9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2018

All unsere Lieder

31.01.2018. Juristen streiten über die Zeit-Recherchen zu Dieter Wedel. Der ehemalige Richter und Zeit-online-Kolumnist Thomas Fischer kritisiert sie bei Meedia als tendenziös. Dem widerspricht entschlossen die Juristin Elisa Hoven, ebenfalls auf Meedia. Seyran Ates lanciert einen offenen Brief an die Humboldt-Uni, die ein Institut für islamische Theologie gründen und nur Vertreter konservativer Islamverbände in den mächtigen Beirat einladen will. Ach was Gott, ruft statt dessen Atiq Rahimi in Le Monde: Was ist er schon gegen Frauen und Wein?

Museomanie, Nostalgie, Paläolatrie, Passeismus, Rekorditis!

30.01.2018. Zehntausende protestieren gegen die Zerstörung des Rechtsstaats in Rumänien - und was macht die EU, fragt die NZZ. In Le Monde protestiert Kendal Nezan, Gründer des kurdischen Instituts in Paris, gegen den türkischen Feldzug in Afrin und das Schweigen des Westens. Apple übergibt sämtliche Daten seiner chinesischen Nutzer an eine Behörden-Cloud des Regimes, berichtet die taz. Mehrere Artikel beleuchten die Auswirkungen von Streamingdiensten und smarten Lautsprechern auf traditionelle Medien - und von Robotern auf den Arbeitsmarkt.

Dass Schmerzen ok sind

29.01.2018. Die SZ warnt vor Staatstrojanern. In der FAS lobt Roberto Saviano die strengen deutschen Abhörgesetze - fordert aber dezidiertere Maßnahmen gegen die Mafia. In der FR erklärt der australische Jurist Antony Anghie, wie der Kolonialismus in Form der Globalisierung auf Europa zurückfällt. In Südeuropa dominiert der Linkspopulismus, im Norden der Rechtspopulismus, notiert der Politologe Philip Manow in der FAZ. Le Monde würde des Antisemiten Charles Maurras lieber nicht gedenken.

Sie ist anstrengend

27.01.2018. Die taz erinnert mit einem Dossier an den Tunix-Kongress von 1978, der die Buntheit in die deutsche Linke brachte. In der FAZ beschreibt die Historikerin Ute Frevert, wie sich bei sexueller Gewalt die Begriffe von Scham und Unschuld umkehren. Den souveränen Umgang mit Macht können westliche Frauen von mächtigen Nigerianerinnen lernen, erklärt Chimamanda Adichie in Libération. In der NZZ ruft Peter Sloterdijk zu spontaner Stammesbildung auf.

Eine Krise auf zwei Beinen

26.01.2018. Es geht nicht allein um Dieter Wedel, es geht um "ein ganzes System". Die Fernsehanstalten, "die mit Wedel skrupellos ihre Geschäfte machten," und seine Taten duldeten, sollten einen unabhängigen Untersuchungsbeauftragen einsetzen, meint Heribert Prantl in der SZ. Der Tagesspiegel liefert tiefere Einblicke ins System Wedel. Man war offenbar der Meinung, "Schweinereien gehörten dazu", konstatiert Verena Lueken in der FAZ. Zeit, sich mal mit männlicher Sexualität zu befassen, so Julia Kristeva in der NZZ zu #MeToo.

Wie eine Fliege in Bernstein

25.01.2018. Die Zeit bringt neue Vorwürfe sexueller Gewalt bis hin zur Vergewaltigung gegen Dieter Wedel. Die Produktionsfirmen und die Sender haben dabei offenbar wohlwollend zugesehen, schließt Christiane Peitz im Tagesspiegel. Hermann Parzinger fordert in der FAZ internationale Leitlinien für den Umgang mit Kunst aus ehemaligen Kolonien.  Die SZ beleuchtet die Problematik des arabischen Manns. Der Begriff "Gegenöffentlichkeit" ist vierzig Jahre nach Tunix obsolet, meint Max Thomas Mehr in Dlf Kultur.

Auf der Suche nach Narren

24.01.2018. Die SZ fragt nach dem Sinn ethnologischer Museen im Zeitalter der Globalisierung. Die NZZ erklärt, wie die Abschaffung der Netzneutralität in Zensur resultieren kann. Setzt Beppe Grillo sich von der Fünf-Sterne-Bewegung ab, fragt politico.eu. Spiegel online prangert den Verrat des Westens an den Kurden an. Die SPD hat die Arbeiterklasse verraten, aber anders als man denkt, analysiert die FAZ. Und auch die deutschen Zeitungen wollen jetzt Geld von Facebook.

