Magazinrundschau - Archiv

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9 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 08.04.2024 - Newlines Magazine

Nachdem der ehemalige nigerianische Präsident Mohammedu Buhari per Dekret verfügt hatte, dass die Benin-Bronzen an Oba Ewuare II übergeben werden sollen, entbrannte erneut der Kampf zwischen dem Königspalast und der Nationalen Kommission für Museen und Denkmäler (NCMM), die für die Bewahrung, Förderung und Entwicklung des kulturellen Erbes Nigerias verantwortlich ist. (Unsere Resümees) Seit Buharis Aussagen wurden von den verunsicherten europäischen Museen keine Bronzen mehr an Nigeria zurückgegeben und auch über den Verbleib der bisher restituierten Bronzen ist nichts bekannt, weiß Noah Anthony Enahoro. Auch die nigerianische Kulturwelt ist in der Frage über den rechtmäßigen Besitz gespalten, große Hoffnungen werden in die lang ersehnte  Eröffnung des Edo Museum of West African Art in Benin City gesetzt, das mit der Ernennung der in London lebenden Künstlerin und Schriftstellerin Aindrea Emelife zur Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst zur Heimat von Artefakten aus dem Königreich Benin werden soll: "Im Gespräch mit The Art Newspaper betonte Emelife, dass die Zusammenarbeit mit westlichen Museen von entscheidender Bedeutung ist, insbesondere wenn es um die Rückgabe von Kunstwerken geht. 'Auf dem Weg zu einem wirklich globalen Kunst-Ökosystem könnte man sich eine echte und gleichberechtigte Zirkulation der Kulturen vorstellen', sagte sie. 'Wenn Kunstwerke, egal ob italienische oder nigerianische, große kulturelle Botschafter sind, sollten diese Werke und der in sie eingebettete Dialog und die Geschichte weltweit zirkulieren, auch in afrikanischen Institutionen.'" Außerdem ernannte Präsident Bola Tinubu Yusuf Tuggar, "der als Botschafter in Deutschland dazu beigetragen hatte, die Übertragung des Eigentums an mehr als 1.000 Bronzen aus Benin im Jahr 2022 auszuhandeln - zum Außenminister. Dies deutet darauf hin, dass sich die neue Regierung darauf vorbereitet, bei der Restitution weiter zu gehen als ihre Vorgänger."

Das Streiten über den Ramadan hat in Tunesien mehr oder weniger Tradition, erklärt Ahmed Nadhif, und verschafft uns einen geschichtlichen Überblick über die tunesische Debatte des Fastenbrechens. Es war der tunesische Präsident Habib Bourguiba, der den Stein ins Rollen brachte, indem er während der Fastenzeit im Jahr 1962 demonstrativ ein Glas Orangensaft trank und seine Mitmenschen aufforderte, es ihm gleich zu tun, erzählt Nadhif. Bourguiba bekam für seinen progressiven Anlauf nicht die Unterstützung, die er sich erhofft hatte - vielmehr forcierte er die Spaltung zwischen konservativen und modernistischen Kräften in Tunesien. Gleichzeitig wurde die Kontroverse um den Ramadan zum Barometer für die politische Stimmung im Land. Dieses Jahr allerdings ist der "heilige Monat seltsam ruhig", beobachtet Nadhif. Ein Grund zur Erleichterung ist das nicht. Seit Juli 2021 hat der autoritär regierende Präsident Kais Saied "sowohl die konservativen als auch die modernistischen Stimmen effektiv an den Rand gedrängt und den politischen Diskurs und die öffentliche Meinung monopolisiert. Diese Dominanz hat einen Schatten auf die übliche Inbrunst der Ramadan-Debatten geworfen und stellt eine deutliche Abweichung von der Norm dar. Man könnte diese Ruhe den konservativen Neigungen Saieds zuschreiben, der eine eher gedämpfte öffentliche Sphäre bevorzugt. Möglicherweise ist sie aber auch auf die harte wirtschaftliche Realität zurückzuführen, mit der die Tunesier konfrontiert sind, einschließlich der steigenden Lebenshaltungskosten und der weit verbreiteten finanziellen Belastung. Während die Bürger mit wirtschaftlicher Not zu kämpfen haben, tritt der Luxus, über Ramadan-Rituale zu debattieren, hinter dringenderen Sorgen zurück. Der gedämpfte Charakter des diesjährigen Ramadan spiegelt nicht nur die politische Stagnation wider, sondern auch die harte Realität des Alltags der Tunesier."

