Im Kino

Geschwedet

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
02.04.2008. Jack Black hat in "Abgedreht" aus Versehen alle Tapes seiner Videothek gelöscht - und macht mit Mos Def das beste daraus: In Heimarbeit nachgebastelte, "geschwedete" Remakes. Gregory Hoblits "Untraceable" dagegen ist nicht mehr und nicht weniger als unprätentiöses "meat-and-potatoes"-Kino.
Klassisches Fabulieren ist des früheren Videoclipregisseurs Michel Gondry Sache nicht, seine Filme suchen das Vereinzelte, Bruchstückhafte, Nebeneinandergestellte. Für ihn kommt die Vignette vor dem Erzählbogen, das set piece vor der Dramaturgie. Entsprechend zurecht gelegt sind seine Storys: In "Vergiss mein nicht" taumelt Jim Carrey buchstäblich durch seine verblassenden Erinnerung an eine verflossene Liebe, um beide, wo es denn geht, festzuhalten; im nicht minder schönen "Science of Sleep" werfen sich zwei Hyper-Kreative ihre Bastelideen um die Ohren und verpassen darüber glatt, sich zu verlieben. Nun, in "Be Kind Rewind" - für den deutschen Markt in "Abgedreht" umbenannt - sind es versehentlich gelöschte VHS-Tapes einer schrabbeligen Videothek im kleinen Passaic, New Jersey, deren vormalige Inhalte von den Videothekaren Mike (Mos Def) und Jerry (Jack Black) in bastelfreudiger Heimarbeit mit No Budget, viel Enthusiasmus und einer alten Videokamera nachgestellt werden, die Michel Gondry abermals die Möglichkeit bieten, seiner Kreativität hemmungslos freien Lauf zu lassen.



Zunächst ist es nur eine improvisierte Verlegenheitslösung, um eine leicht demente Stammkundin der sonderbaren Videothek, die auch im DVD-Zeitalter ausschließlich Tapes bereit hält, davon abzuhalten, Mikes und Jerrys fragwürdige Ladenführung in Abwesenheit ihres Chefs (Danny Glover) zu verraten. Doch rasch kommt es zum Boom in der community: Der Bedarf an "geschwedeten" Filmen, wie Jerry die mit Pappe, Alufolie und Sperrmüll umgesetzten Nachstellungen spontan bezeichnet, ist enorm. War der Laden gerade noch existenziell bedroht, stehen die Leute nun blockweise Schlange, um an die obskuren trash movies zu gelangen.

Diese Schwedereien sind Gondrys Hauptattraktion - und ihnen gelingt, was die digitalen Effektmanufakturen der großen Studios in den letzten Jahren kaum vermochten: Die Wiederkehr der Lust am Staunen, des Entzückens über das Detail, den gewitzten Einsatz des groben Materials. Man lacht Tränen, wenn Mos Def und Jack Black sich mit hohem emblematischen Gespür und wider alle technischen Mängel durch eine straff geraffte Hinterhof-Variante von "Ghostbusters" kämpfen, Stanley Kubricks "2001" nachstellen oder mit viel "Robocop" von Detroit nach Passaic umsiedeln.



Bloße Nummernrevue ist "Abgedreht" indessen nicht, Gondry verfolgt ein Anliegen: Die Errettung nicht so sehr der VHS, sondern der Auffasung, dass Filme den Leuten gehören sollten, die sie im Herzen tragen. Dass auch unter dem bleiernen Diktat einer auf Perfektion getrimmten Effekteindustrie jeder kreativ sein und mit einfachsten Mitteln Wunder geschehen lassen kann, dass Modernisierungsprozesse - von eben einem solchen ist die Videothek und die community ringsum bedroht - auch Verdrängungs- und also Vergessensprozesse sind und dass nicht nach, sondern in der Geschichte - der Dinge, der Artefakte, der Städte - zu leben sei. So bleibt Gondry nicht nur beim Feuerwerk der geschwedeten Filme, sondern mobilisiert schließlich die gesamte community, die mit vereinten Kräften einen abenteuerlichen Dokumentarfilm über einen Bluesmusiker realisiert, der in ihrer Stadt aufgewachsen sein soll. Faktisch ist dies zwar falsch, doch wo Filme freudig angeeignet werden, liegt auch die Geschichte retrospektiv gestaltbar in eigenen Händen.

