Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.02.2003. Im New Yorker ordnet das Pentagon den Nahen Osten neu. Das TLS findet "Black Jacques" Derrida still crazy after all these years. L'Express sieht in Saddam den neuen JR Ewing. Im Nouvel Obs plädiert Volker Schlöndorff für das Kino als Kunst. Die London Review bewundert Thomas Manns stille Boshaftigkeit. Outlook India findet die Vorstellung, friedlicher Widerstand sei eine britische Erfindung, völlig verrückt. Der Economist prophezeit getrübte Flitterwochen für Frankreich und Deutschland. Die NT Book Review weiß, was Hipster wollen.

New Yorker (USA), 17.02.2003

In seinem "Letter from Washington" analysiert Nicholas Lemann Pläne der amerikanischen Regierung zur Neuordnung des Mittleren Ostens nach einem Irak-Krieg. Dafür sprach er mit zwei Mitarbeitern des Pentagon, die sich dazu "verständlicherweise sehr vorsichtig äußerten". So antwortete etwa Douglas Feith auf die Frage, ob die USA teilweise auch deshalb einen Krieg wollten, um "den Mittleren Osten insgesamt zu verändern": "Ich würde mal so sagen: Würde irgendwer über den Einsatz militärischer Mittel im Irak nachdenken, um dort ein politisches Experiment durchzuführen, in der Hoffnung, dass das positive Effekte auf die Region hat? Die Antwort ist Nein. (...) Allerdings: Wenn man den Einsatz militärischer Mittel zu diesem Zweck erwägt und bedenkt, was man danach tut, dann kann man auch daran glauben; und wenn wir die Sache richtig anpacken und den Irakern helfen, und die Iraker in der Lage sind, selbstständig ein humanes Regierungssystem zu bilden - wird das dann positive Effekte für die gesamte Region haben? Ich denke, die Antwort ist Ja." Lemann resümiert: Was all die gesammelten Szenarios und Überlegungen wirklich für den Mittleren Osten bedeuteten, sei "schwer zu sagen, weil Krieg so viele unvorhersehbare Folgen hat. Aber was sie in Washington bedeuten, könnte klarer nicht sein. Nach dem Ende des Irak-Kriegs wird der Krieg zwischen den Falken und den Tauben weiter gehen."

Außerdem zu lesen: Die Erzählung "The Temple" von Gao Xingjian (mehr hier). Anlässlich seines 100. Geburtstags würdigt Adam Gopnik den amerikanischen Künstler Joseph Cornell (mehr hier), mit einem umfangreichen Porträt begleitet David Remnick den "Abgang Havels" aus dem Amt, und Joan Acocella begrüßt die Rückkehr der Martha Graham Dance Company (mehr hier) nach New York. Nancy Franklin freut sich über ein Ping-Pong-Revival und erinnert sich an Tischtennisorgien im heimischen Keller. Anthony Lane kommentiert ironisch die neuesten britischen Erkenntnisse über den Autoverkäufer und Mrs.Simpson-Geliebten Guy Trundle, der vermutlich "die europäische Zivilisation gerettet" habe, und Susan Orlean wundert sich schließlich über eine Meldung, wonach Hunde "wirklich darüber nachdenken, was wir wollen".

Besprochen werden eine Retrospektive der Fotografin Julia Margaret Cameron in der National Portrait Gallery in London, John Lahr lobt eine Inszenierung von August Wilsons "exquisitem" Stück "Ma Rainey's Black Bottom" mit Whoopi Goldberg am Royal Theatre in New York, und Antony Lane sah im Kino die Filme "Dark Blue" von Ron Shelton und "All the Real Girls" von David Gordon Green. Kurzrezensionen gibt es unter anderem zu einer Biografie des jüdischen Cellisten Emanuel Feuermann.

