Im Kino

Prügel für den fremden Hengst

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl, Karsten Munt
13.10.2021. Ridley Scotts "The Last Duel" läuft immer dann zu großer Form auf, wenn sich die Männer schlagen. Mit der Lebensrealität der Frau kann er nicht so viel anfangen.  Jonathan Hensleighs "The Ice Road" unterhält mit soliden Verfolgungsjagden und Prügeleien unter Truckern im Eis.


Paris ist ein verschneites Mordor. Menschenmassen drängen sich auf den toten Flächen, die eine aus Holzpalisaden errichtete Arena umgeben. Im Zentrum des improvisierten Turnierplatzes fechten Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Le Gris (Adam Driver) unter den Augen des Königshofes mit Lanze, Schwert und Axt das Recht auf Wahrheit aus. Die Pointe ist, dass dieses Recht eben nicht den in Plattenpanzer gepackten Adelsmännern gehört, sondern der Geschädigten Marguerite de Thibouville (Jodie Comer), die, in Ketten gelegt, mit ansieht, wie die Waffen über ihr Schicksal entscheiden.

"The Last Duel" nimmt sich dieser Ungerechtigkeit an, indem die Wahrheit in eine gültige und zwei männliche Perspektiven geteilt wird. Die Wahrheit nach Jean de Carrouges, dem Ehemann von Marguerite de Thibouville, macht den Anfang. De Carrouges ist stoisch, stumpf, stolz und verstockt. Ein Krieger und Langweiler, ungebildet und pflichtbewusst. Seine Wahrheit ist das Schlachten. Jacques Le Gris, sein früherer Freund und heutiger Rivale, lebt am Hof des Grafen, trinkt am Hof des Grafen und fickt am Hof des Grafen. Er liest und rezitiert, nimmt sich Land und Frauen - notfalls auch gegen den Widerstand derer, die nicht in der Gunst des Grafen stehen. Seine Wahrheit ist das Schänden, die scheinbar perfekte Ergänzung zur ersten männlichen Wahrheit, die der Film präsentiert. Bis Le Gris sich eben das Land, den Posten und die Frau nimmt, die De Carrouges gehören sollen. Le Gris vergewaltigt Marguerite de Thibouville.



De Carrouges' Reaktion unterscheidet sich kaum von der, die er zeigt, als ein dahergelaufener Hengst unerlaubt sein prächtiges Schlachtross besteigt: er prügelt auf den fremden Hengst ein. Oder, in das Rechtssystem des Spätmittelalters übersetzt: er verlangt einen Gerichtskampf. Bis zur meterdick aufgetragenen Symbolik, die Teil von Marguerites Wahrheit ist, wirkt der kindische Streit zwischen den Lehnsherren so vertraut wie verdächtig. Die Selbstverständlichkeit, mit der beide über Ländereien und Frauenkörper verfügen, wird auffällig ins Licht heutiger Moralvorstellungen gerückt und zugleich auffällig selten hinterfragt.

Die Perspektive der Frau füllt eben diese Leerstellen und erzählt damit schlichtweg alles, was nicht unter Blut, Ehre und anderen Kabbeleien zwischen Jungs fällt. Das Spektrum reicht von den Feinheiten der ehelichen Konversation ("give him kiss", "stand over there", etc.), über den Horror im Ehebett, bis zum Aufblühen in Abwesenheit des Ehegatten. Unklarheiten oder Grauzonen bleiben am Ende der drei Versionen nicht. Marguerite de Thibouville verfügt über die Wahrheit, so wie die Adelsmänner über ihren Körper und ihr Leben verfügen. Der selbsternannte zärtliche Ehemann wird zum grunzenden, abgestumpften Krieger, der jederzeit für sein Recht auf Vergewaltigung in der Ehe stimmen würde. Der gut aussehende Nebenbuhler bleibt ein Vergewaltiger. Dass Marguerite als Opfer die Deutungshoheit zusteht, ist, dem anachronistischen Ethos nach, das der Film aus drei Perspektiven zusammenstrikt, mehr als folgerichtig; die betonte Ritterlichkeit und didaktische Ausdauer, mit der das Drehbuch von Nicole Holofcener und dem Bostoner Duo Matt Damon und Ben Affleck dies ausformuliert, mitunter aber reichlich zäh.



