Körper eines gefolterten Kameruners gebeugt. Im ORF analysiert Armin Wolf Putins Antwortstrategien in Interviews. In der FR denkt Arno Widmann mit Salman Rushdie über Wahrheit und Lüge nach.

Heftig war es schon

05.06.2018. Zeit online fragt: Was macht der Antisemitismusbeauftrage bei den Evangelikalen? In der SZ präsentiert Harald Welzer ein Weltrettungsprogramm für 130 Milliarden Dollar jährlich. Gab es Rassismus gegen Ostdeutsche, fragt libmod.de. Die taz untersucht die "gezielte Ambivalenz" der AfD-Provokationen. Die NZZ findet die Rassismus-Ausstellung in Dresden zwiespältig - vor allem in Voten des Beirats der Ausstellung manifestiere sich altes Rassendenken.

Kleine Genüsse

04.06.2018. Nun klebt der Vogelschiss auf Alexander Gaulands Stirn. Und die Medien überlegen, ob sie mit dem Finger drauf zeigen oder lieber schweigen sollen. In der NZZ spricht der Historiker Lascha Bakradze über Georgier als Opfer und Täter des Stalinismus. Der Guardian porträtiert die Feministin Masih Alinedschad, die die Iranerinnen mit Wind im Haar zur Aktion "My Stealthy Freedom" inspirierte. Und die taz ist nicht ganz zufrieden mit Frank-Walter Steinmeiers Entschuldigung bei Schwulen und Lesben.

Gefangene ihrer eigenen Logik

02.06.2018. In der SZ beschreibt Karl-Markus Gauß, wie die FPÖ in Österreich die Posten kapert und warum es der Partei so leicht gemacht wird. In der Welt erinnert Wolf Lepenies an den Reaktionär Charles Maurras. In der NZZ erklärt René Scheu, dass der Reaktionär heute der Revolutionär ist. Und im New York Magazine fragt Andrew Sullivan: ist die liberale Demokratie der Endpunkt der menschlichen Geschichte? Die Antwort ist nein.

Beitrag zur medialen Grundversorgung

01.06.2018. Die italienischen Populisten hassen Deutschland, schreibt Angelo Bolaffi in der SZ, und Deutschland gibt ihnen mit Arroganz und Ignoranz Futter. Die taz setzt ihre verdienstvollen Recherchen zur Institutionalisierung der AfD fort. Die FAZ erklärt, warum der BND nach einer Gerichtsentscheidung einfach weiter die Daten von Bürgern absaugen darf. Die Kirchen biedern sich bei Islam-Funktionären an, damit ihre eigene Rolle nicht in Frage gestellt wird, sagt Alice Schwarzer im Deutschlandfunk.