Nur in der Printausgabe: eine Reportage über eine Amerikadurchquerung mit gefährlicher Ladung, eine Art Porträt des Hobbits A.K.A. Sam, ein Bericht über einen gierigen Geschäftsführer, die Untersuchung der Hintergründe eines Streits beim Augusta National Golf-Turnier, zwei nicht näher zu spezifierende Texte über Bonnie und Clyde als Filmdiebe und den Verkehr in Midtown, sowie Lyrik von Henri Cole, Charles Wright, Michael Longley, Andrew Zawacki und Grace Paley.
Archiv: New Yorker

London Review of Books (UK), 07.02.2003

Thomas Mann ist ein unverstandener Modernist, erklärt Michael Wood in einem herrlichen Artikel, der zwei Neuerscheinungen (darunter Hermann Kurzkes Mann-Biografie) zu Thomas Mann gewidmet ist. Mann habe den Roman zwar nicht wie Joyce zur Explosion gebracht, ihn aber ironisch vermint, was gerade von der bildungsbürgerlichen Leserschaft unbemerkt bleiben musste. Und diese gutgekleidete Ironie beschränke sich keineswegs nur auf Manns Fiktion, wie Wood an einer Anekdote um Arnold Schönberg und den "Doktor Faustus" veranschaulicht. "Schönberg hatte die Vorstellung von einer Zukunft, in der er selbst aus dem menschlichen Gedenken verschwunden sein würde, und in der jeder denken würde, Mann habe die Zwölfton-Musik erfunden. Scheinbar gnädig und mit einiger stark disziplinierter Irritation erklärte sich Mann einverstanden, in allen zukünftigen Ausgaben des Romans eine Anmerkung einzufügen (...): 'Es scheint nicht überflüssig, den Leser zu verständigen, dass die im XXII. Kapitel dargestellte Kompositionsart, Zwölfton- oder Reihentechnik genannt, in Wahrheit das geistige Eigentum eines zeitgenössischen Komponisten und Theoretikers, Arnold Schönbergs, ist'." Wobei für Wood klar ist, "dass der Satzanfang genau das meint, was er so sorgfältig zu sagen vermeidet". Schönberg habe vor Wut getobt, vor allem über den Ausdruck "eines zeitgenössischen", der seiner Paranoia, seine eigene Epoche nicht zu überdauern, nur zu sehr entgegen kam. Die Kontroverse sei daraufhin weitergegangen und Mann habe sich "durchweg tadellos korrekt" verhalten. "Aber Korrektheit schließt einen Tick stiller Boshaftigkeit nicht aus. Was hätte es ihn gekostet, 'der zeitgenössische Komponist und Theoretiker Arnold Schoenberg' zu sagen, oder einfach 'Arnold Schoenberg'?"

Weitere Artikel: Andrew Berry zeigt sich skeptisch, was die stark biologisierende Evolutionstheorie von W. D. Hamilton angeht und findet, dass Hamilton vor allem da, wo er sich nicht mit Menschen, sondern mit "den seltsamen Insekten, die er liebte" beschäftigt, Großes geleistet hat. Robert Brenner kann sich nur wundern, dass man so erstaunt tut angesichts der jüngsten Management-Skandale um die amerikanischen Firmen-Giganten. Risiko und Spekulation habe es in der amerikanischen Wirtschaft schon immer gegeben, mehr noch, sie hätten sie überhaupt erst dahin gebracht, wo sie jetzt ist, nämlich an der Weltspitze. Seit seinem Amtsantritt hat Tony Blair vor allem eins vergessen, meint Thomas Jones, nämlich dass er zur Labour-Partei gehört. Schließlich schreibt Andrew Saint über den Wiederaufbau des von den Allierten zerbombten Le Havre, dessen Held nicht etwa der Projektleiter Auguste Perret war, sondern dessen rechte Hand Jacques Tournant.

Times Literary Supplement (UK), 07.02.2003

Nun gibt es Derrida (sehr Hilfreiches hier) endlich auch als Film, und Christopher Tayler findet die Dokumentation "Derrida - The movie" von Amy Ziering Kofman und Kirby Dick alles andere als enttäuschend. Man sieht Derrida beim Frühstück, lernt seine Frau kennen, seine Familie (die immer noch nicht glauben kann, dass sie solch ein intellektuelles Schwergewicht hervorgebracht hat). Und es gebe durchaus witzige Momente, versichert Tayler, etwa wenn das Filmteam zwischen all den mehrbändigen Philosophie-Wälzern in Derridas Arbeitszimmer einen Stapel von Anne-Rice-Romanen entdeckt. Oder wenn er einer Interviewerin vom südafrikanischen Fernsehen, die es wagt, den Herrn Professor zu fragen, ob er eine Verbindung zwischen seinen Gedanken und Seinfeld sähe, bescheinigt: "Dekonstruktion, wie ich sie verstehe, produziert keine Sit-coms. Hören Sie auf fernzusehen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Und lesen Sie." Selbst diejenigen, meint Tayler, die Derrida für einen Scharlatan halten, werden zugeben müssen, dass er ein sehr charmanter sei. Und schließlich seufzt er: "Es tut einfach gut 'Black Jacques' zu sehen, scherzend, flüchtig und still crazy after all this years."

