Im Kino

Beim heiligen Photoshop!

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
30.09.2009. In "Die fast vergessene Welt" führen die Hollywood-Komiker Will Ferrell und Danny McBride vor, wie man sauteuer animierten Dinosauriern mit Albernheit beikommt. In eine ganz andere Welt entführt Ulrike Ottingers Doku "Die koreanische Hochzeitstruhe", der zeigt: Sich-Binden will gelernt sein.
Ein Zweikampf: Mensch gegen Dinosaurier. David gegen Goliath. Großes Tier gegen Gernegroß. Will Ferrell ist Rick Marshall und nimmt, einen langen Stecken in der Hand, Anlauf, setzt an zum klassischen Stabhochsprung. Er hebt ab, liegt horizontal in der Luft und fliegt Beine voran pfeilgrad ins Maul des digital animierten T-Rex. Der verschluckt den Helden und rülpst und stapft zufrieden davon. Wir nehmen uns einen Moment Zeit für Erwägungen zur Gattungstheorie: Wenn David siegt, ist's ein Heldenepos. Wenn Goliath siegt: eine Tragödie. Aber da kehrt der Dinosaurier zurück, Will Ferrell reitet ihn obenauf. Ergo: Wenn der verschluckte Held vom Dinosaurier ausgeschissen wird und damit dessen Verstopfung kuriert und so des Dinosauriers ewiger Dankbarkeit sicher ist: dann muss es eine Will-Ferrell-Komödie sein. Da gehen die Komik und die Liebe durch den Darm.



Die heitere Verwirrung, mit der man als Betrachter durch den unbedingt liebenswerten "Die fast vergessene Welt" taumelt, ist eine Genre-Verwirrung. Zugrunde liegt dem Film, was man zum Genuss nicht einmal unbedingt wissen muss, eine sehr erfolgreiche, in erster Linie für Kinder konzipierte US-Fernsehserie gleichen Titels. Ein Wissenschaftler gerät darin mit Frau und Kind durch ein Zeitloch in eine andere Welt mit seltsamen Wesen. Dinosaurier, Affenartige, Sleestacks (echsig, böse). SciFi-Autoren von Format (Norman Spinrad, Theodore Sturgeon etc.) haben einzelne Episoden für die Anfang der Siebziger entstandene Serie geschrieben. In den Neunzigern gab's ein TV-Remake. Und nun das.

Krieg der Welten. Science Fiction aus guter Kinderstube sieht sich mit zwei der seltsamsten Typen der jüngeren Hollywood-Komödie konfrontiert: Will Ferrell und Danny McBride. Der eine ein Mann wie kein Baum, der andere auch. Dicklich sind sie, die Anmutung alles Heldischen liegt ihren Körpern, die das Gegenteil alles Durchtrainierten sind, denkbar fern. Daraus schlagen sie Kapital. Wir haben Will Ferrell schon als Rennfahrer und als Eiskunstläufer reüssieren gesehen. Hier nun ist er ein Wissenschaftler, vielleicht ein Spinner, vielleicht ein Genie. Mit seiner Wurmlocherfindung steuert er sich und einen etwas tumben Troglodyten (McBride) und eine im Original mit heftigem Cockney-Akzent englisch sprechende Verehrerin aus Cambridge (Anna Friel) ins Dinosaurierland vor oder neben unserer Zeit.

Im Dinosaurierland allerdings gibt's nicht nur den T-Rex und die Sleestacks, sondern auch amerikanisches Gegenwartsgerümpel aller Art. Wie Pop-Art stecken Autos im Wüstensand und haben dort nichts verloren. Ein Imbiss-Bus, der mir nichts dir nichts aus dem Himmel fällt, wird mitsamt Verkäufer von Dinosauriern gründlich zerlegt. Mit Erklärungen für das, was man sieht, geht der Film durchweg sparsam um. Der Ernst, mit dem in seriöser Science-Fiction pseudowissenschaftliches Brimborium präsentiert wird, tritt hier dennoch auf: als komischer Verfremdungseffekt.



Trotz Verfremdung wird einem beim Zusehen niemals ganz anders. "Die fast vergessene Welt" muss man sich vorstellen einen "Jurassic Park", bei dem sich im Bernstein unglücklicherweise die Gene von Steven Spielberg und der Comedy-Show "Saturday Night Live" gemischt haben. Oder glücklicherweise, denn es ist ja ein Spaß, wenn auch ein bizarrer, der dabei hinten rauskommt. Die Helden erleben Abenteuer, wie man sie in Abenteuerfilmen erlebt. Sie werden von Sleestacks bedroht, sie jagen der verloren gegangenen Wurmlochmaschine hinterher. Nur wird sich zugleich über die Tunika lustig gemacht, die der Ober-Sleestack trägt. Und die Wurmlochmaschine spielt immerzu Musik aus "A Chorus Line". Dazwischen werden, in grotesken Komödienmomenten erhabener Selbstverkennung, One-Liner der Will-Ferrell-Figur gestreut. Und Danny McBride setzt lakonisch noch einen drauf.