Im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg kämpften die Hui-Muslime erbittert für China, heute steht das chinesische Regime den über 8 Millionen in China lebenden Hui-Muslimen feindselig gegenüber, schreibt Steven Zhou. "Mit Blick auf die Uiguren waren sie "zwar nicht das primäre Ziel des harten Vorgehens der Regierung gegen den Islam, aber sie werden dennoch zunehmend misstrauisch beäugt. Dieses Misstrauen zeigt sich nun in materieller Form. Eine Analyse der Financial Times von über 2.300 Moscheen in ganz China ergab, dass etwa drei Viertel von ihnen entweder von 'nicht-chinesischen' Merkmalen befreit oder sogar völlig zerstört wurden. Die islamische Symbolik wird vom derzeitigen Regime als Bedrohung für China angesehen. Die Geschichte der Hui-Integration ist jedoch eine Geschichte der Suche nach Koexistenz durch Rechtfertigung der Loyalität gegenüber der kaiserlichen und nationalen Führung. Die muslimische Präsenz in China besteht seit etwa einem Jahrtausend - unermesslich länger als die Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas. Zu dieser Geschichte gehört auch die Aufopferung von Hui-Leben während des antijapanischen Widerstands, bei dem religiöse Argumente von chinesischen Muslimführern aggressiv eingesetzt wurden, um die Beteiligung der Hui am Kampf gegen die Japaner zu fördern. All dies scheint im heutigen China vergessen zu sein, wo ein mehrheitlicher Ethno-Nationalismus herrscht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass eine starke muslimische Gemeinschaft als wichtiger Bestandteil des Aufbaus einer Nation in China angesehen wurde. Jetzt wird die Han-Mehrheit Chinas durch eine zunehmende Welle der Unterdrückung gegen die muslimischen 'Randgebiete' des Landes ausgespielt, deren Loyalität als verdächtig gilt."

Magazinrundschau vom 28.11.2023 - Newlines Magazine

Khaled Diab blickt auf die tief sitzenden individuellen und kollektiven Traumata der Israelis und Palästinenser, die von Extremisten auf beiden Seiten ausgenutzt werden. Katastrophe werde auf Katastrophe folgen, warnt er: "Israel kann die Hamas nicht zerstören. Das liegt nicht daran, dass die Hamas unbesiegbar ist oder dass es Israel an Feuerkraft mangelt. Das liegt daran, dass 'Hamas' eine Idee ist und man eine Idee nicht auf dem Schlachtfeld töten kann. Tatsächlich läuft das, was Israel jetzt in Gaza tut, Gefahr, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass noch radikalere Bewegungen aus den Trümmern hervortreten, insbesondere da die sozialen Säulen, die die Gemeinschaft zusammenhalten, inmitten der Zerstörung zusammenbrechen. Die große Trauer und das Trauma, die durch die anhaltende Zerstörung des Gazastreifens verursacht werden, könnten einen neuen Kader von Extremisten mit willigen oder auch widerwilligen Rekruten hervorbringen. Israels extremer Militarismus und sein übermäßiges Vertrauen auf die militärische Macht sind zum Teil ein Nebenprodukt eines historischen Traumas, das von Extremisten ausgenutzt wird, um die Öffentlichkeit für das Siedlungsprojekt und die anhaltende Entmachtung der Palästinenser zu unterstützen oder sie als Geisel zu halten. Die Macht, der Machismo und die Prahlerei der stärksten Armee der Region kompensieren in der kollektiven Psyche teilweise das Gefühl vergangener Machtlosigkeit und Schwäche. Auch unter den Palästinensern herrscht eine nicht ungleiche Dynamik der Überschätzung des Nutzens von Gewalt und der Unterschätzung der Entschlossenheit und Entschlossenheit der anderen Seite, allerdings eher aus aktuellen und nicht aus historischen Gründen. Das anhaltende kollektive Trauma der Enteignung hat nicht nur tiefe Schmerzen, sondern auch tiefe Quellen ohnmächtiger Scham über die kollektive Schwäche des palästinensischen Volkes und seine Unfähigkeit, sich zu verteidigen, geschaffen."