Weitere Artikel: David Martin hat verschiedene theologische Publikationen gelesen und festgestellt, dass die heutige Theologie zu den meisten wichtigen Fragen durchaus Erhellendes beizutragen hat. Sie tue es nur leider in einem Tonfall, der immer ein wenig wie Untergrund-Satire klingt. Besonders beeindruckt ist Martin von dem Buch "True Religion" von Graham Ward, der darin anhand von "brillanten" Analysen zu Literatur, Architektur und Film eine fünfhundertjährige Kultur- und Sozialgeschichte der Religion entwickelt. Eugen Weber empfiehlt Michel Carmona Biografie "Eiffel" nur denjenigen, die eine Aneinanderreihung von Geschäftserfolgen und Ingenieursleistungen goutieren können, ohne dabei etwas über den Menschen und seine Umgebung zu erfahren. Und in einer Sammelbesprechung von neuen Büchern zum Thema "Toleranz" kommt der von der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft herausgegebene Sammelband "The End of Tolerance?" ("Ende der Toleranz?") leider besonders schlecht weg. Die Autoren, beklagt Samuel Brittan, würden leider allzu oft der "deutschen Neigung zu Überabstraktion und semipoetischer Prosa" nachgeben, was der Analyse nicht gerade förderlich sei.

Outlook India (Indien), 17.02.2003

"Das wird ganz sicher die Wut der indischen Nationalisten entfachen", kommentiert Sanjay Suhri Niall Fergusons dokumentarischen Sechsteiler über den Rückzug der britischen Kolonialmacht aus Indien. Der Professor aus Oxford vertrete die These, nicht den Briten sei dieser Rückzug zu verdanken, und schon gar nicht der friedlichen Widerstandsbewegung um Mahatma Gandhi, sondern schlicht und ergreifend den USA, die das ruinierte britische Empire nicht kaufen wollten, und somit seine Auflösung bewirkt hätten. Und überhaupt, argumentiere Ferguson, sei das britische Selbstverständnis mit langfristiger Kolonialpräsenz nicht vereinbar gewesen, denn "sobald eine kolonisierte Gesellschaft die von den Briten mitgebrachten Institutionen übernommen hatte, wurde es sehr schwierig für die Briten, ihr die politische Freiheit zu verweigern, die für sie selbst so wichtig war". Und das, kommentiert Suhri, "scheint Fergusons Fazit gegen Gandhi zu sein: dass satyagraha (der friedliche Widerstand) sein Stil war, dass aber der Wunsch nach satyagraha ein sehr britischer Wunsch war". Das führt Suhri ihrerseits zu einem Fazit: "Wenn einem Oxford-Professor verrückte Gedanken kommen, können sie ohne weiteres veröffentlicht und verfilmt werden."

Weitere Artikel: Shiraz Sidhva deutet die Tatsache, dass sogar die ehemalige "Friedenstaube" Colin Powell kriegslegitimierende Beweise gegen den Irak vorbringt, als sicheres Zeichen dafür, dass es für die USA kein Zurück aus einem Irak-Krieg mehr gibt. Ruchir Joshi schreibt einen Nachruf auf die beim Columbia-Unglück ums Leben gekommene Astronautin Kalpana Chawla. Mallica Singh, Charubala Annuncio und B. R. Srikanth sind einer neuen Spezies begegnet: den frühreifen, hyper-modebewussten Kindern, die ihre Eltern in den Wahnsinn treiben. Kushwanth Singh nennt Arup Chatterjees Buch über Mutter Teresa eine unrecherchierte "Schmährede" und warnt den Autor: "Er sollte wissen, dass wenn jemand den Himmel anspuckt, die Spucke auf sein eigenes Gesicht zurückfällt."