Komische Kontraste, wohin man sieht. Und hört - denn der Soundtrack, auf dem sich ein offenbar komplett durchgeknalltes Orchester besinnungslos durch alle einschlägigen Pathosformeln spielt, ist eine Schau für sich. Und doch ist das alles nicht einfach die handelsübliche Parodie, die aus der Übertreibung des sofort als üblich Erkannten ihre meist völlig vorhersehbaren Effekte zieht. Eher muss man auf den Wortsinn zurück. "Parodie" (griech. "Gegenlied") bezieht sich klassisch auf den Heldengesang (griech. "Rhapsodie"; eigentlich: das aus Episoden zusammengenähte Lied), indem sie ihn unterbricht. Das Ernste wird so, in seiner Unterbrechung, mit derselben Geschichte in anderer Tonart konfrontiert. "Die fast vergessene Welt" ist nun der seltsame Fall eines Films, in dem Rhapsodie und Parodie sozusagen gleichzeitig gesungen werden. Aufwendig animierte Dinosaurier-Eier, die zerspringen. Und dazu spielt die Wurmlochmaschine einen Song aus "A Chorus Line".



So gibt es hier zwar den Aufwand der Science-Fiction- und Abenteuergeschichte mit allem Drum und Dran. Dieser Aufwand aber wird im selben Moment durch größtmögliche Vulgarität und/oder Albernheit immer schon völlig entwertet. Komisch ist so nicht nur das Komische, sondern - aber eben auf seltsam verwirrende Weise - vor allem die Gleichzeitigkeit des Erhabenen und dessen, was in wirklich jeder Hinsicht mit dem Erhabenen kontrastiert. Das Ergebnis: Der Film ist naiv und sentimentalisch zugleich. Er funktioniert, obwohl er das Funktionieren immerzu unterläuft. Oder auch umgekehrt: Er funktioniert nicht, obwohl er es an nichts, was ein Abenteuerfilm zum Funktionieren braucht, fehlen lässt. Oder, bewusst paradox formuliert: Er funktioniert und funktioniert zugleich nicht. Aufwand und Ertrag stehen, mit einem Wort, in einem wirklich merkwürdigen Verhältnis.

"Die fast vergessene Welt" ist so einerseits die Antwort auf eine Frage, die mit eigentlich gutem Grund keiner gestellt hat: Was passiert eigentlich, wenn man einen in jeder Hinsicht billigen Saturday-Night-Live-Sketch zur Abwechslung einmal wahnsinnig aufwendig ausstattet? Dafür, sagen wir, an die hundert Millionen Dollar ausgibt? Will Ferrell und ein "echter" Digitaldinosaurier? Danny McBride und ein liebevoll animierter Science-Fiction-Planet? Wäre das nicht an sich schon sehr komisch? Nach Ansicht des Films kann man sagen: Ja, widersinnige Idee, aber gerade in ihrer Frivolität lustig.

Andererseits ist der Film, anders als die üblichen systemstabilisierenden Parodien, durchaus subversiv. Denn der Widersinn lässt sich, wie man es wendet und dreht, einfach nicht tilgen. Am ehesten ähnelt das Ganze einem der schlimmsten Flops der Hollywood-Komödien-Geschichte, dem bis heute komplett unterschätzten "Ishtar", der Elaine Mays Karriere als Regisseurin ein Ende gesetzt hat. Ein Desaster dieses Ausmaßes war "Die fast vergessene Welt" an den Kassen nicht. Aber doch ein veritabler Misserfolg. Vielleicht - neben dem Flop von Judd Apatows großartigem "Funny People" ("Wie das Leben so spielt") - aber doch der Hinweis darauf, dass sich das jüngste Goldene Zeitalter der US-Komödie langsam seinem Ende zuneigt.

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Bloß keine Knoten! Ineinder geschlungen seien die Bänder, innig, aber ohne Gewalt. Wir sehen zu, wie die koreanische Hochzeitstruhe gefüllt wird mit Beuteln und anderen Dingen. Dann wird der Deckel zugeklappt und die Truhe mit weißen Bändern umwickelt, auf dass der Träger sie umgürten und an ihren Bestimmungsort tragen kann. Um diese Truhe herum entwirft Ulrike Ottingers dokumentarisch gestimmter Film ein Bild vom Heiraten in Südkorea. Nicht nur hier will Sich-Binden gelernt sein. (Auch das Loslassen, wie man in Im Kwon-Taeks großartigem Spielfilm-Gegenstück "Chukje" lernen kann: da sehen wir Beerdigungs-Rituale.)

