Im Kino

Körperlos schwebend

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
29.06.2010. Die Videokünstlerin Shirin Neshat hat mit "Woment Without Men" ihren ersten Spielfilm gedreht: Die Bilder, die sie und ihr Kameramann finden, sind allerdings entschieden zu schön. Unterdessen geht der grüne Oger Shrek im Lande Weitweitweg bereits in die vierte Runde und reiht sich damit ein in die Blockbuster mit hohen Seriennummern.

Shahrnush Parsipurs Roman "Women Without Men" beschäftigt die iranische Videokünstlerin Shirin Neshat schon eine ganze Weile. Zunächst hat sie Szenen des Buchs als kinematografisch hochgerüstete Videos gedreht und installativ ausgestellt. Sie schloss darin an frühere Foto- und Videoarbeiten an, die sich stets durch eine gewisse Simplizität des Gedankens in Tateinheit mit aufgeplusterter Symbolik und angestrengten Stilisierungsversuchen auszeichneten. In der Regel geht es dabei um Geschlechterverhältnisse unterm Vorzeichen des Islam. In "Rapture", in dem eine Schar schwarz gekleideter Frauen einer Schar weiß gekleideter Männer gegenübergestellt wird, läuft es auf ein Bild hinaus, das die Frauen in einem Boot auf dem Meer zeigt: ein Bild, das so dumm ist wie schön. Und nicht zuletzt deshalb dumm, weil es bei unspezifischer Symbolik vor allem schön sein will.

Das ist das Grundproblem bei Neshat. Sie versteht sich offenkundig vor allem als Bildfinderin. So fliegt im Spielfilm "Women Without Men", gleich zu Beginn und später ein weiteres Mal, das schwarze Haar einer Protagonistin vor hellem Hintergrund pittoresk, bevor sie sich gleich darauf in den Tod stürzt. Eine andere geht in einem Teich ins Wasser und Neshat filmt das von oben, so dass die bewegt schwebenden Haare im Zusammenhang mit dem Rand des Pools ein hoch dekoratives Gesamtbild aus entgrenztem Körper und begrenzendem Rahmen bei dazu weiß schwebendem Kleid ergeben. Das ist hübsch, das kann man sich an die Wand hängen. Nur: Es ist ein falsches Bild für eine Frau, die, und sei es noch so symbolisch, den Tod sucht.

Gewiss, auch Parsipurs Roman verlässt das Register des Realistischen wiederholt und gezielt. Eine der fünf Protagonistinnen wird zum Baum, der seine Samen zuletzt in den Wind streut. Eine andere gebiert eine Lilie, die wird in den Garten gepflanzt. Beides taucht im Film übrigens nicht auf: eine symptomatische Verschiebung. Das Magische der Vorlage wird gedämpft (nicht ganz eliminiert), wie aber umgekehrt auch das Harsche, das Parsipur sehr unvermittelt und in sehr kurzen Sätzen gegen ihre Metamorphosen setzt. Neshats Film ist eine Transposition in eine sanftere Tonart: weniger magisch, weniger sarkastisch. Dafür umgrenzter, dekorativer, auch als Historienfilm reichlich konventionell.


Es ist das Jahr 1953, die Wochen des vom Westen gesteuerten Putschs gegen den demokratisch gewählten iranischen Präsidenten Mohammad Mossadegh. Vier Frauen versammelt Neshat in ihrem filmischen Raum: eine Prostituierte, die sich blutig kratzt beim Versuch einer Reinwaschung im Hamam; die Frau eines auf der Seite des Shah stehenden Generals; eine Frau um die dreißig, die die Heirat verweigert; die Frau, die vom Haus springt (im Roman tötet sie ihr eigener Mann), begraben wird, wiederaufersteht und daraufhin politisch aktiv ist. Madokht, die Frau, die zum Baum wird, fehlt. Dafür gibt es den Garten als Rückzugsraum, von Neshat und ihrem Kameramann Martin Gschlacht allerdings ein gutes Stück Richtung nebelwabernde Naturmystik gerückt. Dagegen montiert immer wieder Bilder von Protesten auf Teherans Straßen - Bilder allerdings, an denen Neshat gelungene Symmetrien und eine einsam schwarz verhüllte Frau zwischen Männern in weißen Händen mehr zu interessieren scheinen als der historische Kontext. Die These des Films lautet, sieht man aufs Ende: Der Rückzugsraum wird von der Wirklichkeit eingeholt werden. Damit blendet Neshat dann aber auch ab.

