9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2018

Wollknäuel, Geschirr und andere Haushaltsgegenstände

31.08.2018. Heute holen die Zeitungen zu Chemnitz nochmal aus. In der Welt erklärt Ines Geipel, wie "das Faschistoide" unter der Käseglocke der DDR-Öffentlichkeit gedeihen konnte. In der SZ erinnert Jan Kuhlbrodt daran, wie schon in der DDR die ausländischen Vertragsarbeiter rassistisch gemobbt wurden. Bei Spiegel online erinnert Jan Fleischhauer an die Hamburger Krawalle vor einem Jahr und den "schwarzen Block", der der Presse mindestens so übel mitspielt wie die Rechtsextremisten. Außerdem: Youtube zensiert Arte.

Gelegentlich ein Sprengstoffgürtel

30.08.2018. Chemnitz kocht knapp noch, aber Sarrazin wird auch schon wieder heiß. Seine in einem neuen Buch geäußerte Kritik am Islam ist nicht fundiert, sind sich alle einig. Die SZ wirft ihm gar vor, den Koran nicht auf arabisch zu lesen. In der Zeit versteht Wolfgang Streeck alle Linken und besonders Sahra Wagenknecht, die um ihre "traditionelle, regional geerdete Lebensweise fürchten". In der NZZ  prangert Kacem El Ghazzali den Neokolonialismus all jener an, die Menschenrechte für eine westliche Spezialität halten.

Trüber Eigensinn

29.08.2018. Die Medien haben fast nur ein Thema: Chemnitz und die Folgen. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer schildert in der taz das explosive Zusammenspiel von Selbstviktimisierung  und Instrumentalisierung eines Verbrechens. Die Salonkolumnisten beschreiben, wie die AfD in Sachsen eine Art Strategie der Sezession betreibt. Die Deutschlandfunk-Kommentatorin vermisst den Antifaschismus der DDR.  Außerdem: In der taz fragt der  Herero-Aktivist Israel Kaunatjike, warum Gebeine von ermordeten Herero nun ausgerechnet in einer kirchlichen Zeremonie zurückgegeben werden sollen.

Dramatisch ausgedünnt

28.08.2018. Nach den Ausschreitungen in Chemnitz erkennt der Historiker Volker Weiß bei Zeit online ein besonderes Problem im "illiberalen Freistaat" Sachsen. Angela Merkel sollte nach Chemnitz fahren und sich ein Bild machen, meint die taz. In der New York Times staunt Josh Glancy, dass Jeremy Corbyns antisemitische Äußerungen eher nach Virginia Woolf als nach antikapitalistischen Widerstandsbewegungen klingen. Und kann der Papst den Verdacht, dass er Homosexualität für eine Sache der Psychiatrie hält, tatsächlich dementieren?

Nationalisten aller Länder, tanzt und vereinigt euch!

27.08.2018. Scharf rechnet Viktor Jerofejew in der FAZ mit mit den immer stärkeren Kräften in Europa ab, die sich an Wladimir Putin orientieren wollen. Bei hpd.de kritisiert der Historiker Rolf Bergmeier die Bundesregierung, die ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Sterbehilfe entschlossen ignoriert. Religionskritik ist kein Rassismus, sagt Ahmad Mansour im Standard. Der Germanist Klaus Birnstiel liest den Fall Avital Ronell in der SZ als Anzeichen einer Intellektuellendämmerung.

Vertrauen in den gesunden Menschenverstand

25.08.2018. Mit Erleichterung quittiert die NYRB, dass Spanien endlich den montrösen Franco-Schrein in El Valle demontieren will. Im Standard fordert Seyran Ates von den Spitzen Europas dem Populismus wieder Politik entgegenzusetzen. Slate.fr erklärt, wie die Neutrollisation den öffentlichen Raum entpolitisiert. In der FAZ träumt Peter Gauweiler von der Schweizwerdung Europas. Geschwindigkeit verdummt, warnt Seymour Hersh in der NZZ. Und die SZ fragt, ob amerikanische Comedy noch funktioniert.

Demokratie ist nichts für Feiglinge

24.08.2018. In der Welt macht sich Massimo Riva von La Repubblica schon Gedanken für eine EU mit einer Kommissionspräsidentin Angela Merkel: Erster Schritt müsste der Ausschluss Viktor Orbans aus der Europäischen Volkspartei sein. Papst Franziskus wird in Irland nicht als Superstar empfangen, versichert politico.eu. Donald Trump verhält sich laut Atlantic.com wie eine Mafiaboss. Die SZ macht sich Gedanken zu Demokratie in digitalen Zeiten. Und Zeit online ruft mit Max Czollek: "Desintegriert euch!"

