Im Kino

Die nichts mehr schrecken kann

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
05.12.2007. Eine gänzlich unfanatische Suchbewegung zum türkisch-kurdischen Konflikt ist die Dokumentation "Close Up Kurdistan" des in Deutschland lebenden kurdischen Filmemachers Yüksel Yavuz. Rudolf Thomes jüngster Film "Das Sichtbare und das Unsichtbare" hat sehr schöne Momente, aber leider auch die Tendenz, seine Künstlergeschichte im Klischee zu ertränken.
Der Filmemacher Yüksel Yavuz sitzt neben seinen Eltern auf der Couch. Sie betrachten Fotos, die ihn als Jungen zeigen, und ausgehend von dieser Begegnung Yavuz' mit seiner Vergangenheit beginnt der Film "Close Up Kurdistan" seine Erinnerungsarbeit. Er versteht diese Arbeit als fortgesetzte Suchbewegung zur angemessenen Darstellung des türkisch-kurdischen Konflikts. Yavuz selbst lebt seit Jahrzehnten als Immigrant in Hamburg, er ist Kurde und steht auf der Seite der kurdischen Sache - dennoch gerät ihm sein Film an keiner Stelle zum Pamphlet.

Der Yavuz deshalb wohl am nächsten Stehende unter den Zeitzeugen, die er zeigt und befragt, ist deshalb wohl Orhan Miroglu, der als Lehrer arbeitete und nach dem Militärputsch 1980 ins berüchtigte Foltergefängnis von Diyarbakir kam. Später kam er bei einem (erfolgreichen) Mordanschlag auf den kurdischen Intellektuellen Musa Anter als dessen Begleiter beinahe ums Leben. Mirgolu hat über den unmenschlichen Terror in Diyarbakir und über das Attentat ein Buch geschrieben, das aber so wenig eine zornige Anklage ist wie das, was er nun in Yavuz' Film mit fast übermenschlicher Seelenruhe vorträgt.

"Close Up Kurdistan" zeigt Menschen, die vom endlosen und brutalen Konflikt weniger zermürbt sind, als dass sie die Gelassenheit derjenigen gefunden haben, die nichts mehr schrecken kann. Trotz siebzehn Jahren Gefängnis ungebrochen scheint der bedeutende kurdische Wissenschaftler Ismail Besikci, fern von allem Fanatismus zeigen sich die einstige Guerillakämpferin Beriwan und Uli Cekdar, der sich als Deutscher dem kurdischen Kampf anschloss und heute wieder in Deutschland lebt. Von den blutigen Kriegsjahren 1993 und 1994 ist häufig die Rede.

Dagegen stellt Yavuz die Suchbewegung des Films unterstreichende aktuelle Kurdistan-Bildern aus dem fahrenden Auto, aber auch unkommentierte Dokumentaraufnahmen vom türkisch-nationalistischen Drill an der Schule. Wie den Schulkindern von heute erging es schon Yavuz selbst, der in einer türkischen Internatsschule seiner kurdischen Herkunft systematisch entfremdet werden sollte. Lakonisch macht der Film so sichtbar, wie der Fanatismus, der Monster gebiert, in militärischer Manier heute noch in die Köpfe der Kinder geklopft wird und natürlich bekommt man ihn da kaum wieder heraus.

"Close Up Kurdistan" ist Bestandsaufnahme eher als Anklage. Er nimmt Partei, bleibt aber ganz sachlich. Obleich Yavuz selbst, als Zeuge, als Beobachter immer wieder selbst im Bild ist, ist sein Film von narzisstischer Nabelschau denkbar weit entfernt. Der Filmemacher tritt nur auf, tritt ins Bild als einer von vielen. Er will nicht verschweigen, dass er einer ist von den vierzig Millionen Kurden, um deren Schicksal es geht. Wie so manche Dokumentation des nichts als Mord und Leid hervorbringenden ideologischen Widersinns ist "Close Up Kurdistan" ein Film, der nicht so sehr wütend als vielmehr traurig macht. Es ist auch ein ganz unprätentiöser Film, nicht zuletzt das nimmt sehr für ihn ein.