In diesem schönen Sinne handelt "Abgedreht" ganz vorneweg und doch unter der Hand von Selbstermächtigung und birgt darin eine kleine, subversive Utopie, der, zumal im kitschigen Schluss, umso mehr melancholisch nachgehangen wird, da sie sich als eigentlich weltfremd herausstellt. Gondry selbst indessen, Träumer, der er ist, hat es vorgemacht und eine von ihm selbst geschwedete Fassung des Trailers mit quasi in zweiter Generation geschwedeten Filmszenen ins Netz gestellt. Die Zahl der im Zuge von inspirierten Amateuren in Eigenregie geschwedeter Heimfilme auf einschlägigen Videoportalen ist kaum mehr überschaubar und täglich kommen neue hinzu (hier eine Liste). Bei aller Freude am Analogen: Das Film-Passaic findet in der digitalen community seine Fortsetzung.

Thomas Groh

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Die Eingangssequenz könnte fast einem Spot der "Raubkopierer sind Verbrecher"-Kampagne entsprungen sein: In nicht einmal zwei Minuten machen FBI-Agenten einen Internetbetrüger mittels weniger Webprotokolle ausfindig. Anschließend setzt Google Earth dessen Domizil aus der Vogelperspektive ins Bild. Nur einen Schnitt später wird aus der Vogel- die Zentralperspektive und die Ermittler stehen vor dem Haus des Übeltäters. Im weiteren Verlauf des Films wird die Google Earth-Ansicht gelegentlich metaphorisch verwendet, als Blick auf eine Welt, in der alles per Mausklick greifbar ist, wenn man nur den richtigen Softwaretreiber zur Hand hat. Kritisch ist an diesen Bildern nichts, affirmativ sind sie höchstens in der Beiläufigkeit, mit der sie daherkommen.

Die Welt, in der "Untraceable" spielt, besteht aus einer Ansammlung digital verfügbarer Zeichensysteme, die kein Außen mehr kennen. Oder wenigstens scheint sich keiner, der sich in diesen Zeichensystemen bewegt, nach einem Außen zu sehnen. Nicht der psychotische Killer, der die Website www.killwithme.com betreibt, auf der seine Untaten per Livestream verfügbar sind. Auch nicht die Millionen Besucher dieser Domain, die - das ist der Clou der Geschichte - mit jedem Seitenaufruf den Tod der Opfer beschleunigen. Und erst recht nicht die geheimdienstlichen Jäger. Agentin Jennifer March (Diane Lane) doziert zwar ab und an halbherzig über die Gefahren der Netzkultur, ansonsten macht das FBI beim fröhlichen Zeichenspiel fleißig mit.



Dieses nimmt bisweilen fast manische Züge an. Man codiert und recodiert, bis der Arzt kommt. Wird die Killerseite aktualisiert, eilt das gesamte FBI-Büro zur Leinwand und betreibt Bildanalyse. Und ein Agent, der dem Psychopathen in die Hände fällt, sendet Morsesignale mit den Augenlidern: Rechts die Punkte, links die Striche. Im weiteren Verlauf der Handlung werden zwar die Farben schmutziger und die Folterwerkzeuge primitiver; dennoch bleibt die Auseinandersetzung zwischen March und dem Killer zuallererst eine symbolische. Und auch die finale Geste der Heldin ist ein kommunikativer Akt.

So avanciert die Technik, so grundsolide und altmodisch die dramaturgische Aufbereitung. Regisseur Gregory Hoblit kommt vom Fernsehen und ist ein Handwerker alter Schule, der Exzess jeder Art vermeidet. Im Gegensatz zu den "Saw"-Fortsetzungen oder den "Hostel"-Filmen reduziert "Untraceable" die Folterszenen auf ihre Drehbuchfunktion. Auch die visuelle Extravaganz eines Tony Scott ist Hoblit fremd. Sein Film kommt so slick und funktional daher wie eine Doppelfolge der großartigen 90er-Jahre Polizeiserie NYPD Blue, für die Hoblit mehrere Episoden inszenierte.

Gut ausgearbeitete Dreiaktstruktur, stringente Charakterzeichnung, motivische Kohärenz: Die Variety nennt so etwas "meat-and-potatoes filmmaking" und freut sich. Wer die Sympathie des Hollywood-Branchenblatts sowie des Rezensenten für unprätentiöses kommerzielles Kino teilt und seine ideologiekritischen Reflexe unter Kontrolle hat, der wird an "Untraceable" jede Menge Spaß haben.

Lukas Förster

Abgedreht. USA 2007 - Originaltitel: Be Kind Rewind - Regie: Michel Gondry - Darsteller: Jack Black, Danny Glover, Mos Def, Mia Farrow, Melonie Diaz, Paul Dinello, Marcus Carl Franklin, Sigourney Weaver

Untraceable. USA 2008 - Regie: Gregory Hoblit - Darsteller: Diane Lane, Billy Burke, Colin Hanks, Joseph Cross, Mary Beth Hurt, Tim De Zarn, Daniel Liu, Jodi Altendorf, Tyrone Giordano, Katie O'Grady