Anita Pratap hat in jüngsten Studien festgestellt, dass Länder, in denen weniger Korruption herrscht, einen höheren Lebensstandard aufweisen können. Höchste Zeit also für einen "globalen Krieg" gegen die Korruption. Nach Meinung von Arijit Barman, Gauri Bathia und Charubala Annuncio wird der bevorstehende zweite indische Fernsehboom ein Nachrichtenboom sein. Und Ranjit Bhushan berichtet, dass die Kongress-Partei zögert, ob sie, der von Nehru begründeten sekulären Tradition zum Trotz, ihren Hinduismus wiederentdecken soll.
Archiv: Outlook India

Nouvel Observateur (Frankreich), 06.02.2003

Im Debattenteil warnt Volker Schlöndorff (mehr hier) vor dem Verlust der Vielfalt des Kinos. Das sei unweigerlich die Folge, wenn Filme nur noch als reine Waren behandelt werden. Sein Plädoyer für die Bewertung des Kinos als Kultur, als eine "weltweite kulturelle Ausnahme", hielt er anlässlich der zweiten Rencontres internationales des Organisations professionnelles de la Culture in Paris, wo sich Vertreter aus 35 Ländern trafen. "Mehr denn je entscheidet in Europa das Schicksal eines einzigen erfolgreichen Films über den Anteil am nationalen Filmmarkt. Wenn eine 'Amelie' oder ein 'Asterix' in Frankreich anlaufen, ein 'Pinocchio' in Italien oder ein 'Schuh des Manitu' in Deutschland, scheint alles gut zu laufen. Sobald ein solches Phänomen fehlt, und das geschieht natürlich, reduziert sich der Rest der Filme statistisch gesehen auf Staubkörner. Doch für unsere Kultur und Identität sind es oft gerade diese Staubkörner, die zählen."

Außerdem zu lesen ist ein Interview mit Antoine de Caunes zu seinem neuen Film "Monsieur N." über Napoleon auf St. Helena - die Rezension finden Sie hier - und den Hinweis auf eine Magritte-Ausstellung im Jeu de Paume.

Das Dossier untersucht in dieser Woche den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich, dessen Zentrum sich "ziemlich präzise" lokalisieren lasse: in jenem Teil der arabisch-moslemischen Gemeinschaft nämlich, die "zwischen sozialer Frustration und Solidarität mit der Palästinenserfrage schwankend, in der Verabscheuung der Juden ein Ventil für ihre schlechten Lebensbedingungen findet, eine Art Rache an der Geschichte".

Express (Frankreich), 06.02.2003

Alles über Saddam, weiß Dominique Lagarde in der neuen Ausgabe des Express. Er hat in einigen Neuerscheinungen über den Irak geblättert. In der jüngsten historisch angelegten Studie von Pierre-Jean Luizard "La Question irakienne" (Edition Fayard) kann man lesen: "Das Regime unter Saddam Hussein gleicht einem arabischen Remake der amerikanischen Fernsehserie Dallas. Nur mit dem Unterschied, dass die irakische Version sehr viel blutiger ist: Der Herr von Bagdad regiert ein ganzes Land so wie JR über die Ölquellen von Ewing." Na, da hätten wir ihn mal wieder, den gern bedienten Vergleich zwischen Realität und Fiktion. Irgendwie scheint Peter Sloterdijk mit seiner Vermutung schon Recht zu haben, dass derzeit ein "paar saudi-arabische Medienkünstler mit 1: 0 führen".

Altes oder neues Europa? Für ein neues Europa plädiert der Rechtsanwalt Laurent Cohen Tanugi mit seinem Buch "Les Sentinelles de la liberte". Gegenüber dem Express sagt er: "Wenn man Europa voran bringen will, ist einer der Schlüssel dazu, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Solange sich die Europäer nicht darüber einig sind, wie ihre Beziehung zu Washington aussehen soll, geht es mit einer gemeinsamen Außenpolitik nicht voran." Einen Auszug aus dem Buch lesen Sie hier. Besprochen werden außerdem "Revolutions" von Le Clezio (hier) und "Les enfants qui tombent dans la mer" von Florence Delaporte (die Besprechung finden Sie hier und einen Auszug hier).