Lauwarmer Fruchtzwerg

23.01.2018. Seit das NetzDG in Kraft ist, wird von Twitter und Facebook viel zu viel gelöscht, hat die Berliner Zeitung herausgefunden. Man kann 1968 kritisieren, aber man kann es nicht tun, um den Konservatismus glaubhafter zu machen, schreibt Reinhard Mohr in der NZZ. Die SZ setzt Hoffnungen auf den tschechischen Präsidentschaftskandidaten Jiří Drahoš. Und Rupert Murdoch will Geld von Mark Zuckerberg - für seine vertrauenswürdigen Nachrichten.

Bloßes Teilen des Seins

22.01.2018. Dass Facebook Medienquellen degradiert, ist eine furchtbare Nachricht, schreibt Emily Bell im Guardian. Und dass Facebook kleine und fragile Demokratien als Laboratorium für seinen neuen Algorithmus benutzt, macht es nicht sympathischer. In der FAZ erzählt der Historiker Mychailo Kowaltschuk, wie die Ukraine zum ersten Mal vor hundert Jahren ihre Unabhängigkeit erklärte. Die taz will den chinesischen Parolen von offenen Märkten und Freihandel nicht glauben.

Und er sagte zu mir: "Witzig!"

20.01.2018. #MeToo und kein Ende. Dunja Bialas sieht bei artechock den "Aufruf der Catherines" als Ausdruck einer libertinen, aber nicht mehr zeitgemäßen Ethik. Bei Zeit online erhofft sich der Philosoph Paul B. Preciado, der einmal eine Frau war, eine Errettung der Menschen durchs queere Wesen.  Eine ganz andere Frage hat Andrew Sullivan im NYMag: Was ist eigentlich mit meinem Testosteron? In der taz fordert der Soziologe Ulrich Dolata eine strenge Kontrolle des Internets. Die FAZ bringt beunruhigende Zahlen über die "Krise des Lesens".

Eine Art gesellschaftliche Entgiftung

19.01.2018. Die #MeToo-Bewegung sollte sich mit der Kampagne gegen Gewalt in der Arbeitswelt vernetzen, fordert die taz. Sie sollte eine "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" einrichten, fordert die SZ. Vielleicht wird das Problem aber auch von Roboterfrauen gelöst, die seit neuestem laut NZZ in Saudi Arabien - unverschleiert! - eingesetzt werden. Die Medien spekulieren über ihre Degradierung durch Facebook - hat der Algorithmenwechsel längst stattgefunden? Die taz notiert, wie die polnische Frauenbewegung nun selbst von der Opposition fallen gelassen wurde: Die katholische Kirche wollte es so.

Folgen der Maschine

18.01.2018. Nun bringt auch die Zeit noch ein Pro und Contra zu Simon Strauß - Ergebnis: Er mag ja nerven, aber muss man ihn deshalb bei der AfD einsortierten? Drei taz-Autorinnen inspizieren den unklaren #MeToo-Fall Aziz Ansari und fordern künftig ein klares "Ja heißt Ja". Netzpolitik resümiert den Widerstand von immer mehr Universitäten gegen den Elsevier-Verlag. In der NZZ wirft Bassam Tibi der deutschen Islamwissenschaft Kulturrelativismus und einen umgekehrten Orientalismus vor.

Angstmache und Unterstellung

17.01.2018. Die SZ erzählt, wie Google, Facebook, Youtube, Twitter und Co. der ägyptischen Regierung bei der Internetzensur helfen. In der taz nimmt Nora Bossong ihren Kollegen Simon Strauß in Schutz: Wer mit Rechten redet, ist nicht gleich selber einer. Strauß selbst hat zuvor auf Facebook in die Debatte eingegriffen. Deniz Yücel hat gegenüber dpa klargestellt, dass er seine Freilassung nicht irgendwelchen Waffendeals verdanken will. Kenan Malik erklärt in der Basler Zeitung, warum er den Begriff der "Islamophobie" ablehnt.

