Im Kino

Derbydamensolidarität

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Nikolaus Perneczky
31.08.2011. Nicht spektakulär, aber hinreißend ist Drew Barrymores Regiedebüt "Rollergirl", in dem Ellen Page in der texanischen Provinz sich durchs rustikale Roller Derby befreit. Seth Gordons "Kill the Boss" ist eine mit Stars wie Colin Farrell, Jennifer Aniston, Kevin Spacey und Donald Sutherland gespickte schwarze Komödie, die in verzweifelter beruflicher Lage zu drastischen Maßnahmen rät.


In "Rollergirl" (im Original schnalzt es mehr: "Whip it"), dem Regiedebüt von Drew Barrymore, wird das Rad nicht neu erfunden. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist in ihren groben Zügen aus Kino, Literatur, Funk, Fernsehen bekannt: Eine junge Frau in der Provinz ermächtigt sich durch Triumphe in einem Outsider-Sport selbst dazu, die zu sein, die sie sein will, gegen den Widerstand von Umfeld, Herkunft und Eltern. Sie hat einen day job, sie verliebt sich, sie ficht Kämpfe, findet neue Freundinnen, bricht aus, kehrt zurück, solche Dinge. Oft erzählt, oft gesehen: fast schon ein Genre. Und doch sieht man der Nichtneuerfindung des Rades in "Rollergirl" außerordentlich gern zu. Das hat mit den Details zu tun, in denen das eine so zum anderen kommt, dass es trotz gelegentlicher Züge des Märchenhaften glaubwürdig bleibt.

Viele Asse hat Barrymore schon in der Besetzung im Ärmel. Es spielen Ellen Page, Juliette Lewis, Marcia Gay Harden, Kristen Wiig, Zoe Bell und dann, um einen der hier grundsätzlich nicht so wichtigen Männer zu nennen, auch noch der Comedian Jimmy Fallon. Die eigentliche Schau ist aber der Sport, auf den sich der Film kapriziert: Roller Derby der Frauen. Teams kämpfen, auf Rollschuhen durch ein Stadion-Oval kreisend, auf ruppige Art darum, jeweils eine der Frauen dem Feld nach vorne entkommen zu lassen. Für diesen Durchbruch nach vorne gibt es, wenn ich recht verstehe, dann Punkte. Der Kampf selbst hat nichts von der feinen englischen Art. Da wird wunderbar unladylike wie im Rugby gerempelt, da wird gegen die Bande geschleudert und auch in gegenseitigen Anfeuerungs- und Beleidigungsrufen geht es schön rustikal zur Sache.



Ellen Page ist Bliss. Ihre Mutter arbeitet bei der Post. Man lebt im nicht real existierenden Kaff Bodeen, Texas, in der Nähe der liberalen Slackerstadt Austin. In Bodeen geht es nicht so liberal und auch nicht slackerhaft zu. Bliss' Mutter hofft auf den Sieg der Tochter im lokalen Schönheitswettbewerb. Bliss aber hat das Roller Derby für sich entdeckt. Natürlich wissen die Eltern erst nichts davon. SAT class, my ass. Im Kreis der älteren, angenehm vulgäreren Frauen, die den Rollschuhsport schon länger betreiben, blüht sie auf und lernt rempeln. Die Chemie zwischen den Derby-Ladies, die wunderbar stimmt, ist ein wichtiger Grund fürs Funktionieren des Films. Hart, aber herzlich geht es zu, einmal wird grandios mit Essen geschmissen, draußen im Stadion reißt nicht unsexistisch, aber immer von urtexanischer Freundlichkeit der Master of Ceremonies seine Witze und setzt zur Feier des Endspiels auch mal einen großen roten Cowboyhut auf.

Natürlich spitzt sich das ganze auf die Alternative zwischen Auftritt hier (Schönheitswettbewerb) oder da (Endspiel) zu. Schön jedoch ist, wie Barrymore beim Zuspitzen so cool bleibt wie ihre Heldin. Die Spitze ist keineswegs stumpf, aber wird auf kluge Weise so in das texanische Konfliktfeld gestellt, dass sich keiner dran wirklich verletzt. Es wird das Menschliche in seinen Facetten gut und von allen verstanden. Der Konflikt wird nicht sehr heiß gekocht und dann sogar recht wohltemperiert und friedlich verspeist. Siegen ist keineswegs alles, hoch nämlich lebe die Derbydamensolidarität. Bleibt noch der Mann, der als Musiker ganz gute Indie-Musik macht und sich auf die Sexanbahnung unter Wasser versteht. Das ist freilich eine Stelle, wo man denkt, sieht zwar gut aus, liebe Drew, jedoch im richtigen Leben... Andererseits, wer hat das mit der Unterwassersexanbahnung selbst mal versucht? Vielleicht geht es ja doch. Der Film gibt einem Hoffnung, dass vieles leicht von der Hand geht, wenn man nur will.

Mit den Dialogen, das muss man sagen, stimmt alles. Von Shauna Cross, die den Roman schrieb, stammt auch das Drehbuch. Sie hat Witz, zu dem sich der Sinn für Timing von Regie und Darstellerinnen gesellt. Sie kennt sich aus, denkt man: mit Texas im Großen und Kleinen (kleiner Schönheitsfehler: der Film ist trotz Waterloo Records und Daniel-Johnston-T-Shirt-und-Wandzeichnung vor allem in Michigan gedreht), mit dem Heranwachsen in etwas widriger Umgebung, mit Roller Derby der Frauen, mit dem Verstehen von Menschen und auch wenn es natürlich ein etwas konventioneller heterosexueller Affe ist, dem sie hier Stück für Stück Zucker gibt, schwebt eine Liebe zur Toleranz, ruppig durchgeführt, schwebt eine texanische Hi-How-Are-You-Lässigkeit in der Darstellung des Zwischenmenschlichen über dem Film, die ihn zum Genuss macht in Phasen, in denen die Neuerfindung des Rades grade mal nicht stattfinden muss.