"Wer sind wir, wenn unser Zuhause sowohl physisch als auch metaphorisch zerstört wurde?" Dieser Frage widmet sich der aus Syrien nach Großbritannien geflohene Architekt Ammar Azzouz in seinem Buch "Domicide: Architecture, War and the Destruction of Home in Syria", für das er Überlebende zum Verlust ihrer Heimat befragt hat. Er berichtet: "Manche entscheiden sich dafür, sich nicht durch ihre Erfahrungen mit Gewalt und Zerstörung definieren zu lassen und weigern sich, als Überlebende bezeichnet zu werden - entweder aus Stolz oder aus dem Wunsch heraus, weiterzumachen. ... Andere, die versuchen, im Exil ein neues Leben aufzubauen, werden weiterhin von der Erinnerung an den Krieg geplagt, auch wenn sie jetzt relativ komfortabel leben, wie ein Videoclip der syrischen Künstlerin Assala Mostafa Hatem Nasri mit dem Titel 'Brot, Zucker, Heimat' zeigt. Nasri tut so, als höre sie ihren Mann nicht, als er sie fragt, ob sie gesehen hat, was in Syrien passiert. Sie wechselt das Thema und bittet ihn, Brot und Zucker nach Hause zu bringen. Er wiederholt die Frage, und wieder wechselt sie das Thema. Aber als er darauf besteht, geht sie in ihr Wohnzimmer, das sich in einen Ort des Traumas verwandelt, da Bilder von Ruinen und Vertreibung an die Wände projiziert werden. Es ist klar, dass sie zwar nicht über den Krieg sprechen will, aber er beschäftigt sie immer noch, und sie singt: 'Mein Geliebter, ich tue so, als könnte ich dich nicht hören, weil ich Angst habe, eines Tages zerstört zu werden. Wegen all meines Schmerzes habe ich Angst, jemandem meine Gefühle zu beschreiben."

Außerdem: Die Anthropologinnen Ammara Maqsood und Amandas Ong warnen mit Blick auf den Israel-Palästina-Konflikt davor, dass Sprache den Krieg trivialisiert, die Opfer entmenschlicht und die Vergangenheit auslöscht.

Magazinrundschau vom 21.11.2023 - Newlines Magazine

Mit aggressiver Propaganda unterlegt das iranische Regime seine Unterstützung für die Hamas und den Kampf gegen Israel, aber in der iranischen Bevölkerung findet sich kaum noch Zustimmung, schreibt der iranische Journalist Kourosh Ziabari: "Gab es zu Beginn der Revolution von 1979 einen echten nationalen Konsens darüber, dass Widerstand gegen die Politik Israels eine moralische und menschliche Verantwortung sei, so wurde diese Verpflichtung durch die Exzesse der Islamischen Republik zunichte gemacht. Für die jüngere Generation ist der Kampf um das besetzte Land lediglich ein rhetorisches Spielzeug der Führung, um ihren Einfluss in der muslimischen Welt zu stärken. Als der im Exil lebende Ayatollah Ruhollah Khomeini das Narrativ der Revolution formulierte, scharte er seine Anhänger erfolgreich um die Idee der Antipathie gegen die Apartheid in Südafrika und die Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel, weshalb er beiden Ländern nach 1979 die diplomatische Anerkennung verweigerte. Doch was zu Beginn als humanitäres Prinzip vermarktet wurde, verwandelte sich in Fanatismus und wurde für strategische Zwecke als Waffe eingesetzt, verlor aber zunehmend an Glanz. Viele iranische Steuerzahler halten die militanten Cliquen in Gaza sowie andere Teheraner Stellvertreter wie die libanesische Hisbollah für ein Fass ohne Boden, das ihren Reichtum in unbescheidener Weise verschlingt. Für sie ist das palästinensische Ideal ein Rivale, der sie als Priorität verdrängt hat, wenn ihre Regierung entscheidet, wofür sie ihre Mittel einsetzen will. Es ist nicht nur die Auszahlung von Bargeld an transnationale Kombattanten, die die Wähler verärgert. Sie sind frustriert darüber, dass die Aufmerksamkeit der Regierung fast vollständig von einem Konflikt vereinnahmt wird, mit dem sie nicht unbedingt etwas zu tun haben und der ihnen auch Folgekosten verursacht hat. ... In jüngerer Zeit, wenn Demonstranten ihre wirtschaftlichen Beschwerden zum Ausdruck bringen, ist einer der wiederkehrenden Refrains, die sie singen: 'Gebt Palästina auf; überlegt euch eine Lösung für uns.'"