Parsipur war da radikaler und nüchterner zugleich. Sie erzählt in kurzen Sätzen, wie es mit ihren Figuren nach dem Ende des Gartenaufenthalts weitergeht. Eine heiratet und es heißt über sie: "Ihre Beziehung war zufriedenstellend, weder warm noch kalt." Eine andere wird - im Film verweigert sie das - zur Zweitfrau des Mannes, der ihr keine Unabhängigkeit zugestehen will. Parsipur: "Ihr gemeinsames Leben ist weder gut noch schlecht. Es geht einfach weiter." Neshat legt, übrigens sehr dabei unterstützt von der stets gefälligen Musik von Ryuichi Sakamato, ästhetische Schleier über Wirklichkeiten, von denen Parsipur mit ihrer letztlich sehr realistischen Nüchternheit diese absichtsvoll rabiat wegzieht.


Der Österreicher Martin Gschlacht ist gerade dabei, einer der gefragtesten Kameramänner des gehobenen europäischen Arthouse-Kinos zu werden. Das versteht man, wenn man sieht, wie er etwa in Götz Spielmanns "Revanche" oder Jessica Hausners "Lourdes" geradezu schwerelose Eleganz mit Präzision in jeder Bewegung zu verbinden versteht und so, was auf den ersten Blick eindeutig scheint, in ambivalentes, aber nicht beliebiges Bedeuten auflöst. Spielmann wie Hausner nutzen Gschlachts Bildkunst für dramatische Ironien und spielen so mit der Uneindeutigkeit sowohl des Sinns einzelner Bilder wie auch ihrer eigenen AutorInnenposition. In "Women Without Men" jedoch kippt das Schwerelose der Bewegung (und die Kamera ist hier meist in sanfter Aktion) in eine schwebende Körperlosigkeit und wird zum Problem. Wiederum eine Verselbständigung - denn unter Neshats Schönheitsdiktat verlieren Gschlachts tendenziell oft etwas gefällige Bilder den Widerstand, den sie brauchen. Manchmal übernimmt die Kamera noch eher konventionell die Perspektive einzelner Figuren, putzt aber auch diese dann regelmäßig viel zu zeitlupenhaft steadycamartig heraus. Ein Blick ist nicht einfach ein Blick, sondern wird etwas geheimnisvoll visuell Schwebendes.

Nicht selten löst sich die Kamerabewegung auch ganz von den Figuren. Der an nichts mehr gebundene Blick gleitet widerstandslos durch die Räume, in der Vertikalen wie in der Horizontalen. Es ist diese Steadycam-Ästhetik, die Neshat sichtlich entgegenkommt. Filmsprachlich ist die Steadycam-Fahrt eine paradoxe Form: Sie ist an den Körper des Kameraträgers gebunden, zugleich aber durch Stabilisatoren von der Körperlichkeit seiner Bewegung gelöst. Weder rein apparatisch (wie die Filmkamera in der Regel) noch eine Handkamera, die die Bewegung des Kameramanns, sei es im Ruck, sei es zitternd, direkt aufgreift. Die Steadycam erzeugt so tendenziell Unheimlichkeitseffekte: eine Form der Souveränität des sich bewegenden Blicks, die keiner Anstrengung, keiner Haltung und keiner Rückbindung an den Körper gedankt scheint. Das kann etwas Furchterregendes haben, aber wenn es zur bloßen, von allen Bezügen gelösten Produktion eines jede Spontaneität meidenden Eleganz-Gleichmaßes wird, dann fügt sich auch die Ästhetik der Steadycam ins Kitsch-Repertoire, aus dem sich Shirin Neshat in "Women Without Men" vorzugsweise, wenn auch nicht ganz so ungehemmt wie in ihren Videos, bedient.

