Im Kino

Leben eben

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Elena Meilicke
30.11.2011. Berückend erzählt Thomas Imbachs Dokumentarfilm "Day is Done" von flüchtigen und ganz unflüchtigen Dingen. Und Cary Fukunaga steckt für seine Romanverfilmung "Jane Eyre" die gründlich falsch verstandene Titelfigur ins Puppenhaus.


"Day Is Done" ist ein Film über Flüchtigkeiten: immer wieder nimmt die Kamera Rauch, Wolken und Nebel in den Blick, Dinge, die schnell, formlos und unbeschreibbar sind. Daneben geht es um Flüchtigkeiten anderer Art: ein Vater, der stirbt, eine Beziehung, die zerbricht, ein Mann, der sich entzieht.

"Day Is Done" des Schweizer Filmemachers Thomas Imbach erzählt von diesen flüchtigen Dingen auf berückende Art und Weise, deren Reiz aus einer doppelten Beschränkung resultiert: zum einen besteht der Film fast ausschließlich aus Aufnahmen, die Imbach vom Fenster seines Zürcher Ateliers aus gedreht hat. Diese Fensterblicke zeigen wenige, immer wiederkehrende Motive: Wind und Wetterlagen eben, Schlote und Schornsteine, Züge und Flugzeuge, die Straße vor dem Ateliergebäude. Die Einstellungen sind lang und die Kamera oft statisch; nur manchmal macht sich Imbachs Präsenz bemerkbar, wenn suchend justiert, geschwenkt und geruckelt wird. Zeitlich manipuliert in ihrer Abspielgeschwindigkeit sind diese Bilder dagegen immer: Zürich in Zeitraffer und Zeitlupe.

Über diese Fensterblicke - das ist die zweite Beschränkung und der eigentliche Clou des Films - montiert Imbach eine Tonspur aus Nachrichten, die Familie, Freunde, Kollegen und Geschäftspartner über Jahre auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen haben. Bald schon beginnt man, die Stimmen wiederzuerkennen, Eigenheiten auszumachen und sie Figuren zuzuordnen. Der ältere Mann, der ständig auf Reisen zu sein scheint, muss Imbachs Vater sein. Die junge Frau, deren Stimme ein wenig lasch daherkommt, ist Imbachs Freundin. Irgendwann spricht der Vater von Chemotherapie und die Freundin von Geburtshäusern; dann eine Nachricht, die den Termin für ein Urnenbegräbnis bekanntgibt, und eine, auf der man im Hintergrund ein Kind schreien hört. So entspinnt sich, sprunghaft zwar und voller Lücken, ein narrativer Faden.



Der Anrufbeantworter ist heute, im Zeitalter von Handys, so gut wie ausgestorben. Nachrichtenbänder wurden kaum je für archivierungswürdig gehalten. Es ist also auch eine flüchtige Technik, mittels derer Imbach seine "fiktive Autobiografie", wie er es nennt, entwirft. "Day Is Done" ist somit zugleich ein vergessenes Kapitel Mediengeschichte über eine Maschine, die zwar Anrufbeantworter heißt und doch niemals Antworten liefert. Seine Spannung bezieht "Day Is Done" folgerichtig aus der Tatsache, dass all diese Stimmen, die hier fragen und fordern, schmeicheln und bitten, ins Leere laufen. Immer stehen die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter für verpasste Begegnungen und nicht geführte Gespräche ein. Imbach, Adressat aller Botschaften, bleibt stumm, entzogen, nicht erreichbar, das leere Zentrum, um das der Film kreist.

Die Beziehung zur Frau zerbricht, das Kind wächst auf, man hört es schreien, stammeln, schließlich selber sprechen. In diesem Sinne ist "Day Is Done" nicht nur ein Film über Flüchtigkeiten, sondern auch einer über ganz und gar unflüchtige Dinge: Prozesse, Zustände, die sich langsam, unmerklich, über Jahre entwickeln und die gerade deshalb der menschlichen Wahrnehmung genauso entzogen sind wie das Flüchtige: Leben eben. Das Flüchtige und das Unflüchtige als Wahrnehmungsprobleme zu begreifen, die sich mit Hilfe des Kinos bearbeiten lassen - davon handelt "Day Is Done". Zeitraffer, Zeitlupe und Montage werden hier vorgeführt als Techniken, mit denen der Film Wahrnehmung verschieben und ermöglichen kann: Die Bewegung von Wolken wird eben erst im Zeitraffer so richtig anschaulich, während der locker wippende Gang eines Müllmanns sich am besten in Zeitlupe erschließt. Und die Bilder, die "Day Is Done" zusammenfügt, stammen aus den Jahren 1995 bis 2010, die Anrufbeantworternachrichten aus den Jahren 1988 bis 2003: Jahrzehnte, transformiert in eine Spiellänge von knapp zwei Stunden.

