Im Kino

Spektakel der Sichtbarkeit

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
06.11.2019. Roland Emmerichs Kriegsfilm "Midway" eilt wie getrieben von Schlacht zu Schlacht, ohne jemals Kriegserfahrung zu vermitteln. Auch die Schauspieler zeichnen sich vor allem durch ihre Markigkeitsperformances aus. Das Zeughauskino feiert mit einer Retrospektive den Regisseur Ulrich Schamoni, der es mit seinen freien und subversiven Filmen nie in den Pantheon der deutschen Filmgeschichte schaffte.


Einfach draufhalten: Das ist die Devise eines Filmemachers namens John Ford, der in "Midway" in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist. Da steht der legendäre Westernregisseur dann auf einem gottverlassenen Südseeatoll und nimmt während der ersten japanischen Attacke Material für seinen Dokumentarfilmklassiker "The Battle of Midway" auf. "Kommen Sie in Deckung, Mister Ford", ruft ihm jemand zu, aber nein, Ford stellt sich einfach mitten hinein in den Kugelhagel und hält den sich in die Tiefe stürzenden japanischen Kampfflugzeugen höchstpersönlich seine 16mm-Kamera entgegen.

Einfach draufhalten: Das ist in Wahrheit natürlich die Devise eines Regisseurs namens Roland Emmerich, immer schon gewesen, und "Midway", sein erster "traditioneller" moderner Kriegsfilm, macht da keine Ausnahme. Es geht, von Anfang bis Ende, um den Krieg als ein ultimatives Spektakel der Sichtbarkeit.

Natürlich ist der Kriegsfilm ohnehin seit jeher ein Genre, das von Überbietungsgesten her gedacht ist, nicht in jedem einzelnen Beitrag, aber in der Tendenz: jeder Film soll lauter, krawalliger, brutaler, realistischer sein als alle vorangegangenen. Man sollte meinen, Emmerich und der Kriegsfilm passten perfekt zusammen. Tun sie aber ganz und gar nicht, zumindest nicht in diesem Fall. "Midway" ist eine von Emmerichs schwächsten, leblosesten Arbeiten - vielleicht, weil die historischen Fakten sich in einen Drehbuchdruck verwandeln, der dem eigentlichen Reiz des Emmerichkinos, der puren Lust am krawalligen Unfug, die Luft abschneidet.

Der groteske Kurzauftritt von John Ford ist fast noch das beste am Film - weil für einmal kurz der typische Emmerichsche Wahnwitz aufscheinen darf; genauer gesagt bricht sich da momenthaft ein Zusammenhang von Schaulust und Todessehnsucht Bahn, der in seinen (um Längen besseren) Katastrophenfilmen allgegenwärtig ist, beispielhaft etwa in einer großartigen Szene in "2012", in der Woody Harrelson als durchgeknallter Verschwörungstheoretiker begeistert dem eigenen Tod - als Erfüllung seiner Prophezeiungen - entgegenblickt.



Gleichzeitig ist es vielleicht nicht die allerbeste Idee, Ford ausgerechnet als Figur in einem Film zu platzieren, den man als maximal doofes Remake von dessen wunderbarer Pazifikkriegballade "They Were Expendable" beschreiben könnte. Bei Ford ging es um die Frustration und existenzielle Hilflosigkeit der amerikanischen Truppen im ersten Jahr nach ihrem Kriegseintritt, um ein Gefühl der Verlorenheit in den Weiten des pazifischen Ozeans. Emmerich hingegen inszeniert den Pazifikkrieg als einen Hochglanz-Actionparkour. Sein Film beginnt mit dem Angriff auf Pearl Harbour, danach geht es atemlos weiter, von Schlacht zu Schlacht, bis wir endlich, da ist der Film allerdings bereits fast bei der Hälfte seiner Laufzeit angelangt, das Midway-Atoll erreichen, Schauplatz eines historischen Wendepunkts des Zweiten Weltkriegs.

Die Seeschlacht, in deren Verlauf weite Teile der japanischen Flotte versenkt wurden, ist schon einmal ikonisch verfilmt worden. Die 1976er-Version von "Midway" war schon zum Drehzeitpunkt eine ziemlich anachronistische Angelegenheit, aber gerade deshalb ist sie von heute aus betrachtet ziemlich faszinierend: ein Stück altes, elegisches Hollywood, verfilmte Erinnerungspolitik in staatstragendem Tonfall, vor der Kamera unter anderem Henry Fonda, Glenn Ford und, auf japanischer Seite, Toshio Mifune; drei Schauspieler, die in der Kriegszeit noch selbst die Uniformen ihrer jeweiligen Heimatländer getragen hatten. In die Schlachtenszenen montierte Regisseur Jack Smight jede Menge Archivmaterial - "Midway" 1976 war ein Film, der noch einen direkten Draht hatte zur Geschichte.