Allen war geholfen

23.08.2018. In der taz plädiert der Anglistikprofessor Andrew James Johnston für pragmatische Unklarheit bei der Lösung des Brexit-Nordirland-Konflikts. Der Tagesspiegel untersucht das Verhältnis von Russland zu #aufstehen. Auch Papst Franziskus wird den Ruf der Katholischen Kirche - nach Missbrauchs- und Vertuschungsskandalen - bei seinem Besuch in Irland nicht retten können, meint der Guardian. Die NZZ fragt nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Asia Argento: Wem soll man noch glauben? Die Welt plädiert dafür, das Thema übergriffige Frauen nicht zu tabuisieren.

Ein großes, goldenes Kreuz

22.08.2018. Die katholische Kirche war stark im Missbrauch von Kindern, aber wird sie auch stark in der Aufarbeitung sein? Medien zweifeln nach den neuesten Nachrichten. Der Tagesspiegel fragt, warum der tschechische Staatspräsident Milos Zeman lieber nicht über den Prager Frühling reden möchte. Wo es in Deutschland verstärkte Facebook-Nutzung gab, gab es auch verstärkt Attacken auf Flüchtlingsheime, berichtet die New York Times. Warum tritt in Angela Merkels neuem "Digitalrat" niemand fürs offene Netz ein, fragt Netzpolitik.

Als rechts und reaktionär begriffen

21.08.2018. Die taz erinnert in einem Dossier an den vor 50 Jahren niedergeschlagenen Prager Aufstand und die beschämende Reaktion westeuropäischer Linker. Am Scheitern eines organischen Wandels 1968 leidet Osteuropa noch heute, meint die NZZ. Auch die "Intelligenzberufe" werden demnächst von Maschinen übernommen, warnt Richard David Precht auf Dlf-Kultur. Microsoft-Forscher Glen Weyl dient sich auf Zeit online als Datenschützer an. Warum Netflix keine deutsche Konkurrenz hat, erklärt die SZ.

Herzlandnarrativ

20.08.2018. Bei politicalcritique.com schildert Agnes Heller, wie die "Refeudalisierung" die Machtverhältnisse zwischen Politik und Ökonomie auf den Kopf stellt. Und Orbans Ungarn ist das Beispiel. Die Welt hofft auf einen "virtuellen Euromaidan" für Oleg Senzow. Für den Guardian zeigt der Brückenkollaps von Genua ein tiefes italienisches Problem auf. Im Standard erklärt Armin Nassehi, was das Rechte ist, das in einer sozialdemokratisierten Politik immer schon vorausgesetzt wird.

Mit dem Teufel rechnen

18.08.2018. In der Welt glaubt Robert Menasse: Ohne die Briten und ihre Sonderstatus aus Privilegien und Aunahmen wird die EU viel besser dastehen! Die taz besingt den tragischen Helden Alexis Tsipras, der nicht nur Griechenland, sondern auch die Eurozone rettete. Netzpolitik erklärt die Ideologie von Blockchain. Die FAZ wirft einen Blick auf die neue Industriekulturindustrie. Und in der NZZ bekennt Giorgio Fontana: Im Elfenbeinturm lernt man, der Rhetorik zu misstrauen.

Geltung und Gehör

17.08.2018. Eklat in der Pop-Kultur: Beim Festival dieses Namens brüllten Israelboykottierer eine Diskussion über Wohl und Wehe des Israelboykotts nieder. Alle Berliner Zeitungen berichten von der "traurigen Vorstellung". Berlin hat noch ein Problem: Wohin mit den 40.000 Neubürgern pro Jahr? Die taz bilanziert. Und Google-Mitarbeiter protestieren laut The Intercept gegen "Dragonfly", den Plan, den chinesischen Markt mit eine zensierten Suchmaschine zu erobern.

Die Nachbarn, der Stamm, der Kollege bei der Arbeit

16.08.2018. Das Zeitalter des Islamismus beginnt parallel zum Zeitalter der Ideologien in Europa, sagt der Islamwissenschaftler Thomas Bauer im Tagesspiegel. Stimmen für den Populismus kommen keineswegs nur von sozial Kaltgestellten, zeigt politico.eu am Beispiel Polens. Die Zeit fragt sich, ob der Kolonialismus wirklich an allem schuld ist. Ohne Demokratie wird's nirgends besser werden, meint die Welt. Und in der NZZ staunt Michael Ignatieff über den Regionalismus der digitalen Eliten.