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"Das Sichtbare und das Unsichtbare": ein Künstlerfilm. Der Künstler Marquard von Polheim (Guntram Brattia) kommt auf dem Motorrad angebraust, betrunken sowie auch zu spät aus dann aber halt doch geldgeil-windelweicher Generaldissidenz zur Lage der Dinge. Der Künstler trägt schwer an seinem Künstlertum, er nimmt hochfahrend und leidend den sagenhaft dotierten Preis, den man ihm nachwirft, entgegen. So beginnt, gleich neben dem Brandenburger Tor, Rudolf Thomes jüngster Film und man muss sagen: Er erholt sich von diesem schockschweren Klischeebeginn nur nach und nach ein bisschen, aber leider alles in allem bis zum lachhaft-bitteren Ende nicht richtig.

Pferde malt des Künstlers Lebensgefährtin, die Künstlerin Maria Döbereiner (Hannelore Elsner), sehr gut verkäuflich sind die Bilder von Pferden, aber nicht preisgekrönt. Die Künstlerin ist, anders als der Künstler, kein Genie, was man schon daran merkt, dass sie sich auch gar nicht für eines hält. Der Künstler hat ein Verhältnis mit einer Frau namens Angie (Stefanie Roße), mit der er schläft, die er aber nicht liebt. Die Liebe seines Lebens nämlich ist Maria Döbereiner, die, als Marquard verschwindet, aufhört, Pferde zu malen. Nun soll es "Das Sichtbare und das Unsichtbare" sein. (Das hat mit Maurice Merleau-Pontys gleichnamiger philosophischer Studie nicht ersichtlich etwas zu tun.)

Eine doppelte Bewegung verfolgt eine schöne Weile der Film und wo er das tut, sieht man ihn sehr gern. Zum einen verreist der Künstler mit seiner Tochter Lucia (Anna Kubin), die mehr als nur Vaterliebe mit ihm verbindet (das müsste wiederum nicht unbedingt sein), ans Meer. Sie vereinbaren, die Zeit miteinander schweigend - wenn auch, man schreibt sich Notizen, nicht wortlos - zu verbringen. Auch in dieser Idee steckt wohl eine etwas dämliche Vorstellung vom Poetischen und Reinen, das Worte nur verderben, aber dem Film selbst tut das Schweigen sehr gut. Hier nämlich, scheint es, kommt Rudolf Thomes als Filmemacher des Unscheinbaren, des unvoreingenommenen Hinsehens auf die Welt zu sich selbst.

In einer zweiten Bewegung verfolgt "Das Sichtbare und das Unsichtbare" die auf nachdrückliches Vergessen des abwesenden Künstlers sinnende Künstlerin. Und zwar in die Nähe erst, die Arme dann des Philosophen und Pferdezüchters Gregor (Hansa Czypionka). Auch hier stellt sich eine Ruhe ein, auch hier zeigt sich Thome in erster Linie einfach nur geduldig und aufmerksam und das ist wiederum schön.

Wehe nur, dann aufs Ende zu sehen, bei dem Thome seine Geschichte mitsamt Künstler übel wieder im Klischee ertränkt Es sei der unselige Ausgang darum an dieser Stelle auch beinah' verschwiegen.

Close Up Kurdistan. Regie: Yüksel Yavuz. Mitwirkende: Dr. Ismail Besikçi, Beriwan, Abdulkadir Aygan, Uli Çekdar, Ali Yildirim, Orhan Miroglu, Eyse Sipendarik. Deutschland 2007, 104 Minuten.

Das Sichtbare und das Unsichtbare. Regie: Rudolf Thome. Mit Guntram Brattia, Hannelore Elsner, Anna Kubin, Hansa Czypionka, Stefanie Roße, Rufus Beck und anderen.
Deutschland 2007, 117 Minuten.