"Midway" 2019 ist hingegen ein Film, der die Vergangenheit in digital wattiertem Illusionismus versiegelt. Die meisten Figuren mögen historisch verbürgt sein, aber sie erscheinen weniger als in einer spezifischen Zeit verwurzelte Subjekte, denn als Automaten, die am laufenden Band Markigkeitsperformances abspulen, die sie sich aus anderen Kriegsfilmen abgeschaut haben; die sogenannten Strategiebesprechungen sind in dieser Hinsicht fast noch penetranter als die Gefechte selbst, die dafür schrecklich gleichförmig ausfallen: wieder und wieder rasen die amerikanischen Flieger senkrecht nach unten auf die japanischen Boote zu, die Kamera ist zumeist im Cockpit platziert und evoziert eine Computerspielperspektive, die selbst noch im halsbrecherischen Sturzflug ein Gefühl der Ich-zentrierten Souveränität vermittelt. Kaum weiter könnte das Emmerichkino in diesen Szenen entfernt sein von Woody Harrelsons euphorischen Selbstverlust im Angesicht des Weltuntergangs in "2012".

Im Zentrum des viel zu großen Casts bulldozed sich ein Pilot mit dem immerhin ziemlich kriegsfilmtauglichen Namen Dick Best (Ed Skrein) durch den Pazifik, ein wandelndes Reiz-Reaktions-Schema, ein Maverick, der keinen müden Gedanken an Taktik verschwenden und sich am liebsten selbst in einen Torpedo verwandeln und mithilfe des in seinem nervösen Körper gebundenen Sprengkraft einen japanischen Flugzeugträger versenken würde. Wegen Leuten wie Dick Best werden wir den Krieg gewinnen, sagt einmal ein General zu einem anderen, und das ist letztlich doch die einzige Position des Films, militärisch genauso wie filmisch: einfach draufhalten, dann wird das schon. Keine Spur findet sich in "Midway" von jener instrumentellen Vernunft, die in guten Filmen über moderne Kriege fast immer Thema ist, und sei es (wie etwa in "Apocalypse Now") durch ihren sukzessiven Zusammenbruch. Das könnte der filmhistorische Ort von Emmerichs "Midway" sein: Kriegsfilm nicht mehr als eine Reflexion auf Geschichte, sondern als die filmische Reduktion von Geschichte auf eine Serie von Reflexen.

Lukas Foerster

Midway - USA 2019 - Regie: Roland Emmerich - Darsteller: Ed Skrein, Patrick Wilson, Luke Evans, Woody Harrelson, Mandy Moore, Dennis Quaid - Laufzeit: 138 Minuten.


***




"Hey-hohoho-Hananana!" rufen die Schattengestalten inmitten der Ruinen. Hartes Schwarzweiß, Apokalypsen-Chic, irgendwas zwischen Dada, Avantgarde und schlichtem Nonsens. Berlin-Kreuzberg, die Mauer in Sichtweite, Sommer der Anarchie im Jahr 1968. Sind die Häuser noch vom Krieg kaputt oder einfach nur schon wieder? Egal. Vier Jungs - es sind die Jungs von Insterburg & Co. - erproben inmitten des Zerfalls der Substanz einen alternativen Lebensentwurf.

Die nach dem Mord an Benno Ohnesorg und dem Anschlag auf Rudi Dutschke sich zusehends radikalisierende Studentenbewegung ist zwar ähnlich weit weg wie der übrige Teil der Republik im Westen. Dafür geht es darum, sich im Modus des Glücksrittertums die Welt, oder was von ihr übriggeblieben ist, anzueignen. Verfallende Hinterhof-Fabriken werden zu Orten künstlerischer Performances umgedeutet, in den Wohnungen liegen Comics aus (und nisten Hühner), man springt mit wechselnden Geliebten ins Bett, ab und an gibt es für die Musiker einen Auftrag beim Fernsehen, ansonsten ist man mit dem Gerichtsvollzieher, der obligatorisch, aber ohne Aussicht auf Erfolg vorbeischaut, längst auf Du. Den Rest des Tages verbringt man mit Quatschmachen, Liederabenden, Kneipenabenden. Die Jacob Sisters schauen auch noch vorbei, und eine Delegation von Scheichs - ebenfalls gespielt von Insterburg & Co - kommt ebenfalls in die Stadt, ein guter Anlass, um den Westberliner Proporz spitzbübisch aufs Korn zu nehmen.



