Im Kino

Bonbonbunter Hund

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
21.01.2009. Wie Männer in Räderwerken Geschichte machen, zeichnet Bryan Singers auf hoch professionelle Weise eher uninteressanter Stauffenberg-Thriller "Operation Walküre" nach. Und Oskar Roehler beschert uns zu seinem fünfzigsten Geburtstag mit "Lulu und Jimi" eine verblüffend charmante und bonbonbunte fünfziger-Jahre-Welt.

"Operation Walküre" ist ein Film über den Versuch, nach einem Attentat auf Adolf Hitler den Umsturz im Dritten Reich ins Werk zu setzen. Einen entscheidenden und großen Schnitt in die geschichtliche Wirklichkeit setzen Drehbuchautor Christopher McQuarrie und Regisseur Bryan Singer dabei von Anfang an. Sie wählen einen sehr engen Ausschnitt, ziehen einen Rahmen darum und lassen alles, was historischer Kontext wäre, schlicht und ergreifend: weg. Anders als der unter anderem auch darum schrecklich missglückte "Untergang" wollen sie gar kein Gesamtbild der Situation in Deutschland im Jahr 1944 entwerfen.

Das heißt: Weder die Judenvernichtung noch die Lage im Land noch die Vorgeschichten und Gesamtcharaktere der Protagonisten kommen mehr als bestenfalls am Rand vor. Es ist deshalb nur konsequent - wenngleich natürlich dennoch fragwürdig -, dass die genauen Beweggründe, dass der ideologische Hintergrund der Verschwörer und natürlich in erster Linie Claus von Stauffenbergs, keine Rolle spielen. Mit dem ersten Schnitt, den der Film setzt, dem Rahmen, den er zieht, fällt all das einfach unter den Tisch. Anders gesagt: Mit geübtem und scharfem Auge haben die Macher von "Operation Walküre" im komplexen, widersprüchlichen Feld der geschichtlichen Ereignisse ein Muster erkannt. Was dazu passt, haben sie herausgearbeitet und gelegentlich ungefähr so zurechtretuschiert, wie die PR-Leute des Films - großes Bohei, als es dann rauskam - das Profilbild von Stauffenberg, der danach Tom Cruise glich wie ein Ei mit Augenklappe dem anderen.

Was nun übrigbleibt, ist ein einigermaßen freihändig nach den historischen Geschehnissen entworfener Genre-Film, eben ein Thriller. Und zwar einer, der gut funktioniert. Nicht etwa obwohl, sondern durchaus gerade weil er bemüht ist, den Gesamtplan der "Operation Walküre" mit manchen seiner Feinheiten vorzustellen. Das hohe Risiko fürs Leben so vieler Beteiligter wird dabei einfach umgenutzt zur Spannungserzeugung. Die heikelsten Punkte des Plans werden plot points, zur Not auch ohne reale historische Präzedenz. Die Grundzüge stimmen: Die Operation Walküre war ursprünglich ein Plan zur Unterdrückung eines möglichen Aufstands; trickreich haben die Widerständler ihn so verändert, dass er nun - wenn alles gut geht - die potenziellen Maßnahmen gegen den Staatstreich abwürgt und zur eigenen Machtsicherung verwendet. Der Film spitzt das auf einen hoch spannenden Moment der Entscheidung zu: Wird Hitler die veränderte Version der Operation Walküre unterzeichnen? (Die Szene auf dem Obersalzberg hat so nicht stattgefunden.)

Auch sonst lässt er keine Gelegenheit aus, mit dem Leben seiner Figuren nach allen Regeln der spannungsdramaturgischen Kunst zu spielen: Wird Henning von Tresckow (Kenneth Brannagh) die in einer Schnapsflasche versteckte, nicht gezündete Bombe vor ihrer Entdeckung zurückholen können? (In Wirklichkeit war es nicht von Tresckow, sondern sein Adjutant.) Wird Stauffenberg nach dem Attentat mit dem Auto durch das Tor der Wolfschanze gelangen? (Auch das spielte sich in Wahrheit etwas anders ab.) Wird der Chef des Ersatzheeres Generaloberst Fromm im entscheidenden Moment den Befehl zur Umsetzung der "Operation Walküre" geben? Und, als Punkt, auf den der Film Gelingen und Scheitern zuspitzt: Welche Meldung wird der Chef des Telegrafenamts weiterleiten: die vom Tod oder die vom Überleben des Führers?

Es entsteht so ein seltsam widersprüchliches Bild davon, was es heißt, geschichtsmächtig zu sein. Die eine Pointe, dass nicht Männer, sondern Räderwerke in Herrschaftsorganisationen Geschichte machen, wird durch die andere Pointe, dass alles sich auf Entscheidungssituationen zuspitzt, mehr oder weniger dementiert. Die Männer, die in Räderwerke einzugreifen versuchen, erscheinen nicht als heroische Subjekte, sondern als Handwerker der Tat (die denn auch handwerklich, nicht moralisch versagen). Geschichte ist für "Operation Walküre" ein seltsames Amalgam aus Kontextvergessenheit, eher Plot-Notwendigkeiten als einer These verdankten Räderwerk- und Entscheidungsketten-Bildern und der Zuspitzung von Charakteren auf Bewährungs- und von Plot-Strängen auf Spannungssituationen.