Ekkehard Knörer

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Der Hollywoodsommer wird mehr den je von höheren Seriennummern dominiert. Zwischen den zweiten "Iron Man"-Film und den dritten "Twilight"-Streifen schieben die Studios das tatsächlich bereits vierte Abenteuer des grünen Ungetüms Shrek. Nach dem recht mäßigen "Shrek der Dritte" waren die Erwartungen nicht allzu hoch. In der Tat kann auch "Shrek für immer" nicht an die dynamische, überdrehte, postmodernen Fülle der ersten beiden Filme anschließen. Aber so schlimm ist es nun doch wieder nicht gekommen: Auch dieser vierte Film ist noch ganz ok.

Im Grunde gibt es im fiktionalen Märchenland "Weit Weit Weg", in dem der Oger Shrek sich inzwischen mitsamt Familie häuslich niedergelassen hat, nichts mehr zu erzählen. Vielleicht gab es sogar überhaupt nie etwas zu erzählen, weil alles bereits einmal woanders erzählt worden war und ohnehin nur als bereits Erzähltes, als Zitat, interessiert. Anders als der Vorgänger versucht "Shrek für immer" erst gar nicht mehr, eben darüber hinweg zu täuschen. In einer ausgedehnten, wunderbaren Montagesequenz zeigt "Shrek für immer" zunächst das ganz normale Oger-Leben im Einfamilienhaus als einen einzigen, spießig-debilen Alptraum. Anschließend erfindet der Film eine Fantasiewelt innerhalb einer Fantasiewelt, gleichzeitig als Rechtfertigung der eigenen Existenz und um diesem Alptraum einer gutbürgerlichen Existenz zu entkommen.

Schuld ist nominell das böse Rumpelstilzchen, das bereits in "Shrek der Dritte" mit von der Partie war. Jetzt schmiedet es einen etwas verwirrenden Plan voller Zeitparadoxien, der darauf hinaus läuft, dass es selbst zum König gekrönt wird und Shrek in einer Parallelwelt gegen seine eigene Auslöschung ankämpfen muss. Seine Angetraute Fiona ist Rebellenführerin gegen das Rumpelstilzchen und erkennt ihren Shrek hier genauso wenig wieder wie die ewigen Sidekicks Esel und Gestiefelter Kater, deren Originalsprecher Eddie Murphy und Antonio Banderas die besten Argumente dafür sind, sich den Film in eben dieser Originalversion anzusehen. Der Gestiefelte Kater, dessen eigenes Spin-off bereits seit längerem angekündigt ist und nach den verschärften Ermüdungserscheinungen der Originalserie vermutlich nicht lange auf sich warten lassen wird, hat enorm zugenommen. Ansonsten bleibt auch hier alles beim alten.

Warum man sich das dennoch anschauen kann, wenn man denn unbedingt will? Für einige Sprüchen Eddie Murphys ("Are my kids cute or do they make people uncomfortable?") zum Beispiel, oder für einige kurze Momente, in denen "Shrek für immer" den Disney-Realismus, der den Film ansonsten genauso fest im Griff hat wie fast alle anderen neueren Filme über sprechende Tiere aus Amerika, hinter sich lässt und eine Ahnung davon gibt, was möglich wäre, wenn Hollywood die technischen Möglichkeiten der Computeranimation ein wenig offensiver nutzen würde. Wie bereits in den Vorgängern darf man sich in dieser Hinsicht vor allem auf die subversiven Kurzauftritte des Pfefferkuchenmanns freuen. Noch mehr als die Vorgänger gefällt in "Shrek für immer" nur noch der einzelne Gag, das Detail, das keinerlei Bezug hat zur Handlung im engeren Sinne - die eh nur ein weiteres Mal auf die Reinstallierung der Anfangs so gründlich und überzeugend desavouierten heteronormativen Oger-Welt hinaus läuft.

Lukas Foerster

Woment Without Men. Deutschland / Österreich / Frankreich 2009 - Originaltitel: Zanan-e bedun-e mardan - Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari - Darsteller: Pegah Ferydoni, Arita Shahrzad, Shabnam Tolouei, Orsi Toth.

Für immer Shrek. USA 2010 - Originaltitel: Shrek Forever After - Regie: Mike Mitchell - Darsteller: (deutsche Stimmen) Sascha Hehn, Esther Schweins, Benno Führmann, Marie-Luise Marjan, Bernhard Hoecker.