Im Kino

Süßes und Saures

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
13.07.2011. Sture und neugierige Körper in Berlin zeigt Hugo Vieira da Silva in seinem zerfallenden Kleinfamiliendreiecks-Film "Swans". Opulenter lebensgeschichtlich rückt Richard J. Lewis' "Barney's Version" nach einem Roman Mordecai Richlers einem frauenverschleißenden TV-Produzenten zu Leib - und mit Paul Giamatti und Dustin Hoffman ist der Film auf jeden Fall prächtig besetzt.


Am Flughafen in Berlin: Der Flieger schiebt sich an die Ausstiegsschleuse, die wie ein Schlauch an die Maschine andockt. Das hat, im ruhigen, nüchternen Kamerablick aus sicherer Distanz, etwas Unheimliches, irgendwo zwischen Technik und Organik. Eine mechanische Geburt; zwei Körper werden durch den Schlauch in Berlin und in den Film eingeschleust: der Vater-Körper und der Sohn-Körper. Der dritte Körper, der Mutter-Körper, liegt im Krankenhaus, im Koma nach einer Chemotherapie. Das ist dann auch schon mehr oder weniger der ganze Plot, den der Film benötigt: Vater (Import / Export) und Sohn (Skateboard / Hip-Hop) kommen aus Portugal, um die schwerkranke Mutter im Berliner Krankenhaus zu besuchen.

Sie stehen dann am Bett, mal der eine, mal der andere, mal beide zusammen und sie versuchen, sich zu diesem stillgestellten, nur notdürftig bedeckten Körper zu verhalten. Die Mutter wird gewaschen, sie wird gestreichelt, in den Arm genommen, von einem Heilpraktiker mit Akupunktur-Nadeln traktiert; "das ist ihre Antenne", erklärt der Rudolf-Thome-Schauspieler Cornelius Schwalm, nachdem er ihr die letzte Nadel direkt in die kahlrasierte Schädeldecke gerammt hat. Nicht nur in dieser Szene bewundert man die Selbstbeherrschung der Schauspielerin, die das alles über sich ergehen lässt. Das ist eine der schönen Dinge, die man in dem Film tun kann: diesen Körper, der zwar bewußtlos spielt, aber es offensichtlich nicht ist, zu beobachten, seine kleinen Bewegungen, seine unwillkürlichen, nicht zu unterdrückenden Reaktionen auf das, was da, meist in liebevoller Absicht, mit ihm angestellt wird.

Zwischen den Krankenhausbesuchen leben Vater und Sohn ihre jeweiligen Leben in Berlin, sie wohnen zusammen - manchmal schaut Kim vorbei, eine asiatische Freundin der Mutter, deren Körper eine Überraschung birgt - und schauen gelegentlich gemeinsam fern, kommuniziert aber wird nicht. Zwei Körper in der der Großstadt, noch dazu in einer, die beiden in unterschiedlichem Ausmaß fremd ist. Beide Körper scheinen sich in ihrer Haut nicht ganz wohl zu fühlen, wollen vielleicht nicht unbedingt aus sich heraus, aber irgendwo anders hin, suchen eine Differenz, zum Ich, zum Familieroman, der so radikal kaputt gegangen ist, dass selbst Inzest eine Option wird, einmal, kurz, als ein Bewegung gewordenes Gedankenspiel.



Der Vater lässt sich von Cornelius Schwalm anstecken und probiert allerlei New-Age-Kram aus (Atemübungen durch eine verspiegelte Glastür gefilmt; wie die Rituale einer geheimnisvollen Sekte aus der Zukunft; das Science-Fictionhafte des gesamten Films kristalliert immer wieder in solchen, einzelnen Bildern). Der Sohn eperimentiert mit Maskierungen, erst zieht er sich eine silberne Kette über die Augen und sitzt einfach nur da, einige Sekunden lang, ganz bei sich selbst, später findet er etwas Schwarzes, Batmanartiges. Er zieht durch die Berliner Subkulturen, die man in anderen Berlin-Filmen eher selten sieht, landet bei den Sprayern (auch da ist Maskierung wichtig) und im Hip-Hop-Underground, zwei schöne Szenen spielen in einem Skatepark, da klebt die Kamera plötzlich ganz tief am Boden, gleitet flüssig die Ramps und Slides entlang, orientiert sich eher an den Boards, als an den Skatern.

Ein schöner, eigensinniger Film über drei Körper. Gleichzeitig ein Film, der trotzdem ein Drehbuch und Dialoge hat, Dialoge, die man oft nur schwer erträgt: problemsoziologische Kontaktaufnahmeversuche des Vaters ohne jeden Sinn für das, was die Bilder über die Beziehung der beiden zueinander vermitteln (die unausgesprochene, vielleicht eben doch jenseits aller Klischees des Entfremdungskinos unaussprechbare Sehnsucht nach Intimität im stillen Nebeneinander vor dem Fernseher), ein Gespräch des Vaters mit einem Polizisten über die Unbelehrbarkeit der heutigen Jugend, wie man es selbst in zeitgenössischen Tatorten selten lebensferner konstruiert findet. Bei letzterem Gespräch verliert auch die ansonsten souveräne Kamera Reinhold Vorschneiders ihre Beherrschung und versucht sich in einer Michael-Ballhaus-Gedächtnis-360-Grad-Fahrt. Vielleicht geht es in solchen Szenen (allzu viele sind es nicht, zum Glück) darum, eine bestimmte Form von Psychologisierung und auch von autorenfilmerischer Sozialpädagogik zu diskreditieren? Das wäre in vollem Umfang gelungen. Aber dann doch lieber wieder raus aus der Polizeiwache, zurück ins kalte Berlin, zu den einsamen, sturen, neugierigen Körpern, die sich nicht nach der vermeintlichen Wärme und Geborgenheit der Soziologie und der Psychologie, sondern nach Erfahrungen sehnen.