Ekkehard Knörer

***



Nick (Jason Bateman), Dale (Charlie Day) und Kurt (Jason Sudeikis) haben alle dasselbe Problem: Sie hassen ihre Chefs. So sehr, dass ihnen irgendwann ein Gedanke kommt, dem der deutsche Verleihtitel auf gewohnt unsubtile Art vorgreift: "Kill the Boss". Als "Psycho" (Kevin Spacey), "Maneater" (Jennifer Aniston) und "Tool" (Colin Farrell) sind die schrecklichen Vorgesetzten des englischen Originals "Horrible Bosses" auf dem Filmplakat ausgewiesen. Trotz Starbesetzung reichen ihre Figuren über diese dürftige Exposition kaum hinaus: Einmal in ihrer je besonderen Unannehmlichkeit vorgeführt, haben sie - mit der Ausnahme von Spaceys fieser Manager-Type - späterhin wenig Neues zu vermelden. Dass der Film die Chance vertut, seinen (lies: unser aller) Bossen mehr abzugewinnen als ein paar hinlänglich lustige Klischees, möchte man ihm nicht ohne weiteres nachsehen. Gerade jetzt, da die Krise des Kapitalismus allerorten auf das fehlerhafte oder unethische Verhalten Einzelner zurückgeführt wird, die man, mit einer etwas mechanischen Metapher, an den "Schalthebeln der Macht" vermutet, hätten Regisseur Seth Gordon und seine Autoren mehr als das wollen müssen, was diese seltsam zahnlose, zwischen Klamauk und Satire unentschlossen schwankende schwarze Komödie zu bieten hat.

"Kill the Boss" ist ein Film, der sich als Rachephantasie der Ausgebeuteten gibt, dabei aber ganz der Gedankenwelt der - tatsächlichen wie aufstrebenden - Bosse verhaftet bleibt. Überdeutlich wird dies just an jener Nebenfigur, über die sich der Film zum ersten und letzten Mal direkt auf amerikanisches Zeitgeschehen bezieht: Ein ehemaliger Schulfreund der drei verhinderten Mörder, einst Festangestellter bei den Lehman Brothers, sieht sich infolge der Finanzkrise gezwungen, seinen Unterhalt mit schlecht bezahlten Handjobs auf öffentlichen Toiletten zu verdienen. Als ob! "Kill the Boss" ist abgehoben, weil seine Protagonisten einer nach oben strebenden Mittelschicht angehören, die den verhassten Bossen näher steht als deren Untergebenen.



Und obwohl der Film wieder und wieder beteuert, die Verschwörer hätten gute, also selbstlose oder doch zwingende Gründe, ihren Vorgesetzten den Garaus zu machen, kann er niemanden darüber hinwegtäuschen, dass der Antrieb des Komplotts in Wirklichkeit (nicht in der putativen des Films, sondern in der unseren, insofern sie in jene des Films hineinreicht) nichts ist als die schiere Abstiegsangst des gehobenen Mittelstands. Diese Angst nimmt derart absurde Formen an, dass es jedem, den sie nicht selbst auf Schritt und Tritt verfolgt, schwer fallen wird, sie nachzuempfinden. Weil es aber gerade das ist, was "Kill the Boss" von seinem Publikum will, kann man es ihm nicht als Radikalität anrechnen, dass keine seiner Figuren wirklich sympathisch ist.

Dass das ostentative Leitmotiv des Films ein leises Unbehagen am weißen, männlichen, heterosexuellen Mittelschichtsdasein ist, steht dazu keineswegs im Widerspruch. Denn die Situationen, in denen es sich bemerkbar machen soll, sind durchwegs so abgegriffen, dass sich niemand daran stören muss: Gutsituierte weiße Männer in einer halbseidenen schwarzen Bar, ein begehrlicher Blick, der sich im Geschlecht seines Objekts täuscht, und, im Ernst, aggressive weibliche Sexualität, yada yada yada...

Vielleicht hätte "Kill the Boss" eine offenere Form gut gestanden. (Vielleicht geht hier aber auch nur meine Vorliebe für die verhältnismäßig unstrukturierten Filme aus dem Apatow-Kosmos mit mir durch.) Seine Grundeinheit ist nicht die unterbestimmte, dem freien Spiel und der Dauer zugeneigte Situation, sondern das erzählökonomisch gestraffte Handlungssegment. Noch da, wo das Buch nach allen Regeln der dramaturgischen Kunst Überraschungseffekte setzt, bleiben diese darum absehbar und steril. Es fehlt - dem Film, den Darstellern, dem Witz - der Raum zum Atmen.

Nikolaus Perneczky

Rollergirl. USA 2009 - Originaltitel: Whip It - Regie: Drew Barrymore - Darsteller: Ellen Page, Landon Pigg, Marcia Gay Harden, Kristen Wiig, Juliette Lewis, Jimmy Fallon, Alia Shawkat, Zoe Bell, Ari Graynor, Eulala Scheel

Kill the Boss. USA 2011 - Originaltitel: Horrible Bosses - Regie: Seth Gordon - Darsteller: Jason Bateman, Charlie Day, Jason Sudeikis, Jennifer Aniston, Colin Farrell, Kevin Spacey, Jamie Foxx, Donald Sutherland, Julie Bowen, Lindsay Sloane