Einer Kirche unwürdig

15.08.2018. In der taz erzählt die rumänische Aktivistin Elena Calistru, warum sie eine Orbanisierung ihres Landes fürchtet. Netzpolitik und correctiv.org erzählen, wie die Brexiteers mit "Dark Ads" auf Facebook operierten. Der Bund der Steuerzahler will ein Ende der Staatsleistungen an Kirchen, meldet hpd.de. Das Problem könnte sich demnächst erübrigen, fürchtet die FAZ. Die Salonkolumnisten erinnern daran, dass Eugenik auch in Amerika einst populär war.

Ausgerechnet die Krebse

14.08.2018. Oleg Senzow ist dem Tode nahe - der Tagesspiegel berichtet über eine Petition von Filmemachern für den ukrainischen Regisseur.  Auch der Guardian berichtet jetzt über die Frage, ob  Jeremy Corbyn im Jahr 2014  bei einem Tunis-Besuch einen Kranz am Grab der Attentäter von München 1972 abgelegt hat. In der Berliner Zeitung fragt Götz Aly: Wie lange ist jemand ein Flüchtling? Wer über die "Krise des Lesens" spricht, zählt die Selfpublishing-Szene meist gar nicht mit, beobachtet die SZ.

Sakralisierung der Differenz

13.08.2018. Warum nicht "aufstehen", fragt Ingo Schulze in der SZ. Sahra Wagenknecht selbst legt in der FAS dar, dass sie an das Gute im AfD-Wähler glaubt.  Die FAS analysiert auch die innere Spaltung der Linken insgesamt. David Grossman zweifelt in der NZZ an Friedensaussichten im Nahen Osten. In der Berliner Zeitung spricht Ilko-Sascha Kowalczuk  von der Stasi-Unterlagenbehörde über die Enttäuschung des Ostens nach dem Mauerfall. Die taz bereitet laut turi2 den Ausstieg aus dem Print vor.

Trendy Widerstand

11.08.2018. In vielen Medien wird über Rassismus diskutiert: Diskriminierung läuft nur in eine Richtung, versichert die SZ. "Persons of color" sitzen nicht alle im selben Boot, erkennt dagegen die Künstlerin Moshtari Hilal im Freitag. Die SZ schildert außerdem das Engagement der Familie Badawi gegen die saudische Autokratie. In der taz prangert Architekturprofessor Stephan Trüby Rekonstruktionen wie die Frankfurter Altstadt oder das Berliner Stadtschloss als "rechts" an.  In der FR verrät Sahra Wagenknecht, wie "Aufstehen" funktionieren soll.

Früher undenkbares Desinteresse

10.08.2018. Eine linke Sammlungsbewegung? Wann hat sich denn die Linke je gesammelt, fragt der Freitag. taz und Dlf bringen Rechtfertigungen der Israelboykottbewegung BDS. Die SPD will ihre ehrwürdige "Historische Kommission" abschaffen, ein weiteres Zeichen des Verfalls, schreiben Jürgen Kocka in der FAZ und Thomas Schmid in der Welt. Und Hitler wurde nicht wegen Hitler gewählt, hat eine Studie laut NZZ herausgefunden.

Die gängigen Themen mit den gängigen Gesichtern

09.08.2018. Ohne einen Zeit-Artikel des Dramaturgen Bernd Stegemann, der die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin kritisierte, wäre Sahra Wagenknechts Bewegung "Aufstehen!" womöglich gar nicht zustande gekommen, freut sich die Zeit. In der FR spricht Politikwissenschaftler Thomas Kliche über Medienverdrossenheit. The Intercept schildert, wie  gründlich sich Google darauf vorbereitet, die Zensurbestimmungen in China erfüllen zu dürfen.