Elena Meilicke

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"Man muss vielleicht keine Historienfilme drehen", schrieb Ekkehard Knörer an dieser Stelle vor eineinhalb Jahren. Hinzufügen könnte man: Erst recht muss man möglicherweise keine Klassikeradaptionen drehen. Was im Schulunterricht felsenfest kanonisiert ist, ist fürs Kino verloren, taugt nur noch für ausstattungsintensive Bilderbögen voller aufdringlich grimassierender Topschauspieler, Ausnahmen wie Fassbinders "Effi Briest"-Film bestätigen die Regel.

Die neue Bewegtbildversion von Charlotte Brontes "Jane Eyre" ist leider keine Ausnahme. Die Topschauspieler sind diesmal Mia Wasikowska als Jane und Michael Fassbender als ihr düster-romantischer Verehrer und um-ein-Haar-Ehemann Rochester, beide aktuell ganz besonders heiße Eisen in Hollywood und beide, da kann man ihnen nichts vorwerfen, mit viel Eifer bei der Sache. Nur leider bei der falschen Sache. Mit vollem Ernst und einigem, aber nie überbordenden, weil dem psychologischen Realismus des Drehbuchs verpflichteten Pathos konstruiert Regisseur Cary Fukunaga um sie herum eine bildhübsche, hoffnungslos sterile historische Kulisse, über deren Puppenhauscharakter weder die andauernd an-, ab- und sonstwie, aber stets streng handlungsunterstützend herumschwellende Musik, noch gelegentliche Dynamisierungsversuche per subjektivierender Handkamera hinwegtäuschen können.

Ein Film, der in seiner realitätsvergessenen Schließung keinerlei Bezug zur Gegenwart zulässt, nicht in seinen Bildern, die Einstellung für Einstellung das Kracauersche Diktum von Film als "Errettung der äußeren Wirklichkeit" an einen blinden Illusionismus verraten und auch nicht in seiner brav der literarischen Vorlage nacherzählten Handlung. Bezeichnenderweise ist der einzige größere Eingriff ins Ausgangsmaterial gleich verheerend. Fukunagas "Jane Eyre" beginnt nicht mit dem Anfang des Romans, mit der Kindheit des Waisenmädchens Jane als ungeliebter Gast der Familie ihrer Tante Sarah Reed, sondern mit ihrer späteren Flucht aus dem Anwesen Rochesters und ihrem anschließenden Asyl in der Familie eines Missionars. Von hier aus entfaltet sich der Film über Rückblenden.



Nun beschränkt sich die Rahmenhandlung zwar auf einige wenige, noch dazu eher unprägnante Szenen, aber dennoch zeigt schon diese kleine Änderung, dass der Film seine Vorlage ganz grundsätzlich nicht verstanden hat. Fukunagas "Jane Eyre" erzählt eben gerade nicht mehr die emanzipative und protofeministische Geschichte der Subjektwerdung einer Frau, die sich aus der denkbar beengtesten Ausgangsposition Bahn in die weite Welt bricht und schließlich Besitz von der eigenen Biografie ergreift - all das nicht in einem einzigen Befreiungsschlag, sondern in einem kontinuierlichen Lernprozess, der im Original bereits auf der ersten Seite beginnt, wenn die von ihrer Verwandtschaft gedemütigte Jane ein Buch zur Hand nimmt. Statt dessen verwandelt der Film die einzelnen Stationen des Lebens Janes in ein Traumastück, das eine "komplexe" und "interessante" Frau im nachhinein, sozusagen vom Ergebnis her, erklärt und analysiert, anstatt ihr die Freiheit, die sie sich erkämpft, auch tatsächlich zuzugestehen.

Lukas Foerster

Day is Done - Schweiz 2011 - Originaltitel: Day is Done - Regie: Thomas Imbach - Länge: 111 Min. - Start: 30.11.2011

Jane Eyre - Großbritannien 2011 - Originaltitel: Jane Eyre - Regie: Cary Fukunaga - Darsteller: Mia Wasikowska, Michael Fassbender, Judy Dench, Sally Hawkins, Jamie Bell, Imogen Poots, Amelia Clarkson, Holliday Grainger, Tamzin Merchant - Länge: 120 Min. - Start: 30.11.2011

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