Dass "Operation Walküre" funktioniert, hat also seinen Preis. Zwar bedient der Film auf den ersten Blick in seiner dramaturgischen Mechanisierung, auch in der Wahl des als Inbegriff des Oberflächlichen etablierten Tom Cruise, die neonationalistischen Diskurse der Schirrmachers und Donnersmarcks nicht. Auf den zweiten Blick freilich ist gerade das Engziehen des Rahmens eine fatale Geste, weil sie genau die Ausblendbarkeit alles anderen impliziert. Und mit dieser Ausblendbarkeit im selben Zug eine nur scheinbar ganz sachliche Projektionsfläche eröffnet und offen hält, in der dann der eine sein Meisterwerk, der andere den besten Thriller seit Jahren, der dritte viele historiografische Fehlstellen und der nächste dann eben doch die Umschrift des Bildes von Deutschland in der Welt sehen kann.

Man kann bewundern, wie die Macher des Films so schlafwandlerisch sicher durch dieses Minenfeld spazieren. Man kann aber auch sehen, wie hier die Geschäftslogik der vielfachen Risikovermeidung einen Film hervorbringt, der buchstäblich stumm bleibt. Kulturelle Artefakte freilich, die stumm sind, schweigen immer - und hörbar - von etwas. "Operation Walküre" schweigt hoch professionell von allem, was über diese Geschichte, die Diskurse und Kontexte, in denen sie in Wahrheit immer schon steht, wirklich zu sagen wäre.

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Bonbonbunt ist der Hund, ist die ganze Welt, die Oskar Roehler in "Lulu & Jimi" entwirft. Wiedererkennbar ist sie, aller Unähnlichkeit zum Trotz, als Deutschland der fünfziger Jahre, mit den Kleidern und den Wörtern und den Denkweisen, die dem Klischee nach so dazugehören. Dass Oskar Roehler nichts als Klischees und Klischeebilder will, daran lässt er nicht den mindesten Zweifel. Weil er aber zum Äußersten geht und den Farbregler bis zum Anschlag dreht und all seinen Übermut zusammennimmt, um zu sehen, was passiert, wenn man die Klischees bis zum bonbonbunten Hund überdreht, bleibt zuletzt nichts übrig von den fünfziger Jahren, die wir kennen.

Das entscheidende Stück abseits der Konventionen, in denen zu Hause Lulu (Jennifer Decker) erstickt, liegt ein Jahrmarktsbetrieb. Und darin als Sinnbild eines stoßgedämpften Freiraums liegt die Autoscooter-Bahn. Lulu setzt sich in den Scooter und kurvt rum und entdeckt am Rande Jimi (Ray Fearon), einen Schwarzen, der als Bediensteter des Schubser-Geschäfts tätig ist. Ein Blick genügt und zwischen den beiden kommt es zu dem, was man Liebe nennt. Das hat Folgen wie zum Beispiel einen herzförmigen Mond am Nachthimmel. Aber auch den einen oder anderen Ausbruch von Lulus aufs Äußerste begütertem Verlobten, den Bastian Pastewka spielt.

Was auch folgt, sind die Flucht des Liebespaars und wiederholte Versuche, Lulu mit gutem Zureden und strengen Verboten erst, dann mit einer großen Spritze wieder zu dem zu bringen, was ihre repressive Verwandtschaft für Vernunft hält. Wild im Herzen jedoch bleiben Jimi und Lulu, was kein Zufall ist, weil Oskar Roehler sich so unverschämt wie unverschämt charmant bei Barry Giffords Sailor-und-Lulu-Romanen bedient, insbesondere beim berühmtesten davon, nämlich dem von David Lynch verfilmten "Wild at Heart". Um das Maß immerzu übervoll zu machen, hat vor allem das Besetzungsbüro ganze Arbeit geleistet. Das unverbrauchte Liebespaar wird umzingelt von Veteranen des deutschen Film- und Fernsehgeschäfts wie Rolf Zacher (als auf dem Abstellgleis gelandeter einstiger toller Hecht) oder Udo Kier (als bösartiger Chauffeur und Vollstrecker finsterer Absichten) und Hans-Michael Rehberg (als Mann mit der Spritze).

Es ist erfrischend zu sehen, wie Oskar Roehler nach seiner total vergurkten "Elementarteilchen"-Verfilmung seine oft narzisstisch verquälten Männlichkeits-Selbstbefragungen hinter sich lässt und mit der subversiven Umschreibung ausgerechnet der deutschen fünfziger Jahre seinen bisher wohl intelligentesten und charmantesten Film macht. Ein verblüffender Befreiungsschlag, der Sirk, Fassbinder und Lynch ungefähr gleich viel verdankt und doch auch ein echter Roehler ist. Hut ab und umso herzlicheren Glückwunsch zum fünfzigsten Geburtstag, den Oskar Roehler heute feiert.

Operation Walküre. USA / Deutschland 2008 - Originaltitel: Valkyrie - Regie: Bryan Singer - Darsteller: Tom Cruise, Kenneth Branagh, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Carice van Houten, Thomas Kretschmann, Terence Stamp

Lulu und Jimi. Deutschland 2008 - Regie: Oskar Roehler - Darsteller: Jennifer Decker, Ray Fearon, Katrin Sass, Udo Kier, Rolf Zacher, Bastian Pastewka, Ulrich Thomsen, Hans-Michael Rehberg, Simon Böer, Lavinia Wilson, Catherine Flemming