Vor einigen Wochen hatte Wladimir Putin ein Dekret zur Einberufung von 130.000 Männern zum Wehrdienst unterzeichnet, erstmals galt die Wehrpflicht auch für die von seinen Invasionstruppen besetzten Gebiete der Ukraine, berichtet Martin Kuz, den das Dilemma, vor dem junge ukrainische Männer in den besetzten Gebieten nun stehen, an das Schicksal seines Vaters erinnert, der sich 1943 der Galizien-Division anschloss: "Achtzig Jahre später ist Putin zum geistigen Nachfolger Stalins geworden, ein Zerstörer ohne Gewissensbisse, während er einen neuen russischen Kreuzzug führt, um die Unabhängigkeit der Ukraine zu zerstören, nur drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Sein Befehl, ukrainische Männer in den besetzten Gebieten zum Eintritt in die russische Armee zu verpflichten, erinnert an den bösartigen Zynismus Stalins, der im Zweiten Weltkrieg Millionen Ukrainer eingezogen hat, nachdem er bereits Millionen ihrer Mitbürger ausgehungert, eingesperrt und hingerichtet hatte. Die Entscheidung, vor der die Männer in den von Russland gehaltenen Gebieten jetzt stehen, unterscheidet sich in zwei entscheidenden Punkten von der unmöglichen Entscheidung, die meinen Vater und seine Generation belastete. Nur ein Diktator hat in diesem Krieg die Ukraine belagert, und der Westen hat seine Grausamkeit voll zur Kenntnis genommen. Dennoch hat sich im wichtigsten Punkt nichts geändert. Russland stellt die größte unmittelbare Bedrohung für die Ukraine und ihre Bevölkerung dar. Während Putin Stalin nachahmt und versucht, die Ukrainer im Interesse der imperialen Ambitionen Moskaus zu versklaven, erinnert seine Völkermordkampagne daran, warum die Galiziendivision ins Leben gerufen wurde."

Außerdem: Layla AlAmmar erzählt die Geschichte der Kalligraphie: "In der Welt der Kalligraphie finden wir einen Mikrokosmos der Debatten, die die arabische Moderne seit der 'nahda' ('arabisches Erwachen') des 19. Jahrhunderts geplagt haben. Es herrscht eine unterschwellige Angst, eine Unruhe, die sich um die gleichen Achsen dreht - konservativ oder fortschrittlich, islamisch oder säkular, entgegenkommend oder radikal, traditionell oder modern - Binär- und Polaritäten, vielleicht ein weiterer westlicher Import."

Magazinrundschau vom 31.10.2023 - Newlines Magazine

Katia Patin berichtet von der unermüdlichen Arbeit von Memorial, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten russischen Organisation für historische Aufklärung und Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft, die nach der Schließung durch den Obersten Gerichtshof Moskaus mit immer neuen Widerständen konfrontiert wird: "Weltweit sind etwa 200 Mitglieder und Freiwillige von Memorial tätig, knapp die Hälfte davon in Russland. Da jede russische Zweigstelle unabhängig registriert ist, würde es 25 separate Gerichtsverfahren erfordern, um das Netzwerk innerhalb des Landes vollständig zu schließen. Es gibt Satellitenbüros in der Tschechischen Republik, der Ukraine, Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Litauen, Italien, Frankreich, Polen, Israel, Belgien und Schweden. Die Memorial-Außenstellen im Ausland bestanden lange Zeit größtenteils aus einheimischen Historikern, die sich mit der Sowjetzeit befassten, doch jetzt nehmen viele Zweigstellen Mitarbeiter auf, die aus Russland geflohen sind. (…) In Russland nimmt der Druck auf die Mitarbeiter weiter zu. Der Leiter der Memorial-Niederlassung in der sibirischen Stadt Perm wurde im Mai verhaftet, als er versuchte, einen Flug nach Deutschland zu besteigen, und wurde wegen 'Hooliganismus' angeklagt; seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Büros in Jekaterinburg und anderen Städten werden von den örtlichen Behörden regelmäßig schikaniert und mit willkürlichen Geldstrafen belegt, so dass einige von ihnen kurz vor der Schließung stehen. Ein prominenter Historiker von Memorial, Juri Dmitriev, verbüßt derzeit eine 15-jährige Haftstrafe in einem Gefängnis, die nach Ansicht von Memorial politisch motiviert ist. Beide Männer sind derzeit in Einrichtungen inhaftiert, die einst Teil des sowjetischen Gulag-Systems waren. In Moskau sind neun Memorial-Mitglieder, darunter Polivanova, Zielscheibe einer laufenden strafrechtlichen Untersuchung geworden. Im Mai klagten die Behörden das Memorial-Vorstandsmitglied Oleg Orlow wegen 'Verunglimpfung' des russischen Militärs an, eine neue Straftat in Russland, die mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden kann."