Weitere Artikel: Die einzige Sicherheit, die der Mensch in der modernen Gesellschaft hat, ist die Unsicherheit, resümiert der Express in einer umfassenden soziologischen Untersuchung der französischen Gesellschaft. Tant pis! Denn es kommt, wie es kommt. Zu diesem Schluss kommt auch Paul Virilio in seiner Ausstellung "Ce qui arrive" (eine Besprechung aus der NZZ lesen Sie hier). Und: Laurence Liban schildert, wie es der jungen Autorin Marie NDiaye gelungen ist, ihr Stück "Papa doit manger" im verstaubten Repertoire der Comedie Francaise unterzubringen.
Archiv: Express

Economist (UK), 07.02.2003

Wer hat in Europa das Sagen? Nach dem jüngst erneuerten "Liebesschwur" zwischen Deutschland und Frankreich, verbringt das Paar, das sich als maßgeblicher "Motor" der EU sehe, nun getrübte Flitterwochen, so der Economist. Die "Gang der Acht" habe den beiden mit ihrer gemeinsamen Solidaritäts-Erklärung an die USA einen gehörigen Dolchstoß versetzt. Die Wirkung dieser Erklärung sei weniger, dass die "europäische Spaltung die amerikanische Isolation in Sachen Irak schwächt", sondern dass "die Gang der Acht, ziemlich absichtlich, die Idee untergraben hat, dass das deutsch-französische Paar weiterhin die EU-Agenda bestimmen kann". (Fragt sich nur, wer das sonst übernehmen will.)

Weitere Artikel: Führen die USA einen "Kreuzzug", so wie es viele befürchten? Nein, lautet die etwas überraschende Antwort des Economist. Mit den von Colin Powell vorgelegten Beweisen hat es etwas Seltsames auf sich, findet der Economist, denn alle Staaten sehen darin die Bestätigung ihrer eigenen - und grundverschiedenen - Position. Was daraus folgt: Es wird zur Verabschiedung einer zweiten Resolution in puncto Irak kommen, doch die Konflikte bleiben. Auch zeigt sich der Economist skeptisch, was eine Verbindung zwischen Irak und Al-Qaida angeht. Vielmehr macht er sich über die humanitären Konsequenzen eines Irak-Krieges Sorgen.

Sehr gelobt wird William I. Hitchcocks Studie "The Struggle for Europe", ein Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Hitchcock komme zu dem Schluss kommt, dass Europa viel in puncto demokratischer Aufbau geleistet hat. Dazu passt auch ein Artikel, in dem behauptet wird, es könne längst nicht mehr von einer europäischen Aufholjagd die Rede sein. Jüngste Studien hätten im Gegenteil bewiesen, dass Europa die USA im Hinblick auf den Lebensstandard überholt habe.

Weiter zu lesen: ein Nachruf auf die sieben Astronauten der Columbia, welche Fragen der Columbia-Absturz aufwirft, warum Saddam keine Freunde hat, sondern nur Urlaubsbekanntschaften, warum der Werbe-Jingle sterben musste.
Archiv: Economist
Stichwörter: Irak, Kreuzzüge, Powell, Colin

New York Times (USA), 09.02.2003

Rick Marin hat sich prächtig amüsiert bei der Lektüre von Robert Lanhams "The Hipster Handbook", das Nicht-Hippen erklärt, was "deck", also hip ist, und was nicht. Und all das in "Slanguage", der oft übersetzungsbedürftigen Hip-Sprache. Lanham liefere nicht nur Einblicke in Skurrilitäten, sondern auch darüber, wie sich Subkulturen immer weiter spalten, und nicht zuletzt grundsätzlichere Erkenntnisse: "Zahlreiche Seiten sind den Hipster-Beziehungen gewidmet. Dabei kommt heraus, dass Hipster-Männer das wollen, was alle Männer wollen: Sex. Hipster-Frauen dagegen 'begehren keine schmalen, sensiblen, kränklichen Männer in engen T-Shirts mehr. Eigentlich fanden sie solche Männer nie wirklich begehrenswert. Sie hatten nur wenig Auswahl während der Indie-Rocker-Ära der Neunziger.' Für männliche Hipster", so Marin, "könnte dies die wahrhaft nützlichste Erkenntnis dieses Buches sein." (Wer an den Hippen nippen will, der kann das erste Kapitel lesen).

