Im Kino

Bewaffnetes Lächeln

Die Filmkolumne. Von Nikolaus Perneczky
02.07.2014. Weiter Flaute in den deutschen Kinos. Aber ein interessanter Film startet doch: In "The Unknown Known" rückt der amerikanische Dokumentarist Errol Morris mittels seines patentierten Interotron-Verfahrens Donald Rumsfeld auf die Pelle.


"The Unknown Known", das ist, wie Regisseur Errol Morris seinem Gesprächspartner Donald Rumsfeld zum Einstand vorhält, diejenige Kategorie, die der ehemalige US-Verteidigungsminister in seiner berühmt gewordenen epistemischen Kasuistik bezeichnenderweise als einzige ausgelassen hatte. (Zur Erinnerung: the known known, the known unknown und the unknown unknown sind nach Rumsfeld die wesentlichen im Kriegsfall zu berücksichtigenden Erkenntnisstände.) Rumsfeld lässt sich nicht lange bitten und trägt die fehlende Erläuterung umgehend nach: "The unknown known: Things you thought you knew but it turns out you didn"t". Slavoj Zizek hatte sich, als Rumsfelds Memoiren erschienen, einen anderen Reim auf diesen Lapsus gemacht: Das ungewusst bzw. unbewusst Gewusste, ist das nicht eine triftige Definition von Ideologie?
 
Aufgenommen ist "The Unknown Known" in Morris" patentiertem Interotron-Verfahren, ein Name, in dem nicht zufällig das Interview mit der Interrogation verschwimmt. Morris" Interviewpartner schauen nicht links oder rechts an der Kamera vorbei, sondern direkt in die Linse, haben dank einer komplizierten Spiegel- und Projektorkonstruktion dabei aber den Eindruck, ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen. Ein reichlich unmittelbarkeitsfetischistisches Gimmick, aber doch auch ein sehr effektives. Rumsfeld darf über seine Zeit in der Bush-Administration sprechen, aber auch über die Jahre davor; von einer Laufbahn, die ihn an Nixon und Bush Sr. herangeführt hat und einmal beinahe selbst ans Präsidentenamt - so jedenfalls Rumsfelds eigene, von Morris geschickt getriggerte Selbsteinschätzung. Derart nah an den realen Größenwahn, den jemand, der gerne "POTUS" wäre, irgendwo hegen muss, kommt der Film sonst an keiner Stelle.
 
2003 hatte Morris schon einmal einen obersten Kriegsarchitekten in die Enge getrieben. Damals saß ihm ein gealterter Robert McNamara gegenüber, der US Secretary of Defense unter anderem während des Vietnamkriegs. Präsentiert als Gelegenheit für den auch im hohen Alter noch sonderbar jungenhaft wirkenden kalten Krieger, seine bellizistische Philosophie in "eleven lessons" darzulegen, gab der Film mehr Einblicke in die amerikanische Geschichte und McNamaras Persönlichkeit als diesem lieb sein konnte. Wobei: Ganz sicher war man sich nie. Nicht einmal, wenn McNamaras Augen wiederholt feucht wurden. War das Reue? Oder sollten uns die Tränen seine Einsicht in tragische Zwangsläufigkeiten bedeuten, für die er beim besten Willen keine Verantwortung tragen mochte? "The Fog of War" hieß der Film: noch so eine erkenntnistheoretisch schillernde Trope aus dem Kriegsgebrauch.
 


Ein Problem von "The Unknown Known" ist, dass sich Rumsfeld den Film mit seinem Vorgänger McNamara wahrscheinlich angesehen hat, bevor er sich Morris" Fragen stellte. Er weiß, worauf Morris es abgesehen hat, und versteht es, dessen Einwände und Sticheleien elegant zu parieren. Zur Selbstdemontage des mächtigen Mannes, wie McNamaras Auftritt sie aufblitzend in Aussicht stellte, oder zu brisanten Enthüllungen kommt es nicht. In keinem Moment scheint Rumsfeld die Kontrolle zu entgleiten. Dafür Morris: Seine Interventionen, wo sie hörbar werden, klingen wutbürgerlich, ungläubig, indigniert. Rumsfeld kann nur lächeln: "Why is this man smiling?" fragt das Plakat zum Film, in großen, wutgelben Lettern.
 
Wie aus früheren Filmen von Morris bekannt, wird das minimalistische Talking-Head-Szenario immer wieder aufgebrochen. Animierte Brücken, in denen Rumsfeld-Memos wie ein Schneesturm durch den Kader stieben (und andere Buchstäblichkeiten mehr), tragen nichts zum Film bei, lenken höchstens von ihm ab. Für alle, denen Rumsfelds Monolog trotz Spezialeffekte fad wird, ist das Ganze auch noch mit unerträglich "filmischer" Filmmusik von Danny Elfman zugekleistert (in "Fog of War" hatte noch ein betont seriöser Philip Glass die musikalische Gleitcreme beigesteuert). Trotzdem ist "The Unknown Known" eine oft faszinierende Seherfahrung. Rumsfelds vielseitiges Lächeln - bewaffnet eher als entwaffnend - bleibt auch nach dem Film stehen, wie das der philosophierenden Grinsekatze aus "Alice in Wonderland". A grin without a man gewissermaßen: ein bestechendes (Nach-)Bild für die immer noch wirksamen Spätfolgen von Rumsfelds Wette im mittleren Osten. Und es ist kein Ende abzusehen.

Nikolaus Perneczky

The Unknown Known - USA 2013 - Regie: Errol Morris - Laufzeit: 103 Minuten.