Lukas Foerster

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Mitten im schönsten Hochzeitsfeiergeschehen, während sein Vater, der Cop, die Frau des Rabbis im trunkenen Zustand mit einer Erektion (wenn auch nur einer erzählten) schockiert, erstarrt Barney Panofsky: Er erblickt die Frau seines Lebens. Wie schön: Die Hochzeit, in der wir uns in dieser Szene befinden, ist die seine. Wie, ganz im Gegenteil, unschön: Die Frau, die er, vom coup de foudre getroffen, erst anstarrt, dann anmacht, dann bis in den Bahnhof und in den Zug und späterhin mit roten Rosen verfolgt, ist es nicht. Sie soll es, sie wird es werden, dazwischen aber liegt Ehe Nummer zwei als Tortur. Minnie Driver spielt die verwöhnte Prinzessin aus bestem jüdischem Haus, in das Barneys Vater, der Cop, als ungehobelter Mann von der Straße beim ersten und mutmaßlich letzten gemeinsamen Dinner einfällt mit bestem Willen und dann doch wie ein Vandale ins römische Reich. Dustin Hoffman spielt das, wie zu erwarten, mit Gusto. Um einiges später stirbt er im Puff. Ehefrau Nummer zwei bekommt im Film wie im Buch schon erst gar keinen Namen. Kein Wunder, denn beide, das Buch wie der Film, sind aus der Perspektive Barneys erzählt. (Im Buch, das ich nur aus Rezensionen kenne, kommt aber ein entscheidender Clou dazu: Barneys Erzählen und Erinnern zerfällt selbst aufgrund seiner Alzheimer-Erkrankung. Einen solchen sogar für sich selbst unzuverlässigen Erzähler versucht der Film - leider - gar nicht erst zu reproduzieren.)

Es fällt wirklich schwer, ihn zu mögen. Und noch schwerer fällt's, zu begreifen, was summa summarum gleich drei Ehefrauen an diesem rundlichen, rücksichtslosen, trunksüchtigen Mann finden, den Paul Giamatti, der mit schlubs wie diesem in seinem Element ist, hinreißend spielt. Wirklich erklärt wird diese Attraktion nicht. Wir sehen eher, wie er sich's im Lauf seines Lebens mit fast allen und jedem verdirbt. Zurück geht der Film als Erinnerung des älteren und noch dazu alzheimererkrankenden Manns ins Rom der sechziger Jahre, das das Paris der Fünfziger aus dem Roman vertritt. Da war noch Rom, da war Jugend, da war Ehefrau Nummer eins, die ihn mit Lügen und anderen Männern betrog, außerdem Malerin bestenfalls mediokrer Gemälde. Sie endet durch Selbstmord.



Mancher Blütentraum reift keineswegs, Freund Boogie mit seinen Schriftsteller-Ambitionen wird nicht berühmt und dann stirbt er und ausgerechnet Barney wird verdächtigt, ihn erschossen zu haben. (Er hat ihn in flagranti mit Ehefrau Nummer zwei erwischt, ein Schuss löst sich, die Leiche taucht erst viel später auf. Das ganze gibt dem Film einen ganz schön überflüssigen Kriminalroman-Rahmen.) Barney wird Filmproduzent. Der Name der Firma "Totally Unnecessary Films" ist Nomen und Omen und Barney hat mit TV-Produktionen minderer Güte Erfolg. Ein netter Zug ist es, einmal beim Soap-Dreh keinen Geringeren als den kanadischen Regisseur David Cronenberg im Regiestuhl sitzen zu sehen. Es treten in Cameos auch Atom Egoyan und Denys Arcand auf. Andere Zeichen werden gleichfalls gestreut: Rosamund Pike, die das Coup-de-foudre-Objekt und, später unter grotesken Umständen erweicht, Ehefrau Nummer drei spielt, liest zum Beispiel im Zug den Richler und seinen Büchern wesensverwandten Saul-Bellow-Klassiker "Herzog".

"Barney's Version" ist ein komischer Film, immer wieder, durchaus. Sein Held bekommt Süßes und Saures. Nachgezeichnet wird das Auf und Ab einer sehr männlichen Selbstmitleids- und Begehrens-Lebensgeschichte; das alles aus der Perspektive des Manns selbst, die der Film, anders als die sich als autobiografischer Text gebende Vorlage, notgedrungen objektiviert. Manche Differenzierung verschwimmt so: Ist nur Barney ein misogyner Narziss oder ist der Film selbst misogyn und affirmiert seinen Narzissmus? Endet der Held als sentimentaler alter Mann mit Alzheimer oder wird "Barney's Version" selbst zum Schluss ganz schön blöd sentimental? Letzteres lässt sich ziemlich sicher bejahen. Wie überhaupt das ganze Projekt von einem süßsauren So-ist-nun-mal-das-Leben-Ton durchsetzt ist, der beim einen zum dringenden Wunsch nach Alka-Seltzer, beim anderen zum Ruf nach Filmpreisen und Anverwandtem führt.

Ekkehard Knörer

Swans. Deutschland / Portugal 2010 - Regie: Hugo Vieira da Silva - Darsteller: Kai Hillebrand, Ralph Herforth, Maria Schuster, Vasupol Siriviriyapoon, Eva Kryll, Cornelius Schwalm, Christian Schwarz, Anne Rathsfeld, Roert Lohr

Barney's Version. Kanada / Italien 2010 - Regie: Richard J. Lewis - Darsteller: Paul Giamatti, Dustin Hoffman, Rosamund Pike, Minnie Driver, Rachelle Lefevre, Scott Speedman, Bruce Greenwood, Macha Grenon, Jake Hoffman