Kimberly St. Julian-Varnon erzählt die Geschichte von afrikanischen Studierenden und Vertragsarbeitern in der DDR, denen trotz antirassistischer Sowjet-Ideologie immer wieder Rassismus begegnete, wie etwa der Fall mosambikanischer Vertragsarbeiter zeigt: "Nahezu 20.000 Mosambikaner zogen nach Ostdeutschland, um eine technische Ausbildung zu absolvieren und einen Arbeitsplatz zu finden, und zwar unter dem Deckmantel eines Programms, bei dem ein Teil ihres Lohns auf Sparkonten angelegt wurde, die sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat nutzen konnten. Diese Männer und Frauen, die heute als 'madgermanes' (d.h. 'made in Germany') bekannt sind, befanden sich nach der Auflösung der DDR im Jahr 1989 in einer unmöglichen Lage. Statt mit ausreichenden Ersparnissen nach Hause zu gehen, um ihre Familien zu versorgen, hatten sie nichts. Seit den 1990er Jahren bemühen sich diese ehemaligen Vertragsarbeiter um Entschädigung durch die deutsche und die mosambikanische Regierung. Sie wurden stets abgewimmelt. Ihnen wurde gesagt, dass der ostdeutsche Staat die Gelder nach Mosambik gezahlt hat, und die mosambikanische Regierung schiebt die Schuld immer noch auf Deutschland. Letztlich sind diese Männer und Frauen sich selbst überlassen, wurden wegen ihrer Zeit in Ostdeutschland oft sozial geächtet und leben in wirtschaftlicher Unsicherheit, weil sie beraubt wurden. An jedem beliebigen Mittwochnachmittag kann man in Maputo, Mosambik, die öffentlichen Proteste der Madgermanes beobachten, die sich dagegen wehren, dass die mosambikanische und die deutsche Regierung ihre Versprechen an sie vergessen. Das tägliche Leben der Vertragsarbeiter unterschied sich von dem der Studenten. Im Gegensatz zu afrikanischen Studenten lebten die Vertragsarbeiter isoliert von ihren deutschen Kommilitonen, oft in kleinen Städten außerhalb von Metropolen wie Ost-Berlin und Dresden. Viele Arbeiter hatten nur wenig Kontakt zu Deutschen. Der Kontakt fand meist am Arbeitsplatz oder in sozialen Einrichtungen wie Clubs oder Kinos nach Feierabend statt. Die Leiharbeiter waren in Wohnheimen und Pensionen untergebracht, die oft keinen Besuch zuließen, insbesondere nicht von ostdeutschen Frauen."

Weitere Artikel: Michael Kranz schreibt über die jüngste Ausgrabung eines Massengrabs im heute westukrainischen Puzniki, in dem dutzende mutmaßlich polnische Zivilisten gefunden wurden, die während des Massakers in Wolhynien ermordet wurden.

Magazinrundschau vom 26.09.2023 - Newlines Magazine

In einer großen mit 53 Minuten Lesezeit angegebenen Reportage schildert Lynzy Billing das ganze Ausmaß an giftiger Umweltbelastung, die erst das sowjetische und dann vor allem das amerikanische Militär in Afghanistan hinterlassen haben: "Anwohner berichten seit langem, dass US-Militärstützpunkte große Mengen an Abwasser, chemischen Abfällen und giftigen Substanzen von ihren Stützpunkten auf das Land und in Wasserstraßen kippen und so Ackerland und Grundwasser für ganze in der Nähe lebende Gemeinden verunreinigen. Sie verbrannten auch Müll und andere Abfälle in offenen Brenngruben - einige hatten Berichten zufolge die Größe von drei Fußballfeldern - und überschwemmten Dörfer mit giftigen Rauchwolken. Afghanistan hat mehr als 40 Jahre lang einen selten unterbrochenen Krieg erlitten. Die Beweise sind überall, einige davon statisch und vergraben, andere noch sehr lebendig. Die Kriegschemikalien vergifteten das Land auf eine Weise, die noch immer nicht vollständig verstanden ist. Bevor das US-Militär in Afghanistan eintraf, wurde den sowjetischen Streitkräften der Einsatz chemischer Waffen, darunter Napalm, vorgeworfen. Ihre Stützpunkte wurden dann von den Amerikanern umfunktioniert. Zurück bleiben heute Schichten über Schichten medizinischer, biologischer und chemischer Abfälle, die wahrscheinlich nie beseitigt werden."