Pankaj Mishra ist angetan, wenn auch nicht ganz, von Pico Iyers Roman "Abandon" (erstes Kapitel), in dem der junge Student John MacMillan sich entschließt, "die Welt durch das Licht des Sufismus zu sehen". "Mit seinem Wissen über den Sufismus", so Mishra, "ist Iyer gut ausgerüstet, um Vorurteile gegen den Islam auseinanderzunehmen. Mit bewundernswertem Taktgefühl und Subtilität, und durch faszinierende iranische Figuren, zeigt er die ursprüngliche Bedeutung von "dschihad" auf und eröffnet, dass der Ayatollah Khomeini irrwitzige Liebesgedichte schrieb. Doch das Aufeinanderprallen der Werte, das Iyer anspricht, kommt als Zusammenprall von nicht-analysierten Abstrakta daher. Es ist eben zur intellektuell glamourösen Art geworden, über schwerwiegendere und tiefere Konflikte politischer und wirtschaftlicher Art nicht zu reden."

Weitere Bücher: Margaret Talbot kann sich nicht recht entscheiden, ob sie Adrian Nicole LeBlancs Dokumentarbuch "Random Family" über arme Familien in der New Yorker Bronx wegen dessen mangelnder Reflektiertheit tadeln, oder ob sie es nicht vielleicht loben soll, weil dessen gedankliche Enge die abgeschottete Perspektive der beschriebenen Familien spürbar macht. Morris Dickstein ist tief beeindruckt von in Sherwin B. Nulands Autobiografie "Lost in America", in der dieser seine Krankheit schildert. Für Dickstein liest es sich "wie eine dieser confessions, die die Seele heilen". Schließlich kann Brooke Allen zwar verstehen, warum man Louise Erdrichs Romanen einen solch enthusiastischen Empfang bereitet, weil sie nämlich die populären Themen des Eingeborenen-Lebens und der Weiblichkeit verknüpft, doch auch in "The Master Butchers Singing Club" (Leseprobe) bleibt sie nach Allens Ansicht weit hinter ihrem Anspruch zurück.
Archiv: New York Times

Spiegel (Deutschland), 10.02.2003

"Statt Krieg: UNO-Kontrolle über Irak?", fragt der Spiegel auf dem Deckblatt und widmet dem Irak-Konflikt ein ganzes Dossier.

"Philip Roth spricht mit vielen Stimmen", meint Volker Hage, doch die Erzählerstimme des Universitätsprofessors David Kepesh in Roths jüngstem Roman "Das sterbende Tier" findet er bei weitem nicht so überzeugend wie Roths "gewitztes, selbstironisches, brillantes" Alter ego Nathan Zuckerman, der in vielen Romanen wiederkehrt. Und so bleibe Kepeshs Leid, die enttäuschte Liebe zur jungen Studentin Consuela, "mehr eine Behauptung als wirklich eine Erfahrung, die der Leser teilen könnte".

Außerdem stellt Matthias Geyer Oskar Lafontaine als selbstherrlichen Einfaltspinsel hin, der nun wieder auszieht, das Führen zu lernen, sprich sein "Comeback" zu starten. Und dabei lege der Saarländer eine erstaunliche Blindheit für das, "was außer ihm sonst noch so passiert" an den Tag: "Solange er Politik gemacht habe, sagt er, sei vernünftig Politik gemacht worden. Dann ging er weg, und die Welt veränderte sich. Er könnte auch sagen: Dann ging ich weg, und deshalb veränderte sich die Welt. Aber er redet lieber in Bildern."

Ansonsten haben Nicht-Heftkäufer die schwierige Wahl zwischen der Ölpest an den westeuropäischen Küsten, dem Niedergang der Deutschen Bank, einer von Ökonomen durchgeführten Reform des Stabilitätspaktes und Neuem in Sachen Tierschutz.
Archiv: Spiegel