Verdacht von Doppelstrukturen

16.01.2018. Donald Trump will von Politik nichts wissen, er will Politik zerstören, meint der amerikanische Osteuropahistoriker Timothy Snyder im Interview mit der SZ. Die Iraner protestieren gegen ein System, in dem die Mullahs inzwischen reicher sind als einst der Schah, erklären die Politologen Ali Fathollah-Nejad und Arash Sarkohi in der NZZ. Bald wird das Humboldt-Forum eröffnet. Noch ist aber die Frage zu klären, wer welche Kompetenzen bekommt, berichtet der Tagesspiegel. In La Règle du Jeu erklärt Bernard-Henri Lévy, was am linken Antisemitismus so gut funktioniert.

Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens

15.01.2018. Catherine Deneuve erklärt in Libération noch einmal, warum sie das #MeToo-kritische französische Papier unterzeichnet hat. Was man in Hollywood anprangert, wird in der Pornoindustrie als Mentalität gefeiert, schreibt Friederike Haupt in der FAS, wo sich auch Catherine Millet und Regina Ziegler äußern. Spiegel online erzählt, wie sich die polnische Opposition selbst zerlegt. Die von der EU für die geplanten Uploadfilter könnten zu einer Vorzensur im Netz führen, fürchtet ZeitOnline. Wen genau repräsentiert eigentlich Lamya Kaddors Liberal-Islamischer Bund, fragen die Salonkolumnisten.

Ergrimmt in die Pedale stampfende Autochthone

13.01.2018. Auf ZeitOnline fragt die Autorin Nino Haratischwili, von welcher Freiheit Hollywood-Diven mit ihren gespritzten Gesichtern und verhungerten Körpern eigentlich sprechen. Die NZZ will bei #MeToo erst wieder mitmachen, wenn zwischen Pranger und Diskussion unterschieden wird. Dass Facebook den Journalismus zurückstutzen will, wertet das NiemanLab als gute Nachricht für die traditionellen Medien, als fatal für digitale. Und der SZ graut es vor ergrimmten Strampelnazis in Europas Hauptstädten.

Was die richtige Freiheit ist

12.01.2018. Der von Catherine Deneuve unterzeichnete Aufruf mit Kritik an #MeToo sorgt weiter für erregte Debatten. Es gab immer schon Antifeministinnen, meint Christine Bard in Le Monde. Ist die "séduction à la française" in Gefahr, fragt Libération. In der FAZ fordert Bénédicte Savoy mit Emmanuel Macron eine Restitution afrikanischer Kunstschätze. In der SZ erzählt Evolutionsbiologe Jared Diamond, wie Donald Trump aus religiösen Rücksichten Fakten aus Regierungspapieren streichen lässt.

Die wollen deine Seele

11.01.2018. Der französische Aufruf gegen einen puritanischen Overkill in der #MeToo-Debatte  sorgt für erregte Debatten - zuallererst in Frankreich selbst, wo die Staatssekretärin für Gleichstellung, Marlène Schiappa, heftig widerspricht. Die NZZ erläutert, dass es sich gerade in Frankreich um einen Streit zwischen Frauen und Frauen handelt. Die taz bringt ein Pro und Contra. In der FAZ haut Jürgen Kaube auf den Tisch: Gemeint sind die "Rechten", die auf die "Linken" und die "Linken", die auf die "Rechten" schimpfen, sich aber allenfalls in der Kostümierung unterscheiden.

Kinder mit erwachsenen Gesichtern

10.01.2018. Erregt debattieren die Medien der Welt einen offenen Brief französischer Schauspielerinnen, inklusive Catherine Deneuves, die mit Blick auf die #MeToo-Debatte vor Puritanismus warnen: "Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber nervende oder ungeschickte Anmache ist so wenig ein Vergehen wie Galanterie eine machistische Aggression." Die taz diskutiert über die Frage, ob der Besuch einer KZ-Gedenkstätte für Schüler verpflichtend sein soll. Im Tagesspiegel attackiert die iranische Künstlerin Parastou Forouhar den Westen für seine Nachsicht gegenüber den "Reformern" im Iran.

Verblüffend freiheitsfeindlich

09.01.2018. Die "Future Zone" des ORF erklärt, wie die Internetzensur im Iran funktioniert. Nicht nur das NetzDG entsetzt, sondern auch die Tendenz der Sozialdemokratie zur Zensur, schreibt der FAZ-Redakteur Hendrik Wieduwilt  in einem Blogbeitrag. In der NZZ  beleuchtet der Philosoph Damiano Cantone die Dialektik des Antispeziesismus. Und der Germanist Jeremy Adler, fragt sich in der SZ, ob Theresa Mays Regierung das Gewissen gegen das Volk getauscht hat. 