Das fällt besonders deswegen auf, weil "The Last Duel" jenseits seines schweren diskursiven Kerns ein in atemberaubender Bündigkeit erzählter Kostümfilm ist. Die Adligen glänzen in ihrer geschmacklosen Farbenpracht inmitten der immer frierenden, immer eingeschneiten, immer von Krieg und Pest geplagten Normandie. Das ganze Pathos und die ganze Lächerlichkeit ihrer Privilegien wird in ständig wiederholten Gesten ausgestellt, die selbst den Teenager-König Karl IV (Alex Lawther) sichtbar langweilen. Der ihm unterstellte Graf Pierre (Ben Affleck) weiß sie als Vorspiel seiner Orgien zu nutzen. In diesen Momenten wird der auf zweieinhalb Stunden gestreckte Film fast zur mittelalterlichen Seifenoper. Besser wird er nur dort, wo Scott die zugrunde liegende Lebensrealität zu so spektakulären wie kurzen Sequenzen zusammenstutzt. Die Lohnkosten steigen, De Carrouges treibt seinen Teil auf dem Schlachtfeld ein, wird vorher ohne Jubel zum Ritter geschlagen, zertrümmert mit seinem Kettenhandschuh das im Off befindliche Gesicht eines Feindes, brüllt einmal "long live the king" und nimmt dann gedemütigt, weil er keine Unterschrift, sondern nur ein Kreuz unter das Bluthonorar setzen kann, seinen Lohn entgegen. Rinse and repeat. Das fortwährend verletzte Ego von De Carrouges ist ein Siegesgarant im Krieg, ein Reinfall auf jeder Party und sein bester Grund, ein "trophy wife" besitzen zu müssen.

Aus dieser fast spätkapitalistischen Logik speist sich der Teil von "The Last Duel", der zugleich Kostümfilm, Männlichkeitssatire und knochenmahlende Historienaction ist. Genau hier, wo sich die adligen Bengel um ihr Geld, ihr Schloss und ihre Frauen streiten, fühlt sich Regisseur Ridley Scott sichtbar am wohlsten; bei der emphatischen Annäherung an Marguerite de Thibouville, die letztlich den Widerstand gegen das System aufbringen muss, eher nicht. Natürlich ist der Umkehrschluss der anfangs erwähnten Pointe, dass die weibliche, sprich: die einzige Wahrheit keine Rolle im Prozess spielt. Entgegen aller Versuche bekommt der Film die Opferrolle der Frau letztlich nicht in ein feministisches Narrativ von tatsächlicher Handlungsmacht umgedeutet. Paradoxerweise löst er die empathische Geste am ehesten dort ein, wo die Energie von Marguerites Widerstand in das Duell der Plattenpanzer-Träger kanalisiert wird. Über die eigens für Marguerite hergerichtetem Zuschauerbühne, von der aus sie mit beherrschtem und dadurch umso spürbarerem Schrecken zusieht, wie ihr Mann für seine Ehre kämpft, an der ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes hängt, wird das ganze Ausmaß ihrer Machtlosigkeit erfahrbar und das albernen Jungsritual dann doch eine verquere Version von großem Kino.

Karsten Munt

The Last Duel - USA 2021 - Regie: Ridley Scott - Darsteller: Matt Damon, Adam Driver, Jodie Comer, Harriet Walter, Ben Affleck, Alex Lawther - Laufzeit: 152 Minuten.

---



Gleich in den ersten fünf Minuten schlägt Mike (Liam Neeson) seinem Arbeitskollegen eine Thermoskanne ins Gesicht. Der Trucker ist aber kein Brutalo, sondern rächt nur seinen gemobbten Bruder Gurty (Marcus Thomas), der sich seit einem traumatischen Kriegseinsatz im Irak wie ein Kind verhält. Nun sind die beiden gewissenhaften Underdogs aus der Schneewüste North Dakotas ein weiteres Mal arbeitslos, wissen nicht so recht wie es weitergehen soll und klammern sich an die Vorstellung, eines Tages einen eigenen LKW zu besitzen.