Was Ulrike Ottinger daran interessiert: Wie das Traditionale seinen Ort in der Gegenwart findet. Wie die Gegenwart die Formen der Tradition übernimmt und verwandelt, indem sie sie integriert. Wie also Gegenwart Form gewinnt, indem sie mit hergebrachter Form umgeht. Wie das im Korea der Gegenwart zugeht, wird in spielfilmähnlicher Dramaturgie vorgeführt. Am Anfang sieht man: Einen Tempel der Wunscherfüllung. Zettel mit Wünschen werden an Wände gesteckt. Dann sieht man: Kleine Schlösser werden von Paaren an einen Drahtzaun gehängt. Diesig im Hintergrund Seoul. Im Vordergrund: Tausende Schlösser, Symbolik, die auf der Stelle einsichtig ist. Ähnlich die Sache mit dem Knotenverbot. Erklärungsbedürftiger die Einzelheiten der Hochzeitstruhenverpackung. Erklärungsbedürftig, aber nicht wichtig: Schließlich kommt es einzig drauf an, dass alles genauestens geregelt ist. Das bindungswillige Paar muss nicht wissen, was es tut, sondern nur, was es zu tun hat (und was zu lassen).



In klaren Bildern führt der Film seine Beobachtungen vor. Schickt den Hochzeitstruhenträger als roten Faden durch die den einzelnen Gewerken erstaunlich einheitlich gewidmeten Straßen des alten Seoul. Wir nehmen Einblick in ein traditionelles Hochzeitsgeschäft. Prächtige Kleider werden wie auf einem Laufsteg präsentiert. Dies und jenes wird dazu erklärt. Draußen schneit es und man ist fast froh: Das hat wohl nichts zu bedeuten, das war beim Drehen halt so. Zuletzt landet die Truhe auf dem Reistopf, wo sie auch hingehört. Wir wüssten es nicht, hätte man's uns nicht gesagt.

Das Moderne an der koreanischen Hochzeit, die uns Ottinger exemplarisch dokumentiert: der Fließbandbetrieb. Das Ruck-Zuck-Ritual. Es gibt einen Hochzeitspalast, da werden Paare frisch gebacken. Fotos sind wichtig. Zu Beginn des Films sahen wir schon einen Automaten, der digitale Bildüberzeichnung a la Michelangelo oder Raffael annonciert. (Beim heiligen Photoshop, ich seh' keine Ähnlichkeit. Trotzdem das zentrale Versprechen schon im Kleinen: Du erkennst dich als armer Gegenwartstropf in großer Tradition wieder. Wie für Rituale im allgemeinen gilt hier: Die Behauptung, bei Lichte besehen ein Blödsinn, allein schon genügt.) Bildförmig jedenfalls geht, was vor, während, nach der Hochzeit geschieht, vonstatten. Nicht das Ereignis zählt - es ist ja auch kein Ereignis -, sondern das Stattfinden, das sich durch Nachblättern im Album nachweisen lässt.

Dazu hat, etwas überdeutlich vielleicht, Ulrike Ottinger eine kleine Legende geschrieben, vom Ginseng-Paar, die sie aus dem Off selbst erzählt. Darin diese Passage: "Da sagte eines Tages die Ginseng-Frau zum Ginseng-Mann: 'Lass uns wieder in die Welt ziehen und sehen, was im Alten neu und im Neuen alt ist." Das ist, wie manches an diesem Film, ein klein wenig betulich. Aber man ist natürlich im ganzen sehr dankbar dafür, dass die Filmemacherin ihre Augen an einem fremden Ort offen gehalten hat.

Die fast vergessene Welt

USA 2009 - Originaltitel: Land of the Lost - Regie: Brad Silberling - Buch: Chris Henchy, Dennis McNicholas - Darsteller: Will Ferrell, Danny McBride, Anna Friel, Jorma Taccone, Eve Mauro, Michael Papajohn, Pollyanna McIntosh, John Boylan, Mousa Kraish, Kristina Krofft
Die koreanische HochzeitstruheDeutschland 2008 - Regie und Buch: Ulrike Ottinger - Darsteller: (Mitwirkende) Kim Keum-hwa, Boseong, Kim Min-ja, Ahn Baek-seung, Yun Min-kyung, Yoo Hee-jong, Lee Hyae-kyoung, Yang Gil-seung, Lee Sun, Dr. Lee Dae-kyu, Lee Hye-lim