Nach den frühen Spielfilmen "Es" und "Alle Jahre wieder", zwei seinerzeit für den Erfolg des Neuen Deutschen Films zentralen, heute aber etwas in Vergessenheit geratenen Filmen, markierte die Gammlerkomödie "Quartett im Bett" einen Wendepunkt in Ulrich Schamonis Filmschaffen. Der Film lebt einerseits von der formsprachlichen Sensibilität des filmischen Modernismus, greift andererseits Motive des Schlagerfilms auf, ist als früher Prototyp der Softsex-Klamotte zu erkennen und nimmt bereits zentrale Aspekte der Nonsens-Komödie vorweg, die in den 80ern den deutschen Trivialfilm bestimmen würde. Kurz: Den Film beseelt eine unbekümmerte Spielfreude und Lust am Entdecken, die seinen Macher zwischen den verhärteten Fronten und Auseinandersetzungen rund um die Fragen des Alten und des Neuen Deutschen Films wohl ziemlich konsequent unmöglich gemacht haben muss. Während Kluge und Reitz, dann auch Schlöndorff, Fassbinder und Wenders, ein wenig vielleicht Herzog, daran arbeiteten, frühzeitig klausurrelevant und damit kanonisiert zu werden, blieb Ulrich Schamoni der Zutritt zum großen Pantheon der deutschen Filmgeschichte versperrt.

Vielleicht ändert sich daran ja ein bisschen was, wenn jetzt das Berliner Zeughauskino mit einer großen Retrospektive an diesen liebenswerten Kino-Anarchisten erinnert, der am 9. November 2019 80 Jahre alt geworden wäre. "Biotop der Frechheit" heißt die passend betitelte Reihe, zu entdecken gibt es ein freies, subversives Kino, das in der hiesigen Filmgeschichte schon allein wegen der drei zentralen Filme "Quartett im Bett", "Eins" (1971) und "Chapeau Claque" (1973, unsere Kritik) ziemlich einzigartig dasteht. Es sind Filme, die ohne schwerfällige Thesen der Frage nachgehen, wie man leben (und damit nebenbei auch, wie man Filme drehen sollte).



Leben sollte man demnach am besten im Zustand der Ermattung und Leistungsverweigerung. Ist "Quartett im Bett" noch ein Manifest des Ruinen-Hedonismus der Berliner 60er, zeigen sich in Schamonis Impro-Komödie "Eins" bereits melancholische Züge: Gemeinsam mit ein paar aufgegabelten Gammlern versucht Schamoni hier in der Rolle eines grenz-bankrotten Lebenskünstlers, französische Casinos auszunehmen - am Ende steht die Abrechnung in melancholischer Lichtstimmung, ein mitunter toll ekstatischer Film, in dem sich das Wissen, dass alternative Lebensentwürfe meist nur von begrenzter Dauer sind, am Lauf der  Sonne zu orientieren scheint. In "Chapeau Claque" ist das lebensfreudige Gammeln - heimlicher Hauptdarsteller: Schamonis eigene Villa im Grunewald - dann schon zu einer Sache gelingenden Pleitier-Daseins geworden: Als letzter Erbe einer Industriellen-Dynastie verbringt Schamoni hier seinen Alltag im Bademantel, umgeben von Endmoränen angehäuften Krimskrams in einer verwildernden Gartenwelt, und führt ein Filmtagebuch, in dem er allerlei Lebensweisheiten festhält.



Auch rings um diesen Werk-Nukleus gibt es Entdeckungen zu machen: "Das Traumhaus" (1979) etwa, in dem Schamoni besagte Villa auf geradezu atemberaubende Weise zerlegt, "Geist und etwas Glück" (1965) natürlich auch, einen geradezu manisch formversessenen Dokumentar-Kurzfilm, der nochmal anschaulich vor Augen führt, mit welcher Vehemenz seinerzeit die Debatten um den noch vor seiner Durchsetzung stehenden Jungen Deutschen Film zumindest in den heiligen Oberhausener Hallen geführt wurden (auf den Straßen draußen, im echten Leben, könnte das grassierende Desinteresse freilich kaum ernüchternder ausfallen). Schließlich "Abschied von den Fröschen", Schamonis Videotagebuch aus den späten 90ern, fertiggestellt von seiner Tochter Ulrike Schamoni 2012, neuerlich in der Grunewald-Villa entstanden, in dem der Filmemacher seine letzten, von der Krebserkrankung gezeichneten Jahre dokumentierte.

Das BRD-Kino wird gerne vorschnell eingeteilt: Karl May und Edgar Wallace hier, Alexander Kluge dort, den Softsex der 70er behält man zumindest im Sinn. Von den Grenzen der Aufmerksamkeit winken im verlässlichen Abstand die ewig wiederentdeckten Will Tremper und Roland Klick herüber. Und Klaus Lemke dreht bis heute in den Münchner Seitenstraßen seine Oden ans wilde Leben. Ohne Ulrich Schamonis zwischen diesen Blöcken Brücken schlagendes Kino ist das Gesamtbild schmerzlich unvollständig.

Thomas Groh

Biotop der Frechheit - Die Filme von Ulrich Schamoni. Vom 8. November bis 15. Dezember im Zeughauskino Berlin.

Einige von Ulrich Schamonis Filmen stehen auch beim Streamingdienst Alleskino bereit. Weitere Informationen bei Schamoni Film.