Ein wenig näher rückt dieser ferne Traum in Jonathan Hensleighs "The Ice Road" mit einem profitablen Jobangebot. In einer kanadischen Diamantenmine der Firma Katka wurden durch eine Explosion zahlreiche Arbeiter verschüttet. Gemeinsam mit Anführer Jim (Laurence Fishburne), der frisch aus dem Knast entlassenen Tantoo (Amber Mitdthunder) und einem Versicherungsbeauftragen von Katka (Benjamin Walker) müssen die Brüder Bohrlochköpfe zur Unfallstelle bringen, mit denen die Männer befreit werden sollen. Der schnellste Weg dorthin ist auch der gefährlichste. Mit tonnenschweren LKWs rasen sie über gefrorene Seen, die im April bereits langsam dahinschmelzen.

Das Himmelfahrtskommando auf dünnem Eis erweist sich zunächst als dankbares Action-Setting. "Bull's Ride" wird das Manöver genannt, bei dem die Fahrer aufgrund der Gewichtsbelastung weder zu schnell noch zu langsam sein dürfen. Der erste tödliche Unfall lässt nicht lange auf sich warten, aber als herauskommt, dass sich ein Verräter im Team befindet, wird der Film zum Katz-und-Maus-Spiel. Vieles ist in "The Ice Road" etwas zu vorhersehbar, zu fahrig und schlampig abgehandelt. Wenn von den Gefahren einer Methanblase gewarnt wird, kann man davon ausgehen, dass es wenige Sekunden später knallt. Was eigentlich klassische Erzähltechniken sind, wirkt hier mitunter mechanisch. Solide Verfolgungsjagden und Prügeleien halten uns zwar immer wieder bei Laune, aber es dauert nicht lange, bis ein schematisches Problem auftaucht, das auf läppische Weise gelöst wird. Einmal springt Mike in ein Eisloch, um einen Ertrinkenden zu retten. Mit minimalem Aufwand wird die aufopferungsvolle Aktion festgehalten. Aus einer unbewegten Totalen sehen wir lediglich das schwarze Wasser, aus dem der Retter wenige Sekunden später wieder auftaucht.



Immerhin Hauptdarsteller Neeson bereitet mit seiner zerrissenen Figur Freude. Mit kariertem Flanellhemd und Zahnstocher im Mund spielt er einen authentischen Kerl mit theatralischer Inbrunst. Erregt flüsternd und mit irisch rustikaler Färbung spricht er seinen Text als Mischung aus Shakespeare und B-Movie-Blödsinn. Gurty ist vor allem da, um Mikes weiche Seite zu unterstreichen. Wenn sich Neeson für seinen Bruder einsetzt, über seine unlustigen Witze lacht oder sich mit bedröppeltem Gesichtsausdruck für einen Gefühlsausbruch entschuldigt, sieht er aus wie ein liebes Bärchen. "Now I'm angry" platzt es später aus ihm heraus und kaum sieht man für einen kurzen Moment den rasenden Neeson, wird man ein bisschen wehmütig, dass er hier als Kümmerer zu selten von der Leine gelassen wird.

Ohnehin ist "The Ice Road" weniger Neeson-Vehikel als ein Film über das Gemeinschaftsgefühl zäher Arbeiter mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Schon beim Bewerbungsgespräch nickt Jim verständnisvoll, bevor Mike sich überhaupt beweisen muss. Auch Problemkind Tantoo ist aus demselben Holz geschnitzt. Sie mag zunächst abweisend und bockig wirken, beteiligt sich aber nur an der Mission, weil ihr Bruder einer der verschütteten Männer ist. Immer wieder werden die Minenarbeiter in Parallelmontagen gezeigt, wie sie mit dem zunehmenden Sauerstoffmangel ringen und schließlich herausfinden, wem sie ihre Situation zu verdanken haben. Ob auf dem Eis oder unter der Erde, irgendwann kommen alle dahinter, dass der gemeinsame Feind keine Naturgewalt ist, sondern ein profitgeiler Hemdträger im Bürosessel.

Michael Kienzl

The Ice Road - USA 2020 - Regie: Jonathan Hensleigh - Darsteller: Liam Neeson, Marcus Thomas, Laurence Fishburne, Amber Midthunder, Benjamin Walker - Laufzeit: 109 Minuten.