Männer in Schlaghosen, Frauen in kurzen Röcken - kein seltenes Bild im Afghanistan der Sechzigerjahre, das modische Einflüsse aus Russland, Amerika und Indien vereinte, erinnert die in Afghanistan geborene Autorin Sofia Mahfouz, die Afghanistans Geschichte anhand der Mode in drei Generationen erzählt. Trugen Frauen Kopftuch, bekundete man ihnen Beileid, denn das Kopftuch wurde nur zu Traueranlässen oder zu Ramadan getragen. Und auch in den Neunzigern, als die Taliban erstmals die Macht übernahmen, versuchten afghanische Frauen noch, irgendwie ihre modische Freiheit zu bewahren: "In den dunklen Jahren der Taliban, als ich geboren wurde, war Mode ein verbotenes Wort. Meine Familie war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Kandahar gezogen. Frauen mussten sich mit formlosen Burkas bedecken und so ihre Schönheit und Identität verbergen. Doch schon damals erfreuten sie sich an den Farben ihrer Stickereien und stickten Muster aus Blumen und Vögeln auf ihre Kleidung. Meine Mutter war eine von ihnen. Da meine Mutter keine andere Möglichkeit hatte, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, musste sie sie auf eine neue Art und Weise entfalten. Einst Professorin, die Vorlesungen über organische Chemie hielt, musste sie nun ein neues Handwerk erlernen. Sie verwendete Seidengarn, das im Licht schimmerte, und verbrachte Stunden damit, die richtigen Farben und Muster auszuwählen. Wer Zugang nach Pakistan hatte, hatte Glück. Sie konnten sehen, was in der Modewelt passiert, und etwas davon mit nach Hause nehmen. (…) Die pakistanischen Kleider hatten raffiniertere Muster und Farben. Jeder, der nach Pakistan reiste, wurde daher mit der Aufgabe betraut, mit den gewünschten Stoffen und Stickmaterialien zurückzukehren."

Als Kind war der syrische Journalist Asser Katthab der einzige, der in der Schule Deutsch lernte. Hätte ihm jemand gesagt, dass ein paar Jahre später eine halbe Million syrische Menschen hier leben würden - er hätte es nicht geglaubt, schreibt er. Im Jahr 2017 floh auch er aus seiner Heimat, weil ihm wegen seiner Arbeit schwere Repressionen drohten. Ein französisches Asylvisum - sein Antrag in Deutschland wurde abgelehnt - erlaube ihm seitdem, nicht nur in Frieden zu leben, sondern auch frei reisen zu können. Kaum hatte er die Gelegenheit, reiste er nach Deutschland, nach Nürnberg um genau zu sein, um sich dort das Germanische Museum anzusehen. Die Begegnungen mit seinen Landsleuten waren nicht immer einfach, erzählt er, manchmal traf er auf Sympathisanten des Regimes oder konservative Syrer, die andere Mitglieder der Diaspora kontrollierten und sicherzustellen, dass sie keinen "westlichen" Gewohnheiten verfielen. Andere, so stellte er verblüfft fest, waren hundertfünfzigprozentige Bayern geworden. Vor allem aber konnte er beobachten, dass es eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Syrern gibt, auf die ihn seine eigenes Interesse für die deutsche Geschichte stieß: "Ich war mir bereits bewusst, dass die Deutschen angesichts dessen, was im vergangenen Jahrhundert geschehen ist, nicht sehr stolz auf die Vergangenheit ihrer Nation sind. Aber ich war überrascht, dass mein Interesse an der Geschichte des Landes - sogar vor der Vereinigung unter Kaiser Wilhelm I. und Bismarck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von den beiden Weltkriegen - fast jeden, den ich dort traf Unbehagen bereitete. Die meisten Deutschen, mit denen ich zu tun hatte, schienen darin übereinzustimmen, dass ihr Land sein Recht verloren hat, seine Kultur und sein Erbe zu feiern. Viele der Syrer, die nun schon seit Jahren hier sind, scheinen die gleiche Einstellung zum Rückblick auf die Vergangenheit zu haben. Diese Syrer waren schließlich unter einem Regime aufgewachsen, das in vielerlei Hinsicht dem Nationalsozialismus ähnelte. Sie wissen sehr gut, wie der Stolz auf die Geschichte dazu genutzt werden kann, gefährliche Ideen über Nationalismus und Macht zu schmieden."