Noch deutlich niedrigschwelliger

08.08.2018. Eine Gruppe muslimischer Frauen wendet sich in einem Manifest in La Libre Belgique an die EU und fordert, dass das Kopftuch in allen europäischen Ländern auch von Beamtinnen getragen werden darf. Marianne wehrt sich gegen diese Idee und verteidigt die Idee staatlicher Neutralität. Auch gegen George Soros. Monika Maron porträtiert in der Welt Sahra Wagenknecht, deren Bewegung "Aufstehen" zwar bisher kein Programm, aber viel Sympathie erzeugt, wie die SZ konstatiert. Die größte Stärke am Kapitalismus ist die Kapitalismuskritik, schreibt Pascal Bruckner in der NZZ.

Imperiale Präsidentschaft

07.08.2018. Das Problem ist nicht allein Trump, das Problem sind strukturelle Probleme der amerikanischen Demokratie, von denen er profitiert, meint Simon Tisdall im Guardian. Arno Widmann protestiert in der FR gegen den italienischen Innenminister, der erwägt, Roberto Saviano von der Mafia abschießen zu lassen. "Ich warte seit sechs Jahren", sagt Ensaf Haidar, die Frau Raif Badawis, in Radio Canada - aber Saudi-Arabien verschärft Repressionen gegen Kritiker noch. Und Deutschland diskutiert über Wehrpflicht.

Eigenartige Lust am Untergang

06.08.2018. Die Krise der Demokratien ist das Thema, das von vielen ganz unterschiedlichen Beiträgen umkreist wird. Yuval Noah Harari sieht im Guardian eines der Probleme ausgerechnet in der "freien Information". In Zeit online sucht Jay Rosen nach Strategien des Journalismus gegen Trump und Rechtspopulismus. Die FAZ stellt fest, dass das chinesische Sozialkreditsystem bei den Bürgern beliebt ist. Der Historiker Leonid Luks untersucht unterdessen bei den Kolumnisten die Frage, wie sich die Bolschewisten halten konnten, obwohl sie nicht im Ansatz eine Mehrheit hatten.

So ein dunkles Blubb-blubb

04.08.2018. In der FAZ fordert Wolfgang Streeck weniger Flüchtlingsdiskussion und mehr Gerechtigkeitspolitik. In der taz erklärt  Lady Bitch Ray, warum sie sich nicht mit Mesut Özil identifizieren kann. In der NZZ beobachtet Jonathan Haidt, wie Republikaner und akademische Linke die USA spalten. In der Welt wirft Nick Cohen der Labour-Partei vor, mit Antisemitismus auf muslimischen Wählerfang zu gehen. Im Guardian erkennt Jeremy Corbyn an, dass Labour ein echtes Problem mit dem Antisemitismus hat. Und die SZ bangt noch lange nicht um die Demokratie: Sollen die tollen neuen Autokraten erst mal einen Machtwechsel organisiert bekommen!

Die Stille der Vögel

03.08.2018. Im Guardian erklärt der deutsche Journalist Alexander Menden, warum er und seine Familie nach vielen Jahren London verlassen. Die FAZ zitiert aus einer wütenden Resolution der VG Bild Kunst nach dem Scheitern der EU-Urheberrechtsreform.  Laut Welt und Berliner Zeitung drohen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zwei Probleme: der Welfenschatz und die kommende Evaluierung.  In Zeit online erklärt Jimmy Wales, wie er sich die Zukunft des Journalismus vorstellt.

Aufgedrängte Bereicherung

02.08.2018. The Intercept berichtet, dass der Suchmaschinenkonzern Google, der einst fürs offene Internet eintrat, seinen Markteintritt in China plant und dafür bereit ist, sämtliche Informationen, die nicht genehm sind, zu zensieren. The Daily Beast porträtiert den homosexuellen Aktivisten Hans How, der über die Schikanierung Schwuler in Malaysia spricht. Nicht nur Deutsche hindern Türken an der Integration, schreibt die Schauspielerin Sibel Kekilli in der Zeit. Die taz würdigt den ehemaligen Merkur-Herausgeber Kurt Scheel, der im Alter von siebzig Jahren gestorben ist.

Wegen des massiven Lärms

01.08.2018. In der New York Times erzählt Masih Alinedschad, wie der Iran Druck auf ihre Familie macht, um ihre Kampagne gegen den Kopftuchzwang zu unterdrücken. Was heißt es für die Frauen, wenn jeder plötzlich selbst entscheiden kann, ob er eine Frau ist, fragt die Philosophin Kathleen Stock im Economist. Buzzfeed veröffentlicht einen EU-Bericht, der klar zeigt, dass die Politik über die Zustände in Libyen, mit dem man in der Flüchtlingspolitik kooperieren will, informiert ist.