Ich als weibliche Person

08.01.2018. "Die einen riskieren ihr Leben, wenn sie den Fundamentalismus benennen, die anderen gar nichts, wenn sie auf die Laizisten spucken", sagt Caroline Fourest in Libération zum dritten Jahrestag des Anschlags auf Charlie Hebdo. Gnadenlos liest sich Masha Gessens New Yorker-Besprechung von Michael Wolffs Buch "Fire and Fury". In der FAS rät Shirin Ebadi den Iranern zu zivilem Ungehorsam und hofft, dass "der Aufstand kommt". In der FAZ verteidigt der Rechtsprofessor Hans Michael Heinig das deutsche Verhältnis des Staats mit den Kirchen.Im Grunde ist aber sowieso alles gelaufen, weil wir nun von den Digitalisten unterworfen werden, so SZ und NZZ.

Unser Recht auf Protest

06.01.2018. In der Wikitribune erklärt Edward Snowden, warum man gegen Überwachung von Firmen und dem Staat gleichzeitig kämpfen muss. Bei main-spitze.de kritisiert Necla Kelek die Anbiederung der Kirchen an Islamverbände.  Im Interview mit der Welt erklärt der amerikanische Schriftsteller und Journalist Thomas Chatterton Williams, warum er die Identitätspolitik der Linken für absolut kontraproduktiv hält. Und die taz kritisiert den rechten Identitätspolitiker Alexander Dobrindt, der eine "konservative Revolution" fordert.

Wir täten die anderen schon mögen

05.01.2018. In Zeit und NZZ schildert die Soziologin Mareike Ohlberg die Folgen des chinesischen Sozialpunkte-Systems - auch für ausländische Firmen. In der taz fordert die Frauenärztin Sabine Riese die Abschaffung des Paragrafen 219a, der eine Information über Abtreibung zur Straftat erklärt.  #MeToo ist nun in Germany angekommen, aber die Regisseurin Barbara Rohm will sich in der taz aber nicht an Einzelfällen aufhalten.  Und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist schon durchgefallen, bevor man seinen Namen zu Ende aussprechen konnte.

Wie ein Ei zerschlagen

04.01.2018. Ein neues Buch des Journalisten Michael Wolff sprengt die Allianzen in Washington: Stephen Bannon bezeichnet darin die Russland-Kontakte des Sohns von Donald Trump als "Verrat". Der Guardian und alle anderen Medien berichten. Bülent Mumay berichtet in der FAZ über sexuellen Missbrauch in religiösen Stiftungen in der Türkei - und darüber, wie diese Meldungen unterdrückt werden. Die FAZ zieht die Zahlen des Kriminologen Christian Pfeiffer über Flüchtlingskriminalität in Zweifel.

Ziemlich lange Messer

03.01.2018. Eine Verharmlosung der Kriminalität einiger jugendlicher Flüchtlinge, arbeitet nur den Rechtspopulisten in die Hände, warnt Boris Palmer in einem Facebook-Post. In der NZZ problematisiert Wolfgang Ullrich den Begriff der "Werte". Die Mittelschicht wählt AfD, weil sie keine Frauen und Migranten mehr ausbeuten darf, fürchtet der Soziologe Stephan Lessenich in der SZ. Freut euch, die soziale Ungleichheit schrumpft, behauptet der Wirtschaftsforscher Clemens Fuest auf Zeit online. Die Proteste im Iran zeigen, dass die Entspannungspolitik gegenüber den Mullahs gescheitert ist, meint die Welt.  Und Charlie Hebdo begeht den dritten Jahrestags des Massakers in der Redaktion.

Konkretes Gefühl für das Langstrecken-Frisbee

02.01.2018. Die Proteste im Iran werden nicht zu einem Regimewechsel führen, meint Bahman Nirumand in der taz. Allerdings ist die Situation durch das Smartphone ganz anders als im Jahr 2009, meint der Atlantic. 300 einflussreiche Frauen aus Hollywood gründen eine Initiative gegen sexuelle Gewalt in der Filmindustrie, berichtet die New York Times. Die Türkei sendet Entspannungszeichen im Fall Deniz Yücel, meldet die taz. Und der Guardian fragt: Kann es sein, dass der Säkularismus die Ungleichheit der Geschlechter fördert, wie es die Genderforscherin Joan Wallach Scott behauptet?