Magazinrundschau vom 06.06.2023 - Newlines Magazine

Auch jenseits restriktiver Gesetzgebungen wie in Polen wird es für Frauen in Europa immer schwieriger abzutreiben, berichtet Jessica Bateman in einem instruktiven Hintergrundartikel. Immer mehr Ärzte berufen sich auf Gewissenskauseln, um keine Abtreibungen vorzunehmen. Hinzukommt: "In Deutschland werden 420 Krankenhäuser - fast ein Viertel aller Krankenhäuser des Landes - von katholischen Organisationen betrieben, was bedeutet, dass für ganze Einrichtungen ein generelles Verbot von Abtreibungen gilt, auch wenn die einzelnen Ärzte selbst nicht religiös sind." Gerade die Kirchen machen Druck auf die Ärzte, so Bateman: "Im Jahr 2016 sprach Papst Franziskus von der 'moralischen Pflicht' der Beschäftigten im Gesundheitswesen, Abtreibungen zu verweigern. Die italienische Bischofskonferenz sprach sich 2017 gegen ein Krankenhaus aus, das eine Stellenanzeige für Gynäkologen, die sich nicht weigern, veröffentlicht hatte, und erklärte, dies 'verzerrt die Struktur des... Gesetzes, das nicht darauf abzielt, Abtreibungen zu veranlassen, sondern sie zu verhindern'... In Rumänien, wo das orthodoxe Christentum die vorherrschende Religion ist, veröffentlichte die Anti-Abtreibungsgruppe Pro Vita 2015 einen Leitfaden, in dem sie 'das gesamte medizinische Korps, insbesondere die Gynäkologen, auffordert, auf die barbarische Praxis der Abtreibung' zu verzichten und ihr 'Recht auf moralische Ablehnung zu nutzen'."

Magazinrundschau vom 28.03.2023 - Newlines Magazine

Die Christin Asia Bibi war die erste Frau, die in Pakistan auf Grundlage des strikten Blasphemie-Paragraphen zum Tode verurteilt wurde, angeblich hatte sie den Propheten Muhammad in den Schmutz gezogen, erklärt Ailia Zehra im New Lines Magazine. Der Fall hatte international für Aufsehen gesorgt, der Druck der Öffentlichkeit hatte erreicht, dass sie das Land nach acht Jahren in der Todeszelle in Richtung Kanada verlassen konnte. Doch dort ergeben sich neue Schwierigkeiten, sie und ihr Mann sind Analphabeten, können kaum den Lebensunterhalt bestreiten, leiden unter gesundheitlichen Problemen. "Ihr Fall macht klar, wie schwierig es für Exilanten ist, die vor Traumatisierungen und Gewalt geflohen sind, sich an ein Leben in einem völlig neuen Umfeld wie Kanada zu gewöhnen. Das Land gewährt prominenten Regimegegnern und Unterdrückten Asyl. Die Fürsorge für die Geflohenen reicht aber oft nicht für die Bewältigung der Traumata und Traumafolgestörungen." Fremd hier, fremd da, beschreibt Zehra die Erfahrungen einer Dissidentin, die sich von verschiedenen Akteuren ziemlich im Stich gelassen fühlt: "Danach befragt, ob das pakistanische Konsulat in Kanada sich jemals bei ihr gemeldet habe, antwortet Bibi, dass sie keine Unterstützung von ihnen erwartet, da sie in ihrem Heimatland immer noch als Gotteslästererin gilt. Bei den Unruhen, die nach ihrem Freispruch ausgebrochen sind, wurden Plakate, die ihre Exekution forderten, gemeinsam mit hasserfüllten Parolen gegen sie und die christliche Gemeinde des Landes offen gezeigt. Anstiftung zur Gewalt und Hassrede sind in Pakistan strafbar, aber extremistische Gruppen kommen meist einfach so davon. 'Tehreek-e-Labbaik (eine dieser Gruppen) hat die Regierung aufgefordert, mich zu töten', macht sie klar, 'wie sollen sie mich unter diesen Umständen unterstützen?'" Sie ist resigniert: "Viele derjenigen, die mich genutzt haben, um Geld zu scheffeln, haben mich mittlerweile vergessen."

Magazinrundschau vom 09.08.2022 - Newlines Magazine

Fazelminallah Qazizais und Chris Sands Artikel ist kilometerlang - ausgedruckt vierzig eng gesetzte Seiten. Sie erzählen die Geschichte des Islamischen Staats in Afghanistan, genauer des "Islamic State of Khorasan Province (ISKP)", und seines Kommandeurs Abu Omar Khorasani, der kurz nach der amerikanischen Übergabe Afghanistans an die Taliban von diesen erschossen wurde. Die Taliban waren ihm zu milde gewesen. Sie hatten mit den Amerikanern verhandelt. Ihre Religion war zwar so engstirnig, wie es nur geht, aber tribalistisch, an Traditionen des Landes gebunden und nicht expansionistisch genug. ISKP und Taliban bekämpfen sich bis heute. Der ISKP hatte beim chaotischen Abzug der Amerikaner in einem Attentat 170 Menschen getötet, darunter 13 amerikanische Soldaten, die letzten Gefallenen des Afghanistankriegs. Fazelminallah Qazizai hat über Jahre mit vielen Zeugen gesprochen, beschreibt die unfassbar blutigen Attentate des ISKP, der nach jedem Rückschlag wieder aufstand, auch als Donald Trump 2017 die stärkste nicht nukleare Bombe über einem Höhlenkomplex bei Achin abwarf und Dutzende Kämpfer tötete. "Die ISKP-Kämpfer wussten, dass sie nun nicht mehr damit rechnen konnten, weite Teile des Gebiets zu kontrollieren, aber das bedeutete nicht, dass sie aufgaben. Im Sommer 2017 rückte die 'Red Unit' der Taliban in Achin ein und hatte den Auftrag, die örtlichen Talibs bei einer 'Clear and Hold'-Operation zu führen. (Einer der Kommandeure) Qazi Malik… wurde mit ihnen in das Gebiet entsandt. 'Wenn der Prophet Mohammed noch leben würde, würde er uns die Treue schwören', spotteten ISKP-Kämpfer über ein Militärradio. Malik war von ihrer Willenskraft beeindruckt. Als er die Leichen auf dem Schlachtfeld durchsuchte, bemerkte er, dass sich einige ISKP-Kämpfer aneinander gefesselt hatten, damit Kämpfer, die es in der Hitze des Gefechts mit der Angst bekamen, nicht weglaufen konnten."

Magazinrundschau vom 13.07.2021 - Newlines Magazine

Der Nobelpreis für Peter Handke vor anderthalb Jahren war auch Gelegenheit zu erkennen, dass es in den vornehmsten deutschen Feuiiletons Stimmen gibt, die Genozidleugner verteidigen, sofern es sich nur um verehrte Dichter handelt. Edin Hajdarpašić analysiert nochmal die Handkesche Rhetorik des Leugnens, die natürlich nicht einfach ein Leugnen ist, sondern ein Neu Arrangieren von Wirklichkeit, bekannt eher aus anderen politischen Ecken, wo es auch mit dem angemessenen Abscheu bedacht wird. Hajdarpašić erinnert an Handkes Freundschaft zu Novislav Djajić, der zu einem serbischen Erschießungskommando gehörte: "In Djajić hatte der Österreicher nicht nur eine Freundschaft gefunden - Handke war Trauzeuge bei Djajićs Hochzeit und wohnte der Taufe seiner beiden Töchter bei -, sondern auch die Schlüsselelemente, um die Fakten des Bosnienkrieges umzuschreiben. In Handkes Erzählung war Djajić ein idealistischer serbischer Dorfbewohner, der in die Kriegswirren hineingezogen wurde. In einer Zeit, in der das Töten überhand nahm, war er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und hielt bei einer Massenhinrichtung eine Waffe in der Hand. An einer Stelle in der 'Reise' lässt Handke Djajić über seine Verantwortung nachdenken und dann feststellen: 'Wissend, dass ich schuldlos war, sagte ich Ja zu meiner Bestrafung. Vom fremden Staat bestraft und vom eigenen Volk verachtet, verlor ich das Gefühl für meine Schuld.' Wenn es in Handkes Geschichte eindeutige Bösewichte gibt, dann sind es die fremden Richter, die gedankenlos darauf bestehen, Männer wie Djajić zur Verantwortung zu ziehen."
Stichwörter: Handke, Peter, Bosnienkrieg